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Der Gipfel der Armut

Im September 2000 haben sich Staats- und Regierungschefs der Welt vor der UNO auf acht Entwicklungsziele geeinigt, die bis 2015 erfüllt sein sollen: dazu gehört unter anderem die Halbierung der Zahl der weltweit Hungernden, sauberes Trinkwasser für über eine Milliarde Menschen, der Kampf gegen Aids und Malaria, mehr Entwicklungshilfe und ein faires und berechenbares Handelssystem. Doch die Zeit wird knapp.

Von Jule Reimer |
    "Make poverty history!" Beendet die Armut, verbannt sie in die Geschichte, appelliert Nelson Mandela umjubelt von Demonstranten im Februar auf Londons Trafalgar Square an die Finanzminister der G7 – dem Club der sieben mächtigsten Industriestaaten. Zusammen mit prominenten Stars wie Bono von der Popband U2, Bob Geldof, Herbert Grönemeyer und Claudia Schiffer fordert Südafrikas Polit-Ikone, 2005 zum Jahr des Kampfes gegen die weltweite Armut zu machen. Denn es gilt ein Versprechen zu erfüllen. Im September 2000 haben sich Staats- und Regierungschefs der Welt vor der UNO auf acht Entwicklungsziele geeinigt, die bis 2015 erfüllt sein sollen: dazu gehört unter anderem die Halbierung der Zahl der weltweit Hungernden, sauberes Trinkwasser für über eine Milliarde Menschen, der Kampf gegen Aids und Malaria, mehr Entwicklungshilfe und ein faires und berechenbares Handelssystem.

    Doch die Zeit wird knapp, stellt die ehemalige Entwicklungsministerin der Niederlanden, Eveline Herfkens fest, die jetzt im Auftrag von UN-Generalsekretär Kofi Annan für die Erfüllung der so genannten Millennium-Entwicklungsziele wirbt:

    " Unsere große Sorge ist Afrika südlich der Sahara. In Afrika hinkt die Mehrheit der Länder ganz deutlich hinterher und im Durchschnitt wird dort keines der Entwicklungsziele noch nicht mal in den nächsten Jahrzehnten erreicht. Deshalb brauchen wir dringend zusätzliche Anstrengungen beider Seiten, der afrikanischen Regierungen und unsererseits, der reichen Staaten, die ein bisschen großzügiger Finanzhilfen, Handelserleichterungen und Schuldenerlass gewähren müssen. Aber ich betone auch, dass wir noch zehn Jahre Zeit haben, um die Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen, vorausgesetzt, wir handeln jetzt und jeder setzt jetzt um, was er versprochen hat. "

    Dass es zumindest teilweise funktionieren könnte, zeigt die Entwicklung in Tansania, Uganda und Mosambik. Dort werden im Jahr 2015 voraussichtlich alle Kinder die Grundschule besuchen können. Also Millennium-Entwicklungsziel Nummer zwei erfüllt! Senegal und Uganda ist es gelungen, die Zahl der Aids-Neuinfektionen deutlich abzusenken. Eveline Herfkens erklärt, warum:
    " Dort greift der Global Deal, der globale Pakt und der lautet: Arme Länder sind primär für ihre Politik verantwortlich, sie bekämpfen die Korruption und setzen bei den Ausgaben die richtigen Prioritäten. Aber arme Staaten können die Ziele nicht erreichen, wenn wir, die reichen Länder nicht das Millennium-Entwicklungsziel Nummer acht erfüllen: nämlich dass wir mehr geben. In diesen erfolgreichen Staaten traf deren verantwortliche Politik auf eine relativ großzügige Unterstützung unsererseits mit Geld, effektiver Hilfe und dem Erlass von Schulden. "

    Ob alle afrikanischen Kinder bis 2015 die Grundschule besuchen können, wird folglich auch von den Entscheidungen abhängen, die die G-8-Staaten – also die G7 plus Russland - beim Weltwirtschaftsgipfel im schottischen Gleneagles treffen. Gastgeber Tony Blair und sein Schatzmeister Gordon Brown haben die Afrikapolitik ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt und zur Vorbereitung eine mit prominenten Fachleuten aus Nord und Süd besetzte Afrika-Kommission berufen.

