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Der schleichende Tod

Im Ölschlick vor Louisiana geht alles Leben zu Grunde: Geschützte Fisch- und Vogelarten, in den Küstengewässern und Sumpfgebieten leben zudem Seekühe, Delfine, Wale, Schildkröten. Und auch der Mensch ist Opfer.

Von Klaus Remme | 01.05.2010
    Venice, Louisiana. Weiter nach Süden geht es mit dem Auto nicht mehr. Der kleine Hafen von Venice ist in diesen Tagen zum Dreh- und Angelpunkt für die Bekämpfung der Ölpest geworden. Hier werden die schwimmenden Barrieren verladen, von hier senden nationale und internationale Medien. Das Öl kommt, versichert inzwischen jeder, doch kaum ein Journalist hat es gesehen. Küstenwache und BP stellen ein Boot zur Verfügung, knapp 50 Journalisten machen sich auf den Weg.

    Patrick Kelley von der Küstenwache weist ein. Die See ist unruhig. Weiter draußen vor der Küste ruhen die Säuberungsarbeiten. Schwimmende Barrieren und das Versprühen von Lösungsmitteln sind sinnlos bei hohem Wellengang. Die Wasser-Landschaft an der Küste von Louisiana erfordert eine lange Anfahrt. Kapitän Curtis Calais bezeichnet sich als eine Art Taxi-Fahrer auf dem Wasser. Calais befördert sonst Arbeiter zu den Bohrinseln oder holt sie ab. Vor zwei Tagen ist er bereits durch den Ölteppich gefahren.

    Nicht schwarz, wie sie vielleicht denken, sagt er, eher einen Stich ins Rötliche, sieht ein wenig nach Diesel aus, ist aber dick und zäh wie Syrup vergleicht Calais. Schon vor zwei Tagen hat er die ersten toten Tiere gesehen. Calais kommt aus der Gegend, hat Freunde und Familie hier:

    "Ich habe ihnen nicht alles erzählt, will sie nicht allzu sehr beunruhigen. Doch das hier ist ziemlich ernst, ich habe so etwas noch nie gesehen."

    Nach knapp zwei Stunden ist immer noch kein Öl in Sicht, die Wellen werden zu hoch für das Boot und, wie der Kapitän sagt, bald auch für Passagiere. Wind und Wellen treiben den Teppich auf die Küsten zu. Neben Louisiana und Florida haben jetzt auch Mississippi und Alabama den Notstand erklärt. Die Natur fesselt Hilfskräfte vorerst ans Land und zwingt Journalisten zur Umkehr. Am Hafen wartet Marty Powers, eine Sprecherin von BP. Als verantwortliches Unternehmen ist BP in der Klemme. Jeder Fleck wird hier wieder gesäubert, fordert Innenminister Ken Salazar bei seinem Besuch vor Ort. BP müsse schneller und intelligenter handeln. Marty Powers macht gute Mine zum bösen Spiel:

    "Der Fall ist einzigartig, so was hat es noch nicht gegeben. Wir setzen hier den Standard und entwickeln die Technologie während wir handeln."

    Angesichts des Unfalls und der bisherigen Maßnahmen dürfte diese Versicherung bei vielen nicht eben zur Beruhigung führen. BP braucht Hilfe, sagt Clyde Giddry vom Verband der Krabbenfischer in Louisana. Und er erinnert an die Öl-Katastrophe nach der Havarie der Exxon Valdez:

    "Beim Valdez Unglück hat sich gezeigt, die Fischer vor Ort sind unverzichtbar. Sie kennen die Küste, sie sind dort jeden Tag."

    Und es sind viele. Allein im Landkreis Plaquemine sind es über 600. Und ein großer Teil von ihnen hat gestern auf die Schnelle die Schulbank gedrückt. In der Aula der örtlichen Highschool wurden die Fischer in den Umgang mit Gefahrgut eingewiesen. Sie konnten sich gleichzeitig als Hilfskraft registrieren lassen. Seit Tagen hoffen sie auf den Einsatz. Sicher, um ihren Lebensraum zu retten, sicher auch, um verlorenes Einkommen wenigstens zum Teil gutzumachen. Merkwürdig, selbst den Fischern, wie kaum jemand anders von diesen Unglück betroffen, ist kaum Wut auf die Ölindustrie zu spüren. Clyde Giddry bekäftigt, ganz im Gegenteil:

    Ich bin 62, das hat Zeit meines Lebens immer gut funktioniert. Alles wird überwacht, es ist ein gutes System und Marvyn Smith, seit Jahrzehnten Fischer hier in Venice, meint:

    Ich mag das Geschäft mit dem Öl. Hatte dadurch schon viele Jobs. Auf die Vermutung, dass Fischerei und Ölförderung angesichts des Unfalls vielleicht doch nicht so gut zusammenpassen, meint Smith, vielleicht hast du recht. Sieht im Moment wohl so aus. Irgendjemand hat hier einen großen Fehler gemacht:

    Smith ist um die 50 und gemeinsam mit seinem Freund Ray Cipriano sitzt er im Hafen von Venice und weiß nicht recht weiter. Was tun? Keine Ahnung, meint Cipriano.

    "Wir haben unser Leben lang gefischt, keine Ahnung, wie wir sonst unser Geld verdienen sollen."