Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Der Irak-Krieg, der BND und ein lügender Informant

"Curveball" war ein BND-Informant, der den Irak-Krieg mit ausgelöst hat: Er hatte behauptet, in einem Bio-Labor Saddam Husseins zu arbeiten - was sich als falsch herausstellte. Hans Leyendecker resümiert: Die Amerikaner wollten auch auf Basis einer Lüge Krieg führen.

02.12.2010
    Friedbert Meurer: "Die Lügen vom Dienst - Der BND und der Irak-Krieg", so lautet der Titel einer Dokumentation, die heute Abend spät im ARD-Fernsehen gezeigt wird, um 22:45 Uhr, nach den Tagesthemen. Also es geht noch einmal um den Irak-Krieg, den ja der damalige Präsident George Bush bis heute für richtig hält.

    O-Ton George Bush: Die Befreiung des Irak war ein entscheidender Schritt im Kampf gegen den Terror. Wir haben einen Verbündeten von El Kaida beseitigt.

    Meurer: Das mit der Befreiung des Irak kann man so sehen. Das mit dem Verbündeten El Kaidas hat sich im Nachhinein als falsch herausgestellt, ebenso wie die Begründung des Irak-Krieges, dass Saddam Hussein dabei war, Biowaffen und andere Massenvernichtungswaffen zu entwickeln. Die Amerikaner haben sich damals unter anderem auf Angaben des Bundesnachrichtendienstes verlassen, auf einen irakischen Überläufer, der den Tarnnamen "Curveball" bekam. "Curveball", das ist ein Begriff aus dem Baseball. So bezeichnet man einen Ball, der mit viel Drall geworfen wird. "Curveball" ist also ein Iraker, der Asyl beantragt hatte oder wollte in Nürnberg, vor dem Irak-Krieg, und dort allerlei Lügengeschichten dann aufgetischt hat, er habe in Saddam Husseins Biowaffen-Labors gearbeitet. – Hans Leyendecker ist Journalist bei der "Süddeutschen Zeitung". 2008 hat er das Vorwort zu einem Buch eines US-Autors geschrieben, "Codename Curveball", also gleiches Thema auch schon damals. Guten Tag, Herr Leyendecker.

    Hans Leyendecker: Ich grüße Sie herzlich.

    Meurer: Was enthüllt die ARD-Dokumentation über "Curveball", was Sie noch nicht wussten?

    Leyendecker: Was ich nicht wusste, war, dass "Curveball" bis Ende 2008 unterstützt wurde, dass der BND ihm jeden Monat 3000 Euro zahlte und dass der BND auch behilflich war, als er 2008 eingebürgert wurde, also einen deutschen Pass bekam. Man muss sehen: "Curveball" ist ein riesiger Diskussionsgegenstand zwischen Amerikanern und Deutschen. Die Amerikaner sagen, ihr habt uns diesen Kerl gebracht, das war der Betrüger, der den Krieg auslöste. Die Deutschen sagen, hoppla, wir waren diejenigen, die ihn euch zwar gebracht haben, aber wir haben dann signalisiert, dass man ihm nicht trauen kann. Darüber gibt es heftige Auseinandersetzungen, beispielsweise im Buch des früheren CIA-Chefs Tennet. Da vertritt er noch mal die, finde ich, nicht ganz saubere Linie, dass eigentlich die Deutschen damit eine ganze Menge zu tun hätten, dass der Irak-Krieg geführt worden sei, mit dieser Begründung ...

    Meurer: Es gab ja damals auch einen Brief von August Hanning, dem BND-Präsidenten, an George Tennet, den CIA-Chef, in dem er gesagt hat oder gesagt haben soll, ihr könnt euch nicht auf "Curveball" verlassen. Wenn jetzt herauskommt, Herr Leyendecker, dass der Bundesnachrichtendienst "Curveball" bis 2008 bezahlt hat, monatlich 3.000 Euro, wäre das oder ist das für Sie ein Hinweis darauf, dass der BND irgendwie doch hinter "Curveball" die ganze Zeit noch stand?

    Leyendecker: Der BND hatte mit ihm natürlich eine Menge zu tun. Ohne den BND und ohne "Curveball" wäre diese Biowaffen-Geschichte – da ging es um rollende Biowaffen-Labore – nicht entstanden. Die Hörer erinnern sich vielleicht, dass Powell im Februar 2003 ...

    Meurer: Der amerikanische Außenminister.

    Leyendecker: Ja, der damalige Außenminister. ... ein kleines Röhrchen hochhielt mit weißem Pulver, das sollte dann Milzbrand-Spuren symbolisieren. Und da sagte er, Saddam könnte 25.000 Liter davon besitzen, und das war "Curveball". Also von daher hat das alles schon eine eminente Bedeutung, und jetzt gibt es praktisch zwei Schulen. Die eine Schule sagt, das war eine Quelle, wir haben der Quelle versprochen, sie zu schützen, auch in schlechten Zeiten. Das ist dann eigentlich ausgelaufen 2008, weil er dann auch so verrückt war, in Bagdad als Politiker aufzutreten. Die zweite Quelle sagt, ein Mensch, der solche Lügengeschichten verbreitet hat, von dem muss man sich sofort trennen. Das ist mehr die amerikanische Schule. Zwischen den beiden kann man sich entscheiden.

    Meurer: Waren die Amerikaner damals so vertrauensselig, oder war es sogar so, die Amerikaner wollten gar nicht die Wahrheit wissen?

    Leyendecker: Ja, das ist so. Die Amerikaner nahmen den, um ihre Pläne zu rechtfertigen. Die Wahrheit ist, glaube ich, auch wenn es "Curveball" nicht gegeben hätte, hätte es auch die Biowaffen so nicht gegeben, dann hätte es die Suche nach Raketenreichweitenverlängerung, nach Atombomben, nach C-Waffen gegeben. Die waren nicht zu stoppen, weil sie diesen Krieg wollten, sie haben ihn mit Lügen fabriziert. Aber was man sehen muss, ist: einen Teil der Argumentation, die ihnen half, lieferten die Deutschen.

    Meurer: Also: heute Abend in der ARD, 22:45 Uhr, die Dokumentation "Die Lügen vom Dienst – Der BND und der Irak-Krieg". Ich sprach mit dem Kollegen von der "Süddeutschen Zeitung", Hans Leyendecker. Danke schön.

    Leyendecker: Danke Ihnen!