Die Stadt Solo hat einen Rhythmus. Sagt der Musiker Yasuda aus Solo.
Wie kommt man eigentlich dazu, in einer Stadt einen Rhythmus suchen zu wollen? Heutzutage, wo doch in allen halbwegs größeren Orten jegliche Klänge von einem stetigen Grummeln übertönt werden. Das ist auch in Solo nicht anders, das Grummeln ist überall, in der ganzen Stadt, sogar mittendrin.
"In Solo gibt es zwei Paläste. Der König hat keine politische Macht mehr, aber die Menschen glauben, dass die Paläste immer noch das Zentrum der Kultur sind."
Wie also komme ich auf die Idee, den Rhythmus einer Stadt ausgerechnet in Solo finden zu wollen, wo doch auch die alte Sultansstadt im Zentrum Javas, beherrscht wird vom diesem Grummeln, selbst um den Palast des Königs herum.
"Es gibt besondere kultische Zeremonien, die regelmäßig vom König ausgeführt werden müssen. Im ersten Monat des javanischen Kalenders muss er ausgerüstet mit heiligen Waffen den Palast sieben Mal umrunden. Dabei folgen ihm weiße Büffel. Menschen sammeln die Büffelfladen auf. Sie glauben, sie sind von Gott gesegnet und bescheren eine gute Ernte, wenn man sie auf die Reisefelder wirft."
Amin, der junge Englischlehrer aus Solo, war es, der - ohne es zu ahnen - in mir die Frage aufwarf, ob Städte Rhythmus haben. Und Amin ist es, der mir - in voller Absicht - verheißt, dass man die Antwort in Solo finden könne. Die Suche beginnt am Königspalast, um dessen Mauern brausen Motorräder, Mopeds, rattern ihre Zweitakt-Motoren, deren Rhythmus richtet sich nach Ampelschaltungen - und Amin spricht von Tieren.
"Für mich ist das Unfug. Das ist Tierkot und Tiere können auf mich keine Zauberkräfte ausüben."
Amin habe ich am Königspalast getroffen. Er stammt aus Solo, es ist seine Stadt, und er will sie mir zeigen. Solo hat eine halbe Million Einwohner, am Rande Industrie, in den Wohnvierteln Werkstätten, in der Innenstadt Geschäfte.
"Solo war eine Hochburg der Aufstände von 1998 gegen das Militärregime. Die Unruhe hatte sich hochgeschaukelt. Die Menschen demonstrierten, brannten Regierungsgebäude nieder und schließlich fast alle Geschäfte, die von Chinesen betrieben wurden. Die Javaner waren angestachelt vom Neid, denn die Chinesen sind wohlhabend."
Unser Weg führt vom Palast zunächst ins Zentrum. In den Einkaufsstraßen Warenhäuser und Shopping-Malls. Unten Schaufenster, die oberen Stockwerke verbergen sich hinter glatten Betonfassaden ohne Fenster.
"Die Geschäfte der Chinesen sind nun wieder aufgebaut, sie sehen aus wie Festungen. Sie schützen sich aus Angst vor neuen Aufständen."
Im größten Kaufhaus von Solo unten die Handy-Abteilung und im obersten Stockwerk geben Spielautomaten den Rhythmus vor: Toreschießen, Autojagden, Ballerei, Spielerei - und Amin, der javanesischer Javaner ist, spricht von zügelloser Leidenschaft.
"Ob es eine Verbindung gibt, zwischen den vielen Vulkanen auf unserer Insel und dem Verhalten der Menschen? Da bin ich nicht so sicher. Der Gewaltausbruch war Fundamentalismus. Es ist nicht gut, seine Gefühle auf diese Art auszudrücken."
Fünfmal am Tag werden die Motoren von der Gebetsaufforderung der Muezzine übertönt. Indonesien ist heute das größte moslemische Land, auf Java bestanden bis zum 15. Jahrhundert etliche hinduistische Königreiche, Solo war die Hauptstadt eines der größten.
Amin hat mich in das historische Museum von Solo geführt. Darin Schätze aus der vormoslemischen Zeit: Schwerter, Skulpturen, Schattenpuppen.
Dann gehen wir in den Hinterhof des Museums. Aus dem flachen Bau dringt der sanfte rhythmische Ton von Gebetsgemurmel.
"Hier findet eine Zeremonie statt. Verheiratete Paare, unter denen Unstimmigkeiten herrschen, werden wieder zusammengebracht. Javaner glauben, dass der Zeitpunkt der Geburt den Charakter eines Menschen bestimmt. Wenn zwei Menschen heiraten, die nach dem javanischen Horoskop nicht zusammenpassen, widerfährt ihnen Böses. Das aber kann behoben werden, wenn man diese Zeremonie durchläuft."
Der Museumsdirektor und ein Imam sind die Zeremonienmeister. Vor ihrem Büro warten die Ehepaare auf Einlass.
Die Zeremonie ist kurz, besteht aus einem Gespräch des Imans und Museumsdirektor mit den Ehepartnern, einem gemeinsamen Gebet und Glückwünsche.
