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Der Mozart von Württemberg

Man fragt sich, warum Johann Rudolph Zumsteegs "Geisterinsel" eigentlich so lange in der Versenkung verschwinden konnte. Die Gesamtaufnahme der Oper ist eine über weite Strecken großartig gelungene Wiederentdeckung.

Von Jochen Hubmacher | 01.05.2011
    "Ouvertüre
    CD 1/Track. 1
    ab 4'04 - Ende"

    Dramatischer Gestus mit rhythmischer Energie trifft auf zündende Melodien mit mehr als nur einem Hauch Wiener Charme. Schon sehr gut nachvollziehbar, warum Johann Rudolph Zumsteeg einst anerkennend als "Mozart Württembergs" bezeichnet wurde. Gerade haben wir den Schlussabschnitt aus der Ouvertüre zu seiner heute weitgehend vergessenen Oper "Die Geisterinsel" gehört. Eine Gesamtaufnahme ist jetzt als Ersteinspielung beim Label Carus erschienen. Musikalischer Leiter des Projekts war der Dirigent Frieder Bernius, der dabei auf eine auffallend junge Sängerriege sowie seine eigenen Ensembles Hofkapelle und Kammerchor Stuttgart gesetzt hat. Die Aufnahme entstand im vergangenen Jahr als Livemitschnitt im Rahmen des Festivals "Stuttgart Barock". Das Etikett "Barock" passt allerdings nicht so ganz. Zumsteeg macht seine ersten musikalischen Gehversuche, als das Barockzeitalter eigentlich schon vorbei ist. 1760 wird er in der Nähe von Tauberbischofsheim geboren. Mit 10 geht er auf die berühmt berüchtigte "Hohe Karlsschule" im Schloss Solitude bei Stuttgart, die damals noch weitaus treffender "militärische Pflanzschule" heißt. Der spätere Dichterfürst Friedrich Schiller gehört dort zu seinen engsten Freunden.

    Neben eisernem Drill erhält Zumsteeg auf der "Hohen Karlsschule" offenbar eine exzellente musikalische Ausbildung als Cellist und Komponist. Direkt nach seiner Schulzeit bekommt er ein Engagement am Stuttgarter Hof von Herzog Carl Eugen. Später als Hofkapellmeister muss er aus der Finanznot seines Dienstherrn eine musikalische Tugend machen. Im Ergebnis heißt das: Statt teurer italienischer Opernproduktionen steht mehr und mehr preisgünstige deutschsprachige Musiktheaterkost auf dem Spielplan. Durch Zumsteegs Repertoireauswahl lernt das Stuttgarter Publikum Mozarts Opern kennen.

    Als der Hofkapellmeister dann 1798, nach langjähriger Schreibpause, mit der "Geisterinsel" selbst wieder eine Oper vorlegt, hat er die kompositorischen Gestaltungsmittel Mozarts und dessen Klangwelt längst verinnerlicht.

    "
    CD 2/Tr. 9
    ab 13'50 – 17'09
    Finale 2. Akt
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    Besonders in den Finalszenen seiner "Geisterinsel", wie gerade am Ende des 2. Akts gehört, ist der "Mozart Württembergs" Johann Rudolf Zumsteeg ganz nah dran am Salzburger Original. An dessen "Zauberflöte" oder der "Entführung aus dem Serail".

    Es wäre allerdings zu einfach und auch nicht gerecht ihn deswegen als einfallslosen Kopisten abzustempeln, wie es die Musikwissenschaft Anfang des 20. Jahrhunderts getan hat. Zumsteeg komponierte seine Oper an der Nahtstelle zwischen Klassik und Frühromantik. Er baute dabei auf dem auf, was die noch junge deutsche Musiktheatertradition bis dahin zu bieten hatte. Nur logisch, dass im musikalischen Fundament der "Geisterinsel" auch der ein oder andere Mozart'sche Baustein steckt. Es gibt jedoch auch Winkel und Ecken in diesem Klanggebäude, in denen sich Zumsteeg vom Erbe Mozarts löst, es weiterentwickelt und damit musikalische Perspektiven in Richtung romantischer Oper eröffnet. Oder anders ausgedrückt: Von den Ufern der "Geisterinsel" aus lässt sich ganz am Horizont gelegentlich schon Webers "Freischütz" erahnen. Zum Beispiel in Mirandas Rondo aus dem 2. Akt, das hier Christiane Karg mit ihrer unaufdringlich schlanken und wunderbar klangschönen Sopranstimme singt.