    " Wenn buchstäblich tausende von Kindern an vermeidbaren Krankheiten sterben, ist es unsere Pflicht zu handeln und wir werden das tun. "

    Eigentlich wird die Afrikapolitik der G-8 durch den Afrika-Aktionsplan geprägt, der auf dem Weltwirtschaftsgipfel im kanadischen Kananaskis 2002 verabschiedet wurde und eine Antwort auf NEPAD ist. Die Abkürzung NEPAD steht für "Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung" und in ihr verpflichten sich die afrikanischen Staats- und Regierungschefs auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und freie Marktwirtschaft. Die G8 wiederum wollen die Afrikaner dabei mit ihrem Aktionsplan unterstützen. Uschi Eid, G8-Afrika-Beauftragte der deutschen Bundesregierung

    " Dieser Plan enthält acht Bereiche und wird seit 2002 von den G8-Staaten sukzessive umgesetzt, um die Reformen in Afrika zu unterstützen. "

    Zum Beispiel im Bereich gute Regierungsführung, Handels-, allgemeiner Wirtschaftspolitik oder in Umweltfragen. Außerdem unterstützt die deutschen Bundesregierung die Afrikanische Union unter anderem bei der Ausbildung von Friedenstruppen. Alles durchaus wichtig und sinnvoll, aber wenig kostspielig, so dass sich die Aktionen des G8-Afrika-Aktionsplanes in den Haushalten der Industriestaaten nicht besonders niederschlugen. Tony Blair dagegen will jetzt den G7-Finanzministern ans Portemonnaie. Er fordert eine deutliche Erhöhung der Entwicklungshilfe.

    " Afrika ist der einzige Kontinent, der in den letzten 30 Jahren in der Entwicklung zurückgefallen ist. Es geht auch nicht nur um mehr Mittel. Wir müssen sicherstellen, dass keine Korruption herrscht und ordentlich regiert wird, aber es geht eben doch auch um mehr Geld, wir müssen sicherstellen, dass wir alles Notwendige tun, um Afrika zu helfen. "

    Kritiker führen das Dritte-Welt-Engagement Blairs darauf zurück, der Premier wolle nach dem Irak-Krieg seinen Ruf aufmöbeln. Doch UNO-Generalsekretär Kofi Annan kommt Blairs Initiative gerade recht. Auf dem UN-Gipfel im September soll bilanziert werden, wie weit die Völkergemeinschaft jetzt – im Jahr 2005 – mit ihren ehrgeizigen Millennium-Entwicklungsziele gekommen ist. Der US-Ökonom Jeffrey Sachs hat im Auftrag der UN durchgerechnet, dass für die Erfüllung der Jahrtausend-Entwicklungsziele bis 2015 die weltweite Entwicklungshilfe von aktuell rund 78 Milliarden US-Dollar verdoppelt werden müsste. Derzeit entspricht diese Hilfe durchschnittlich einem viertel Prozent des Bruttoinlandesproduktes pro Industriestaat. Doch Sachs setzt noch eins drauf:

    " Die Millennium-Entwicklungsziele sind ja nur ein Teil der Aufgaben, die durch die öffentliche Entwicklungshilfe abgedeckt wird, da ist ja außerdem Hilfe bei Tsunamis und anderen Katastrophen, beim Wiederaufbau nach Kriegen etc. notwendig. Deshalb sagen wir: Die reichen Staaten sollten allerspätestens 2015 das 0,7-Prozentziel erfüllen. "