"Die Zeremonie endet mit der Opfergabe von Blumen und Früchten. Das ist typisch javanisch, aber das Hochzeitsgebet wird von dem Imam auf Arabisch gesprochen. Es ist eine Verbindung von Hinduismus, Buddhismus einerseits und den Lehren des Islam."
Abschließend übergibt jedes Ehepaar den beiden Zeremonienmeistern eine ganz besondere Frucht - und Amin bemüht die Ökonomie.
"Die Königsbanane ist die wichtigste Frucht in dieser Zeremonie. Man muss eine komplette Hand kaufen, die eine ungerade Zahl von Bananen aufweist. Es sind Glücks bringende Bananen.
Glücks bringend für den Händler, der natürlich weiß, dass wir sie für eine Zeremonie kaufen, und er so den Preis verdoppeln kann - und Glücks bringend für die Menschen. Eine Win-Win-Situation: Wir brauchen sie, er hat sie, und alle profitieren von ihr."
Büffelfladen, Vulkane und Wunderbananen; und der Rhythmus von Ampelschaltungen, Spielautomaten und Gebeten - und Amin? Der bringt mich schließlich ins Theater.
Im Theater ist Amin jeden Samstagabend, beim Wayang Orang: Wayang bedeutet Schatten, Orang heißt Mensch - Theater mit Schauspielern. Draußen an der Kasse ein buntes Plakat: Götter, Prinzen, Riesen.
Im Foyer ein Kommen und Gehen, im Theatersaal gereihte Köpfe im Schattenriß. Vor der Bühne ein Orchester, auf der Bühne Götter, Prinzen, Riesen.
"Die moslemischen Herrscher haben die Wayang-Geschichten an islamische Lehren angepaßt. Moslems können sich ohne Probleme am Wayang-Theater erfreuen, obwohl es auf Hinduismus und Buddhismus beruht. All die unzähligen hinduistischen Götter treten immer noch im javanischen Wayang-Theater auf, aber sie unterstehen dem einen, obersten Gott, Allah, der selbst nie in Erscheinung tritt."
Auf der Bühne ist das Personal in Bewegung. Arm- und Beinstellungen deuten Aktionen an, Handstellungen Überlegenheit: Kräfte kommen nur andeutungsweise zum Ausdruck - als Schatten göttlicher Fügung.
"Der Prinz meditiert, um die Hilfe der Götter zu erlangen. Doch böse Riesen wollen ihn stören. Aber der Prinz wird Erfolg haben. Das ist die Botschaft an das Publikum: Das Böse gewinnt niemals, das Gute immer."
Prinz und Prinzessin nun vereint, eine Schlacht ist geschlagen, doch der Krieg der Andeutungen ist noch nicht gewonnen.
"Eine Vorführung des Wayang beginnt um neun Uhr abends und endet um fünf Uhr morgens. Das ist sehr anstrengend für die Schauspieler und die Zuschauer. Ein Dalang, ein Puppenspielmeister zu sein, ist auch nicht leicht. Acht Stunden muss er sitzenbleiben, dabei sprechen und die Puppen in beiden Händen gleichzeitig führen."
Der Schatten-Krieg der angedeuteten Kräfte zwischen Göttern, Prinzen, Riesen geht weiter. Die ganze Nacht lang, bis früh den in Morgen, und dann wieder von Neuem. Er wird immer gewonnen und niemals beendet, und in diesem ewigen Rhythmus weitergeführt werden, ob nun als Puppenspiel eines Dalangs oder als Spiel von Schauspielern, Clowns und Sängern - und Amin?
"Um es die ganze Nacht durchzuhalten, braucht man magische Kräfte. Die Menschen glauben, ein Dalang verfügt über magische Kräfte. Wir glauben, diese magischen Kräfte kommen von Gott."
"Ich bin ein Dalang, ein Puppenspielmeister. Wenn ich die Figuren führe, bin ich glücklich. Deshalb halte es eine ganze Nacht lang durch. Und wenn die Geschichte voller Kraft ist, dann ist auch das Publikum fasziniert. Die alten Dalangs mögen noch über magische Kräfte verfügt haben, aber heutzutage gebrauche ich keine Magie, ich brauche nur eine gute alte Geschichte."
Wayang-Kulit, Wayang bedeutet Schatten, Kulit heißt Leder: Spiel mit dem Schatten flächiger Lederpuppen. Die Bühne ist ein umrahmtes Leintuch. Lampen werfen Licht, die Figuren aus farbig bemaltem Leder sparen Schatten aus. Götter, Prinzen, böse Riesen im Profil - zu erkennen an der wohlgeformten Nase und einer fiesen flachen Stirn - oder auch ein edler Ritter auf seinem Ross.
Amin, der junge Englischlehrer, hatte mir es noch geraten, hierher zu kommen - und ich? Hatte mich auf den Weg gemacht, über eine staubige Straße in einen nördlichen Vorort, wo das Donnern von Lastwagen das stetige Grummeln noch übertönt. Ich wollte schon umkehren, als dann ein erster Tempelbau das weite Gelände der Hochschule der darstellenden Künste von Solo ankündigte, der Ort, an dem die Dalangs, die Meister des Wayang, herangebildet werden, die Tänzer, Musiker, Puppenspieler: die Schattenkünstler.
