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Der Kampf gegen den frühen Ferkeltod

Die Landwirte, die Schweinezucht betreiben, müssen im Schnitt 17 Prozent Verluste bei den Jungschweinen hinnehmen. Eins von fünf Ferkeln kommt nicht durch - unter anderem beispielsweise, weil die Muttersau den Nachwuchs durch ihr Gewicht erdrückt. In einem Projekt der Universität Kiel soll das Verhalten der Sauen jetzt per Kamera analysiert werden, um Mittel und Wege zu finden, wie sich der frühe Ferkeltod verhindern lässt.

Von Michael Wieczorek |
    Früh am Morgen macht Markus Sinjen einen ersten Rundgang durch seinen Schweinestall. Nicht selten bietet sich ihm ein höchst unangenehmer Anblick:

    "Häufig ist es so, dass die Ferkel noch unter der Sau liegen, wenn man den Stall betritt. Manchmal liegen sie schon daneben, weil die Sau sie schon mit dem Fuß weggetreten hat. Aber man kann das eben auch deutlich erkennen, dass die Zunge noch aus dem Maul hängt, dass sie erdrückt sind."

    Etwa 2000 Ferkel produziert der Sauhalter aus dem schleswig-holsteinischen Krokau im Jahr. Circa 100 davon sterben noch in der Säugephase. Das ist noch relativ wenig im Vergleich zu anderen Betrieben. Doch der wirtschaftliche Schaden in seinem Betrieb beläuft sich immerhin auf jährlich etwa 3000 €. Hauptursache für den frühen Ferkeltod: Das Erdrücken durch die Muttersau. Alle bisherigen Versuche, die Sterblichkeitsrate zu senken, blieben bisher ohne Erfolg. Die Trennung von Muttersau und Ferkeln zum Beispiel verstößt gegen die Grundsätze einer artgerechten Haltung. Räumt man den Muttersauen mehr Bewegungsfreiheit ein, ist die Gefahr des Erdrückens noch höher. Ein wenig Abhilfe schafft hier der so genannte Abferkelkäfig – eine aufwendige Stahlkonstruktion, die plötzliche Seitwärtsbewegungen der Sau abfedert:

    "Also ohne den Abferkelkäfig wäre das Ganze fast gar nicht vorstellbar, meiner Meinung nach. Dann würde die Sau überall an den Wänden sich hinlegen und würde dabei Ferkel erdrücken. Durch diesen Schutzkorb wird schon das meiste verhindert – dass die meisten Ferkel eben überleben dadurch."

    Dennoch liegen die Verluste in der deutschen Ferkelproduktion im Schnitt bei 17 Prozent - je nach unterschiedlich ausgeprägtem Verhalten der Sauen. Prof. Joachim Krieter vom Institut für Tierzucht und Tierhaltung an der Universität Kiel erläutert:

    "Die meisten Verluste treten also zu Beginn der Säugephase, also innerhalb der ersten Lebenstage auf. Die Muttersauen reagieren sehr unterschiedlich auf ihre Ferkel. Einige sind sehr fürsorglich, zeigen ein sehr gutes Säugeverhalten, einige Sauen lassen sich sehr schnell zur Seite fallen, so dass also die Ferkel keine Zeit haben, unter der Sau wegzukommen. Die Ferkel werden erdrückt. Dieses unterschiedliche Verhalten wollen wir in dem Projekt auch dementsprechend nutzen."

    Über die Verhaltensgenetik der Sauen sei bislang so gut wie nichts bekannt, so der Tierzuchtexperte. Deshalb wolle er das Verhalten der Tiere in einem Forschungsprojekt genau untersuchen. Rund 1000 Sauen eines Zuchtbetriebes in Österreich werden nun intensiv beobachtet. Projekt-Mitarbeiter Karl-Heinz Tölle über das Prozedere:

    "Also, es ist so, dass über den Sauen eine Kamera angebracht ist, die in bestimmten Zeitintervallen die Sauen aufnimmt und wir dann Aufstehvorgänge, Abliegevorgänge bewerten können zunächst mal hinsichtlich von "‚vorsichtig" bis hin zu sehr "unvorsichtig". Und das sind dann eben Parameter, die wir dann auch in der Zucht vielleicht verwenden können."

    Aus der Datenflut, die die Videobänder liefern, entstehen dann Statistiken, mit deren Hilfe man Sauen mit guten Muttereigenschaften herausfiltern kann. Eines Tages sollen sich Zuchtbetriebe austauschen können, zum Beispiel über Ähnlichkeiten zwischen verwandten Tieren:

    "Das heißt, ob zum Beispiel Sauen, die Nachkommen eines Ebers sind, ob die irgendwie verwandt miteinander sind, ob die letztendlich alle sehr vorsichtig gegenüber ihren Ferkeln sind oder alle sehr unvorsichtig gegenüber ihren Ferkeln sind. So könnte man vergleichen, ob vielleicht das eine Tier eher selektiert werden soll und zur Zucht weiter verwendet wird oder eher das andere Tier."

    So lassen sich die guten sozialen Eigenschaften der Muttersauen weitergeben und sogar von einer Generation zur anderen immer wieder verbessern:
    "Die Verwandtenstruktur fließt in die Schätzung – wir nennen das "Zuchtwerte" – mit ein und je besser der Zuchtwert eines Tieres für diese Merkmale ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir diese Tiere für die Selektion verwenden – so dass dann auch der Erzeuger in der Praxis direkt von diesen verbesserten Tieren profitieren kann."

    Die Sterblichkeitsrate unter den Ferkeln von 17 Prozent auf Null herunterzufahren – das sei nicht möglich. Prof. Joachim Krieter hat sich aber in seiner Studie ein realistisches Ziel gesetzt:

    "Schön wäre es, wenn wir in Größenordnungen kommen von etwa 8-10 Prozent."

    Dann wäre auch bewiesen, dass Gewinnstreben und Tierschutz einander nicht ausschließen.