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Der Plan

Nachdem er sich in den letzten Jahren vorwiegend mit österreichischen Abgründigkeiten und Widersprüchen beschäftigt hat, führt uns Gerhard Roth in seinem neuen Buch in fernöstliche Gefilde, konkret: nach Japan. Der Topos der Reise hat im Oeuvre des 56jährigen Autors stets eine zentrale Rolle gespielt: "Ich glaube, daß die Reise in der Literatur überhaupt eine große Rolle spielt. Von der Odyssee angefangen, sind die literarischen Werke über die Jahrhunderte immer wieder von der Reiseliteratur bestimmt gewesen. Natürlich, eine Reise ist eine Veränderung des Alltags, und im Hinterkopf hat man das Gefühl, daß man von einer Reise nicht zurückkehrt.”

Günter Kaindlstorfer |
    Konrad Feldt heißt die Hauptfigur des neuen Gerhard-Roth-Romans. Der Mann ist Angestellter der österreichischen Nationalbibliothek und hegt eine glühende Leidenschaft für Bücher und Landkarten aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Durch den Selbstmord eines Kollegen gelangt Feldt in den Besitz eines gestohlenen Autographen: Es handelt sich um ein kleines Stückchen aus der Originalpartitur von Mozarts-Requiem”. Nicht wenige Sammler zwischen Boston und Tokio würden für das Fetzchen Millionen bezahlen. Das weiß auch Feldt. Er fährt nach Japan, angeblich um Vorträge über die Wiener Nationalbibliothek zu halten, in Wirklichkeit hat er Kontakt zu einem zwielichtigem Kunsthändler namens Dr. Hayashi aufgenommen. Als Dr. Hayashi ermordet aufgefunden wird, kommt Feldt in ernsthafte Schwierigkeiten. Gerhard Roth hat das Material für seinen Roman auf einer ausgedehnten Japan-Reise gesammelt. Die Kultur des fernöstlichen Landes hat ihn fasziniert und befremdet zugleich: "Fremd habe ich Japan auf alle Fälle erlebt. Aber gleichzeitig war es für mich eine Offenbarung. Auf der einen Seite das Megalopolis Tokio — 21. Jahrhundert, Blick ins nächste Jahrtausend — ,auf der anderen Seite Kyoto und verschiedene Tempelstätten in Japan, der Blick zurück in vergangene Jahrhunderte.”

    Das heutige Japan, meint Gerhard Roth, sei geprägt durch eine explosive und auch produktive Spannung zwischen Vergangenheit und Modernität. "Ich hab so das Gefühl, das sind zwei Pole, die Tradition und die Moderne, die Japan fast zerreißen. Dieses Reduzieren auf den Zen-Buddhismus, dieses Gottkaiserdenken im Shintoismus auf der einen Seite, und auf der anderen Seite der Kapitalismus in einer Hochblüte, wie ich ihn eigentlich noch nirgendwo gesehen habe.”

    Gerhard Roth läßt seine Hauptfigur Konrad Feldt in Japan intensive Fremdheitsgefühle erleben. In Tokio wird sein Orientierungsgefühl durch die fremde Schrift irritiert, Feldt hat während seiner Reise das Gefühl, unter Drogen zu stehen. Er ist, wie es einmal heißt, nüchtern high”. Gerhard Roth über seine Protagonisten: "Diese Fahrt ist auch eine Fahrt in das Imaginäre. Für die Hauptfigur Konrad Feldt, einen besessenen Leser, spielt das Imaginäre eine ebenso große Rolle wie das Reale, wie die Wirklichkeit.”