Schattenspiele am hellichten Tag. In dem Übungsaal der Puppenspieler. Professor Joko San Buso übergibt den Stab und die Stöckchen, womit Arme und Beine bewegt werden, an seinen Studenten, den Takt, wonach das Pferd und Reiter auf und ab schwingen, gibt er vor. Der Rhythmus im Lederpuppenspiel aber ist die immer wieder kehrende Geschichte.
"Ein Dalang versucht dem Publikum zu zeigen, dass in uns Seite an Seite gute und schlechte Eigenschaften stecken. Dabei ist es egal, dass die Geschichten 2000 Jahre alt sind, Wayang erteilt auch der heutigen Generation Lehren. Denn durch Wayang kann man verstehen, worin sich unsere guten und schlechten Eigenschaften unseres Charakters offenbaren."
In den Spiegeln des Tanzsaals der Hochschule für darstellende Kunst in Solo verdoppeln sich die Bewegungen der Jungen und Mädchen, werden vervierfacht, in ein teilbares Unendliche reflektiert.
Spaß machen die eleganten traditionellen Tänze, bestätigen die Studenten. Aber schwierig sind sie ...
"Das erste, was unsere Schüler lernen, ist die Grundstellung der Arme und Beine. Anfangs ist es schwer, das Gleichgewicht zu halten. Männer strecken die Füße seitwärts, die Arme weit nach vorn. Für Frauen ist es noch schwerer, es muss besonders graziös aussehen, elastisch, biegsam, und Aufmerksamkeit sowie Bewusstsein sind ebenfalls sehr wichtig."
Die Schüler im Spiegelsaal beugen, biegen, strecken sich, unendlich gespiegelt werden ihre oft noch eigenwilligen Bewegungen synchronisiert. Hier im Saal. Und anderswo, etwa in der Disko?
"Kultur prägt den Charakter der Menschen. Die Höflichkeit im Umgang miteinander, die Achtung vor den Älteren, der Respekt den Anderen gegenüber basieren auf einer lebendigen Kultur, und die zeigt sich im ästhetischen Empfinden. Ästhetik ist die Grundlage jeden moralischen Empfindens. Tanz ist nicht bloß ästhetisch zu betrachten, darin zeigt sich unser Charakter und unsere Moral, denn er ist ein Symbol für unsere Gebräuche."
Wayang - Schatten, Orang - Mensch. Ziel der Bewegung, ein Schatten-Mensch zu sein. "Das ist der Kultur von Solo", bestätigt ein Schüler, "die Tradition der Paläste des alten Surakarta".
Wasi Wen Dolo ist der Tanzlehrer an der Hochschule der darstellenden Künste von Solo. Er ist selbst noch ein junger Mann.
"Die Erfordernisse der Wirtschaft, die harte Arbeit für ein besseres Leben sind sicher wichtig, aber wir brauchen auch die Kultur, den Tanz, die Gamelan-Musik. Sie bringen uns zur Ruhe, lassen uns nicht emotional aufbrausen. Manchmal brauchen wir etwas, um innerlich zur Ruhe zu kommen, wieder bescheiden zu werden, um uns wieder einem tiefen inneren Gefühl hingeben zu können."
Gongs, goldene Resonanztöpfe, Xylophone, Studenten mit Stöcken und Klöppeln. Ein Gamelan-Orchester besteht ausschließlich aus Schlaginstrumenten.
Professor Prasad Janto unterrichtet Gamelan. Im großen Konzertsaal der Hochschule für darstellende Kunst sucht ein Orchester aus Studenten nach dem richtigen Ton. Folgt dem Rhythmus der Geschichte, den Bewegungen der Tänzer, nun eine Melodie?
"Im Gamelan folgen wir einem Leitmotiv, der Grundmelodie. Aber das wichtigste ist die Art, in welcher die Dekorationsinstrumente sie umweben. Die Melodie kann von der Vorgabe abweichen, sie ist nicht wirklich wichtig."
In einem der vielen kleinen Musiksäle steht Student Lanjar mit seinem Kommilitonen. Es gibt, so weiß er, zwei traditionelle Tonfolgen, Belok und Slendro. Doch worin liegt der Unterschied?
Lanjar berät sich mit einem Mitstudenten: Der Unterschied, nun ja, vielleicht oder doch eher so.
"Es gibt zwei Tonfolgen im Gamelan, Slendro und Belok. Aber eigentlich sind die Tonleitern ohnedies unbedeutend, denn jedes Gamelan-Instrument hat seinen eigenen Klang, selbst wenn sie nach den Systemen des Slendro oder Belok gespielt werden."
Lanjar, der Student, steht vor einer weißen Plastik-Tafel, Zahlenreihen darauf. Mathematische Formeln?
Notenschreibung, sagt Lanjar, sie gibt den Takt vor.
"In westlicher Musik liegt die Betonung auf dem ersten Ton, bei uns auf der Vier."
