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Der Schwarze Frühling

Zum Frühstück eine Schreibe schmutziges, schimmeliges Brot und dazu ein Becher mit Wasser, manchmal ist das Wasser sogar mit Zucker gesüßt. So beginnt der Tag auf Kuba für die 90 Regimekritiker, die vor vier Jahren beim so genannten "Schwarzen Frühling" verhaftet wurden. Am 18. März jährte sich der "Schwarze Frühling" zum vierten Mal.

Von Peter B. Schumann |
    Mit einer nie da gewesenen Härte ging das Regime gegen unabhängige kubanische Medien, Journalisten und Schriftsteller vor. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Gesetz 88, das die "nationale Unabhängigkeit und Wirtschaft Kubas" schützt. Mit der Verhaftungswelle verschlechterte sich auch das Verhältnis zur EU rapide.

    Jeden Sonntag ziehen die Frauen den Inhaftierten durch die Straßen Havannas, in dieser Woche sogar vier Tage hintereinander, in Erinnerung an die vier verlorenen Jahre in Haft.

    "Damen in Weiß" nennen sie sich und ziehen weiß gekleidet jeden Sonntag durch die Straßen von Havanna. Es sind Frauen und Töchter jener 75 Männer, die vor vier Jahren in einer Verfolgungswelle ohne gleichen verhaftet wurden. Zwei Wochen später hatten sie Schnellgerichte zu maßlosen Strafen zwischen 8 und 28 Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr Delikt in der offiziellen Version: "subversive Aktivitäten gegen die Unabhängigkeit und territoriale Integrität Kubas zugunsten der USA". Doch eigentlich vertraten sie nur eine andere Meinung als das Regime.

    Ihr Vorbild sind die argentinischen "Mütter von Plaza de Mayo", die während der Militärdiktatur und noch Jahre danach jeden Donnerstag für ihre verschwundenen, meist ermordeten Familienangehörigen demonstrierten. Und ähnlich wie damals die "Madres" finden sich die "Damas de blanco" heute regelmäßig zu einem Fußmarsch zusammen, um diesen brutalen Schlag gegen die Opposition im Bewusstsein der Kubaner wach zu halten.

    "Wir werden so lange weitermarschieren" - sagt eine von ihnen - "und für die Freiheit unserer politischen Häftlinge kämpfen, bis sie wieder bei uns zu Hause sind. Wir werden nicht ruhen, bis sie alle wieder frei sind. Freiheit für die politischen Gefangenen!"

    Vier Tage lang haben sie diese Woche demonstriert, die "Damen in Weiß", in Erinnerung an den "Schwarzen Frühling" vor vier Jahren. Sie haben in einer bisher einzigartigen Manifestation zivilen Widerstands gebetet und gefastet. Danach hat jede von ihnen eine Zeitlang in einer Zelle verbracht, die sie aus Solidarität mit ihren Männern in einer Wohnung aufgebaut hatten. Auch trugen sie auf ihrer weißen Kleidung diesmal graue Streifen: ein Verweis auf die Gitterstäbe, hinter denen ihre Angehörigen leben müssen.

    "Wir zogen durch die Infanta-Strasse, Richtung La Rampa" - schildert eine der Frauen den Fußmarsch vom letzten Montag. "Die Menschen, die gerade ihre Arbeitsstätten verließen, begegneten uns freundlich, ohne jede Aggression. Einige Leute beglückwünschten uns sogar. Niemand sagte etwas Bösartiges zu uns. Manchmal haben wir 'Freiheit für die politischen Gefangen' gerufen, denn Plakate dürfen wir nicht mit uns führen."

    Von der Gruppe der 75 ursprünglich Verhafteten sitzen noch immer 59 im Gefängnis. Lediglich 16 von ihnen wurden aus gesundheitlichen Gründen, aber nur "bedingt" - wie es heißt - freigelassen. Einer ist inzwischen verstorben, nachdem er während der Haft dreimal operiert werden musste. Nur 4 der Entlassenen durften ausreisen. Zu ihnen gehört der Begründer der unabhängigen Presse in Kuba, der Poet Raúl Rivero. Er wurde zu 25 Jahren verurteilt und sofort in eine Strafzelle gesperrt, in der Gefangene aus disziplinarischen Gründen höchstens 3 Wochen zubringen dürfen.

