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Der große Krieg

In seinem Wallenstein umreißt Jarimír Weinberger mit seiner kräftigen Musik die Situation der Berufs-Killer.

Von Frieder Reininghaus |
    "Dass das ein interessantes Stück ist, ist wohl unbenommen. Es ist Schiller. Es ist Wallenstein. Es ist Weinberger ... nämlich eine Geschichte mit solch einem musikalischen Gestus, der sein Publikum tatsächlich auch erreicht."

    Das erste der sechs Tableaus, die Jaromír Weinberger komponierte, porträtiert ein Feldlager in Böhmen um 1633: Der große europäische Krieg geht ins 15 Jahr, wäre gegen Kaiser und römische Kirche längst zugunsten der Protestanten entschieden worden, wenn da nicht der genialische, an die Sterne glaubende und auf eigene Rechnung Krieg führende Feldherr Albrecht Wenzel von Wallenstein gewesen wäre. Ihm war es gelungen, die Heere der norddeutschen Fürsten und der Schweden immer wieder in Schach zu halten. Das Oberhaupt der Gegenpartei war mit der Schlacht von Lützen bei Leipzig ausgeschaltet worden. Und das Morden, Plündern und Vergewaltigen ging munter weiter. Der Feldprediger mahnt ein Minimum an Menschenwürde an – und wird gelyncht. Der entfesselte Krieg, der nach Herzog Wallensteins Strategie den Krieg ernähren sollte und konnte, hat die aus allen Regionen Europas zusammengewürfelte Soldateska verroht und ein System der fortgesetzten Intrigen und des Verrats auf der Betreiberebene installiert.

    Jarimír Weinbergers kräftig mit Zitaten gewürzte Musik umreißt die Situation der Berufs-Killer, das lähmende Warten im Quartier, mit kräftigen Strichen: sie saufen und grölen nicht nur, die Glatzen mit den breiten Rücken in schwarzer Montur – wir kennen unsre Pappenheimer – sondern legen aus Langeweile beiläufig auch die Marketenderin flach. Sie wird in einer der großen Pfützen vergewaltigt, die sich im schlicht-brutalen Bunkerraum von Thomas Gruber als naturalistischer Überrest angestaunt hat. In dieser Installation, die nicht nur zufällig an den "Führerbunker" und den theatralischen Untergang von Bruno Ganz denken lässt, eskaliert die Intrige des in seiner Eitelkeit gekränkten Warlords Wallenstein und des Kaiserhofs.

    "Wallenstein ist natürlich nicht Hitler. Aber trotzdem ist es ja interessant darüber nachzudenken, warum ein Komponist wie Weinberger, ein böhmisch-jüdischer Komponist, in der Mitte der 30er-Jahre eine Oper über diesen Feldherrn schreibt – in der Zeit, in der Deutschland prosperierte und Hitler einen [ ... ] grauenvollen, aber doch von aller Welt mit Staunen beobachteten Aufstieg nahm und man um das Faszinosum der Macht, dieses Aufstiegs und Falls (womöglich vorausgenommen) nicht herumkam."

    Dem Militärmachthaber Wallenstein, darauf fokussierte Weinberger streng nach der Vorlage von Schillers Trilogie – entgleitet das Gesetz des Handelns. Octavio Piccolominis Putsch und die Meutereien der Regimenter zwingen ihn zur Flucht. Der Tod des Despoten ist dann nurmehr eine fast beiläufige Konsequenz. Das alles wird von Matthias Oldags Inszenierung schnörkellos als streng gebündelte Versuchsanordnung vorgeführt. Nur die Kostüme deuten die Funktionen der Protagonisten an.

    Die musikalische Melange Weinbergers basiert auf der bei Max Reger geschulten Fortschreibung der "romantischen" Harmonik, in die kräftige Portionen von Richard Wagners "Tristan" und "Ring" eingemischt wurden. Aber auch mit Puccinismen wurde gepanscht. Und sogar dem linken Marschton Hanns Eislers wurde beim Abgang in den Untergang Referenz erwiesen. Jens Tröster holt aus der Partitur, deren Originalfassung in Gera zugrunde lag, beachtliche Effekte heraus. Und mit Nico Wouterse als Oberintrigant Piccolomini verfügt die Produktion über eine dominierend sonore und distinguierte Simme.
    Weinbergers "Wallenstein" tönt wie eine Botschaft aus einem fernen versunkenen Land. Denn zwischen uns und diesem Werk liegenden Verwüstungen des zweiten globalen Kriegs und des Nationalsozialismus'. Die Musik mit ihren Reminiszenzen ans 19. Jahrhundert und der Marschliederidylle will nicht über diesen garstigen historischen Graben springen.