"Aber eigentlich kümmern wir uns nicht sehr um den Rhythmus, javanische Musik benutzt keine festgelegten Rhythmen. Sie folgt einigen ausgeklügelten Grundmustern. Ein Muster kann man auf etliche unterschiedliche Arten spielen, wichtig ist, dass der Eindruck einheitlich bleibt."
Im Musiksaal hocken sich Lanjar und sein Kommilitone ans Xylophon und die Trommel, und üben.
"Ein Musikstück ist im javanischen Gamelan ein Produkt der Gegenwart, dem Hier und Jetzt, wobei die Stimmung der Musiker den Ausdruck der Musik bestimmt. Der Ausdruck von Musik kann umgekehrt die Stimmung in Raum und Zeit beeinflussen. Wir Menschen haben keinen Einfluss auf die Zeit, in der, und dem Raum, in dem wir leben. Doch die Töne, aber auch Lärm und Krach, stammen von uns. Wenn wir bei der Erzeugung von Klängen immer bewusst vorgingen, würde das Universum im Frieden leben. Unser Einfluss ist begrenzt, aber wir Musiker bemühen uns darum, eine Einheit herzustellen zwischen Raum, Zeit, Klang."
Der Rhythmus ist auf die Straße zurückgekehrt: heute heißt es in Solo: Mopeds und Limousinen weg da, für ein paar Stunden wird die Stadt beherrscht von Löwen, Drachen, Fratzen, wilden Tänzern.
"Tanz ist uns sehr wichtig. Jede Bewegung ist rituell bedeutungsvoll: Ob im Wald, auf dem Feld, im Dorf oder im Kraton, dem Palast. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen dem Charakter des Palastes und des Dorfes. Der Tanz des Palastes ist sanft, elegant, auch er hat Feuer, aber es zeigt sich in seiner vollständigen Zügelung. Der Volkstanz hingegen ist sehr ausdrucksstark, expressiv, schnell, fast schon Techno: Feuer."
Die Städter säumen die Straßen, um dem Umzug der Wilden immer näher kommt. Kinder fürchten sich vor den Grimassen, Eltern zücken Fotoapparate, halten beides fest, die Tollheit der Tänzer und die Angst der Kinder. Denen rufen sie zu: Geht näher rann, wovor habt ihr Angst, es sind bloß Masken, da stecken Menschen drunter, wie wir. Die tun nur so wild.
Einmal im Jahr holt der Tanzlehrer Suprapto Suryodarmo die Tänze des Dorfes in die Stadt der Paläste - und der Mann mit dem ergrauten Pferdeschwanz spricht vom Schatten, von dem mächtigen Schatten der Shopping-Centers, der über Solo liegt.
"Tradition hatte sich immer neuen Einflüssen geöffnet, woraus Neues entstand. Aber heute gehen die Veränderungen durch mit dem überfallartigen Einflüssen von Außen ungeheuerlich schnell vonstatten. Die Shopping-Malls, so glitzernd, sind übermächtig geworden, und der Druck der Anpassung an das moderne städtische Leben wird immer stärker. Doch ohne eigene Kultur kann der Druck auf die Menschen nicht mehr ausgedrückt werden."
Und dann werden die Kinder mutig, machen sich rann, machen mit, solange, bis die Wilden mit ihren Trommeln Schellen Masken vorbeigezogen sind, und dahinter schon wieder die Mopeds und Limousinen auf freie Bahn lauern zwischen den festungsartigen Betonfassaden der Geschäfte und Kaufhäuser.
Noch einmal zieht der Schatten des Dorfes über die Straße. Da läßt sich ein mächtig-dicker Sänger mit seiner Band auf einem offenen Wagen durch die Straße ziehen, und Tänzerinnen wiegen, strecken, springen in graziösen Bewegungen zwar, aber ganz schön aufdringlich zwischen den Menschen - und die Zuschauer? Die wissen gar nicht mehr so recht, ob sie nur bloße Zuschauer sind.
"Die Kultur Javas ist ein Synkretismus, eine Verbindung gegensätzlicher Lehren: Hinduismus, Buddhismus, Islam, Ahnenkult. Ich bin ein Beispiel dafür: Ich bin als Muslim geboren worden, sehe mich aber als Buddhist, während meine Familie weiterhin gläubige Muslime sind. Und manchmal bete ich immer noch die islamische Gebete und verbeuge mich. Denn das Gebet ist im Grunde nichts weiter, als eine wunderschöne rituelle Geste. Es ist ein Tanz, der die inneren Gefühle ausdrückt."
Auf der Straße wieder das Grummeln, das dem Rhythmus von Ampelschaltungen folgt - und ich? Will es nun wissen, wie er ist, der Rhythmus einer Stadt.
Der Dreiklang aus Motorrädern, Shopping-Center, Muezzin - Ampelschaltungen, Bedienungsprogramme von Spielautomaten, fünfmal tägliches Gebetsrufen - und Yasuda, Musiker und Performance-Künstler aus Solo, hat ihn, den Rhythmus von Solo.
"Eine Zindre, eine hohe javanische Frauenstimme, singt noch ganz sanft, aber der Rhythmus ist schon sehr hämmernd."
