Lieber Jürgen, ich halte das erste fertig gebundene Exemplar von "Erkenntnis und Interesse" in den Händen. Die Auslieferung beginnt morgen an den Buchhandel. Ich schicke Dir dieses Buch zu in der Hoffnung, dass dieses Buch seine Folgen, aber auch sein Nachfolger haben wird. Wir werden uns mit aller uns möglichen Kraft bemühen, Leser für dieses Buch zu finden.
So klingt er, der hoffnungsvolle, aber offenbar auch noch ein wenig skeptische Verleger. Ob es was wird mit dem Werk und dem Verkauf? Siegfried Unseld konnte sich bald zurücklehnen: Es wurde was draus. "Erkenntnis und Interesse" verkauft sich in Tausenden von Exemplaren, wie auch alle anderen Werke des Philosophen ausgesprochen gut liefen.
Suhrkamp und Habermas, das war ökonomisch wie kulturell eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Kann man diese Geschichte auch auf unpersönliche Weise erzählen? Man kann. Vielleicht muss man in diesem Fall auch: Habermas, der große Theoretiker der Öffentlichkeit, will hinter seinem Werk zurücktreten. So verzichtet die Ausstellung darauf, Habermas als "Person", als öffentliche wie als private, zu zeigen. Die verweigerte Biografie - sie, berichtet Wolfgang Schopf, der Leiter der Ausstellung, war Voraussetzung, um Habermas zur Mitarbeit an der Ausstellung zu bewegen.
"Wer mag schon ausgestellt werden? Und das Schöne war, dass dann Stück für Stück noch Material auftauchte, das er fand. Aber das Wichtigste ist, glaube ich, das Vertrauen, sich auf so was einzulassen. Und das Vertrauen darauf, das die Grenzen gewahrt werden. Wobei das natürlich bei uns jetzt ein leichterer Rahmen ist, weil wir uns eben auf das Werk beschränken - und keinerlei Experimente im biografischen Feld unternehmen."
Die Ausstellung: ein gewaltiger Haufen von Papier. Habermas als Philosoph, als Publizist, als Verfasser von Briefen, Reden, Manuskripten und - Leserbriefen. Frühe Schriften sind dabei, noch durchdrungen von den Eindrücken des Sündenfalls: des Nationalsozialismus und des Holocaust - jener Verbrechen, die am Anfang des habermasschen Werkes stehe, das man im Ganzen als gewaltigen Gegenentwurf zum Völkischen-Nationalen brauner wie auch anderer Zeiten verstehen kann. Jürgen Habermas:
"Universalistische Verfassungsprinzipien haben sich in der deutschen Kulturnation, als die wir uns gerne verstehen, leider erst nach - und ich möchte sogar sagen: leider auch erst durch - Auschwitz hergestellt."
Die Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt passt nicht nur darum zu Habermas, weil sie sich in eben jener Stadt befindet, mit der der Philosoph per Amt, als ordentlicher Professor der Johann-Wolfgang-Goethe Universität, so lange verbunden war, sondern auch, weil ihre lichtdurchfluteten Räume und weitflächigen Fensterflächen so sehr der Transparenz verpflichtet sind wie Habermas' Philosophie.
Riese Stoffbahnen hängen an den Fenstern, darauf Begriffe von Gewicht: "Der öffentliche Sprecher" ist dort zu lesen. Oder "Notstand", "Reform" und natürlich "Theorie". Und sie stehen zweimal dort: von links nach rechts zu lesen - und von rechts nach links. In dieser Richtung kann man sie aber nur von außen lesen. Offenbar bewegt sich Philosophie, selbst die habermassche Philosophie, zur Kunst hin. Wolfgang Schopf:
"Das heißt, die Besucher der Ausstellung können von innen nach außen blickend sehen und lesen, was wir als Stationen markieren. Während sie von innen nach außen blicken und lesen, sehen sie draußen auf dem Vorplatz oder der Straße oder dem Bürgersteig Nicht-Besucher der Ausstellung, die mit dem gleichen Vorgang befasst sind. Das heißt, es findet eine Art Kommunikation zwischen den Besuchern und der Öffentlichkeit statt."
Habermas, der Theoretiker der Öffentlichkeit - und der Mann für die Öffentlichkeit, im Dialog mit ihr; zahllos die Essays und Kommentare, die er für Tageszeitungen und Magazine verfasste - vom "Merkur" über den "Spiegel" bis zu FAZ und "Süddeutscher Zeitung". Merkwürdig: Eben jener Denker, der bisweilen so hermetisch schreibt - er versucht wie kein anderer, die Philosophie durchlässig zu machen, früher hätte man gesagt: sie zu demokratisieren.
