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Der Schein trügt

Am 12. Februar 2009 jährt sich Thomas Bernhards Todestag zum 20. Mal. Nicht zuletzt deshalb hat man am Wiener Burgtheater jetzt wieder einmal ein Thomas Bernhard-Stück auf die Bühne gebracht: "Der Schein trügt" in der Regie von Nicolas Brieger und im Bühnenbild von Mathias Fischer-Dieskau. Im Mittelpunkt stehen zwei Brüder zwischen Aggression und Erkenntniswut, Beschwichtigung und Selbstbetrug.

Von Günter Kaindlstorfer |
    Da grantelt er sich mutterseelenallein durch seine Wohnung, der gealterte Artist Karl, der erst vor kurzem seine langjährige Lebensgefährtin Mathilde begraben musste. Martin Schwab spielt den Frischverwitweten im Burgtheater als griesgrämigen, alten Zausel in Feinripp-Unterwäsche.

    "Durch dieselbe Brille, durch die ich Voltaire lese, sehe ich meine Zehennägel. Wir sollten nicht so lange leben, dass wir zum Zehennägelschneiden eine Brille brauchen. Das ist deprimierend."

    "Der Schein trügt" ist eine tragikomische Theaterstudie über Geschwisterrivalität und enttäuschte Hoffnungen. Artist Karl gibt sich der Körperpflege hin, während er auf den Besuch seines Halbbruders Robert wartet, eines ebenfalls schon angejahrten Schauspielers, den Karl jeden Dienstag und Donnerstagabend trifft, um mit ihm ritualhaft über dieses und jenes zu plaudern. Die beiden Brüder sind einander in bernhard-typischer Hassliebe zugetan. Was Karl, der frühere Meisterjongleur, nicht verwindet: dass Lebensgefährtin Mathilde das Wochenendhäuschen ausgerechnet seinem Bruder und nicht ihm vermacht hat.

    "Das Testament verzeihe ich ihr nicht."

    Regisseur Nicolas Brieger verzichtet auf Regie-Mätzchen aller Art. Er setzt voll und ganz auf die beiden Schauspieler, die Bernhards Tragikomödie durch zweieinviertel pausenlose Stunden tragen müssen. Auch wenn die Zeit dann und wann ein wenig lang wird, im Großen und Ganzen geht Briegers Konzept doch auf. Und alle naslang gibt's auch was zu lachen im Burgtheater.

    "Bernhard war ein Humorist als Melancholiker. Melancholiker haben ja immer Galgenhumor, und diese Art von Humor steckt in dem Stück: dass du immer auch mit deiner Existenz dafür einstehst, dass du sie an einen Witz verkaufst."

    "Frauen machen katastrophale Testamente. Schamlos. Heimtückisch. Unberechenbar."

    Martin Schwab muss die erste Stunde ganz allein bestreiten, einzig ein lebender Gimpel im Vogelbauer leistet ihm auf der riesigen Bühne des Burgtheaters Gesellschaft. Schwab entledigt sich seiner Aufgabe mit Bravour. Er überzeugt als rappelköpfiger Bernhard-Grantscherm, der während seiner Zehennägelmaniküre und der darauf folgenden Rasur über den mediokren Bruder im speziellen und die Weltläufe im allgemeinen schimpft. Dann endlich trifft Robert ein, verspätet wie immer. Michael König spielt diesen Bruder als grüblerischen Elegant, der, so scheint's, die wahre Liebe in Mathildes Leben gewesen ist.

    "Karl: "Was sagt der Arzt? Warst du bei ihm?"
    Robert: "Keine beängstigenden Werte."
    Karl: "Die Leber?"
    Robert: "Auch nicht. Einwandfreie Leber."
    Karl: "Du beherrschst dich doch, bezüglich Schnaps etc.?"
    Robert: "Kein Schluck seit Mathilde tot ist." "

    Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau hat eine praktikable Guckkastenbühne in der Guckkastenbühne entworfen, ein schöner Verfremdungs-Effekt, in dem sich Thomas Bernhards melancholisches Brüderdrama vollzieht. Regisseur Nicolas Brieger:

    "Es war uns wichtig, dass wir kein naturalistisches Bild da baut, sondern ein Bild erfindet, dass dieser eigenartigen Künstlichkeit gerecht wird, und nicht, dass man sich in einem nachgebauten Wohnzimmer im Theater befindet."

    "Musik war für mich immer das Höchste. Equilibristik vielleicht sogar nur eine Verlegenheit. Vielleicht. Ich hätte es als Musiker immerhin bis zu einer gewissen Höhe gebracht, aber ich entschied mich für die Artistik. Während du musisch veranlagt bist. Schauspielerei ist etwas Musisches. Artistik ist etwas anderes."

    Auch wenn Martin Schwab eine Bravourleistung hinlegt: Ein mitreißender Theaterabend ist es nicht. Ein Reinfall allerdings sieht auch anders aus. Am Ende gab's berechtigten Jubel für Schwab und höflich-verhaltenen Applaus für Michael König und Regisseur Nicolas Brieger.