Wie kommt man eigentlich dazu, in einer Stadt einen Rhythmus suchen zu wollen? Heutzutage, wo doch in allen halbwegs größeren Orten jegliche Klänge von einem stetigen Grummeln übertönt werden. Das ist auch in Solo nicht anders, das Grummeln ist überall, in der ganzen Stadt, sogar mittendrin.
"In Solo gibt es zwei Paläste. Der König hat keine politische Macht mehr, aber die Menschen glauben, dass die Paläste immer noch das Zentrum der Kultur sind."
Wie also komme ich auf die Idee, den Rhythmus einer Stadt ausgerechnet in Solo finden zu wollen, wo doch auch die alte Sultansstadt im Zentrum Javas, beherrscht wird vom diesem Grummeln, selbst um den Palast des Königs herum.
"Es gibt besondere kultische Zeremonien, die regelmäßig vom König ausgeführt werden müssen. Im ersten Monat des javanischen Kalenders muss er ausgerüstet mit heiligen Waffen den Palast sieben Mal umrunden. Dabei folgen ihm weiße Büffel. Menschen sammeln die Büffelfladen auf. Sie glauben, sie sind von Gott gesegnet und bescheren eine gute Ernte, wenn man sie auf die Reisefelder wirft."
Amin, der junge Englischlehrer aus Solo, war es, der - ohne es zu ahnen - in mir die Frage aufwarf, ob Städte Rhythmus haben. Und Amin ist es, der mir - in voller Absicht - verheißt, dass man die Antwort in Solo finden könne. Die Suche beginnt am Königspalast, um dessen Mauern brausen Motorräder, Mopeds, rattern ihre Zweitakt-Motoren, deren Rhythmus richtet sich nach Ampelschaltungen - und Amin spricht von Tieren.
"Für mich ist das Unfug. Das ist Tierkot und Tiere können auf mich keine Zauberkräfte ausüben."
Amin habe ich am Königspalast getroffen. Er stammt aus Solo, es ist seine Stadt, und er will sie mir zeigen. Solo hat eine halbe Million Einwohner, am Rande Industrie, in den Wohnvierteln Werkstätten, in der Innenstadt Geschäfte.
"Solo war eine Hochburg der Aufstände von 1998 gegen das Militärregime. Die Unruhe hatte sich hochgeschaukelt. Die Menschen demonstrierten, brannten Regierungsgebäude nieder und schließlich fast alle Geschäfte, die von Chinesen betrieben wurden. Die Javaner waren angestachelt vom Neid, denn die Chinesen sind wohlhabend."
Unser Weg führt vom Palast zunächst ins Zentrum. In den Einkaufsstraßen Warenhäuser und Shopping-Malls. Unten Schaufenster, die oberen Stockwerke verbergen sich hinter glatten Betonfassaden ohne Fenster.
"Die Geschäfte der Chinesen sind nun wieder aufgebaut, sie sehen aus wie Festungen. Sie schützen sich aus Angst vor neuen Aufständen."
Im größten Kaufhaus von Solo unten die Handy-Abteilung und im obersten Stockwerk geben Spielautomaten den Rhythmus vor: Toreschießen, Autojagden, Ballerei, Spielerei - und Amin, der javanesischer Javaner ist, spricht von zügelloser Leidenschaft.
"Ob es eine Verbindung gibt, zwischen den vielen Vulkanen auf unserer Insel und dem Verhalten der Menschen? Da bin ich nicht so sicher. Der Gewaltausbruch war Fundamentalismus. Es ist nicht gut, seine Gefühle auf diese Art auszudrücken."
Fünfmal am Tag werden die Motoren von der Gebetsaufforderung der Muezzine übertönt. Indonesien ist heute das größte moslemische Land, auf Java bestanden bis zum 15. Jahrhundert etliche hinduistische Königreiche, Solo war die Hauptstadt eines der größten.
Amin hat mich in das historische Museum von Solo geführt. Darin Schätze aus der vormoslemischen Zeit: Schwerter, Skulpturen, Schattenpuppen.
Dann gehen wir in den Hinterhof des Museums. Aus dem flachen Bau dringt der sanfte rhythmische Ton von Gebetsgemurmel.
"Hier findet eine Zeremonie statt. Verheiratete Paare, unter denen Unstimmigkeiten herrschen, werden wieder zusammengebracht. Javaner glauben, dass der Zeitpunkt der Geburt den Charakter eines Menschen bestimmt. Wenn zwei Menschen heiraten, die nach dem javanischen Horoskop nicht zusammenpassen, widerfährt ihnen Böses. Das aber kann behoben werden, wenn man diese Zeremonie durchläuft."
Der Museumsdirektor und ein Imam sind die Zeremonienmeister. Vor ihrem Büro warten die Ehepaare auf Einlass.
Die Zeremonie ist kurz, besteht aus einem Gespräch des Imans und Museumsdirektor mit den Ehepartnern, einem gemeinsamen Gebet und Glückwünsche.
"Die Zeremonie endet mit der Opfergabe von Blumen und Früchten. Das ist typisch javanisch, aber das Hochzeitsgebet wird von dem Imam auf Arabisch gesprochen. Es ist eine Verbindung von Hinduismus, Buddhismus einerseits und den Lehren des Islam."
Abschließend übergibt jedes Ehepaar den beiden Zeremonienmeistern eine ganz besondere Frucht - und Amin bemüht die Ökonomie.
"Die Königsbanane ist die wichtigste Frucht in dieser Zeremonie. Man muss eine komplette Hand kaufen, die eine ungerade Zahl von Bananen aufweist. Es sind Glücks bringende Bananen.
Glücks bringend für den Händler, der natürlich weiß, dass wir sie für eine Zeremonie kaufen, und er so den Preis verdoppeln kann - und Glücks bringend für die Menschen. Eine Win-Win-Situation: Wir brauchen sie, er hat sie, und alle profitieren von ihr."
Büffelfladen, Vulkane und Wunderbananen; und der Rhythmus von Ampelschaltungen, Spielautomaten und Gebeten - und Amin? Der bringt mich schließlich ins Theater.
Im Theater ist Amin jeden Samstagabend, beim Wayang Orang: Wayang bedeutet Schatten, Orang heißt Mensch - Theater mit Schauspielern. Draußen an der Kasse ein buntes Plakat: Götter, Prinzen, Riesen.
Im Foyer ein Kommen und Gehen, im Theatersaal gereihte Köpfe im Schattenriß. Vor der Bühne ein Orchester, auf der Bühne Götter, Prinzen, Riesen.
"Die moslemischen Herrscher haben die Wayang-Geschichten an islamische Lehren angepaßt. Moslems können sich ohne Probleme am Wayang-Theater erfreuen, obwohl es auf Hinduismus und Buddhismus beruht. All die unzähligen hinduistischen Götter treten immer noch im javanischen Wayang-Theater auf, aber sie unterstehen dem einen, obersten Gott, Allah, der selbst nie in Erscheinung tritt."
Auf der Bühne ist das Personal in Bewegung. Arm- und Beinstellungen deuten Aktionen an, Handstellungen Überlegenheit: Kräfte kommen nur andeutungsweise zum Ausdruck - als Schatten göttlicher Fügung.
"Der Prinz meditiert, um die Hilfe der Götter zu erlangen. Doch böse Riesen wollen ihn stören. Aber der Prinz wird Erfolg haben. Das ist die Botschaft an das Publikum: Das Böse gewinnt niemals, das Gute immer."
Prinz und Prinzessin nun vereint, eine Schlacht ist geschlagen, doch der Krieg der Andeutungen ist noch nicht gewonnen.
"Eine Vorführung des Wayang beginnt um neun Uhr abends und endet um fünf Uhr morgens. Das ist sehr anstrengend für die Schauspieler und die Zuschauer. Ein Dalang, ein Puppenspielmeister zu sein, ist auch nicht leicht. Acht Stunden muss er sitzenbleiben, dabei sprechen und die Puppen in beiden Händen gleichzeitig führen."
Der Schatten-Krieg der angedeuteten Kräfte zwischen Göttern, Prinzen, Riesen geht weiter. Die ganze Nacht lang, bis früh den in Morgen, und dann wieder von Neuem. Er wird immer gewonnen und niemals beendet, und in diesem ewigen Rhythmus weitergeführt werden, ob nun als Puppenspiel eines Dalangs oder als Spiel von Schauspielern, Clowns und Sängern - und Amin?
"Um es die ganze Nacht durchzuhalten, braucht man magische Kräfte. Die Menschen glauben, ein Dalang verfügt über magische Kräfte. Wir glauben, diese magischen Kräfte kommen von Gott."
"Ich bin ein Dalang, ein Puppenspielmeister. Wenn ich die Figuren führe, bin ich glücklich. Deshalb halte es eine ganze Nacht lang durch. Und wenn die Geschichte voller Kraft ist, dann ist auch das Publikum fasziniert. Die alten Dalangs mögen noch über magische Kräfte verfügt haben, aber heutzutage gebrauche ich keine Magie, ich brauche nur eine gute alte Geschichte."
Wayang-Kulit, Wayang bedeutet Schatten, Kulit heißt Leder: Spiel mit dem Schatten flächiger Lederpuppen. Die Bühne ist ein umrahmtes Leintuch. Lampen werfen Licht, die Figuren aus farbig bemaltem Leder sparen Schatten aus. Götter, Prinzen, böse Riesen im Profil - zu erkennen an der wohlgeformten Nase und einer fiesen flachen Stirn - oder auch ein edler Ritter auf seinem Ross.
Amin, der junge Englischlehrer, hatte mir es noch geraten, hierher zu kommen - und ich? Hatte mich auf den Weg gemacht, über eine staubige Straße in einen nördlichen Vorort, wo das Donnern von Lastwagen das stetige Grummeln noch übertönt. Ich wollte schon umkehren, als dann ein erster Tempelbau das weite Gelände der Hochschule der darstellenden Künste von Solo ankündigte, der Ort, an dem die Dalangs, die Meister des Wayang, herangebildet werden, die Tänzer, Musiker, Puppenspieler: die Schattenkünstler.
