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Der Jünger und sein Meister

Fünf Jahre nach "There Will Be Blood" kommt Paul Thomas Anderson mit einem neuen Film zurück in die Kinos. "The Master" erzählt von Macht und Verführung und dem Aufstieg und Fall eines Außenseiters, grandios besetzt mit Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman in den Hauptrollen.

Von Hartwig Tegeler | 20.02.2013
    Die Begriffe gleich kann man als Bilder, als Metaphern verstehen:
    "Ist das Ihr Schiff." - "Ich bin der Kapitän, ja." - "Wo geht es hin?"

    "Schiff", "Kapitän", "Wohin soll´s gehen?". Oder auch: Nimm mich mit Kapitän auf die Reise! Die raus aus meinem ganz und gar zerstörten, konfusen Leben. Irgendwann, nach einem seiner Besäufnisse, ganz zufällig, landet Freddie Quell auf einem Schiff, das an der Mole liegt und trifft den mit dem Charisma, der "Kapitän seines Lebens" werden wird. Zumindest zeitweise.

    Paul Thomas Anderson erzählt die Geschichte von Fall und Aufstehen und erneutem Fall dieses Freddie Quell. "The Master" ist eine universelle Geschichte von Verführung und Macht und die Bezüge zu Scientology-Gründer L. Ron Hubbard sind nicht wesentlich. Verführung also: Dazu ist am Anfang nötig der am Boden Liegende, der Gestrauchelte, Freddie also:

    "Sie sind vom rechten Pfad abgekommen, nicht wahr."

    Der, der den Sinn verloren hat in seinem Leben und ihn nun vom "Meister", "the Master", wieder bekommt.

    Die 1940er-Jahre gehen zu Ende, Freddie war im Krieg; am Körper ist er unversehrt, nicht aber an der Psyche. Paul Thomas Anderson lässt sich eine gute halbe Stunde Zeit, um Joaquin Phoenix, der Freddie spielt, als Verstörten, als Zerstörten, in seiner Erzählung zu etablieren - mit all seinem Saufen, den Frauengeschichten und den aggressiven Ausbrüchen. Wenn dieser Meister Lancaster Dodd etwas später konstatiert

    "Sie reagieren aggressiv, weil Sie zu viel Alkohol trinken."

    so trifft das den Nagel auf den Kopf, ohne sonderlich originell zu sein. Freddie ist das Material, das Lancaster Dodd formen kann, weil der nach einem Ziel, nach Sinn und wohl auch nach einem Glauben sucht. Selbstvorstellung dieses Mannes, der am Anfang von "The Master" eine kleine Gruppe um sich geschart hat, die immer stärkeren Zulauf bekommt:

    "Ich bin Schriftsteller und Arzt und Atomphysiker und theoretischer Philosoph."

    Und Sektengründer. Dies ist ein Mann mit einem eisernen Willen zur Macht. Philip Seymour Hoffman, der Dodd spielt, liefert sich mit Joaquin Phoenix ein fast verstörend intensives Spiel von Annäherung und Abstoßung, von Unterwerfung und Aufbegehren. Eines, das Dodd perfekt beherrscht.

    "Das, was ich jetzt vorhabe, wird dich dazu bringen, dich in einer Gruppe zurechtzufinden."

    Inklusiver aller Psychotricks:

    "Sie kommen mir so bekannt vor." - "Ja."

    Paul Thomas Anderson hat seinen Film eine "tragische Romanze zwischen Freddie und seinem Meister" genannt. Lancaster Dodd macht Freddie zu seiner rechten Hand:

    "Anscheinend bringen Sie etwas in ihm zum Klingen."

    Und der gibt sich ganz in die Fänge dieses Psychogurus und:

    "Sag es: Doris! Doris! Doris!" - "Vermisst du sie? Sag den Namen noch einmal, und ich schwöre dir, ich werde…" - "Doris! Doris! Doris! Doris!"

    Paul Thomas Anderson zeichnet die Beziehung zwischen Freddie und Dodd, zwischen Jünger und "Meister", wohl als symbiotisch - mit homoerotischem Unterton -, aber auch als ambivalent. Zumal Freddie, die gequälte Seele, weiter säuft. Und ihm wird klar, vielleicht spürt er es auch quasi widerwillig, dass der Mann, den er so verehrt, dass dieser Ersatzvater ein Scharlatan ist, für den auch er nur ein Bauer im großen Schachspiel um Macht und Einfluss ist.

    "Der erfindet das alles, der überlegt sich irgendwelchen Stuss. Merkst du das gar nicht?"

    So beginnt Freddies Abfall, sein erneuter Fall. Der Außenseiter, kurz angekommen, wird wieder ausgestoßen. Ob die Geschichte in der Pornoszene spielt wie 1997 in "Boogie Nights" oder jetzt in einer spirituellen Sekte wie in "The Master": Im Kern erzählt Paul Thomas Anderson immer wieder von solchen Außenseitern, die in eine schon existierende Familie kommen. Und langsam merken, wie die ersehnte Gemeinschaft für sie zum Gefängnis wird.

    Anderson entfaltet in knapp drei Stunden Kinozeit ein facettenreiches Drama, in dem er - wie er sagt - die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Ära zeigen will, in der die Menschen zu einem neuen Leben aufbrachen, aber viel Schmerz und Tod verarbeiten mussten und sich so ein Schwarzes Loch auftat, in der Seelenfänger wie Lancaster Dodd hineinstießen und willfährige Opfer fanden.

    Doch am Ende entsteht der Eindruck, dass Paul Thomas Andersons "The Master" ein großartig inszenierter, aber vor allem ein Ideenfilm ist, der trotz des grandiosen Spiels von Joaquin Phoenix und Philip Seymour Hoffman kalt bleibt. Wie in einem Laborexperiment sehen wir die Versuchsobjekte agieren und Gefühle zeigen, aber wir spüren nichts, wenn wir ihnen zuschauen. Und wir können schwer nachvollziehen, warum sie so handeln, wie sie handeln.

    "The Master" wirkt sehr abstrakt; solche Abstraktionen verträgt das Kino schwer. Und nicht selten wird es so zu einer lähmenden Vorstellung, die uns draußen hält.