Aus mindestens 22, höchstens 30 einzelnen Knochen besteht das Gerüst, das einem unserer wichtigsten Körperteile Stabilität verleiht. Sie sind auf höchst komplizierte Art und Weise miteinander verbunden und verändern sich vom embryonalen Stadium eines Menschen bis zu dessen Tod ständig. Aber etwas bleibt lebenslang bei allen Menschen gleich:
"Wir reden mit dem Kopf, wir hören die Stimmen mit dem Kopf, wir sehen dort, wir träumen dort, wir lieben dort, wir weinen dort, unser Gleichgewicht sitzt im Kopf, sodass der Kopf eine zentrale Position hat in unserem Ich in der Begegnung mit dem Anderen. Und das verliert sich nicht, das ist weltweit so seit JahrTausenden bis heute hin und in allen Kulturen."
Sagt Wilfried Rosendahl, Kurator der Mannheimer Ausstellung. Grundlage für diese erste Schau rund um den Schädel bildet eine Sammlung, die der Künstler Gabriel von Max zusammengetragen und 1917 dem Reiss-Engelhorn-Museum gestiftet hat.
"Max war ein Sammler seiner Zeit, Max war aber auch ein Darwinist, in sehr früher Phase war er begeistert vons Darwins neuer Theorie, war ein guter Freund von Ernst Heckel, hat mit Darwin und Virchow korrespondiert. Für Max war es so, er wollte in seinem Museum die Kulturen der Vergangenheit, die Kulturen der Völker dieser Erde und das Bild des Menschen dieser Erde, er war nicht interessiert an Klassifizierungen, Unterscheidungen, er wollte das Gesamtbild haben."
500 Schädelexemplare umfasste die Sammlung, die während des Zweiten Weltkrieges nach Freiburg ausgelagert wurde und danach als verschollen galt, bis man sie vor drei Jahren zufällig wiederentdeckte. Daneben sind in Mannheim Exponate aus weltweiten öffentlichen und privaten Sammlungen zu sehen und –wichtig für Wilfrid Rosendahl- dabei auch teilweise erstmals zu erforschen. Was nicht einfach ist, wenn die Knochen - wie zum Beispiel bei den Ahnenschädeln aus Ozeanien - mit Lehm überformt und danach, je nach Rang des Verstorbenen, aufwendig bemalt und verziert wurden.
"Wir wissen ungefähr über historische Dokumente, wo die Menschen herkamen, das können wir überprüfen über Isotopenanlysen— um nachhaltige Erkenntnisse produzieren zu können. Über den Menschen und sein Wesen können wir gar nichts sagen, wir können nur sagen, Geschlecht, das Individualalter, gegebenenfalls bestimmt Krankheiten, je nachdem können wir was zur Ernährung sagen, zu seinem Kulturkreis, aber über das Wesen, das Wirken hinter dem knöchernen Schädel werden wir nichts sagen können."
Dabei war es für die Menschen aller Kulturepochen natürlich immer besonders spannend zu ergründen, was sich innerhalb des Schädels abspielte und ob dort vielleicht das Wesen des Menschen zu finden sein könnte. In Antike und Mittelalter entstand so die "Herz- und Hirndebatte", die uns bis heute nicht fremd ist. Wilfried Rosendahl:
"Mal war die Seele fokussiert im Schädel, mal war die Seele mehr eine Sache des Herzens, das ist so eine Unentschlossenheit, die wir immer noch ein bisschen heute kennen, wenn wir lieben, sind wir Herzensmenschen, wenn wir denken, sind wir Kopfmenschen. Also wir trennen immer noch so ein bisschen, obwohl wir wissen, das hat nichts zu tun miteinander."
Die Funde werden in Ahnenschädel, die wie heute ein Photo die Verbindung zu den Verstorbenen und die Erinnerung an sie aufrecht erhalten sollten und die ganz selbstverständlich zum Familienbesitz gehörten und in Trophäenschädel unterteilt. Eine Knochenplatte aus keltischer Zeit ist von einem riesigen Nagel durchbohrt- ein Hinweis auf eine gruselige Geschichte:
"Das - so die Interpretation des Ausgräbers Axel von Berg - könnte der Schädel eines römischen Söldners sein, der beim Rheinübergang in Koblenz seines Schädel verloren hat als Trophäenschädel für die Kelten, die Einheimischen. Die haben dort diesen Schädel an die Hauswand genagelt und gezeigt: Wir sind die Siegreichen, schau, wir sind stärker als die Anderen."
Im ernsten Beinhaus wars, wo ich beschaute,
Wie Schädel Schädeln angeordnet paßten;
Die alte Zeit gedacht ich, die ergraute.
Sie stehn in Reih geklemmt, die sonst sich haßten,
Und derbe Knochen, die sich tödlich schlugen,
Sie liegen kreuzweis, zahm allhier zu rasten.
Johann Wolfgang von Goethes Zeilen passen wunderbar zu der Ausstellung. Er wurde durch den vermeintlichen Anblick von Friedrich Schillers Schädel zu diesem Gedicht angeregt. Auch diese Knochen sind ausgestellt. Mittlerweile weiß man, dass sie nicht von Schiller stammen, aber sie geben Auskunft darüber, dass Schädelkult nicht nur ein Phänomen der Vorzeit oder von außereuropäischen Kulturen war.
