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Der Künstler als Mörder

Ursprünglich stammte der Text einmal von Ferdinand Lion und gründete auf einer Novelle des Romantikers E.T.A. Hoffmann. In dieser Fassung erlebte Paul Hindemiths Oper "Cardillac" um einen mordenden Goldschmied vor gut 82 Jahren ihre Uraufführung. Nach dem Krieg arbeitete Hindemith seine Oper um. Am Ort der eigentlichen Uraufführung, in der Dresdner Semperoper, haben nun Fabio Luisi und Philipp Himmelmann das Stück neu eingerichtet.

Von Jörn Florian Fuchs |
    Einen wie Cardillac bräuchte das heutige Musiktheater, einen, der für seine Kreationen aufs Ganze geht.

    Philipp Himmelmann ist kein radikaler Regietheater-Regisseur, vielmehr ein eher konservativer Bildschöpfer, der nicht allzu sehr anecken möchte.

    Cardillac wiederum ist ein genialer Goldschmied, der offenbar von Luft und Liebe lebt, da er prinzipiell nichts verkaufen will. Zu sehr hängt sein Herz an weltlichen Dingen. All die güldenen Ketten und Reife und Ringe dienen ihrem Schöpfer als Überlebenselixier. Also mordet Cardillac kurzerhand all jene, die ihm in die Quere kommen und Kaufinteresse zeigen. Die eigene Tochter dagegen schenkt er großzügig einem schneidigen Offizier, ein Goldstück ist sie für den Papa nur im übertragenen Sinne. Am Ende wird der mehrfache Mörder - nach einer kurzen Verwechslungsszene - enttarnt und stirbt. Tochter und Volk feiern den Verblichenen als Helden und genialen Künstler. Diese etwas merkwürdige Apotheose in Hindemiths Urfassung der Oper fordert natürlich eine Stellungnahme der Regie heraus.

    In Dresden, wo "Cardillac” 1926 uraufgeführt wurde, enthält sich Philipp Himmelmann jeglichen Kommentars. Er erzählt die Geschichte recht schön, bisweilen berührend, aber immerzu brav herunter. Johannes Leiacker schuf vorwiegend kühle Räume ohne Interieur, zu Beginn und am Schluss gibt es einen Gazevorhang mit geometrischen Mustern, Formen, Linien. Bewegliche Lamellen an den Wänden ermöglichen diverse Effekte, mal spiegelt sich alles, mal versteckt sich der Mörder zwischen ihnen. Handwerklich ordentlich ist das gearbeitet, Bettina Walters aufwändig gestaltete Kostüme sind äußerst geschmackvoll, David Cunningham hat alles fein ausgeleuchtet. Cardillac zeigt sich mal als fleißiger Kunsthandwerker, dann wieder als gefährlicher Geselle, dessen grimmige Züge durch grelle Scheinwerfer hindurch lange Schatten werfen. Nach seinem Tode nimmt er die Honneurs von Volk und Tochter als eine Art Phantom der Oper mit wirren Haaren von der Prozeniumsloge aus entgegen und glotzt anschließend lange und drohend ins Publikum. Was uns heute an diesem seltsamen Künstlerschicksal interessieren könnte oder sollte, das interessiert die Regie nicht.

    Die mitunter gepflegte Bühnenlangeweile konterkarieren Fabio Luisi und das semperöperliche Orchester. Mit viel Kraft und spürbarer Freude am Schroffen, Zerklüfteten wird die Partitur zum Leben erweckt, Ulrich Paetzholdt entlockt dem Chor präzise Töne und auch das Sängerensemble zeigt sich in guter Verfassung. Oliver Ringelhahn als Offizier erfreut sich eloquent-elegant an den zarten Lyrismen von Anna Gabler, die des Schmieds Tochter singt. Die kleineren Rollen sind mit Evelyn Herlitzius, Rainer Trost, Matthias Henneberg und Michael Eder allesamt gut besetzt. Markus Marquardt stattet Cardillac mit vokalem Glanz und düsteren Phrasierungen aus.

    Musikalisch hat Dresden also viel zu bieten, nun sollte man sich allerdings schleunigst auf die Suche nach einem Bilderschmied machen, der aus einer starken Geschichte ein radikales Kunstwerk macht. Dafür muss er oder sie ja nicht gleich töten, ein wenig Mut wäre fürs Erste völlig ausreichend.