    "Eine Strafzelle" - so hat er später berichtet - "ist nicht größer als ein normales Badezimmer. Es gab eine Zinkplatte mit einer Matratze als Bett, ein Loch im Boden als Toilette, ein Rohr, aus dem Wasser floss, wenn sie es anstellten: 2 mal am Tag für 15 Minuten. Und das bei der unerträglichen Hitze im kubanischen Sommer. Und dann unzählige Mücken, jede Art von Insekten, Frösche, Ratten, kleine Schlangen und Grillen, die einen nicht schlafen ließen - dort verbrachte ich ein ganzes Jahr."

    Danach kam der Prominenteste der 75 Häftlinge in den "normalen Vollzug": zu zwei Mördern in eine Zelle. Und ganz ähnlich geht es jedem Kubaner, dessen friedlicher Widerstand von seiner Regierung als Subversion eingestuft wird.

    "Die Haftbedingungen sind äußerst schwer für die insgesamt 400 politischen Gefangenen. Die wirtschaftliche Situation ihrer Familien ist furchtbar. Oft haben die Ehefrauen am Monatsende kein Geld mehr, um das Essen zu bezahlen, dass ihre Männer in den Gefängnissen dringend benötigen. Denn dort ist die Versorgung infam: ein Häftling erhält in Kuba das Letzte vom Letzten, was sich für die Gefängniswärter nicht mehr zu stehlen lohnt."

    Deshalb sind die meisten Gefangenen krank, werden medizinisch schlecht versorgt und oft erst im letzten Moment entlassen, wenn Gefahr für ihr Leben droht. Die Solidarität ihrer Angehörigen ist für sie essentiell wichtig: die Besuche, die sie oft nur alle zwei oder drei Monate einmal erhalten dürfen, genauso wie die sonntäglichen Manifestationen ihrer Frauen, Schwestern und Töchter: dieser "Damen in Weiß". Ihr friedlicher Widerstand wurde 2005 vom Europäischen Parlament mit dem Sacharow-Preis für Menschenrechte gewürdigt. Dennoch müssen sie in den Straßen von Havanna mit Repression rechnen.

    "Es war eine gewalttätige Meute des Castro-Regime, die uns bedrohte, darunter viele Frauen. Sie schrieen kommunistische Parolen, beleidigten und bedrohten uns und rempelten einige von uns provozierend an. Ich konnte an ihrem Verhalten deutlich erkennen, dass die Staatssicherheit diese Gruppe von Leuten geschickt hatte."

    Aber zu schlimmeren Angriffen - physischen Attacken und stundenlangem Geschrei des organisierten Mob vor ihren Wohnungen - kam es hier nicht. Das Regime befürchtet wohl, dass sich die Bevölkerung schützend vor die friedlich demonstrierenden Frauen stellen könnte. Keine von ihnen hat Hoffnung, dass ihren Angehörigen bald freigelassen werden. Viele dachten, dass sich nach dem Rückzug Fidel Castros von der Macht einiges verändern würde. Aber die Erwartungen wurden enttäuscht.

    "Ich glaube, das ist ein sehr gefährlicher Moment" - sagt eine Sprecherin der Frauen. "Sie scheinen eine Offensive gegen die Opposition vorzubereiten, um das Volk einzuschüchtern wie vor vier Jahren, 2003. Doch die Kubaner sind sich der Situation wohl bewusst und wollen, dass die Krise im Land endlich aufhört, unter der sie sehr leiden."

    Der Schlag gegen die 75 Journalisten, Wissenschaftler, Bibliothekare und Menschenrechtsaktivisten vor vier Jahren - die Massenverhaftungen und drakonischen Strafen - konnten die Opposition nicht beseitigen. Ihr Widerstandsgeist ist gestärkt, viele haben die Angst vor Repressionen verloren.

    Und deshalb werden die "Damen in Weiß" auch am morgigen Sonntag zur Messe in der Santa-Rita-Kirche von Miramar gehen und danach friedlich über die 5. Avenida des Diplomaten-Viertels wandern - als ständige Mahnung an den "Schwarzen Frühling" 2003.