"Franz Joseph Gall, ein Arzt aus Wien, hat 1801 eine Lehre aufgemacht, wonach an bestimmten Strukturen des Schädels auch bestimmte Charaktereigenschaften des Menschen festzumachen sind, weil das Hirn ja auch den Schädel mitformt. Wir wissen, das diese Theorie nicht stimmt, aber es gab damals in der Öffentlichkeit große Anhängerschaften, auch Goethe hat sich Gallsche Vorlesungen angehört, und das lag daran dass man in der Zeit dachte, na ja, berühmte Persönlichkeiten, die man zu Lebzeiten schon als kulturell und berühmte Größen anerkannt haben, die müssen ja den göttlichen Kopf haben. Also wird wie bei Haydn wenige Tage nach der Bestattung der Kopf entfernt und dann bekommen diese Schädel eine Sammlungsodyssee. Das sind so diese Schädeljagdgeschichten des 19. Jahrhunderts."
Im frühen Afrika war das Abschneiden des Kopfes Zeichen des Triumphes über den Gegner, die Knochen wurden zu Musikinstrumenten verarbeitet und stellten im Ritual eine Brücke ins Totenreich her. Bei den Ureinwohnern Brasiliens wurden die Köpfe der Feinde mit buntem Federschmuck verziert. Und im mittelalterlichen Europa wurden die Knochen von berühmten Verstorbenen als Reliquien verehrt und gehandelt. Bis ins vergangene Jahrhundert bestand in einigen Gegenden Süddeutschlands und Österreichs der Brauch, Schädel kunstvoll zu bemalen und im Vorraum der Kirche auszustellen.
Und heute? Immer noch ist der Totenschädel ein beliebtes Motiv in unserer Alltagskultur, erzeugt Gruseln, Nachdenklichkeit und Aufmerksamkeit. Und steht als ein Zeichen da:
"Ich beherrsche eigentlich den Tod, den ich nie beherrschen kann, oder ich schmücke mich mit etwas, was gefährlich ist, um es dadurch auch ungefährlicher zu machen, vielleicht. Aber es kann auch ganz profan geworden sein oder einfach ne Provokation. Die Zusammenschau macht unglaublich schön deutlich, welches Phänomen wir haben, was uns alle betrifft, alle Menschen, durch alle Zeiten, alle Kulturen. Das war unser Ziel, deutlich zu machen, dass es ein Weltphänomen ist, das die Menschheitsfamilie betrifft in dieser besonderen Betrachtung von Kopf und Schädel."
Infos zur Ausstellung "Schädelkult" auf der Homepage der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim
"Wir reden mit dem Kopf, wir hören die Stimmen mit dem Kopf, wir sehen dort, wir träumen dort, wir lieben dort, wir weinen dort, unser Gleichgewicht sitzt im Kopf, sodass der Kopf eine zentrale Position hat in unserem Ich in der Begegnung mit dem Anderen. Und das verliert sich nicht, das ist weltweit so seit JahrTausenden bis heute hin und in allen Kulturen."
Sagt Wilfried Rosendahl, Kurator der Mannheimer Ausstellung. Grundlage für diese erste Schau rund um den Schädel bildet eine Sammlung, die der Künstler Gabriel von Max zusammengetragen und 1917 dem Reiss-Engelhorn-Museum gestiftet hat.
"Max war ein Sammler seiner Zeit, Max war aber auch ein Darwinist, in sehr früher Phase war er begeistert vons Darwins neuer Theorie, war ein guter Freund von Ernst Heckel, hat mit Darwin und Virchow korrespondiert. Für Max war es so, er wollte in seinem Museum die Kulturen der Vergangenheit, die Kulturen der Völker dieser Erde und das Bild des Menschen dieser Erde, er war nicht interessiert an Klassifizierungen, Unterscheidungen, er wollte das Gesamtbild haben."
500 Schädelexemplare umfasste die Sammlung, die während des Zweiten Weltkrieges nach Freiburg ausgelagert wurde und danach als verschollen galt, bis man sie vor drei Jahren zufällig wiederentdeckte. Daneben sind in Mannheim Exponate aus weltweiten öffentlichen und privaten Sammlungen zu sehen und –wichtig für Wilfrid Rosendahl- dabei auch teilweise erstmals zu erforschen. Was nicht einfach ist, wenn die Knochen - wie zum Beispiel bei den Ahnenschädeln aus Ozeanien - mit Lehm überformt und danach, je nach Rang des Verstorbenen, aufwendig bemalt und verziert wurden.
"Wir wissen ungefähr über historische Dokumente, wo die Menschen herkamen, das können wir überprüfen über Isotopenanlysen— um nachhaltige Erkenntnisse produzieren zu können. Über den Menschen und sein Wesen können wir gar nichts sagen, wir können nur sagen, Geschlecht, das Individualalter, gegebenenfalls bestimmt Krankheiten, je nachdem können wir was zur Ernährung sagen, zu seinem Kulturkreis, aber über das Wesen, das Wirken hinter dem knöchernen Schädel werden wir nichts sagen können."
