Archiv


Der Kronprinz der CDU

In einem Väterbuch der besonderen Art geht es um einen, der auszog, Landesvater zu werden: Jürgen Rüttgers, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Er traut sich, wie einer Biographie zu entnehmen ist, allerhand zu, auch das Kanzleramt. Die Biographie erscheint nun unter dem Titel "Jürgen Rüttgers. Eine politische Biographie" im Olzog-Verlag und stammt aus der Feder eines Wissenschaftlers, Volker Kronenberg.

Volker Kronenberg im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Liminski: Volker Kronenberg lehrt Politik an der Universität in Bonn, wo er auch Akademischer Direktor des Instituts für politische Wissenschaften ist und er ist jetzt hier im Studio, guten Abend Herr Kronenberg.

    Kronenberg: Guten Abend, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Kronenberg, was treibt einen angesehenen Wissenschaftler dazu, eine Biographie über einen noch amtierenden Politiker zu schreiben und sich damit dem Vorwurf auszusetzen, das kann, hagiographisch gesehen, nur ein Zwischenstück sein, mithin wissenschaftlich zweifelhaft?

    Kronenberg: Nun, es ist schlichtweg Neugierde gewesen, die mich getrieben hat, mich Jürgen Rüttgers zuzuwenden. Eine Hagiographie soll es ganz dezidiert nicht sein. Und ich hoffe, dass der Leser diesen Eindruck auch nicht vermittelt bekommt, denn in diesem Buch geht es vor allen Dingen darum, zu erklären beziehungsweise zu entdecken, wer denn dieser, ja einer der mächtigsten Politiker dieses Landes ist. Sie deuteten an: Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes und vor allen Dingen Stellvertreter Angela Merkels, CDU-Vize - und insofern außerordentlich einflussreich. Wir haben viel über Kronprinzen in den letzten Jahren gehört in den Reihen der Union. Es war aber immer die Rede von Christian Wulff oder Roland Koch. Auffallend selten fällt der Name Jürgen Rüttgers. Und ich glaube, dass diese Wahrnehmung falsch ist. Und ich als Politikwissenschaftler habe mich auf die Reise gemacht zu entdecken: Wer ist Jürgen Rüttgers. Was will er? Wo kommt er her? Worauf zielt er? Was ist seine Agenda?

    Liminski: Ist er ein Kronprinz oder der Kronprinz?

    Kronenberg: In meinen Augen unzweifelhaft ja. Und zwar nicht nur einer, sondern im Zweifelsfalle auch der Kronprinz, denn Jürgen Rüttgers hat einen außerordentlich langen Weg hinter sich gebracht: Er verfügt über viel Erfahrung. Er verfügt über ein dichtes Netzwerk, über eine große Expertise, und vor allen Dingen weiß er genau, was er will. Er hat ein inhaltliches Fundament, einen wichtigen politischen Kompass und er stellt ja seit 2005 auf wirklich schwierigem Terrain in Nordrhein-Westfalen unter Beweis, wie man erfolgreich Reformpolitik durchführen kann - und dies mit Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung. Ich glaube, das ist ein Kunststück, vor dem die Bundes-CDU ja noch steht, dieses auch zu meistern.

    Liminski: Kommen wir zum Inhalt der Biographie selbst. Sie haben vermutlich öfter mit dem Sujet Ihrer Arbeit gesprochen und haben als Politologe natürlich einen Überblick über die personellen und institutionellen Verhältnisse des letzten halben Jahrhunderts dieser Republik. Wo würden Sie Rüttgers denn programmatisch einordnen? Steht er in der Linie von Helmut Kohl, ist das die Meßlatte? Oder doch eher in der Tradition von Johannes Rau?

    Kronenberg: Nun, ich habe tatsächlich einzelne Gespräche mit ihm geführt, aber eben nicht nur. Ich habe sehr, sehr viele Gespräche mit langjährigen Weggefährten, im übrigen auch mit Helmut Kohl und anderen gesprochen, aber auch mit einer ganzen Reihe von Kritikern und auch Beobachtern. Ich sehe ihn tatsächlich in der Nähe von Helmut Kohl, unzweifelhaft. Er ist, seit Jürgen Rüttgers 1987 nach Bonn kam und dort sehr schnell aufstieg zum parlamentarischen Geschäftsführer, dann zum Zukunftsminister im letzten Kabinett Kohl, er ist in Bonn sicherlich ein Schüler von Kohl gewesen. Aber - er hat von Kohl und aber auch aus Kohl gelernt. Er ist ein westdeutscher Politiker, ein Mann der CDU des Westens. Er ist ein Mann der nordrhein-westfälischen CDU. Aber er bleibt nie stehen. Er war biographisch, wenn ich das kurz einflechten darf, schon in ganz jungen Jahren Pfadfinder. Er hat immer im Grunde neue Wege gesucht, immer aber auf die Mitte geschaut, ganz wie Kohl, und hat natürlich auch gelernt aus Kohl. Er hat aber - und das halte ich biographisch für gar nicht unwichtig - er hat sich 2000, wo er schon einmal aufbrach, Nordrhein-Westfalen für die CDU zurück zu gewinnen und es ja auf den letzten Metern sozusagen scheiterte an den Parteispenden um Kohl, er hat sich persönlich von Kohl nie distanziert, obwohl unzweifelhaft ist, dass er die Wahl verloren hat trotz Kohl und dieser Parteispenden. Er hat persönlich zu Kohl gestanden, hat das in der Sache natürlich hart kritisiert. Und noch ein Wort zu Johannes Rau: Ich glaube, dass es manche Parallelen gibt neben taktischen, strategischen Überlegungen, jetzt in Nordrhein-Westfalen an der Spitze eines schwierigen, also parteipolitisch für die CDU schwierigen Bundeslandes auch die Wahl, die Wiederwahl 2010 gewinnen zu wollen - das ist ja unzweifelbar, dass es hier strategisch, taktische Überlegungen gibt -, aber ich glaube, dass es doch auch eine Reihe von biographischen Parallelen durchaus gibt zwischen Johannes Rau und Jürgen Rüttgers ohne das überstrapazieren zu wollen. Aber, ein Stichwort nur: Die christliche Prägung, ist bei beiden ganz tief verankert. Die Orientierung hin zur Bildungspolitik, ganz, ganz spannend. Also es gibt eine ganze Reihe Punkte, Parallelen, und ich würde ihn in der Tat bei Helmut Kohl, ich würde ihn bei Johannes Rau, ich würde eine gewisse Distanz tatsächlich, ohne auch das überspitzen zu wollen, aber doch eine ganz klare Distanz zu Angela Merkel sehen wollen.

