Archiv


Der letzte "Bärtige"

In Paris wird heute der letzte französische Soldat, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hat, in einem feierlichen Staatsakt beerdigt. Lazare Ponticelli war am vergangenen Mittwoch im Alter von 110 Jahren gestorben. Am Nachmittag wird Präsident Nicolas Sarkozy dann unter dem Invalidendom in Paris eine Erinnerungstafel zu Ehren der Soldaten des 1. Weltkriegs enthüllen. Über den Umgang mit den Veteranen berichtet Martina Zimmermann aus Paris.

    Der 11. November ist in Frankreich Feiertag. Der Präsident legt dann unter dem Pariser Triumphbogen einen Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten nieder. In Frankreich gibt es einen für die Veteranen zuständigen Staatssekretär. Nur ein gutes Dutzend der 36.000 französischen Gemeinden hat kein Denkmal für die 1,4 Millionen Opfer des Ersten Weltkriegs. Als am Mittwoch der letzte französische Soldat, der an diesem Krieg teilnahm, starb, war das der Aufmacher aller Nachrichtensendungen. Die sogenannten "Poilus", auf deutsch: Die Bärtigen, gelten als Helden.

    "Im 1. Weltkrieg gekämpft zu haben, muss nicht lustig gewesen sein, "erklärt die Fotografin Anne. Nun möchte sie aber ein neues Kapitel aufschlagen: "Meine beste Freundin ist eine Deutsche und ich möchte, dass der Krieg der Vergangenheit angehört."

    "Dieser Krieg blieb in Frankreich wie in Deutschland im Gedächtnis," meint Zeitungshändler Daniel: "Da geht es nicht nur um die Poilus, sondern, schließlich leben wir heute in einem vereinten Europa - auch um die deutschen Soldaten, die genauso in den Krieg geschickt wurden. Man muss fragen, warum und wofür. Dieser Krieg war schwer für die, die ihn erlebt haben. Es erscheint mir völlig normal, das nicht zu vergessen."

    Andres und Jessie, beide 16 Jahre alt, lernen die Geschichte wie alle jungen Franzosen in der Schule. Andres erinnert sich:

    "Wir haben sogar mit Leuten gesprochen, die am 2. Weltkrieg teilnahmen. Sie haben uns auch von den Poilus erzählt. Sie sagten, man nennt sie die Bärtigen, weil sie sich nicht rasieren konnten."

    Jessie lobt seinen Geschichtslehrer:

    "Unser Lehrer war sehr engagiert. Er wollte zuerst einen Soldaten in den Unterricht holen, aber weil die so alt sind, ging das nicht. Darum gingen wir vor Ort, nach Verdun. Wir waren in den Schützengräben. Ehrlich, das war beeindruckend. Ich hätte nicht gedacht, dass das so hart war!"
    Im Memorial von Verdun werden jedes Jahr Tausende von Schülern aus ganz Frankreich empfangen. In Bild- und Tonschauen erleben sie die Schlacht in den Schützengräben. In einem Brief an seine Familie schreibt Hauptmann Roussel im Sommer 1916:

    Die ersten Julitage sind noch härter als der Winter in Schlamm und Kälte. Wie halten es die Männer nur aus? Der Geruch nach Leichen, nach verbrannter Erde. Wenn ich mich im Spiegel anschaue, erkenne ich mich fast nicht wieder.

    Weltweit bleiben heute nur mehr acht Soldaten, die den Krieg überlebt haben. Mit Lazare Ponticelli ist der letzte Franzose verstorben.

    "Ist er froh über einen Staatsakt", fragt der 30-jährige Pariser Dokumentarfilmer Thomas: "Was ich so gehört habe, war er eher gegen Krieg und Militär. Ich finde einen Staatsakt normal, schließlich ist er der letzte, aber ich denke an den armen Typen, der den Krieg erlebt hat und vielleicht nicht unter Waffen, von der Armee gefeiert, ruhen will."

    Lazare Ponticelli hatte kurz vor seinem Tod einer staatlichen Ehrung zugestimmt, unter der Bedingung, dass diese für alle seine Kameraden gelte. Symbolisch tragen deshalb die bei der heutigen Zeremonie anwesenden Legionäre und Soldaten die Uniform aus dem Ersten Weltkrieg. Präsident Sarkozy wird am Nachmittag unter dem Invalidendom eine Erinnerungstafel zu Ehren aller Soldaten des 1. Weltkriegs enthüllen. Dass er am Dienstag dann in Glières den Widerstandskämpfern des Zweiten Weltkriegs gedenkt, werten böse Zungen als Ablenkungsmanöver nach sinkenden Umfragen und schlechten Gemeindewahlergebnissen:

    "Wenn einer jedes Ereignis für sich nutzen will, musst du wissen, was du davon denken willst,"

    erklärt Austernzüchter Jean-Luc und widmet sich seinen Austern, die er in der Pariser Rue Oberkampf für die Kundschaft öffnet. Zeitungshändler Daniel nervt das Verhalten des Präsidenten:

    " Ich nenne ihn nur noch den Ex-Ehemann von Cecilia oder den Ehemann von Carla. Ich bin völlig gegen diese Art, die Geschichte für sich zu nutzen, am Montag den letzten Poilu, am Dienstag die Resistance: Das stört mich sehr."