Schattenspiele am hellichten Tag. In dem Übungsaal der Puppenspieler. Professor Joko San Buso übergibt den Stab und die Stöckchen, womit Arme und Beine bewegt werden, an seinen Studenten, den Takt, wonach das Pferd und Reiter auf und ab schwingen, gibt er vor. Der Rhythmus im Lederpuppenspiel aber ist die immer wieder kehrende Geschichte.
"Ein Dalang versucht dem Publikum zu zeigen, dass in uns Seite an Seite gute und schlechte Eigenschaften stecken. Dabei ist es egal, dass die Geschichten 2000 Jahre alt sind, Wayang erteilt auch der heutigen Generation Lehren. Denn durch Wayang kann man verstehen, worin sich unsere guten und schlechten Eigenschaften unseres Charakters offenbaren."
In den Spiegeln des Tanzsaals der Hochschule für darstellende Kunst in Solo verdoppeln sich die Bewegungen der Jungen und Mädchen, werden vervierfacht, in ein teilbares Unendliche reflektiert.
Spaß machen die eleganten traditionellen Tänze, bestätigen die Studenten. Aber schwierig sind sie ...
"Das erste, was unsere Schüler lernen, ist die Grundstellung der Arme und Beine. Anfangs ist es schwer, das Gleichgewicht zu halten. Männer strecken die Füße seitwärts, die Arme weit nach vorn. Für Frauen ist es noch schwerer, es muss besonders graziös aussehen, elastisch, biegsam, und Aufmerksamkeit sowie Bewusstsein sind ebenfalls sehr wichtig."
Die Schüler im Spiegelsaal beugen, biegen, strecken sich, unendlich gespiegelt werden ihre oft noch eigenwilligen Bewegungen synchronisiert. Hier im Saal. Und anderswo, etwa in der Disko?
"Kultur prägt den Charakter der Menschen. Die Höflichkeit im Umgang miteinander, die Achtung vor den Älteren, der Respekt den Anderen gegenüber basieren auf einer lebendigen Kultur, und die zeigt sich im ästhetischen Empfinden. Ästhetik ist die Grundlage jeden moralischen Empfindens. Tanz ist nicht bloß ästhetisch zu betrachten, darin zeigt sich unser Charakter und unsere Moral, denn er ist ein Symbol für unsere Gebräuche."
Wayang - Schatten, Orang - Mensch. Ziel der Bewegung, ein Schatten-Mensch zu sein. "Das ist der Kultur von Solo", bestätigt ein Schüler, "die Tradition der Paläste des alten Surakarta".
Wasi Wen Dolo ist der Tanzlehrer an der Hochschule der darstellenden Künste von Solo. Er ist selbst noch ein junger Mann.
"Die Erfordernisse der Wirtschaft, die harte Arbeit für ein besseres Leben sind sicher wichtig, aber wir brauchen auch die Kultur, den Tanz, die Gamelan-Musik. Sie bringen uns zur Ruhe, lassen uns nicht emotional aufbrausen. Manchmal brauchen wir etwas, um innerlich zur Ruhe zu kommen, wieder bescheiden zu werden, um uns wieder einem tiefen inneren Gefühl hingeben zu können."
Gongs, goldene Resonanztöpfe, Xylophone, Studenten mit Stöcken und Klöppeln. Ein Gamelan-Orchester besteht ausschließlich aus Schlaginstrumenten.
Professor Prasad Janto unterrichtet Gamelan. Im großen Konzertsaal der Hochschule für darstellende Kunst sucht ein Orchester aus Studenten nach dem richtigen Ton. Folgt dem Rhythmus der Geschichte, den Bewegungen der Tänzer, nun eine Melodie?
"Im Gamelan folgen wir einem Leitmotiv, der Grundmelodie. Aber das wichtigste ist die Art, in welcher die Dekorationsinstrumente sie umweben. Die Melodie kann von der Vorgabe abweichen, sie ist nicht wirklich wichtig."
In einem der vielen kleinen Musiksäle steht Student Lanjar mit seinem Kommilitonen. Es gibt, so weiß er, zwei traditionelle Tonfolgen, Belok und Slendro. Doch worin liegt der Unterschied?
Lanjar berät sich mit einem Mitstudenten: Der Unterschied, nun ja, vielleicht oder doch eher so.
"Es gibt zwei Tonfolgen im Gamelan, Slendro und Belok. Aber eigentlich sind die Tonleitern ohnedies unbedeutend, denn jedes Gamelan-Instrument hat seinen eigenen Klang, selbst wenn sie nach den Systemen des Slendro oder Belok gespielt werden."
Lanjar, der Student, steht vor einer weißen Plastik-Tafel, Zahlenreihen darauf. Mathematische Formeln?
Notenschreibung, sagt Lanjar, sie gibt den Takt vor.
"In westlicher Musik liegt die Betonung auf dem ersten Ton, bei uns auf der Vier."
