Archiv


Der Maler als Zeitgenosse

In Deutschland wurde Gustave Courbet schon zu Lebzeiten als "Maler des Wahren" geehrt. Doch in seiner Heimat Frankreich hatte der Realist es schwerer. Er wandte sich gegen geltende ästhetische Anschauungen - und das hat man ihm nicht so leicht verziehen. Als Courbet 1877 im Schweizer Exil starb, hat das in Frankreich niemanden interessiert. Jetzt ist im Pariser Grand Palais die Einzelausstellung "Gustave Courbet" zu sehen.

Von Björn Stüben |
    Ein junger Mann rauft sich das lange dunkle Haar. Seine großen Augen sind weit aufgerissen, der Mund ist leicht geöffnet. Jeder Betrachter fühlt sich von ihm ins Visier genommen. Es ist das mit Öl auf Leinwand gemalte Selbstbildnis des französischen Malers Gustave Courbet, das jetzt in der Pariser Innenstadt auf einem Plakat für die große Ausstellung im Grand Palais wirbt, die dem 1819 geborenen und 1877 gestorbenen Meister gewidmet ist.

    Der damals knapp 25 Jahre alte Courbet hatte sein Portrait mit "Der Verzweifelte" betitelt. Diesen Gemütszustand nimmt man ihm dennoch nicht wirklich ab, zu selbstverliebt und geradezu eitel wirkt die Inszenierung. Dies gilt auch für weitere, bisher selten vereinte Autoportraits, mit denen der Besucher zu Beginn der mit insgesamt über 120 Werken Courbets bestückten Schau empfangen wird. Bei der letzten Courbet-Retrospektive vor 30 Jahren in Paris standen vielmehr die politischen Verstrickungen Courbets in den Aufstand der Pariser Kommune 1871, die ihn ins Exil in die Schweiz trieben, im Vordergrund des Interesses. Laurence des Cars, Konservatorin am Pariser Musée d'Orsay und eine der Kuratorinnen der Schau, umreißt die Idee zur aktuellen Ausstellung.

    "Wir haben heute eine andere Vision von der Kunst Courbets. Es geht jetzt vor allem darum, seine Werke in den Kontext der Kunst des 19. Jahrhunderts einzuordnen. Courbet lässt sich einerseits als der letzte der klassischen Maler und andererseits als der erste moderne Künstler begreifen. Sein Verhältnis zur Tradition in der Kunst ist vielschichtig. Er stellt sich ihr und ordnet sich unter, aber er überwindet sie auch oft wie zum Beispiel in seinen Frauenakten. Mit seinen "Badenden" wollte er eindeutig provozieren. Aber er wollte sich auch immer in eine Reihe gestellt wissen mit den großen Meistern der Vergangenheit. Daraus resultiert auch sein Arbeiten im Großformat der Historienmalerei. "

    Courbets familiäre Wurzeln liegen in der ländlichen Region der Franche-Comté in Ostfrankreich. Immer wieder bezieht Courbet für seine Malerei Themen aus der bäuerlichen Heimat. Eine Beerdigungsszene in seinem Dorf Ornans verewigt er im riesigen Bildformat, das eigentlich der Historienmalerei vorbehalten war. Einen Einblick in sein eigenes Atelier, seine Arbeitsweise und seinen Freundeskreis gestaltet er ebenfalls als monumentale und technisch meisterhafte Bildkomposition. Der Skandal beim offiziellen Pariser Kunstsalon von 1855 bleibt nicht aus.

    "Courbet bricht insofern mit der Tradition als er der Rhetorik der Historienmalerei mit ihren großen Themen abschwört und sich stattdessen dem täglichen Leben widmet und dieses auch in seiner Malerei in Szene setzt. Sein riesiges Atelierbild ist hierbei als Manifest zu lesen. Gleichzeitig kündigt es die neue Stellung des Künstlers in der Gesellschaft an. Deshalb sind noch heute die zeitgenössischen Künstler von Courbet fasziniert, weil er einer der Ersten war, die die Unabhängigkeit des Künstlers gegenüber der Gesellschaft forderte."

    Der beabsichtigte Realismus seiner Werke rückt Courbet in die Nähe der Fotografie, ein Aspekt, der bisher kaum mit Leben und Wirken des Künstlers in Verbindung gebracht wurde. Es sind vor allem Akt-, aber auch Naturaufnahmen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Dominique de Font-Réaulx vom Pariser Musée d'Orsay in der Schau mit den Werken Courbets korrespondieren lässt.

    "Courbet ist einer der ersten Künstler, die von den Kritikern mit der damals noch jungen Fotografie in Verbindung gebracht wurden, allerdings im negativen Sinne.
    Von der spektakulär realistischen Darstellung der "Beerdigung in Ornans" wurde behauptet, sie sei so brutal wie eine Daguerreotypie, gemeint war damit, sie sei so realistisch wie eine Fotografie. Courbet hat aber auch die Fotografie für sich selber entdeckt, wobei es ihm vor allem um deren Einsatz bei der Reproduktion seiner eigenen Werke ging. Dass die Fotografie Realität abbildete, faszinierte ihn, denn die Akademie forderte immer nur eine konstruierte Wirklichkeit in der Kunst. Dennoch waren die ersten Fotografien immer nach malerischen Regeln komponiert, also auch die Fotografie versuchte zunächst die bildnerische Tradition zu bewahren."

    Die düstersten Werke Courbets stellen Fallobst unter bedrohlichen Laubdächern oder an Bäumen aufgehängte tote Forellen dar. Laurence des Cars sieht diese späten Werke in deutlichem Bezug zur sechsmonatigen Haftstrafe, die Courbet als Wortführer der Pariser Kommune über sich ergehen lassen musste.

    "Im Gefängnis von Saint Pélagie wird ihm zunächst das Malen verboten, worunter er sehr leidet. Dann erreicht er jedoch beim Direktor, dass er Stillleben malen darf. Die traditionelle Bedeutung des Stilllebens als Symbol für die Vergänglichkeit allen Lebens und den Tod wird von Courbet politisiert. Auch Monate nach seiner Entlassung gemalte Stillleben datiert er absichtlich vor und fügt den Gefängnisnamen Saint Pélagie hinzu. Diese Bilder erklärt er zu Zeugen seines Leidens und seiner Ohnmacht in der Gefangenschaft. Eigentlich sind sie politische Stellungnahmen."

    Courbet vollführt wie kaum ein anderer Maler einen "künstlerischen Drahtseilakt" zwischen Tradition und Moderne, der ihn zu einer Schlüsselfigur der Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden ließ. Der Pariser Schau gelingt es grandios, dies zu verdeutlichen.