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"Der Mann, der Liberty Valance erschoss"
Alter Western mit aktuellem Bezug

Rauchende Colts spielen in "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" nur eine Nebenrolle. In dem Western aus dem Jahr 1962 diskutieren die Cowboys stattdessen über Bildung, Demokratie und Pressefreiheit. Das Stück wird gerade im Berliner Maxim Gorki Theater gezeigt. Auch Donald Trump kommt darin vor.

Von Marie Kaiser | 16.01.2017
    Das abendlich beleuchtete Maxim Gorki Theater in Berlin, aufgenommen am 17.01.2015.
    "Der Mann, der Liberty Valance erschoss" hatte am 14. Januar 2016 Premiere im Berliner Maxim-Gorki-Theater. (dpa / picture-alliance / Paul Zinken)
    Kakteen, Strohballen und natürlich ein Saloon mit Schwingtüren. Seine eigene kleine Westernstadt hat Regisseur Hakan Savaş Mican im Maxim-Gorki-Theater eingerichtet. Doch im Vergnügungspark sind wir hier nicht gelandet.
    "Hallie! Es ist fünf Uhr morgens. Ich hab einen Fremden hier, der stirbt."
    Die Live-Kamera zeigt, wie Anwalt Ransom Foster hinter den Kulissen geschminkt wird. Sein Gesicht eine einzige Wunde, blutüberströmt. So trägt ihn Farmer Bert Barricune ins Städtchen Two Trees. Bert, ein echter Cowboy mit Hut, Poncho und Kaugummi. Der Neuankömmling in Anzug und wüstenuntauglichen Business-Schuhen.
    "Hello, Two Trees!"
    Liberty Valance ist ein Problem für die Stadt
    Der Mann, der Foster so zugerichtet hat, heißt Liberty Valance. Er versetzt die Bewohner von Two Trees schon lange in Schrecken. Doch als Foster ihn anzeigen will, erntet er nur Gelächter.
    "Das geht nicht. Wir haben nur eine Zelle, das Schloss ist kaputt und ich schlafe darin." - "Wo bin ich denn hier gelandet. Der Typ heißt Liberty Valance, sie kennen ihn und unternehmen nichts dagegen!" - "Liberty Valance ist der gefährlichste Mann hier, neben mir. Ihre Krawatte und ihre Aktentasche werden Sie hier nicht schützen."
    Foster entscheidet sich, trotzdem in Two Trees zu bleiben, um nicht mit dem Colt, sondern mit Worten, etwas zu verändern. Der Anwalt wird zum Lehrer von Two Trees, bringt den Bewohnern Lesen und Schreiben bei und schafft es sogar, sie für Wahlen zu begeistern.
    Hallie: "Wer sagt uns denn, dass wir nicht bald alle wählen können? Wenn wir dafür kämpfen! Wir haben uns mit allem abgefunden. Wir haben unser Ziel verloren: Demokratie ist ein Ziel! Sie kommt nie an, aber sie ist ein Ziel!"
    Stück ist aktueller denn je
    Regisseur Hakan Savaş Mican hatte den Western von John Ford schon über zehn Jahre im Hinterkopf und holt ihn nun zu einem Zeitpunkt heraus, der passender nicht sein könnte. Ob AfD, Trump, Putin oder Erdogan – es ist fast unmöglich, unsere politische Gegenwart nicht in dieses Stück hineinzulesen.
    "Es ist auch in der Politik eine sehr, sehr ambivalente Zeit. Wo man nicht ganz klar sehen kann, wo liegt die Wahrheit. Und das ist für mich der wichtigste Punkt in diesem Stück."
    Doch anders als Anwalt Foster verpasst Hakan Savaş Mican den Zuschauern keine Lehrstunde in Demokratie. Er erzählt eine rasante Geschichte, die keine Pointen auslässt. Die Schauspieler haben sichtlich Freude, wilde Cowboytänze aufzuführen, am Lagerfeuer zu sitzen und auf die Bühne zu spucken.
    Mehr als der Kampf Gut gegen Böse
    Doch bei aller Wildwest-Romantik, in der Hakan Savaş Mican schwelgt, will er doch mehr, als nur die alte Geschichte vom Kampf Gut gegen Böse zu erzählen.
    "Was mich interessiert, war, aus diesen Figuren, die so ein bisschen schwarz-weiß gemalt sind im Film, Menschen zu machen. Die Figuren dort sind ziemlich flach und platt. Der böse Mann in der Geschichte Liberty Valance ist einfach nur böse, fast ein Psychopath."
    "Hier bei uns herrschen andere Gesetze. West-Gesetze! Peitschenschläge!"
    Der böse Cowboy Liberty Valance sollte für mich eine Ideologie haben. Er sollte ahnen, was die Zukunft bringen wird. Dass die Demokratie und die Verwandlung des Landes nicht alle zu einem guten Punkt bringen wird. Der kämpft ja auch für seine Version von Freiheit.
    "Ich geh lieber als aufrechter Teufel unter, der für seine kleine Hölle gekämpft hat. Gegen das System aus Highways und Diners. Lieber an einem Galgen enden als jeden Abend in einer Nichtraucherkneipe unsere Depressionen wegtrinken."
    Bezüge zur Gegenwart blitzen immer wieder auf
    Hakan Savaş Mican zerrt die Geschichte nicht mit aller Gewalt ins Heute. Und schafft es, auch ohne den Cowboys die Hüte wegzunehmen, die Bezüge in die Gegenwart immer wieder aufblitzen zu lassen. Als es darum geht, wer bei der Wahl für Two Trees antreten soll, verwandelt sich Liberty Valance plötzlich in Donald Trump.
    "My fellow Americans, we came to this land. We conquered it."
    "Er zeigt, wo es langgeht. Wenn man Politik machen will, dieses Scheißspiel, dann zeige ich euch mal, wie man das macht. Du musst ein Mikro in die Hand nehmen, Licht und Musik und eine Show daraus machen."
    "So what should I do to make you understand? Should I lick your balls? Should I grab you by the pussy?"
    Am Ende kommt es doch zum Duell
    Am Ende muss auch Anwalt und Weltverbesserer Ransom Foster einen Colt in die Hand nehmen und gegen Liberty Valance zum Duell antreten. An dessen Ende er zu dem Mann wird, der Liberty Valance erschießt. Oder vielleicht doch nicht?
    "Das ist ja, wo wir ankommen, an dem Abend, dass Politik nicht mit Fakten und Realitäten gemacht wird, sondern mit Gefühlen und einer sehr gut vorbereiteten Show."
    Oder wie es im John Ford Western heißt: Wenn die Legende zur Wahrheit wird, druck die Legende!