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Der schwierige Weg nach Süden

Biologie. - Je mehr der Mensch sich auf der Erde ausbreitet und in die Natur eingreift, desto enger wird es für viele Tierarten. Ihr Lebensraum schwindet, sie werden gejagt oder vergiftet. Einige können nur dann vor dem Aussterben bewahrt werden, wenn der Mensch sie nachzüchtet und auswildert. Das ist aber mitunter gar nicht so einfach.

Von Monika Seynsche |
    "Sehen Sie? Dort sitzt ein Weibchen auf den Eiern. Aber wo ist das Männchen? Ah da hinten. Sobald etwas passiert, entfernt es sich so weit wie möglich vom Weibchen, das vorgibt unsichtbar zu sein. Manchmal legt er sich in die Wasserschüssel dort hinten und tut so als schwämme er auf irgendeinem See im Hochland."

    Christer Larsson ist ein Mann um die 60, mit weißen Locken und einer braunen Weste. Er ist Projektleiter in der Nordens Ark – der Arche des Nordens. Ein Zoo an der Westküste Schwedens, der sich auf die Aufzucht und Auswilderung bedrohter Tierarten spezialisiert hat.

    "Die Gänse sind sehr leise, sie machen kaum Geräusche. Denn das Wichtigste in dieser Zeit ist: bloß nicht entdeckt werden! Wenn Räuber draußen im Fjell erwachsene Tiere sehen, wissen sie, dass dort jetzt gerade auch Junge zu holen sind, und fressen sie."

    Die beiden Zwerggänse in Christer Larssons Gehege zählen zur seltensten Gänseart Europas. In der Wildnis Skandinaviens leben nur noch etwa 30 Brutpaare. Deshalb haben die Forscher vor einigen Jahren wilde Vögel aus Russland nach Schweden gebracht um sie im Zoo zu züchten. Die Zucht selbst sei auch relativ einfach, sagt Larsson. Aber dann fingen die Probleme an.

    "Wir sind immer noch auf der Suche nach der besten Art und dem besten Alter für die Auswilderung. Das ist gar nicht so einfach, denn Zwerggänse sind Zugvögel."

    Normalerweise lernen die jungen Vögel von ihren Eltern, wohin sie fliegen sollen. Die Brutpaare in der Nordens Ark aber sind an das Leben im Zoo gewöhnt und wären ihren Küken in der Wildnis keine Hilfe.

    "Unser Problem ist also: wir müssen in der Wildnis Elterntiere finden, die gerade Küken aufziehen. Wenn wir genau dort unsere Jungtiere freilassen, können sie sich den anderen Familien auf dem Vogelzug anschließen und so den Weg lernen."

    Das Ganze kann allerdings nur funktionieren, wenn die Forscher die Küken freilassen, solange sie noch nicht fliegen können. Denn die Tiere werden später genau dort brüten, wo sie fliegen gelernt haben. Also bringen Christer Larsson und seine Kollegen die Küken etwa zwei Monate nach dem Schlüpfen ins schwedische Hochland, dorthin, wo sie hoffen, brütende Zwerggänse zu finden.

    "Die wilden Brutpaare haben mit einer Menge Probleme zu kämpfen. Uhus und Adler jagen sie. Es gibt im Hochland viele Rentiere und Hobbyangler, die sie von ihren Nestern verscheuchen. Und manchmal brüten sie auch gar nicht, etwa wenn der Winter besonders lang war, und die Seen auf dem Fjell im Frühling immer noch zugefroren sind."

    Wenn Christer Larsson auf dem Hochland keine potentiellen Pflegefamilien für seine Zöglinge findet, muss er den Vogelzug an den ersten Rastplätzen an der Küste abpassen und dort auf Brutpaare hoffen, die ihre eigenen Küken verloren haben und sich der fremden annehmen. Normalerweise fliegen die skandinavischen Zwerggänse zum Überwintern ans Schwarze oder Kaspische Meer. Dort allerdings droht ihnen große Gefahr durch Wilderei. Deshalb wurde schon in einem früheren Auswilderungsprogramm in den 1970er Jahren versucht, die Zugrouten der Vögel zu verändern. Schwedische Forscher gaben ihre Küken damals einer anderen Gänseart mit auf den Weg, der Weißwangengans, die in Holland überwintert.

    "So our population in Sweden now is migrating to Holland …most of them I should say"

    Die meisten wilden Zwerggänse in Schweden pilgerten deshalb heute nach Holland, sagt Christer Larsson. 2010 haben er und seine Kollegen ihre ersten neun Küken in die Freiheit entlassen. Zwei von ihnen haben die lange Reise nach Holland und die Rückkehr nach Skandinavien auf jeden Fall überlebt. Das Schicksal der anderen ist ungewiss.

    Hinweis: Zu den europäischen Versuchen, bedrohten Tierarten wieder mehr Raum zu geben, sendet der Deutschlandfunk am kommenden Sonntag, 29. September, 16:30 Uhr, das Feature Ein bisschen Wildnis.