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Der radikale Traum des Götz Werner

Dm-Firmengründer Götz Werner ist bekannt für sein unternehmerisch-unorthodoxes Gedankengut, das er seinen mehr als 20.000 Mitarbeitern nahebringt. Er mischt sich aber auch in die deutsche Innenpolitik ein. Zum Beispiel mit seiner Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, die er jetzt in einem Buch ausführlich dargestellt hat. Eine Rezension von Jörg Münchenberg.

    Götz Werner hat einen Traum, einen radikalen Traum. Und trotzdem ist der Chef der Drogeriekette dm kein Träumer, ganz im Gegenteil. Werner ist von der Umsetzbarkeit seiner Idee des so genannten bedingungslosen Grundeinkommens zutiefst überzeugt. Deshalb hat er dieses Buch geschrieben. Es soll den Nachweis bringen, dass die Einführung eines vergleichsweise hohen Grundeinkommens für jeden, egal ob jung oder alt, ob arm oder reich, möglich und vor allem finanzierbar ist. Im Zentrum seiner Überlegungen steht dabei - kaum überraschend angesichts seines anthroposophischen Hintergrundes - der Mensch:

    "Die meisten Menschen leben zum Beispiel nach dem Credo: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wobei sie das Vertrauen auf sich beziehen und die Kontrolle auf die Mitmenschen. Wir sollten uns aber das Menschenbild von Freiherr vom Stein zu eigen machen: das heißt "Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hemmt sein Reifen". "

    Eines der vielen Zitate, die Werner gerne anbringt, wenn er seine Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens formuliert. Das macht er durchaus unterhaltsam und verständlich, obwohl es dabei durchaus um höchst komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge geht. Erwerbsarbeit ist längst die Ausnahme, nicht mehr die Regel, lautet einer seiner Grundthesen, die durch die Arbeitsmarktstatistiken der letzten Jahrzehnte durchaus belegt wird. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die wachsende Produktivität, die zwar für Wachstum, nicht aber mehr unbedingt für neue Jobs sorgt. Doch wenn die Chance auf einen Arbeitsplatz immer geringer wird, dann werden zugleich auch mehr Menschen von der Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben systematisch ausgeschlossen. Anderseits arbeiten viele, nur um überhaupt das notwendige Einkommen zu erwirtschaften. Sinn und Nutzen der Tätigkeit spielen dabei häufig keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Werner spricht deshalb auch vom "Zwang zur Arbeit", von dem die Menschen befreit werden müssten. Dass er im gleichen Atemzug Hartz IV als "offenen Strafvollzug" ablehnt, erklärt sich dabei fast von selbst:

    "Haben wir wirklich Rahmenbedingungen, die Initiative eher bremst oder Initiative weckt? Denn wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen, wenn wir das Individuum ernstnehmen wollen, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir Initiative-weckende Rahmenbedingungen haben. Und das heißt: dass wir die Rahmenbedingungen auf den Prüfstand stellen müssen, und wir müssen sie überarbeiten, wir müssen sie ändern. "

    Dazu schlägt Werner die Einführung eines Grundeinkommens für alle vor. Denn wenn die Bürger frei von den bloßen Existenzsorgen sind, können sie auch etwas Sinnvolles tun, und darunter versteht der 63-jährige dm-Chef in aller erster Linie ein gesellschaftliches Engagement, sei es in der Bildung, in der Pflege oder auch in der Kulturarbeit. Konkret schlägt Werner die stufenweise Einführung eines monatlichen Grundeinkommens von zunächst 800 Euro pro Monat vor, die später dann auf 1500 Euro angehoben werden könnten - ohne Gegenleistung, versteht sich. Im Gegenzug sollten alle Steuern bis auf die Mehrwertsteuer - künftig dann Konsumsteuer genannt - abgeschafft werden, die Werner allerdings auf 50 Prozent drastisch erhöhen will. Auch alle Sozialtransfers, angefangen vom Kindergeld bis hin zum Wohngeldzuschuss, müssten gestrichen werden. Ein extrem radikaler Ansatz, gibt Werner zu, der aber in der Praxis durchaus funktionieren würde:

