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"Der Irakkrieg ist wirklich das Bush-Baby"

Die Geschehnisse des 11. September 2001 haben nicht nur das zivile Leben durch Angst, Sicherheitsmaßnahmen und einen neuen innenpolitischen Diskurs verändert. Nach Ansicht des Historikers Martin Berg sei der Solidarisierungseffekt zwischen den beiden neu definierten Lagern das Entscheidende gewesen. Der Irakkrieg habe den Westen dann allerdings gespalten, betonte Berg.

Moderation: Burkhard Müller-Ullrich | 11.09.2006
    Burkhard Müller-Ullrich Die Angriffe des 11. September vor fünf Jahren kamen buchstäblich aus heiterem Himmel. Die ganze westliche Welt stand unter Schock. Über die Folgen dieses Schocks möchte ich jetzt mit Prof. Martin Berg sprechen. Er ist Historiker und lehrt Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. War die heftige, die kriegerische Reaktion der Amerikaner für die Islamisten genauso überraschend, wie es die Attentate für die Amerikaner gewesen waren? Oder hatten die Islamisten mit einer solchen Reaktion gerechnet?

    Martin Berg: Ich denke, das es durchaus Teil des Kalküls gewesen ist. Denn dass die USA als führende Weltmacht hart und entschlossen reagieren mussten, das war eigentlich absehbar. Und ich denke auch, dass zu diesem Kalkül gehörte, dass man kriegerische Aktionen gegen die arabisch-islamische Welt beginnen würde, die dann entsprechende Solidarisierungseffekte erzielen würden. Wenn man bedenkt, wie viele Tote die Kriege in Afghanistan und im Irak bereits gefordert haben, dann lässt sich das nicht ohne weiteres von der Hand weisen, dass dieses Kalkül auch durchaus Erfolg gehabt hat.

    Müller-Ullrich: Also Sie würde sagen, der Krieg gegen gleich zwei islamische Länder, nämlich Afghanistan und Irak, war beabsichtigt. Was versprechen sich die Islamisten davon?

    Berg: Sie versprechen sich vermutlich einen Solidarisierungseffekt. Sie versprechen sich eine Legitimierung ihrer Grundthese, dass nämlich die arabisch-islamische Welt das Opfer einer Verschwörung des Westens, eines permanenten Kreuzzuges sind und damit natürlich auch die Rekrutierung neuer Kämpfer, Terroristen gegen die USA, gegen die westliche Welt. Also der Solidarisierungseffekt, das Fanal, das einhergeht mit einer solchen Tat und ihren Konsequenzen, das ist sicher das entscheidende.

    Müller-Ullrich: Also insofern hatten die Terroristen Erfolg gehabt.

    Berg: Das lässt sich nicht leugnen. Man zögert natürlich, ihnen Erfolg zuzubilligen angesichts des Schreckens, den der 11. September 2001 und der Konsequenzen, die dieses Ereignis hervorgerufen hat. Aber im Sinne eines zynisch-rationalen Kalküls würde ich sagen, ist ein gewisser Erfolg nicht abzusprechen.

    Müller-Ullrich: Wie kommen Sie dazu, solche Rationalität der ganzen Affäre zu unterstellen, wo doch eigentlich sehr viel Irrationalität ganz ins Auge springt? Zunächst einmal ist natürlich die Frage, kann man weltpolitisch etwas erreichen, wenn man doch gleichzeitig diese Todessehnsucht hat?

    Berg: Ich glaube nicht, dass es weiterbringt, wenn man einen Gegner ausschließlich dämonisiert und nur auf irrationale Affekte reduziert. Es mag für Selbstmordattentäter, die sich in einer Menschenmenge in die Luft sprengen, vielleicht zutreffen. Gleichwohl müssen wir unterstellen, dass es eine instrumentelle rationale Kalkulation gibt, die hinter solchen Anschlägen steht, die uns ja auch teilweise mitgeteilt worden ist.

    Müller-Ullrich: Es ist natürlich die Frage, hatten die USA überhaupt eine andere Wahl in dieser Situation so zu reagieren, wie sie dann reagiert haben. Es ist ja auch anzunehmen, dass eine andere Regierung es nicht anders gemacht hätte.

    Berg: Ich glaube die Frage muss man differenziert beantworten. Ich denke, dass sie zunächst einmal keine andere Wahl hatten, als militärisch sehr hart zu reagieren, vor allem gegen Afghanistan. Denn die Legitimität eines Staates, vor allem einer Großmacht, auch gegenüber ihren eigenen Bürgern, hängt ganz entscheidend davon ab, ob sie in der Lage ist, Stärke zu zeigen und vor allem auch ihre Bürger vor solchen Anschlägen zu schützen, beziehungsweise die Urheber zur Verantwortung zu ziehen. In Bezug auf Afghanistan herrschte ja auch breiter internationaler Konsens, dass diese militärische Aktion deshalb gerechtfertigt war, weil die Taliban der El Kaida Unterschlupf gewährt hatten und nicht bereit waren, sie auszuliefern.

    Eine ganz andere Frage ist natürlich der Irakkrieg. Es war der Irakkrieg, der den Westen gespalten hat. Es war der Irakkrieg, der als Teil des Krieges gegen den Terror verkauft wurde, obwohl es keinerlei Anhaltspunkte für eine Beteiligung Saddam Husseins an den Anschlägen gegeben hat. Insofern, diese Reaktion war 2001 nicht unbedingt voraussehbar. Sie war geplant, das wissen wir inzwischen, aber sie war nicht unbedingt voraussehbar. Und ich bin auch der Überzeugung, dass eine andere Administration hier doch wahrscheinlich anders gehandelt hätte. Insofern ist der Irakkrieg wirklich das Bush-Baby.

    Müller-Ullrich: Der Historiker Manfred Berg von der Universität Heidelberg über den 11. September und die Folgen.