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Der Ring der Goethestadt

Wagners Ring ist ein besonderer Kraftakt für ein Opernhaus. Und gerade kleinere und mittlere Häuser wie in Bonn, Dortmund oder Detmold haben in letzter Zeit auf diese Weise ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Das traditionelle Weimarer Musiktheater setzte nun mit dem "Siegfried" seinen Ring als Familiensaga, Politthriller und Mythenentwurf fort.

Von Dieter David Scholz |
    Wo hätte man je einen Mime je in der Kittelschürze und mit Dutt? Als Charlotte von Mahlsdorf tritt er auf. Frieder Aurich leiht ihm seine Stimme. Mime als Transvetit, eine respektable schauspielerische Leistung, auch stimmlich überzeugend. Regisseur Michael Schulz, Operndirektor am DNT Weimar und designierter Generalintendant am Musiktheaters im Revier in Gelsenkirchen, läßt es an gewitzter, ironischer Personenführung nicht mangeln. Das hat er schon in den beiden ersten Abenden des Rings deutlich gemacht. Seinem Konzept gemäß zeigt er auch den "Siegfried " als Familiensaga, Politthriller und Mythenentwurf aus dem Menschlich-Allzumenschlichen heraus. Er entwickelt auch diesen zweiten Abend der Wagnerschen Tetralogie ganz aus dem Alltäglichen, dem uns heute Vertrauten, das spielerisch, theatralisch, auch ironisch die große Wagnersche Geschichte von der Welt Anfang und Ende in heutigen Bildern erzählt. Kinder-Familienzauber ist es, den Michael Schulz entfesselt, auf weitgehend leerer Bühne. Im Siegfried macht er Theater auf dem Theater. Er zeigt das Stück als Zeitreise zwischen Kindheit, Erwachsenwerden, Muttersuche und erstem Liebeserlebnis.

    Auch wenn die Schmiedeszene Siegfrieds am Küchentisch eher verlegen war, obwohl die heikelsten handwerklichen Schmiededetails noch hinterm Küchenfenster erledigt wurden: Selbst begabte, große Regisseure sind daran schon gescheitert. Auch das mit dem Drachen war in der Weimarer Neuinszenierung nicht ganz überzeugend. Man sieht zwar schon vorab, wie Fafner ein Zimmer mit Geldsäcken füllt und sich darin badet. Folgerichtig wird er selbst zum Geldsack: Eine Mischung aus Buddha, Bacchus und gigantischer Speckfalten-Krinoline. Dieser Fettsack tritt also zum Drachenkampf an. Glaubwürdig ist das szenisch nicht. Wenn auch gut gedacht. Wie im Grunde die ganze Inszenierung. Sie ist, von diesen beiden Szenen abgesehen, durchaus schlüssig. Es gibt allerhand stumme Darsteller, die Götter Donner und Froh beispielsweise, es gibt wie schon in Rheingold und Walküre einige Kinder, die auf die Zukunft verwiesen, wobei der Einfall, Alberichs Sohn Hagen - der in der Götterdämmerung Siegfried töten wird - schon ins Spiel zu bringen, sehr einleuchtend ist. Warum Brünhildes Pferd Grane allerdings als alte Frau auftritt, und in der Schlussszene gleich mit drei Doppelgängerinnen, bleibt rätselhaft. Waldvögel gibt es auch gleich mehrere, fünft an der Zahl, wenn ich richtig gezählt habe, sie traten als leichte Mädchen auf. Wunschphantasien des pubertierenden Siegfried, der übrigens wirklich als das gezeigt wird, was er ist, ein ungehobelter, brutaler Prolet der Zukunft. Im dritten Akt beweist Regis¬seur Michael Schulz dann seine Qualitäten mit bewegenden Bildern. Eine ganze Theaterbühne mit Portal und Vorhang fährt zum Auftritt der Urmutter Erda sich drehend auf die Bühne. Und wenn ihr hinterer Laufsteg schließlich zum Hochzeitstisch von Siegfried und Brünnhilde wird, an dem das ungleiche Paar seine Scham, seine Unschuld, seine erotische Unerfahrenheit, auch seine Angst debattiert, um schließlich in pubertären Albereien unterm Tisch zu enden, dann hat das soviel Witz, Charme und psychologische Überredungskraft, dass man alle fragwürdigen Momente der Inszenierung vergisst.

    Zumal auch die sängerische Besetzung bis auf eine Ausnahme vorzüglich genannt werden darf. Eine eklatante Fehlbesetzung war der Wanderer, also der umherschweifende Wotan, den Tomas Möwes sang. Seine Stimme ist für diese Partie viel zu klein, zu hell, auch zu erschöpft inzwischen. Die ganze Heldenbariton-Autorität der Partie blieb aus. Die Figur verliert ihre Glaubwürdigkeit. An ihr fehlte es Nadine Weissmann nicht. Sie sang eine kontraalt-profunde Urmutter Erda. Und sie hatte einen der schönsten Auftritte in dieser Insze¬nierung. Fabelhat war auch der Alberich von Mario Hoff. Alles in allem eine vorzügliche Ensembleleistung, die von der hauseigenen Hochdramatischen Catherine Foster als Brünnhilde gekrönt wurde. Eine imposante Stimme. Sie hat fast Nilsson-Format. Mit konkurrenzlosen Spitzentönen, und dabei ein warmer und anrührend mädchenhafter Sopran, der auch des Lyrischen fähig ist.

    Ein Glücksfall für das Publikum war sicher das Pech, dass der hauseigene Tenor John Keyes wegen einer Verletzung ausfiel und ersetzt werden musste. Für ihn sprang zwei Tage vor der Premiere Stefan Vinke ein, der zu den international gefragten jungen Shootingstars im Heldentenorfach zählt. Er offenbarte zwar im ersten Akt allerhand gesangstechnische Probleme, die zu sehr unschönen Ergebnissen führten, aber im dritten Akt drehte hatte er sich frei gesungen und das finale Liebesduett (wenn man es so nennen darf) von Siegfried und Brünnhilde wurde zu einem Triumph für beide Sänger. Einen Triumph feierte auch der GMD des DNT Weimar, Carl St. Clair. In der nächsten Spielzeit wird er zur Komischen Oper Berlin wechseln. Das DNT Weimar verliert damit einen überragenden, einen so sensiblen wie kraftvoll disponierenden, klugen Wagnerdirigent. Wie schon in den zwei ersten Abenden der Tetralogie demonstriert er auch mit dem Siegfried großes Format. Fern aller konventionellen Wagnertümeleien, die Tempi sind straff, da ist nichts breit oder weihevoll. Der Orchesterklang ist transparent, die Orchesterfarben leuchten. Die Staatskapelle spielt brillant. Dieser Ring ist musikalisch Spitzenklasse. Es muß nicht immer Bayreuth sein!