    "CD 2/Tr.3
    Rondo Miranda 2. Akt"

    Das Rondo der Miranda aus dem 2. Akt der "Geisterinsel" von Johann Rudolph Zumsteeg war das. Eine etwas geraffte Gesamtaufnahme der Oper ist jetzt erstmals auf CD beim Label Carus erschienen. Gerafft, weil Dirigent Frieder Bernius Striche im Werk Zumsteegs vorgenommen hat. Anhand des CD-Booklets, in dem der komplette Gesangstext abgedruckt ist, lässt sich nachvollziehen, wo er gekürzt hat. Eine Erklärung für das Warum liefert Bernius allerdings nicht. Vielleicht hat er die gestrichenen Passagen als musikalisch nicht besonders gelungen erachtet. Vielleicht wollte er der Handlung etwas mehr Fahrt verleihen.
    Das Libretto der "Geisterinsel" entstand Ende des 18. Jahrhunderts als Gemeinschaftsprojekt von Friedrich Hildebrand Freiherr von Einsiedel und Friedrich Wilhelm Gotter. Die beiden bedienten sich bei William Shakespeares Theaterklassiker "The Tempest", zu Deutsch "Der Sturm". Sie nehmen sich zwar allerhand künstlerische Freiheiten heraus, um den Shakespeare-Stoff operntauglich zu machen, streichen Figuren oder fügen neue hinzu. Dennoch bleibt der Haupterzählstrang weitgehend erhalten:

    Ein italienischer Ex-Herzog samt Tochter im heiratsfähigen Alter wird auf einer Insel mit reichlich Zauberwesen ausgesetzt. Der Zufall will es, dass ein italienischer Prinz, ebenfalls im heiratsfähigen Alter, auch auf der Geisterinsel strandet. Bevor es aber zum Happy End kommt, müssen Flüche überwunden, Intrigen aufgedeckt und missgünstige Nebenbuhler beseitigt werden. Mit musikalischen Kunstgriffen versucht Johann Rudolph Zumsteeg, die magische Atmosphäre auf der Insel auch akustisch zu vermitteln. So lässt er etwa einen Geisterchor wie aus einer anderen Sphäre auf das irdische Bühnengeschehen herab schweben.

    "CD 3/Tr. 3
    Geisterchor, 3. Akt"

    Perfekt ausbalanciert und intonationssicher hier der Kammerchor Stuttgart und von der Aufnahmetechnik hervorragend in Szene gesetzt als ätherische Geisterstimmen. Nur selten merkt man der Ersteinspielung von Zumsteegs "Geisterinsel" ihren Live-Charakter an. Die eine oder andere Unsauberkeit wäre im Studio sicher bereinigt worden. Doch die zupackende Energie der Hofkapelle Stuttgart und das mitunter grandios auftrumpfende Sängerensemble machen dies mehr als wett. Ein dickes Ausrufezeichen setzt zum Beispiel Bariton Christian Feichtmair, als verschlagener Bösewicht Caliban, der bei all seinen Intrigen doch immer wieder über die eigenen Fallstricke stolpert.

    "CD 1/Tr.6
    Arie Caliban"

    Spannende, bisweilen mitreißende Musik und eine Geschichte Marke William Shakespeare. Man fragt sich, warum Johann Rudolph Zumsteegs "Geisterinsel" eigentlich so lange in der Versenkung verschwinden konnte. Die Gesamtaufnahme der Oper mit Frieder Bernius am Dirigentenpult ist eine über weite Strecken großartig gelungene Wiederentdeckung und gleichzeitig eine Einladung für Musiktheatermacher. Denn so ein Stück gehört einfach auf die Opernbühne. Bis es soweit ist, können wir uns an die CD halten, die jetzt beim Label Carus erschienen ist.

    Besprochene CD:
    Johann Rudolph Zumsteeg
    "Die Geisterinsel" - Oper in drei Akten
    - Weltersteinspielung -

    Falko Hönisch, Prospero
    Christiane Karg, Miranda
    Benjamin Hulet, Fernando
    Christian Feichtmair, Caliban
    Andrea Lauren Brown, Ariel

    Kammerchor Stuttgart
    Hofkapelle Stuttgart
    Ltg.: Frieder Bernius

    Label: Carus
    Bestell-Nr.: Carus 83.229
    LC: 3989