    Liminski: Man wirft Rüttgers gelegentlich vor, ein gerüttelt Maß an Opportunismus auch an den Tag zu legen. Gibt es denn programmatische, also auch ethische Barrieren, vor denen er Halt macht? Und die ihn vielleicht von Angela Merkel klar unterscheiden so wie Sie es eben angedeutet haben?

    Kronenberg: Ja, um ein Beispiel zu nennen. Für ihn ist das "C" in der Partei, also das christliche Moment in der CDU ein ganz ganz wichtiges, und wir haben es unlängst noch gesehen in der CDU-Diskussion um Stammzellenforschung und andere in der Tat ethisch heikle Fragen, wo Jürgen Rüttgers ganz klare Granzen gezogen hat im Hinblick auf das, was Menschen dürfen und wo Wissenschaftsfreiheit doch auch ihre Grenze finden soll, wobei man eben auch nicht vergessen darf, dass Jürgen Rüttgers als Zukunftsminister doch sehr innovative Maßnahmen ergriffen hat, Stichwort Bioethik oder anderes. Also ich glaube, dass er sich gerade in der Bedeutung des "C's" in der CDU von Angela Merkel doch unterscheidet. Das Opportunistische hängt ihm an wie der graue Strippenzieher und andere Bilder, aber welcher Politiker hat nicht mit so etwas zu kämpfen. Er ist kein Gesinnungsethiker, sondern er betrachtet sich eben auch als Verantwortungsethiker, und er hat auch, und dass ist übrigens auch ein Punkt, den ich bei Rüttgers sehe. Er hat auch aus Fehlern gelernt, er hat auch den Willen, sich immer neu beraten zu wollen. Er umgibt sich mit einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern immer wieder und lässt sich immer wieder beraten. Ich will noch ein Beispiel nennen, weil sich das mit dem Namen Jürgen Rüttgers auch in den letzten Jahren immer wieder verbunden hat, diese doch, wie ich auch finde, unglückliche und in der Tat kontraproduktive Kampagne damals Kinder statt Inder. Er hat daraus gelernt. Das passte nicht zu Jürgen Rüttgers. Und er hat dann, im Grunde ein Jahr später nur eine Integrationsoffensive in Nordrhein-Westfalen initiiert, der sich alle Abgeordneten des Landtages angeschlossen haben, dem zugestimmt haben. Also Jürgen Rüttgers lernt auch aus Fehlern. Das Stichwort `C´ nannte ich und auf der anderen Seite Europa. Europa ist ihm eine Herzensangelegenheit.

    Liminski: Rund 300 Seiten, ein ordentliches Opus mit Fußnoten etc. Ist das mehr eine Biographie oder doch ein Panorama der politischen Verhältnisse aus dem Blickwinkel Rüttgers inklusive einem Ausblick nach Berlin?

    Kronenberg: Ja ich glaube, Sie haben recht. Es ist eher Zweiteres, was ich versucht habe. Ich habe Jürgen Rüttgers und seinen politischen Weg, der ja durchaus idealtypisch ist für eine bestimmte Generation und auch für ein bestimmtes Parteiverständnis in den Reihen des CDU-Politik Verständnis. Ich habe das versucht, einzubetten im Sinne des Rückblicks und der Ortsbestimmung auch der CDU heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts, und das für mich in der Tat ein spannendes Unternehmen, jenseits hagiographischer Versuchungen.

    Jürgen Rüttgers eine politische Biographie, das war hier im Studio der Biograph selbst, Volker Kronenberg, Akademischer Direktor des Instituts für politische Wissenschaften der Universität Bonn, das Buch erscheint am kommenden Donnerstag im Olzog Verlag, es hat rund 300 Seiten und kostet 24 Euro 90.