    Das Versprechen, 0,7-Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern zu stecken, gaben die Industriestaaten übrigens schon vor drei Jahrzehnten. Erfüllt haben es nur die skandinavischen Länder, die Niederlande und Luxemburg, Deutschland nie. Unter der rot-grünen Regierung stieg die zuvor arg abgesunkene Quote wieder leicht auf 0,28 Prozent an und für die nächsten Jahre sind weitere Anhebungen zumindest versprochen. Die USA sind zwar in absoluten Zahlen der weltweit größte Geber, bringen es relativ jedoch nur auf 0,16 Prozent. UN-Vertreterin Eveline Herfkens wundert sich:

    " Es sterben täglich 50.000 Babys an völlig harmlosen Krankheiten. Sauberes Trinkwasser, ein Moskitonetz, das kostet weniger als eine Tasse Kaffee hier in dem Berliner Restaurant um die Ecke, das ist bezahlbar. Wir reden hier nicht über riesige Summen. 0,7 Prozent Ihres Einkommens – das bedeutet, dass Sie für sich selbst 99,3 Prozent behalten. Also, wie viel mehr will man denn noch haben? "

    Doch was für Industriestaaten kleine Beträge sind, ist in vielen Entwicklungsländern völlig unerschwinglich, haben die Ökonomen rund um Jeffrey Sachs errechnet. In Sambia zum Beispiel gelten 60 Prozent der Bevölkerung als bitterarm. Um deren Zahl bis zum Jahr 2015 zu halbieren, müsste die sambische Wirtschaft jedes Jahr um durchschnittlich 8 Prozent wachsen. Lucie Kasanga arbeitet am Kirchlichen Forschungszentrum der Jesuiten in Lusaka:

    " Wie sollen wir es schaffen, unsere Wirtschaft auf eine breitere Basis zu stellen, wenn nur elf Prozent der Bevölkerung im formellen Sektor einen Job hat – elf Prozent! Und wenn von zehn Millionen Sambiern 45 Prozent zwischen 0 und 15 Jahren alt sind. "

    Immerhin: Beim letzten Treffen der G7-Finanzminister im Juni beschlossen diese, 18 ausgewählten kleineren Entwicklungsländern sofort und weiteren 37 Staaten wahrscheinlich später die Schulden bei Weltbank, Internationalem Währungsfonds und afrikanischer Entwicklungsbank zu erlassen. Eine Entlastung von rund 45 Milliarden Euro, die sich aber über die nächsten 40 Jahre erstrecken wird – pro Jahr also rund 1 Milliarde Euro. Der Schuldenerlass des G8-Gipfels von Köln 1999, bei dem nur die zwischenstaatlichen Schulden gestrichen worden waren, hatte nämlich nicht ausgereicht – die Entwicklungsländer ächzten weiter unter der Zins- und Tilgungslast.

    Für entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen ist mit dem Schuldenerlass eine wichtige Forderung erfüllt. Jens Martens vom Global Policy Forum:

    " Es kann nicht sein, dass in einem Land die Menschen hungern, das Geld aber dann zur Bedienung von Zinsen und Gläubigern im Norden verwendet wird. "

    Stimmen im Chor der Afrika-Kritiker behaupten, auch ohne Schuldenlast hätten bestimmte Regierungen nicht mehr in Gesundheit und Bildung investiert. Die G-8-Afrika-Beauftragte der Bundesregierung, Uschi Eid, hält dem entgegen:
    " Nun die Kritiker kommen ja auch aus anderen Ecken, es gibt auch Bedenken von Transparancy International, die sich ja mit Korruption befassen. Die andere Seite ist, dass sich in Ländern wie Uganda, die entschuldet worden sind, die sozialen Indikatoren im Bereich Wasser, Erziehung zum Beispiel tatsächlich verbessert haben. Ob man das monokausal auf die Entschuldung zurückführen kann, ist die Frage. Aber es hängt sicher auch damit zusammen, dass die Regierungen darauf verpflichtet worden sind, transparent zu arbeiten, also dass auch nachgeschaut worden ist, wohin das Geld gegangen ist. "