    Gerhard Roths Roman hat mehrere Ebenen. Da gibt es zum einen die schlichte Reisegeschichte: Konrad Feldt tingelt durch Japan, er trifft den Kaiser beim Joggen am Strand, er erklimmt einen Vulkankrater, besucht ein Kabuki-Theater und einige Tempel. Eine Affäre mit seiner japanischen Reisebegleiterin macht die Rundfahrt auch erotisch zu einem bemerkenswerten Erlebnis. Die Kriminalgeschichte um das Mozart-Autograph stellt eine zweite Ebene dar. Sie treibt die Handlung voran, gibt dem Roman seine Spannung und sorgt für die geheimnisvolle Atmosphäre, die dem Buch seine Aura verleiht. Drittens aber, und das ist der Kern der Sache, läßt Roth seinen Helden natürlich eine Reise in sein eigenes Halb- und Unbewußtes unternehmen, eine Reise in den Tod zuletzt. Man denkt während der Lektüre immer wieder an den Thomas Manns "Tod in Venedig”. Sieht auch der Autor diese Parallele? "Ja, da kann ich nur sagen, es waren zwei Haupteinflüsse: das eine war "Tod in Venedig”, ein Buch, das ich schon seit vielen, vielen Jahren im Kopf habe, und das andere sind einfach Joseph-Conrad-Abenteuergeschichten, die vordergründig Reiseerzählungen sind, oder eben wie gesagt Abenteuergeschichten.”

    Roths Roman handelt — äußerlich — nicht nur von Japan, er handelt auch von Österreich. Die Wiener Nationalbibliothek spielt eine zentrale Rolle, Konrad Feldt wird als Beamter von fast kakanischem Zuschnitt präsentiert, und daß ausgerechnet ein Mozart-Autograph im Mittelpunkt steht, ist selbstredend auch kein Zufall. Dabei hatte Gerhard Roth ursprünglich einen etwas anderen Plot im Kopf: "Ursprünglich wollte ich, daß meine Hauptfigur eine alte Landkarte in Japan verkauft. Und um so eine Landkarte zu finden, bin ich in die Nationalbibliothek gegangen und habe mir die Landkartensammlung angeschaut, und hatte aber schon lange den Wunsch, einmal in der Musikaliensammlung das "Requiem” zu sehen, das handschriftliche Autograph von Mozart. Und bei diesem Besuch ist es mir wirklich ermöglicht worden, das anzuschauen, und als ich das angeschaut hab, hab ich gesehen, daß rechts unten das Eck auf der letzten Seite fehlt.”

    Dieses Eck, das reale Eck, ist in den späten fünfziger Jahren auf mirakulöse Weise verschwunden, nachdem die Mozart-Handschrift auf der Weltausstellung in Brüssel gezeigt worden war. In seinem Buch spielt Gerhard Roth mit diesem Eck sein eigenes, phantasievolles Spiel. Konrad Feldt, seine Hauptfigur, hat Roth mit einer klassischen österreichischen Genealogie ausgestattet. Feldts Vater, so erfahren wir, sei dereinst Militärarzt gewesen, sein Urgroßonkel habe noch als Leibarzt bei Kaiser Franz Joseph gedient. Diese Familiengeschichte, meint Gerhard Roth, habe er seinem Helden mit Bedacht verliehen: "Ich hab ihn als Art Spätgeborenen der Familie Trotta gesehen, als einen Nachfahren der beiden wunderbaren Romane von Joseph Roth, "Radetzkymarsch” und "Kapuzinergruft”. In der Nationalbibliothek ist noch etwas von diesem habsburgischen Geist vorhanden, und dieser Feldt lebt nun als eher unpolitischer Mensch in dieser Bibliothek und begeht an diesem historischen Gedanken einen Verrat. Und der Verrat ist, daß er ein Heiligtum dieser Bibliothek verkauft, und zwar an die Moderne verkauft, an ein Land, das der Inbegriff für Kapitalismus ist.”

    Gerhard Roth ist ein fesselndes Buch geglückt — ein Mixtum compositum aus Joseph Conrad, Kafka und Alfred Hitchcock. Nie hat der österreichische Romancier so dicht, so doppelbödig geschrieben: In seinem neuen Buch erleben wir den 56jährigen auf der Höhe seiner Kunst.