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Der knabenhafte Geliebte

Der 14. römische Kaiser war Publius Aelius Hadrianus, also Kaiser Hadrian. Über 20 Jahre lang regierte er bis zu seinem Tod 138. Seine Ehe blieb kinderlos. Trotzdem muss er sehr geliebt haben, etwa den Jüngling Antinoos. Eine kulturhistorische Ausstellung in Rom erzählt von dieser Liebe.

Von Thomas Migge | 14.04.2012
    Giorgio Albertazzi als Kaiser Hadrian. Keinem anderen italienischen Bühnenschauspieler gelingt es auf so ergreifende Weise, dem von der französischen Schriftstellerin Marguerite Yourcenar in ihrem Buch "Ich zähmte die Wölfin" beschriebenen Herrscher Leben einzuhauchen.

    Albertazzis Interpretation, wie hier im antiken Freilufttheater von Tusculum in den Albaner Bergen bei Rom, ist seit Jahren ein italienischer Klassiker. Besonders ergreifend ist die Darstellung, wenn er von des Kaisers Liebe zu Antinoo spricht.
    Der Liebesbeziehung des verheirateten Kaisers zu dem Knaben, aber auch der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem antiken Schönheitsideal bis heute ist nun die Ausstellung in Rom gewidmet. Wie gut der Jüngling Antinoo ausgesehen haben muss, vermittelt in der Kunstschau die zwei Meter große Marmorskulptur des Antinoo Farnese aus dem neapolitanischen Nationalmuseum für Archäologie. Zu sehen ist ein harmonisch gebauter, nicht zu muskulöser junger Mann mit einem Gesicht, das an das klassisch-griechische Schönheitsideal erinnert: gerade Nase, volllippiger Mund, ein ansatzweise markantes Kinn und über allem volles lockiges Haar. Dem kann man noch heute kaum widerstehen, sagt Ausstellungskuratorin Marina Sapelli Ragni:

    "In diesen Jüngling aus Bithynien in Kleinasien verliebte sich Kaiser Hadrian unsterblich. 125 nach Christus brachte er in mit nach Rom, wo die beiden zusammenlebten. Im Jahr 130 ertrank Antinoo unter rätselhaften Umständen bei einer gemeinsamen Reise im Nil."

    Natürlich kommt die Ausstellung auf die homosexuelle Beziehung zwischen Kaiser und Knabe zu sprechen. Aber im Zentrum der Kunstschau mit zahlreichen Skulpturen, Büsten, Münzen und Reliefs stehen der Mythos des Antinoo in der Kunstgeschichte sowie die jüngsten archäologischen Entdeckungen in der Villa Adriana.

    Nach dem Tod seines jungen Liebhabers ernannte der trauernde Hadrian Antinoo zu einem Gott und ließ für ihn im ganzen Reich Tempel errichtet, auch auf dem riesigen Gebiet der Kaiservilla in Tivoli. In den letzten Jahren wurden die Reste dieses Tempelkomplexes mit zwei Gebäuden und einem Obelisken ausgegraben und wissenschaftlich erforscht.

    Marina Sapelli Ragni: "Das Bild Antinoos, das sich durch dessen Gotteskult in der antiken Welt verbreitete, schuf ein Schönheitsideal, das sich auf die römische Kunst auswirkte. Antinoo war nach seinem Tod ein künstlerisches Sujet geworden: ein junger, attraktiver Jüngling, dessen Abbilder tausendfach reproduziert wurden und in zahllosen Villen von Kunstfreunden Eingang fand. Noch Jahrhunderte später, wie zum Beispiel in der Renaissance, wirkte dieses Schönheitsideal nach."

    Die Ausstellung stellt Büsten und Skulpturen des Kaisers und des Knaben gegenüber. Dabei wird deutlich, dass der Römer Hadrian sich als hellenistischer Grieche verstanden wissen wollte. Wie die alten Griechen liebte er, der erwachsene gestandene Mann, muskulös und martialisch dargestellt, einen noch bartlosen Jüngling. Eine späte Form der sogenannten "Knabenliebe", der bei den Hellenen noch gesellschaftlich akzeptiert, später aber im römischen Reich eher verpönt war. Wie nur wenige Kaiser vor und nach ihm lebte Hadrian trotzdem ganz offen seine homoerotischen Vorlieben. Antinoo begleitete den Kaiser bei allen öffentlichen Anlässen. Aber erst nach seinem Tod wurde Antinoo so richtig populär.

    Archäologin Sapelli Ragni: "Antinoo wurde zu einer echten Ikone in der Kunstszene der Römer, während sein Kult als Gott Kaiser Hadrian nur kurz überlebte. Über Antinoo weiß man biografisch fast nichts. Als Kunstikone der Schönheit hingegen überlebte er lange."

    Die Villa Adriana bei Tivoli war das Herzstück des kaiserlichen Antinoo-Kultes. Nicht ausgeschlossen ist, dass, wie Marguerite Yourcenar in ihrem Roman schrieb, der Kaiser in jedem Raum seiner prachtvollen Residenz Bildnisse seiner großen Liebe aufstellen ließ. Denn viele der in der Ausstellung gezeigten antiken Bildwerke stammen tatsächlich aus der Villa Adriana.