Habermas, das ist der Denker auf der Bühne, der Denker, wenn nicht für alle und jeden, so doch für viele, jedenfalls in seinen nicht-wissenschaftlichen Schriften. Ein neuer Stil ist das, findet Matthias Lutz-Bachmann, Habermas-Schüler und ebenfalls Philosophieprofessor in Frankfurt.
"Also nicht mehr Philosophie von Heroen, die einsam denken und der Welt Ratschläge geben - oder auch nicht; sondern Philosophie im interdisziplinären Gespräch, im Gespräch mit der Öffentlichkeit als eine Stelle, an der bestimmte Reflexionen systematisch, professionell bearbeitet werden."
Der Denker auf der Bühne also. Früher hätte man gesagt: der engagierte Intellektuelle. Und engagiert war Habermas: Die Ausstellung zeigt ihn im Jahr 1968, in der Diskussion mit Studenten - eine Diskussion, die sich zum Streit entwickelte, einem Streit, der lange anhielt. Philosophie kann eben auch wehtun. Aber, meint Wolfgang Schopf: Man weiß dann, woran man ist. So verstanden, sei Jürgen Habermas dann auch ein Öffentlichkeitsarbeiter in Sachen Philosophie.
"Es ist der Versuch, dem Gerücht der schweren Verständlichkeit theoretischer Texte den Boden zu entziehen. Weil: Theorie ist durchaus vermittelbar. Sie ist durchaus ein Gegenstand von Didaktik - und in der Sache und der Aufnahme sehr erfolgreich in diesem Fall."
Wie erfolgreich, das zeigt eine riesige Leinwand, die sich liest wie der Triumph der Kritik in Zeiten ihrer angeblichen Verflachung. Habermas übersetzt ins Russische, ins Polnische, in die westeuropäischen Sprachen, ins Hebräische, Arabische, ins Japanische, Chinesische, in nahezu alle großen und kleinen Sprachen dieser Welt. Zurückhaltende Cover, knallbunte Cover, sogar eines, das Szenen aus einem deutschen Wahlkampf zeigt - Habermas rührt unverkennbar etwas an, etwas, das weit über bundesdeutsche Belange hinausgeht. Tatsächlich, so Matthias Lutz-Bachmann, wird sein Werk in ziemlich bedeutenden Kreisen rezipiert.
"Ich weiß aus Diskussionen bis hinein in die Vereinten Nationen, dass die Rechts- und Politikkonzepte, die sich im Anschluss an die Vorschläge von Habermas weltweit in der Diskussion befinden, ein Potenzial entfaltet haben, dass nicht nur die Fantasie der Politik, sondern auch die reale Handlungsoption von Gremien bis hinein in internationale Strafverfolgungsbehörden… Wie hier Habermas' Theorie gewirkt hat, aber noch längst natürlich nicht zu einem Abschluss gekommen ist. So sehe ich auch die habermassche Theorie als einen Entwurf, der Perspektiven uns an die Hand gibt, denen wir auch bei realpolitischen Konflikten mit Irak, Iran, Korea durchaus berücksichtigen müssen."
Die Welt: Sie ist so unruhig wie eh und je. Ende der 1960er, da war er selbst gerade 30, gab Habermas seinen Studenten eine Art Kompendium in die Hand, was man als Philosoph alles gelesen haben sollte. Die Liste - auch sie ist in der Ausstellung zu sehen - ist beeindruckend lang, erstreckt sich über mehrere Seiten. Sie enthält so ziemlich alles, was in der Philosophie- und Kulturgeschichte Rang und Namen hat. Aber wie gesagt: Ein Kanon soll es nicht sein. Die Liste will nur zum Denken anregend. "Die Lava des Gedankens im Fluss" - so nennt sich die Ausstellung, und so hält es Habermas bis heute. Die Welt ist so unruhig wie eh und je. Doch seid willkommen, Herausforderungen. Denn Herausforderungen, so sieht es Habermas bis heute, halten das Denken in Fluss.
"Ob es sich um die Integration von Gastarbeiterfamilien oder von Bürgern aus ehemaligen Kolonien handelt, die Lektion ist immer dieselbe: keine Integration ohne die Erweiterung des eigenen Horizonts, ohne die Bereitschaft, ein weiteres Spektrum von Gerüchen und Gedanken, auch von schmerzlichen kognitiven Dissonanzen zu erfahren."
So klingt er, der hoffnungsvolle, aber offenbar auch noch ein wenig skeptische Verleger. Ob es was wird mit dem Werk und dem Verkauf? Siegfried Unseld konnte sich bald zurücklehnen: Es wurde was draus. "Erkenntnis und Interesse" verkauft sich in Tausenden von Exemplaren, wie auch alle anderen Werke des Philosophen ausgesprochen gut liefen.
Suhrkamp und Habermas, das war ökonomisch wie kulturell eine Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Kann man diese Geschichte auch auf unpersönliche Weise erzählen? Man kann. Vielleicht muss man in diesem Fall auch: Habermas, der große Theoretiker der Öffentlichkeit, will hinter seinem Werk zurücktreten. So verzichtet die Ausstellung darauf, Habermas als "Person", als öffentliche wie als private, zu zeigen. Die verweigerte Biografie - sie, berichtet Wolfgang Schopf, der Leiter der Ausstellung, war Voraussetzung, um Habermas zur Mitarbeit an der Ausstellung zu bewegen.
"Wer mag schon ausgestellt werden? Und das Schöne war, dass dann Stück für Stück noch Material auftauchte, das er fand. Aber das Wichtigste ist, glaube ich, das Vertrauen, sich auf so was einzulassen. Und das Vertrauen darauf, das die Grenzen gewahrt werden. Wobei das natürlich bei uns jetzt ein leichterer Rahmen ist, weil wir uns eben auf das Werk beschränken - und keinerlei Experimente im biografischen Feld unternehmen."
Die Ausstellung: ein gewaltiger Haufen von Papier. Habermas als Philosoph, als Publizist, als Verfasser von Briefen, Reden, Manuskripten und - Leserbriefen. Frühe Schriften sind dabei, noch durchdrungen von den Eindrücken des Sündenfalls: des Nationalsozialismus und des Holocaust - jener Verbrechen, die am Anfang des habermasschen Werkes stehe, das man im Ganzen als gewaltigen Gegenentwurf zum Völkischen-Nationalen brauner wie auch anderer Zeiten verstehen kann. Jürgen Habermas:
"Universalistische Verfassungsprinzipien haben sich in der deutschen Kulturnation, als die wir uns gerne verstehen, leider erst nach - und ich möchte sogar sagen: leider auch erst durch - Auschwitz hergestellt."
Die Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt passt nicht nur darum zu Habermas, weil sie sich in eben jener Stadt befindet, mit der der Philosoph per Amt, als ordentlicher Professor der Johann-Wolfgang-Goethe Universität, so lange verbunden war, sondern auch, weil ihre lichtdurchfluteten Räume und weitflächigen Fensterflächen so sehr der Transparenz verpflichtet sind wie Habermas' Philosophie.
Riese Stoffbahnen hängen an den Fenstern, darauf Begriffe von Gewicht: "Der öffentliche Sprecher" ist dort zu lesen. Oder "Notstand", "Reform" und natürlich "Theorie". Und sie stehen zweimal dort: von links nach rechts zu lesen - und von rechts nach links. In dieser Richtung kann man sie aber nur von außen lesen. Offenbar bewegt sich Philosophie, selbst die habermassche Philosophie, zur Kunst hin. Wolfgang Schopf:
"Das heißt, die Besucher der Ausstellung können von innen nach außen blickend sehen und lesen, was wir als Stationen markieren. Während sie von innen nach außen blicken und lesen, sehen sie draußen auf dem Vorplatz oder der Straße oder dem Bürgersteig Nicht-Besucher der Ausstellung, die mit dem gleichen Vorgang befasst sind. Das heißt, es findet eine Art Kommunikation zwischen den Besuchern und der Öffentlichkeit statt."
Habermas, der Theoretiker der Öffentlichkeit - und der Mann für die Öffentlichkeit, im Dialog mit ihr; zahllos die Essays und Kommentare, die er für Tageszeitungen und Magazine verfasste - vom "Merkur" über den "Spiegel" bis zu FAZ und "Süddeutscher Zeitung". Merkwürdig: Eben jener Denker, der bisweilen so hermetisch schreibt - er versucht wie kein anderer, die Philosophie durchlässig zu machen, früher hätte man gesagt: sie zu demokratisieren.
Habermas, das ist der Denker auf der Bühne, der Denker, wenn nicht für alle und jeden, so doch für viele, jedenfalls in seinen nicht-wissenschaftlichen Schriften. Ein neuer Stil ist das, findet Matthias Lutz-Bachmann, Habermas-Schüler und ebenfalls Philosophieprofessor in Frankfurt.
"Also nicht mehr Philosophie von Heroen, die einsam denken und der Welt Ratschläge geben - oder auch nicht; sondern Philosophie im interdisziplinären Gespräch, im Gespräch mit der Öffentlichkeit als eine Stelle, an der bestimmte Reflexionen systematisch, professionell bearbeitet werden."
Der Denker auf der Bühne also. Früher hätte man gesagt: der engagierte Intellektuelle. Und engagiert war Habermas: Die Ausstellung zeigt ihn im Jahr 1968, in der Diskussion mit Studenten - eine Diskussion, die sich zum Streit entwickelte, einem Streit, der lange anhielt. Philosophie kann eben auch wehtun. Aber, meint Wolfgang Schopf: Man weiß dann, woran man ist. So verstanden, sei Jürgen Habermas dann auch ein Öffentlichkeitsarbeiter in Sachen Philosophie.
"Es ist der Versuch, dem Gerücht der schweren Verständlichkeit theoretischer Texte den Boden zu entziehen. Weil: Theorie ist durchaus vermittelbar. Sie ist durchaus ein Gegenstand von Didaktik - und in der Sache und der Aufnahme sehr erfolgreich in diesem Fall."
Wie erfolgreich, das zeigt eine riesige Leinwand, die sich liest wie der Triumph der Kritik in Zeiten ihrer angeblichen Verflachung. Habermas übersetzt ins Russische, ins Polnische, in die westeuropäischen Sprachen, ins Hebräische, Arabische, ins Japanische, Chinesische, in nahezu alle großen und kleinen Sprachen dieser Welt. Zurückhaltende Cover, knallbunte Cover, sogar eines, das Szenen aus einem deutschen Wahlkampf zeigt - Habermas rührt unverkennbar etwas an, etwas, das weit über bundesdeutsche Belange hinausgeht. Tatsächlich, so Matthias Lutz-Bachmann, wird sein Werk in ziemlich bedeutenden Kreisen rezipiert.
"Ich weiß aus Diskussionen bis hinein in die Vereinten Nationen, dass die Rechts- und Politikkonzepte, die sich im Anschluss an die Vorschläge von Habermas weltweit in der Diskussion befinden, ein Potenzial entfaltet haben, dass nicht nur die Fantasie der Politik, sondern auch die reale Handlungsoption von Gremien bis hinein in internationale Strafverfolgungsbehörden… Wie hier Habermas' Theorie gewirkt hat, aber noch längst natürlich nicht zu einem Abschluss gekommen ist. So sehe ich auch die habermassche Theorie als einen Entwurf, der Perspektiven uns an die Hand gibt, denen wir auch bei realpolitischen Konflikten mit Irak, Iran, Korea durchaus berücksichtigen müssen."
Die Welt: Sie ist so unruhig wie eh und je. Ende der 1960er, da war er selbst gerade 30, gab Habermas seinen Studenten eine Art Kompendium in die Hand, was man als Philosoph alles gelesen haben sollte. Die Liste - auch sie ist in der Ausstellung zu sehen - ist beeindruckend lang, erstreckt sich über mehrere Seiten. Sie enthält so ziemlich alles, was in der Philosophie- und Kulturgeschichte Rang und Namen hat. Aber wie gesagt: Ein Kanon soll es nicht sein. Die Liste will nur zum Denken anregend. "Die Lava des Gedankens im Fluss" - so nennt sich die Ausstellung, und so hält es Habermas bis heute. Die Welt ist so unruhig wie eh und je. Doch seid willkommen, Herausforderungen. Denn Herausforderungen, so sieht es Habermas bis heute, halten das Denken in Fluss.
"Ob es sich um die Integration von Gastarbeiterfamilien oder von Bürgern aus ehemaligen Kolonien handelt, die Lektion ist immer dieselbe: keine Integration ohne die Erweiterung des eigenen Horizonts, ohne die Bereitschaft, ein weiteres Spektrum von Gerüchen und Gedanken, auch von schmerzlichen kognitiven Dissonanzen zu erfahren."