Dabei war es für die Menschen aller Kulturepochen natürlich immer besonders spannend zu ergründen, was sich innerhalb des Schädels abspielte und ob dort vielleicht das Wesen des Menschen zu finden sein könnte. In Antike und Mittelalter entstand so die "Herz- und Hirndebatte", die uns bis heute nicht fremd ist. Wilfried Rosendahl:
"Mal war die Seele fokussiert im Schädel, mal war die Seele mehr eine Sache des Herzens, das ist so eine Unentschlossenheit, die wir immer noch ein bisschen heute kennen, wenn wir lieben, sind wir Herzensmenschen, wenn wir denken, sind wir Kopfmenschen. Also wir trennen immer noch so ein bisschen, obwohl wir wissen, das hat nichts zu tun miteinander."
Die Funde werden in Ahnenschädel, die wie heute ein Photo die Verbindung zu den Verstorbenen und die Erinnerung an sie aufrecht erhalten sollten und die ganz selbstverständlich zum Familienbesitz gehörten und in Trophäenschädel unterteilt. Eine Knochenplatte aus keltischer Zeit ist von einem riesigen Nagel durchbohrt- ein Hinweis auf eine gruselige Geschichte:
"Das - so die Interpretation des Ausgräbers Axel von Berg - könnte der Schädel eines römischen Söldners sein, der beim Rheinübergang in Koblenz seines Schädel verloren hat als Trophäenschädel für die Kelten, die Einheimischen. Die haben dort diesen Schädel an die Hauswand genagelt und gezeigt: Wir sind die Siegreichen, schau, wir sind stärker als die Anderen."
Im ernsten Beinhaus wars, wo ich beschaute,
Wie Schädel Schädeln angeordnet paßten;
Die alte Zeit gedacht ich, die ergraute.
Sie stehn in Reih geklemmt, die sonst sich haßten,
Und derbe Knochen, die sich tödlich schlugen,
Sie liegen kreuzweis, zahm allhier zu rasten.
Johann Wolfgang von Goethes Zeilen passen wunderbar zu der Ausstellung. Er wurde durch den vermeintlichen Anblick von Friedrich Schillers Schädel zu diesem Gedicht angeregt. Auch diese Knochen sind ausgestellt. Mittlerweile weiß man, dass sie nicht von Schiller stammen, aber sie geben Auskunft darüber, dass Schädelkult nicht nur ein Phänomen der Vorzeit oder von außereuropäischen Kulturen war.
"Franz Joseph Gall, ein Arzt aus Wien, hat 1801 eine Lehre aufgemacht, wonach an bestimmten Strukturen des Schädels auch bestimmte Charaktereigenschaften des Menschen festzumachen sind, weil das Hirn ja auch den Schädel mitformt. Wir wissen, das diese Theorie nicht stimmt, aber es gab damals in der Öffentlichkeit große Anhängerschaften, auch Goethe hat sich Gallsche Vorlesungen angehört, und das lag daran dass man in der Zeit dachte, na ja, berühmte Persönlichkeiten, die man zu Lebzeiten schon als kulturell und berühmte Größen anerkannt haben, die müssen ja den göttlichen Kopf haben. Also wird wie bei Haydn wenige Tage nach der Bestattung der Kopf entfernt und dann bekommen diese Schädel eine Sammlungsodyssee. Das sind so diese Schädeljagdgeschichten des 19. Jahrhunderts."
Im frühen Afrika war das Abschneiden des Kopfes Zeichen des Triumphes über den Gegner, die Knochen wurden zu Musikinstrumenten verarbeitet und stellten im Ritual eine Brücke ins Totenreich her. Bei den Ureinwohnern Brasiliens wurden die Köpfe der Feinde mit buntem Federschmuck verziert. Und im mittelalterlichen Europa wurden die Knochen von berühmten Verstorbenen als Reliquien verehrt und gehandelt. Bis ins vergangene Jahrhundert bestand in einigen Gegenden Süddeutschlands und Österreichs der Brauch, Schädel kunstvoll zu bemalen und im Vorraum der Kirche auszustellen.
Und heute? Immer noch ist der Totenschädel ein beliebtes Motiv in unserer Alltagskultur, erzeugt Gruseln, Nachdenklichkeit und Aufmerksamkeit. Und steht als ein Zeichen da:
"Ich beherrsche eigentlich den Tod, den ich nie beherrschen kann, oder ich schmücke mich mit etwas, was gefährlich ist, um es dadurch auch ungefährlicher zu machen, vielleicht. Aber es kann auch ganz profan geworden sein oder einfach ne Provokation. Die Zusammenschau macht unglaublich schön deutlich, welches Phänomen wir haben, was uns alle betrifft, alle Menschen, durch alle Zeiten, alle Kulturen. Das war unser Ziel, deutlich zu machen, dass es ein Weltphänomen ist, das die Menschheitsfamilie betrifft in dieser besonderen Betrachtung von Kopf und Schädel."
Infos zur Ausstellung "Schädelkult" auf der Homepage der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim