Archiv


Der Ruf nach der Schutzmacht Österreich

Die Resolution der 113 Bürgermeister schlug in Rom ein wie eine Bombe: In der neuen Österreichischen Verfassung, heißt es da, solle sich die Alpenrepublik zur Schutzmacht Südtirols erklären und dessen Selbstbestimmungsrecht garantieren. Die Empörung ist groß – gilt doch das Südtiroler Autonomiestatut aus dem Jahre 1972 als besonders vorbildlich. Nun droht das Thema zur Munition im italienischen Wahlkampf zu werden. Michael Brandt berichtet.

    Der Initiator der Petition heißt Elmar Pichler Rolle - und er hat in Südtirol gleich zwei wichtige Funktionen. Erstens ist er der stellvertretende Bürgermeister der Provinzhauptstadt Bozen; und zweitens Chef der SVP, der Südtiroler Volkspartei. Er hat den Text der Petition allen anderen Bürgermeistern in Südtirol geschickt - und 113 von 116 haben unterschrieben. Jetzt sagt er zwar, die Schutzmachtklausel sei nur eine Tür für die Südtiroler, die sie im Notfall geöffnet wissen wollen, aber im Hintergrund steht die im Augenblick sehr hypothetische Frage, was wäre, wenn Italien die Autonomie von Südtirol abschaffen würde.

    "Wenn ein Südtiroler Bürger sieht, dass sich möglicherweise die italienische Verfassung ändert, dann sind wir natürlich ein wenig alarmiert. Was wäre, wenn es der italienischen Politik in den Kopf käme, etwas an unserem Autonomiestatus zu ändern?"

    Die Vereinbarung zur Südtiroler Autonomie hat bis heute sehr gut funktioniert; Südtirol, auf italienisch "Alto Adige", das obere Etschtal, ist zu einer der wirtschaftsstärksten und reichsten Provinzen in ganz Italien geworden; Dem italienischen Südtirol geht es heute im übrigen deutlich besser als den benachbarten Österreichischen Regionen Nord- und Osttirol.

    Und die Provinz ist auch, wie der Südtiroler Schriftsteller Joseph Zoderer sagt, ein Musterbeispiel für gelungenes Zusammenleben von zwei Kulturen:

    "Sie kommen aus der ganzen Welt, aus China, aus Bosnien, aus Tibet - der Dalai Lama war hier - sie kommen, um hier zu lernen, wie es funktioniert, dass zwei Volksgruppen gemeinsam leben und regieren, ohne sich gegenseitig Schaden zuzufügen."

    Für Zoderer ist es einfach dumm gelaufen mit der Schutzmacht-Petition, denn seit ihrer Veröffentlichung sorgt der Brief der 113 Bürgermeister für erhebliche Unruhe, weniger in Südtirol selbst, als im ganzen übrigen Italien. Der eigentlich gar nicht so rechte SVP-Chef Pichler Rolle stehe jetzt, so Zoderer, plötzlich in einer Reihe mit den Südtiroler Schützen, einer Trachtengruppe, die seit 30 Jahren ein vereintes Österreichisches Tirol fordert.

    Natürlich hören die temperamentvollen Italiener südlich der Alpen bei der Debatte nicht auf die Zwischentöne, darauf, dass es Elmar Pichler Rolle um eine offene Tür für den Notfall geht, sondern sie hören: Südtirol will wieder von Italien weg, und sind empört. Die Zeitungen und Fernsehstationen bringen lange Reportagen darüber, wie die Italiener in Südtirol diskriminiert werden, zumal ihr Bevölkerungsanteil in den vergangenen 10 Jahren von 34 auf 24 Prozent zurückgegangen ist:

    "Eine italienische Familie in Südtirol wird gezeigt, sie stehe mehr oder weniger außerhalb der Gemeinschaft. Und die italienische Schule sei so weit entfernt und schwer zu erreichen, dass die Italiener ihre Kinder jetzt sogar in eine deutsche Schule schicken würden."

    Was zu anderen Zeiten als Zeichen gelungener Integration gesehen würde, wird an den Stammtischen jetzt als Italienfeindlichkeit diskutiert. Der in Bozen geborene italienische Historiker Giorgio delle Donne formuliert es so:

    "Vor 30 Jahre waren die Italiener in Südtirol klar im Vorteil; alle Gesetze waren zu ihren Gunsten- und das war nicht in Ordnung; jetzt hat sich das ins Gegenteil verkehrt; jetzt werden die Deutschsprachigen klar bevorzugt, das ist auch nicht in Ordnung, durch die Autonomie ist das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen, ein Gleichgewicht jedenfalls ist nicht hergestellt. "

    Und natürlich schlägt die Debatte Wogen bis nach Rom und bis in den italienischen Wahlkampf.

    Regionalminister La Loggia sagt, die Petition würde ihn verbittern; die Regierung hat Innenminister Pisanu beauftragt, die Angelegenheit zu untersuchen und der hat angekündigt, alle nötigen Elemente und Fakten in Erfahrung zu bringen und zu bewerten.

    Darauf, wie diese Bewertung aussehen wird, lassen schon jetzt die Aussagen von Forza Italia-Politikern wie Giuseppe Bemmomo schliessen; der den Südtirolern Undankbarkeit vorwirft

    Er weist darauf hin, dass die Provinz Südtirol laut Autonomiestatut 90 Prozent der Steuereinnahmen behalte darf, dass der Staat darüber hinaus zahlreiche Einrichtungen zur Verfügung stellt, also draufzahlt.

    Dass wieder Ruhe einkehrt, ist jedenfalls vorerst nicht zu erwarten; denn die Debatte könnte dem Belusconi-Lager entscheidende Munition in der Endphase des Wahlkampfes liefern. Eigentlich konnte die Linke um Romano Prodi mit den Stimmen der SVP, der Südtiroler Volksparte rechnen; aber in diesen Zeit wird sie es tunlichst unterlassen, sich mit ihrem Chef Pichler Rolle auch nur in der Öffentlichkeit zu zeigen.