    "Die Konsumsteuer ist eigentlich ein Systemwechsel, es ist eine Revolution im wahrsten Sinne des Wortes, die aber auch notwendig ist, weil sich unsere Gesellschaft so revolutionär verändert hat. Wir sind ja rausentwachsen der Selbstversorgungsgesellschaft, hinein in die Fremdversorgungsgesellschaft. Und in der Fremdversorgungsgesellschaft ist es einfach falsch, wenn man den Leistungsbeitrag besteuert statt die Leistungsentnahme. Wir nehmen ja Leistungen unserer Mitmenschen immer in Anspruch. Und da geht es darum, dass man die Leistungsentnahme, also den Konsum besteuert. Und was wir mit unserem alten Steuersystem machen, das beschert uns ja die ganzen Probleme, die wir haben. Dass wir die Arbeit immer teurer machen und dadurch uns die Arbeit ausgeht. Mit einem Konsumsteuersystem hätten wir in Deutschland ein Arbeitsparadies, ein Investitionsparadies, es gebe keine Steuerflucht mehr, keine Schwarzarbeit mehr. "

    Natürlich gibt es zahlreiche Einwände gegen Werners Vorschläge: Ein monatliches Einkommen von 1500 Euro für jeden würde den Staat im Jahr 1,5 Billionen Euro kosten - ein gigantisches Umverteilungsprogramm, das wohl kaum finanziert werden könnte; auch die Unternehmen würden wohl klar bevorzugt, ebenso Arbeitsunwillige. Und was passiert mit den Jobs, die keiner haben will? Schließlich macht gerade der Bruch mit dem bisherigen Steuer- und Sozialsystem eine seriöse Prognose über die Folgewirkungen fast unmöglich - dies ist die Schwäche und Stärke seiner Vorschläge zugleich, räumt der Unternehmer offen ein:

    "Wenn Sie was Neues machen wollen, neue Wege beschreiben wollen und gleich von Anfang an wissen wollen wie es ausgeht, dann können Sie nie einen neuen Weg beschreiten. Das tötet jede Veränderungskraft und tötet jede Innovation. Man muss bereit sein, gerade wenn man das Generalziel vor Augen hat, und genau das habe ich in meinem Buch beschrieben, dass man sich dann auch auf den Weg macht, ohne gleich zu wissen, wie es im Detail aussieht. Und das Problem in unserer Gesellschaft ist, dass wir immer nur dann was Neues machen wollen, wenn wir ein Rezept mit Gelingensgarantie haben. "

    Freilich, eine hochkomplexe Gesellschaft wie die deutsche stellt andere Reformbedürfnisse wie etwa ein Unternehmen. Und trotzdem machen es sich diejenigen zu leicht, die Werner als unverbesserlichen Menschenfreund und Utopisten abstempeln. Zum einen hat er durch seine Unternehmensführung gezeigt, dass man erfolgreich sein kann, ohne auf die klassischen, hierarchischen Strukturen bauen zu müssen. Darüber hinaus steht er mit seinem Vorschlag für ein bedingungsloses Grundeinkommens nicht allein: Der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, hat Vorschläge in diese Richtung entwickeln lassen, und selbst das eher marktnahe Hamburger Weltwirtschaftsarchiv hält die Idee unter bestimmten Bedingungen für finanzierbar. Und auch bei den Folgewirkungen sind die Wirtschaftsexperten optimistisch: Zahlreiche Jobs würden entstehen, weil die Unternehmen von hohen Sozialabgaben befreit wären. Zugleich würde eine gewaltige Entbürokratisierungswelle losgetreten. Gleichwohl ist die Skepsis ausgerechnet bei den Linken und der Sozialdemokratie groß: Denn bei einem hohen Grundeinkommen würde das durchschnittliche Lohnniveau zunächst deutlich fallen; das Tarifpartnermodell wäre wohl verzichtbar, ebenso die Bundesagentur für Arbeit wie das Sozialministerium. Es ist gerade dieser revolutionäre Ansatz, der die Umsetzung eines Grundeinkommens in die praktische Politik wohl verhindern wird. Und doch bleibt festzuhalten: Die bisherigen Lösungsansätze für mehr Jobs haben weitgehend versagt; zugleich stammen die Grundzüge unseres Sozialstaates aus den 50er Jahren, die mit der demographischen Entwicklung und den unstetigen Lebensläufen vieler Menschen nicht mehr Schritt halten können. Insofern kommt das enorme öffentliche Interesse für Werners Vorschläge nicht von ungefähr, zumal er glaubwürdig das formuliert, wovon viele träumen: die Verwirklichung einer Arbeitswelt, in der allein der Mensch mit seinen Ideen und Bedürfnissen im Mittelpunkt steht.

    Jörg Münchenberg war das über das Buch des dm-Gründers Götz Werner. Einkommen für alle heißt es, ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 16,90 Euro.