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"Der letzte Kampf der alten Garde"

Die alte Grünen-Garde habe ihren letzten Kampf verloren, personelle Konsequenzen seien ein normaler Vorgang, meint Grünen-Veteran Hubert Kleinert. Die steuerpolitischen Forderungen seien zu weit gegangen, und die Kandidaten hätten ihn nicht in jeder Hinsicht überzeugt.

Hubert Kleinert im Gespräch mit Gerd Breker | 24.09.2013
    Gerd Breker: Während andere sich mit möglichen Koalitionen beschäftigen, sind wiederum andere mit sich selbst beschäftigt, und das aus gutem Grund. Denn neben der FDP zählen auch die Grünen zu den Verlierern dieser Wahl. Der Traum von der Zweistelligkeit, der Traum von der dritten Kraft im Lande, dieser Traum ist ausgeträumt. Da haben einige Fehler gemacht, für die sie nach einigem Zögern nun geradestehen müssen. Es müssen Konsequenzen gezogen werden, auch personelle. An Koalitionsverhandlungen ist da nicht zu denken.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Hubert Kleinert. Er galt als Vertrauter Joschka Fischers und als Vordenker von Rot-Grün. Durch seine Arbeit als Parlamentarischer Geschäftsführer war der gewiefte Redner eine Säule des realpolitisch-pragmatischen Flügels der Grünen sowie der Bundestagsfraktion der Partei. Das alles ist lange her. Heute arbeitet er als Politologe und Professor und ist wie gesagt nun am Telefon. Guten Tag, Herr Kleinert!

    Hubert Kleinert: Guten Tag.

    Breker: Personelle Konsequenzen bei den Grünen sind nötig, denn da sind doch einige sehr satt und sehr träge geworden.

    Kleinert: Na ja, was da jetzt diskutiert wird, halte ich erst mal für einen völlig normalen Vorgang in einer demokratischen Partei. Wenn man ein enttäuschendes Wahlergebnis eingefahren hat – da hat Claudia Roth vollkommen recht -, dann stellt sich auch die Frage der persönlichen Verantwortlichkeiten. Das gilt in diesem Fall in besonderem Maße, weil ja ohnehin ein Personalwechsel oder sagen wir ein Generationswechsel früher oder später bei den Grünen einmal angestanden hätte, und ich habe immer die Auffassung vertreten, das ist jetzt sozusagen der letzte Kampf der alten Garde. Wenn die Rechnung aufgeht und es zu einer neuen Regierungsbeteiligung kommt, dann ist ganz klar: Dann ist das sozusagen die zweite Chance für das Personal. Wenn das aber daneben geht, dann stellt sich die Frage, dass auch neue Gesichter in den Vordergrund treten müssen. Das ist ganz normal, denke ich, in einer demokratischen Partei.

    Breker: Das wäre normal, Herr Kleinert. Aber wenn man das alles mit den Anfängen der Partei vergleicht, da gab es eine Rotation, die lautete: Alle zwei Jahre muss ein Abgeordneter ausgetauscht werden, damit keine Sattheit und keine Gewöhnung eintritt. Nun heißt Rotation bei den Grünen, man wechselt von einem lukrativen Job auf den nächsten.

    Kleinert: Ja gut, was soll ich dazu sagen? Die Grünen sind eine normale Partei geworden, stink normal, so wie all die anderen auch. Sie sind sozusagen – und so werden sie auch wahrgenommen – Teil des etablierten Parteiensystems. Das hat Vorteile, das hat auch Nachteile oder hat auch weniger angenehme Seiten. Da mag sich dann jeder den Reim darauf machen, den er sich darauf machen möchte.

    Breker: Und wenn wir den Vergleich zu den Anfängen beibehalten, Herr Kleinert, es gibt offenbar keine grünen Themen mehr, denn man hat sich auf einen themenlosen Wahlkampf eingelassen.

    Kleinert: Das weiß ich nicht, ob man das den Grünen vorhalten kann. Der Wahlkampf war ja insgesamt selten themenlos oder themenlos wie selten. Das wichtigste Thema in diesem Wahlkampf schienen ja die Persönlichkeitseigenschaften der beiden Kandidaten zu sein, und ich glaube, dass da verschiedene Faktoren eine Rolle gespielt haben. Die CDU-Wahlkampfstrategie war ja geradezu auf eine Art Entpolitisierung angelegt und die moderne Medienwelt neigt ohnehin oder übt starken Druck aus in Richtung einer totalen Personalisierung. Die Grünen als eine doch eher kleinere Partei, die sozusagen von der Seite einsteigt und auch keine wirklich realistische Machtoption aufzubieten hat, ich glaube gar nicht, dass eine solche Partei die Kraft hat, sozusagen aus eigenem Kämpfen allein ein Thema zu setzen. Ein großes Thema gab es in dem Wahlkampf nicht und ich glaube auch nicht, dass die Grünen durch stärkeres Betonen der Energiewende etwa sich in dem Wahlkampf leichter getan hätten. Die Energiewende ist schwer bei den Fragen, die sich heute stellen, mobilisierungsfähig, weil die Großfrage, ja oder nein Atomkraftnutzung, ist abgeräumt. Was jetzt ansteht, sind viele kleinteilige problematische Dinge. Es ist sehr schwer, daraus ein Mobilisierungsthema zu machen.

    Breker: Man hätte natürlich das schlechte Management der alten Regierung dafür verantwortlich machen können, dass die Energiewende so misslungen ist, wie sie misslungen ist.