    Schuldenerlass gegen Auflagen: viele Bürgerrechtsgruppen in den Entwicklungsländern befürworten diese Regelung. Aber sie beklagen, dass viele der Auflagen, die damit verbunden sind, sich stur an makroökonomischen Daten orientieren und zuwenig an der Realität in den Schuldnerstaaten. Natürlich müsse gegen die Korruption vorgegangen werden, betont Lucy Kasanga vom Kirchlichen Forschungszentrum der Jesuiten in Lusaka. Doch die Umstände machten es ihren sambischen Landsleuten nicht ganz leicht:

    " Um überhaupt in den Genuss der bisherigen Entschuldungen zu kommen, durfte Sambias Regierung seit sechs Jahren die Löhne nicht erhöhen. Was bedeutet das? Das bedeutet: auch die, die eine offizielle Arbeit haben, sind sehr arm. Selbst hoch bezahlte Staatsangestellte verdienen nur um die 150 US-Dollar. Davon müssen sie zwei Drittel für Essen ausgeben. Für alle anderen Bedürfnisse reicht das restliche Drittel vorne und hinten nicht, nicht für das Schulgeld der Kinder und auch nicht, um einen Krankenhausaufenthalt zu bezahlen. Und als Ausweg wird dann die nächste Gelegenheit genutzt, einen Extra-Dollar einzustecken. "

    Bitter stimmt die gelernte Ingenieurin zudem, dass die G8-Staaten beim Thema Schuldenerlass mit zweierlei Maß messen:

    " Die G-8-Staaten brauchten im Fall des Irak drei Monate für die Entscheidung, dem Land 85 Prozent seiner Schulden zu erlassen. Afrika verhandelte dagegen zehn Jahre lang erfolglos für einen Schuldenerlass. Drei Monate! Und warum? Weil die G8-Staaten große Interessen im ölreichen Irak haben. Ich halte das für eine Karikatur von Gerechtigkeit. "

    Doch ein Schuldenerlass allein reicht bei weitem nicht. Sambia braucht dringend zusätzliche Mittel, denn dort sterben die Menschen mit 25, 35, 45, in ihren eigentlich produktivsten Lebensjahren. Jeder fünfte erwachsene Sambier leidet an Aids. Und während Aids-Kranke in Industriestaaten dank teurer Medikamente über Jahre hinweg erwerbstätig sein und ein halbwegs normales Leben führen können, bedeutet die Krankheit in Afrika Siechtum und Tod.

    " Bei uns sind für Aidskranke die Möglichkeiten, zu arbeiten und Geld zu verdienen, gleich Null, denn dreiviertel der Zeit fehlen sie, weil sie zu schwach sind. Hinzu kommt, dass wir zu wenige Krankenhausbetten haben, dass heißt, die, die bei Kräften sind, können trotzdem häufig nicht zur Arbeit kommen, weil sie andere Erkrankte pflegen müssen. "
    Jens Martens vom Global Policy Forum fordert, die Entwicklungshilfe deutlich zu erhöhen und zwar jetzt:

    " Das ist ein Argument, was immer übersehen wird. Es fließt ja nicht nur Geld in den Süden – was als Kosten betrachtet wird – sondern es gibt Kosten des Nichtstun. Und diese Kosten sind heute schon wesentlich höher als die mageren 78 Milliarden US-Dollar, die weltweit pro Jahr für die Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben werden. Es wird geschätzt, dass allein die Kosten, die durch Aids und andere vermeidbare Krankheiten entstehen, schon heute in die Hunderte von Milliarden gehen und die könnten vermieden werden, wenn man nur einen Bruchteil dieses Geldes jetzt ausgeben würde. "

    Das meint wohl auch Gordon Brown. Der britische Finanzminister möchte ein neues Finanzierungsinstrument mit dem Namen International Finance Facility einführen – kurz genannt IFF. Praktisch bedeutet das: Die Industriestaaten gehen langfristig Zahlungsverpflichtungen ein und die IFF nutzt diese Zahlungsverpflichtungen, um auf den internationalen Kapitalmärkten Kredite aufzunehmen, die wiederum in den Süden fließen. Die US-Regierung unter Georg Bush lehnte das Konzept erstmal rundweg ab. Auch im deutschen Finanzministerium hieß es erst, noch mehr Schuldenmachen komme nicht in Frage. Richtig, sagt auch Jens Martens von der Nichtregierungsorganisation Global Policy Forum und fordert:

    " Das ist in der Tat Entwicklungshilfe auf Pump und das wäre nur gerechtfertigt, wenn die IFF seriös gegenfinanziert wäre – zum Beispiel durch Devisentransaktionssteuer im Gespräch, oder die Kerosinsteuer. Denn wenn es diese Gegenfinanzierung nicht gäbe, dann würde die Entwicklungshilfemittel ab 2015 drastisch einbrechen, weil die Entwicklungshilfe vor allem für die Rückzahlung der Schulden an die Kapitalgeber verwendet werden müssten und das wäre fatal. "

    Immerhin haben sich die G7-Finanzminister im Vorfeld des G8-Gipfels im schottischen Gleneagles auf eine International Finance Facility, auf eine "IFF im Mini-Format" geeinigt. Über Anleihen sollen 4 Milliarden US-Dollar generiert werden, mit denen in den nächsten 10 Jahren Impfkampagnen finanziert werden können. Deutschland würde ungefähr ein Zehntel dieser Mittel tragen. Doch Jens Martens vom Global Policy Forum warnt:

    " Das ist wirklich nur ein Tropfen auf den heißen Stein…"


    …denn heraus käme pro Jahr ein Plus von 400 Millionen US-Dollar – statt der tatsächlich zusätzlich benötigten 50 Milliarden.

    " Wir brauchen einen Dreischritt an Maßnahmen: Wir bräuchten die sofortige Einführung der IFF, verbunden aber mit der Einführung von Steuern – Stichwort Devisentransaktionssteuer oder Kerosinsteuer, wir brauchen aber trotzdem, denn auch das alleine reicht nicht, auch eine drastische Erhöhung der Entwicklungszusammenarbeit und man kann sich nicht davor drücken und sagen, wir schaffen neue Instrumente und lassen alles andere beim alten. "
    Doch die ehemalige niederländische Entwicklungsministerin Eveline Herfkens, die jetzt im Auftrag von Kofi Annan für die Erfüllung der Millennium-Entwicklungsziele wirbt, sieht auch dies skeptisch:

    " Bis sich alle auf internationaler Ebene auf diese neuen Ideen geeinigt haben, dauert es mindestens zehn Jahre. Die Armen können aber nicht warten. Kofi Annan betont immer wieder, dass die Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes etwas ist, was jedes reiche Land ganz selbständig beschließen kann, ohne dass es internationale Konferenzen oder Abkommen braucht. "

    Einig sind sich Herfkens und Martens jedoch in einem Punkt: Deutschland komme eine Vorbild-Funktion zu, auch gegenüber anderen Industriestaaten. Zwar hat die Bundesregierung bereits im Rahmen der EU eine Erhöhung der Entwicklungsgelder zugesagt. Doch ein formeller Kabinettsbeschluss steht noch aus. Und im Gegensatz zu Großbritannien wagt es im deutschen Vorwahlkampf kaum ein Politiker, die Erhöhung des Entwicklungsetats zu propagieren.

    Doch damit wäre Millennium-Entwicklungsziel Nummer acht, das die Verantwortlichkeiten der Industriestaaten festschreibt, noch nicht erfüllt. Im Jahr 2000 verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs auch darauf, das Welthandelssystem fair und berechenbar zu gestalten. Davon sind die Industriestaaten jedoch nach Ansicht der Sambierin Lucie Kasanga bislang weit entfernt:

    " Mit ihrer Erfahrung in internationalen Handelsfragen beeinflussen die reichen Länder die Welthandelsorganisation zu ihren Gunsten. So schaffen sie es, die eigenen Märkte zu abzuschotten und gleichzeitig zwingen sie die Entwicklungsländer, ihre Märkte zu öffnen. Den armen Ländern entstehen dadurch Handelsverluste in Höhe von schätzungsweise 100 Milliarden. "

    Zwar brüsten sich alle großen Industrienationen mit Vorzugsimportinitiativen für die ärmsten Entwicklungsländer – die Europäer mit ihrer Everything-but-Arms – "Alles außer Waffen"-Initiative und die USA mit ihrem Africa-Growth-and-Opportunity-Act "AGOA", doch die Wirkung sei schwach, kritisiert Eveline Herfkens.

    " Das ist alles eine Nummer zu klein, eigentlich Peanuts. Diese derzeitigen Angebote gelten zudem nur für die aller ärmsten Staaten, dabei gibt es eine ganze Reihe anderer armer Staaten wie Kenia zum Beispiel, das ganz knapp nicht arm genug dafür ist. Diese Abkommen sind zwar ein ganz netter Anfang, aber das reicht nicht. "


    Als größtes Hindernis zur Erfüllung der Millennium-Entwicklungsziele macht Herfkens die Agrarsubventionen der Industriestaaten aus. Denn Zweidrittel der weltweit Armen leben auf dem Land und von der Landwirtschaft. Die EU mache mit ihrer Überschussproduktion zu Dumpingpreisen deren Märkte kaputt, kritisiert die ehemalige niederländische Entwicklungsministerin, und sie wahre damit noch nicht einmal die Interessen ihrer Steuerzahler:

    " Die Agrarsubventionen fördern ja nicht gezielt die einkommensschwachen Bauern in der EU, das meiste Geld geht an Landwirte, die reicher als der durchschnittliche EU-Bürger sind. Warum brauchen die denn eine Einkommensunterstützung? Einkommensschwache Bauern könnten wir aber mit deutlich weniger Geld – dem Geld unserer Steuerzahler übrigens – fördern. Doch die derzeitige Agrarpolitik schädigt uns selbst, wir bezahlen dafür, aber noch wichtiger ist, dass wir damit die Existenzmöglichkeiten in den ländlichen Gebieten Afrikas zerstören. "

    Auch die G8-Afrika-Beauftragte der deutsche Bundesregierung würde die weltweiten Agrarsubventionen der Industriestaaten, die rund 350 Milliarden Euro betragen, lieber heute als morgen abschaffen. Uschi Eid:

    " Wir würden da 350 Milliarden Euro generieren und ich denke, was Tony Blair jetzt gerade im Rahmen der EU-Debatte sagt, da sollten wir den Stier bei den Hörnern packen. Der hat zwar andere Motive, aber ich denke, dieses Geld in die Entwicklungszusammenarbeit zu stecken, wäre eine gute Sache und deshalt sollten wir gerade da ansetzen. "

    Die G8-Staaten sind in der Pflicht, zusammen mit den anderen reichen Ländern die weltweiten Voraussetzungen für die Erfüllung der Millennium-Entwicklungsziele zu schaffen. Für Nelson Mandela ist das keine Frage von Wohltätigkeit: Armut zu überwinden sei ein Menschenrecht, das Recht auf Würde und ein angemessenes Leben:

    " Overcoming of poverty is not a gesture of charity, it’s a protection of a fundamental human right, the right to dignity and a decent life. "

    Wird 2005 also das Jahr, in dem die schlimmste Armut in die Geschichte verbannt wird? Popstar Bono wünscht es sich jedenfalls so und appellierte bereits im Juni an die Staats- und Regierungschefs der EU:

    " Meine Botschaft an das Gipfeltreffen ist: Verderbt es jetzt nicht. Eine Gelegenheit wie jetzt bietet sich nicht jedes Jahr. Wir könnten die Generation sein, die die Armut beendet, die Schluss damit macht, dass Kinder an Unterernähung sterben und deshalb sage ich jetzt: Verderbt es jetzt nicht – don’t blow it! "