Sonntag, 04. Juni 2023

Archiv


"Der schwierigste Beruf im Dienstleistungssektor"

Laut Statistischem Bundesamt sind deutsche Lehrer im Durchschnitt deutlich älter als ihre Kollegen im Ausland. Nach den jüngsten Erhebungen ist mehr als die Hälfte der Pädagogen an Grundschulen über 50 Jahre alt.

Moderation: Ulrike Burgwinkel | 21.09.2007

    Ulrike Burgwinkel: Ist das gut so? Klaus Hurrelmann ist Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld. Welche Konsequenzen hat denn Ihrer Meinung nach das hohe Durchschnittsalter der Lehrer?

    Klaus Hurrelmann: Nun, das ist ein Dienstleistungsberuf, Lehrkraft zu sein, hoher Kommunikationsanteil, jeden Morgen Tausende von Kontakten, ein hoher Anteil von Wissen und Informationsaufnahme, auch charakteristisch für diesen Beruf. Und ich muss auch auf der Höhe der technischen Entwicklung sein. Also das sind sehr, sehr hohe Ansprüche, und das bedeutet, die älteren Lehrerinnen und Lehrer, die werden es sicherlich etwas schwerer als die jüngeren haben, um hier mitzuhalten. Und das bedeutet für mich, wir haben ganz viel Erfahrung in den Kollegien. Wir müssen aber darauf achten, dass die älteren Lehrkräfte wirklich durch gute Unterstützung, durch Supervision, durch Fortbildung auf den Stand gebracht werden, ihrem anspruchsvollen Beruf auch tatsächlich gerecht zu werden.

    Burgwinkel: Werden sie das denn im Moment nicht?

    Hurrelmann: Nun, es ist nicht zu übersehen, dass es Schwierigkeiten gibt. Die Lehrkräfte selbst geben das ja in allen Untersuchungen zu Protokoll. Auch die Statistik der Beantragung von Frühpensionierungen spricht ja eine ganz bittere Sprache. Nur sehr wenige Lehrkräfte schaffen es heute, bis 65 Jahre durchzuhalten. Das ist ein Signal, dass zu wenig getan worden ist, dass zu wenig investiert worden ist in die Erhaltung der Fachkompetenz und auch der körperlichen, nicht zu vergessen der psychischen Gesundheit. Weil es eben so ein anspruchsvoller Dienstleistungs- und Kommunikations- und Wissensvermittlungsberuf ist, spielt diese psychische Seite eine große Rolle. Und ich muss schon kritisch anmerken, da haben die Schulträger und die Ministerien in den letzten Jahren überhaupt nicht drauf geachtet.

    Burgwinkel: Welche Vorschläge hätten Sie denn, Herr Hurrelmann, was gerade die Fortbildung angeht bzw. das "Überlebenstraining" von Lehrern in den Klassen?

    Hurrelmann: So wie wir unten bei den frisch Hineinkommenden sehr gut uns bemühen, dass sie in diesen neuen Beruf hineinkommen, so müssen wir auch bei den Älteren denken. Da ist ein Umdenken jetzt fällig. Und das heißt für mich vor allem, die Lehrerfortbildung im Einvernehmen immer mit den Wünschen der Lehrkräfte, das darf nicht als Pflicht aufoktroyiert sein, sollte verbindlich sein, aber muss mit den Lehrkräften abgestimmt sein. Die Lehrerfortbildung also, inhaltlicher Art, methodischer Art, aber auch technischer, kommunikationstechnischer Art - Umgang mit Computern, modernen Medien -, die gehört zum festen Programm. Und parallel dazu eine professionelle Supervision. Also Fachleute, die abgestellt werden und einer älteren Lehrkraft sagen können, hier machst du seit einiger Zeit immer wieder den gleichen Fehler, mache ihn nicht, ich berate dich. Und hier verschleißt du dich, hier investierst du zu viel, hier investierst du zu wenig. Solch eine fachliche Rückmeldung, die kräfteschonend ist, die brauchen wir, und schließlich, meiner Ansicht nach, sehr viel flexiblere Arbeitszeiten, sodass ältere Lehrkräfte reduzieren können den Unterricht und an anderer Stelle in ihrer Schule oder auch im Schulsystem administrativ, organisatorisch und was weiß ich, vielleicht auch für die Außendarstellung der Schule eingesetzt werden können.

    Burgwinkel: Ich habe in der letzten Ausgabe der "Zeit" was gefunden, was vielleicht in diesen Kanon hineinpassen könnte, von dem Sie gerade gesprochen haben, nämlich: Fünf Professuren sind ausgeschrieben allein in Bielefeld für die Erziehungswissenschaften, fünf in Gießen. Wäre das vielleicht auch eine Chance?

    Hurrelmann: Oh ja, also jetzt kommt endlich die Erneuerung der Professorenschaft, da haben wir ja das Gleiche. Meine Generation, ich bin ja auch über 60, hat bis vor kurzem die Hälfte aller Professorinnen und Professoren in Deutschland gestellt, auch in den Erziehungswissenschaften. Jetzt beginnt die Erneuerung, die Neubesetzung, und ich stimme Ihnen völlig zu, hier liegt eine riesige Chance, dass jetzt auch neue Impulse für die Erstausbildung von Lehrerinnen und Lehrern gesetzt werden, mit frischen Impulsen und eben einer Beachtung all dieser spezifischen Anforderungen der schönen, aber nicht ganz unbedeutenden und nicht ganz leichten Anforderungen, die dieser Beruf mit sich bringt. Er ist wohl heute der schwierigste Beruf im Dienstleistungssektor, den wir überhaupt haben, und entsprechend denke, muss da in die Erstausbildung und dann in Fortbildung, in die Supervision einfach viel mehr Energie hineingesteckt werden als bisher. Das sind wir den Schülerinnen und Schülern schuldig, und natürlich auch den Lehrkräften, die sonst zu früh abbrennen, ausbrennen und erschöpft sein müssen.