    Kleinert: Ja, ja. Aber sehen Sie mal, ich glaube, dass die Durchschnittsbürger unter Energiewende jetzt vor allem mitbekommen, dass die Strompreise steigen und ihre Stromrechnungen höher werden. Ich weiß nicht, wie man daraus sozusagen eine Positiv-Mobilisierung machen will. Also ich glaube nicht, dass … - die Probleme sind zu kleinteilig, die sich da stellen und die man auch der amtierenden Bundesregierung vorwerfen kann.

    Breker: Dann hat aus Ihrer Sicht, Herr Kleinert, Jürgen Trittin überhaupt nichts verkehrt gemacht?

    Kleinert: Das habe ich damit nicht gesagt. Ich glaube, dass man bei den steuerpolitischen Forderungen schlicht ein Stück zu weit gegangen ist. So ist der Eindruck entstanden, dass man schon diejenigen, die 60.000 Euro im Jahr verdienen oder die, sagen wir, im gehobenen Mittelfeld der Einkommen liegen, dass auch die schon zusätzlich zur Kasse gebeten werden müssen oder gebeten würden. Beim Ehegattensplitting hat man es meines Erachtens auch übertrieben, also beim Abschmelzen. Da sind meines Erachtens schon Fehler gemacht worden, und ich will jetzt gar nicht reden von der letzten Woche. Ich glaube auch, dass im Auftreten, was man vielleicht Performance der Partei nennen könnte, einiges nicht so furchtbar gut gelaufen ist. Die Wirkung der Kandidaten fand ich nicht in jeder Hinsicht überzeugend. Da gibt es schon manches, was man Trittin durchaus auch als Person vorhalten kann.

    Breker: Es ist ja wundersam: gestern noch eine erfolgreiche Partei, in Baden-Württemberg stellt man den Ministerpräsidenten und dann dieses Ergebnis bei der Bundestagswahl. Da müssen doch Lehren gezogen werden und personelle Konsequenzen stehen doch an. Sollten alle, die jetzt oben sind, weg?

    Kleinert: Ich stehe nicht an, jetzt irgendwie Köpfe zu fordern. Das ist auch gar nicht meine Rolle. Ich sage deshalb nur: Es ist völlig normal, dass nach einem solchen Ergebnis sich solche Personalfragen stellen. Bei den Grünen ist es auch deswegen meines Erachtens angebracht, weil ohnehin: Claudia Roth hat von den elfeinhalb Jahren gesprochen, das gilt natürlich auch für Trittin. Trittin war schon Landesminister, als es die DDR noch gab. Also das ist schon eine Weile her. Irgendwann hat jeder mal den Zenit überschritten und ist es an der Zeit, dass neue Gesichter kommen, und ich glaube, auch in der Öffentlichkeit gibt es einen gewissen Bedarf nach ein bisschen, na sagen wir mal, Frischzellenkur, was die Grünen anbetrifft, nach unverbrauchteren Gesichtern, auch nach einem bisschen mehr Frische in der Ausstrahlung. Mir ist manchmal aufgefallen in den Wahlkampfsendungen, jenseits aller Inhaltlichkeit, dass beispielsweise ein Gysi wesentlich frischer und frecher und schlagfertiger daher kam als die Grünen in den gleichen Runden. Das muss doch zu denken geben!

    Breker: Nur Herrn Gysi gibt es ja auch schon über 20 Jahre.

    Kleinert: Ja das zeigt nur, dass es nicht unbedingt eine Frage des Alters ist.

    Breker: Sie haben gesagt, die Partei hat die Verjüngung verschlafen. Vielleicht kann man nicht verjüngen, weil der Nachwuchs fehlt, weil das Personal fehlt?

    Kleinert: Da würde ich jetzt streng als Politologe antworten. Wenn eine Partei keine nachwachsende Generation hat, deren Vertreter auch nach vorne drängen und sich auch mal mit den Älteren, mit den Altvorderen anlegen und was wollen, dann hat sie ein echtes Problem. Denn es ist für eine demokratische Partei gefährlich, wenn es keine nachdrängenden Leute auch mit dem entsprechenden politischen Ehrgeiz geben sollte. Aber ich denke, das wird es schon geben bei den Grünen.

    Breker: Übernehmen die Grünen jetzt die Rolle der FDP?

    Kleinert: Ach, ich finde es viel zu früh, um jetzt einen Ausblick auf die nächsten Jahre zu machen. Natürlich ist die Situation im Bundestag nicht unbedingt dazu angetan, den Grünen zu raten, jetzt auf der Linken, der Linkspartei Konkurrenz machen zu wollen. Es wird eher darum gehen, dass auch bürgerliche Kreise, die in Opposition zu der sich abzeichnenden Großen Koalition stehen, von den Grünen angesprochen werden. Das sehe ich durchaus. Was das jetzt insgesamt für die Entwicklung des Parteiensystems an Folgen hat, dazu ist es, glaube ich, viel zu früh, um dazu was zu sagen. Wir wissen ja nun seit einigen Jahren, dass die Stimmungsabhängigkeit in der Wählerschaft von Wahlen sehr viel größer geworden ist. Das heißt, Meinungskonjunkturen kommen und gehen. Von daher würde ich auch die FDP nicht auf alle Zeiten abschreiben. Und dann gibt es noch diese AfD, die wiederum der FDP auf Dauer gefährlich werden kann oder schon gefährlich geworden ist. Also da gibt es viel an Verschiebungen. Sagen lässt sich nur mit Sicherheit, dass die Grünen einen Fehler machen würden, wenn sie jetzt mit der Linkspartei in der Opposition wetteifern würden, wer nun bei den Themen, die mit der Linkspartei in Verbindung gebracht werden, die bessere Opposition sind.

    Breker: Die Einschätzung von Hubert Kleinert. Er ist Politologe und ein ehemaliges grünes Urgestein. Herr Kleinert, danke!

    Kleinert: Bitteschön!


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