"Aber eigentlich kümmern wir uns nicht sehr um den Rhythmus, javanische Musik benutzt keine festgelegten Rhythmen. Sie folgt einigen ausgeklügelten Grundmustern. Ein Muster kann man auf etliche unterschiedliche Arten spielen, wichtig ist, dass der Eindruck einheitlich bleibt."
Im Musiksaal hocken sich Lanjar und sein Kommilitone ans Xylophon und die Trommel, und üben.
"Ein Musikstück ist im javanischen Gamelan ein Produkt der Gegenwart, dem Hier und Jetzt, wobei die Stimmung der Musiker den Ausdruck der Musik bestimmt. Der Ausdruck von Musik kann umgekehrt die Stimmung in Raum und Zeit beeinflussen. Wir Menschen haben keinen Einfluss auf die Zeit, in der, und dem Raum, in dem wir leben. Doch die Töne, aber auch Lärm und Krach, stammen von uns. Wenn wir bei der Erzeugung von Klängen immer bewusst vorgingen, würde das Universum im Frieden leben. Unser Einfluss ist begrenzt, aber wir Musiker bemühen uns darum, eine Einheit herzustellen zwischen Raum, Zeit, Klang."
Der Rhythmus ist auf die Straße zurückgekehrt: heute heißt es in Solo: Mopeds und Limousinen weg da, für ein paar Stunden wird die Stadt beherrscht von Löwen, Drachen, Fratzen, wilden Tänzern.
"Tanz ist uns sehr wichtig. Jede Bewegung ist rituell bedeutungsvoll: Ob im Wald, auf dem Feld, im Dorf oder im Kraton, dem Palast. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen dem Charakter des Palastes und des Dorfes. Der Tanz des Palastes ist sanft, elegant, auch er hat Feuer, aber es zeigt sich in seiner vollständigen Zügelung. Der Volkstanz hingegen ist sehr ausdrucksstark, expressiv, schnell, fast schon Techno: Feuer."
Die Städter säumen die Straßen, um dem Umzug der Wilden immer näher kommt. Kinder fürchten sich vor den Grimassen, Eltern zücken Fotoapparate, halten beides fest, die Tollheit der Tänzer und die Angst der Kinder. Denen rufen sie zu: Geht näher rann, wovor habt ihr Angst, es sind bloß Masken, da stecken Menschen drunter, wie wir. Die tun nur so wild.
Einmal im Jahr holt der Tanzlehrer Suprapto Suryodarmo die Tänze des Dorfes in die Stadt der Paläste - und der Mann mit dem ergrauten Pferdeschwanz spricht vom Schatten, von dem mächtigen Schatten der Shopping-Centers, der über Solo liegt.
"Tradition hatte sich immer neuen Einflüssen geöffnet, woraus Neues entstand. Aber heute gehen die Veränderungen durch mit dem überfallartigen Einflüssen von Außen ungeheuerlich schnell vonstatten. Die Shopping-Malls, so glitzernd, sind übermächtig geworden, und der Druck der Anpassung an das moderne städtische Leben wird immer stärker. Doch ohne eigene Kultur kann der Druck auf die Menschen nicht mehr ausgedrückt werden."
Und dann werden die Kinder mutig, machen sich rann, machen mit, solange, bis die Wilden mit ihren Trommeln Schellen Masken vorbeigezogen sind, und dahinter schon wieder die Mopeds und Limousinen auf freie Bahn lauern zwischen den festungsartigen Betonfassaden der Geschäfte und Kaufhäuser.
Noch einmal zieht der Schatten des Dorfes über die Straße. Da läßt sich ein mächtig-dicker Sänger mit seiner Band auf einem offenen Wagen durch die Straße ziehen, und Tänzerinnen wiegen, strecken, springen in graziösen Bewegungen zwar, aber ganz schön aufdringlich zwischen den Menschen - und die Zuschauer? Die wissen gar nicht mehr so recht, ob sie nur bloße Zuschauer sind.
"Die Kultur Javas ist ein Synkretismus, eine Verbindung gegensätzlicher Lehren: Hinduismus, Buddhismus, Islam, Ahnenkult. Ich bin ein Beispiel dafür: Ich bin als Muslim geboren worden, sehe mich aber als Buddhist, während meine Familie weiterhin gläubige Muslime sind. Und manchmal bete ich immer noch die islamische Gebete und verbeuge mich. Denn das Gebet ist im Grunde nichts weiter, als eine wunderschöne rituelle Geste. Es ist ein Tanz, der die inneren Gefühle ausdrückt."
Auf der Straße wieder das Grummeln, das dem Rhythmus von Ampelschaltungen folgt - und ich? Will es nun wissen, wie er ist, der Rhythmus einer Stadt.
Der Dreiklang aus Motorrädern, Shopping-Center, Muezzin - Ampelschaltungen, Bedienungsprogramme von Spielautomaten, fünfmal tägliches Gebetsrufen - und Yasuda, Musiker und Performance-Künstler aus Solo, hat ihn, den Rhythmus von Solo.
"Eine Zindre, eine hohe javanische Frauenstimme, singt noch ganz sanft, aber der Rhythmus ist schon sehr hämmernd."