"Ich heiße Emre Can, bin 16 Jahre alt, ich komme eigentlich aus Frankfurt, also meine Eltern wohnen da. Erstmal ist mein Ziel, beim FC Bayern Profi zu werden."
Emre ist seinem großen Traum schon sehr nahe gekommen. Er ist einer von 13 Jugendlichen im FC Bayern-Internat. Seit einem Jahr wohnt Emre hier auf dem Vereinsgelände an der Säbener Straße – dem Machtzentrum des Deutschen Fußballs. Mit seiner grauen Fassade wirkt das Internat eher schmucklos. Ein Zweckbau mit Flachdach und drei Stockwerken – der Charme einer Jugendherberge. Doch von hier sind es für Emre nur 40 Schritte bis zu dem Platz, auf dem jeden Tag die Profis trainieren. 40 Schritte bis zum großen Ziel. Doch 40 Schritte können sehr weit sein.
Emre wohnt ersten Stock. Er hat ein kleines Zimmer mit eigenem Bad. Der einzige Luxus. Das Treppenhaus und die Flure sind kahl, Steinfußboden, es riecht nach Putzmittel. An den Wänden hängen FC Bayern-Trikots, von denen, die die letzten 40 Schritte geschafft haben. Die tägliche Motivationshilfe.
"Weil die alle von den Junioren hochgekommen sind und jetzt Nationalspieler sind. Also zum Beispiel Toni Kroos oder Badstuber haben alle in der Jugend gespielt"
Drei, vier Jahre noch - dann soll auch Emres Trikot hier hängen. Schon jetzt ist er Kapitän der Deutschen U16 Auswahl, der Chef im defensiven Mittelfeld.
Werner Kern ist überzeugt davon, dass Emre auch die letzten 40 Schritte bis zu den Profis gehen kann. Kern muss es wissen. Seit 12 Jahren ist er Chef der FC Bayern-Nachwuchsförderung. Und hat seitdem Jugendabteilung des Rekordmeisters zur erfolgreichsten der Republik gemacht. Der 64-jährige sitzt in seinem Büro im Internatsgebäude. Typ lieber Onkel, ein fester Händedruck, ein schelmisches Lächeln. Hinter ihm an der Pinnwand hängt eine Liste, auf die er besonders stolz ist. Er hat sie aus dem Fachmagazin "Kicker" kopiert.
"Bayern bildet die meisten Spieler für die Bundesliga aus. Wir haben 20 Spieler in den Kadern der 1. Liga. Die Übersicht: 1. Bayern mit 20, 2. VfB Stuttgart mit 18. Das ist die Effektivität."
Bereits in den 70ern war Kern Co-Trainer der großen FC Bayern-Mannschaft mit Beckenbauer, Gerd Müller, Uli Hoeneß und Co.
Und schon damals hatte er einen Blick für Talente.
"Ich habe Karl-Heinz Rummenigge damals geholt 1973, als ganz junger Mann. Da war ich Co-Trainer von Udo Lattek, und da habe ich ihn geholt aus Lippstadt. Ich habe ihn nur in einem Spiel, ich glaube 6. oder 7. Liga gesehen. Und ich war total überzeugt, dass der junge ein großer Spieler wird."
Kern hatte Recht. Rummenigge wurde ein Weltstar. 1998 war es dann genau andersherum. Rummenigge, mittlerweile Vizepräsident, holte Kern zurück zum FC Bayern, um die Jugendarbeit zu verbessern.
"Natürlich wusste ich, was Ajax Amsterdam macht oder andere bekannte Ausbildungsvereine. Aber ich habe immer gesagt, wir müssen unseren eigenen Stil finden. Der Stil vom FC Bayern München ist, dass wir ein bayerischer Verein sind, dass wir auf dieser Kultur aufbauen und dass wir ihnen das Gefühl geben, wenn sie bei uns spielen, dass sie zu einer Familie gehören, dass sie alles bekommen, was notwendig ist, um später mal ein erfolgreicher Fußballspieler oder auch ein tüchtiger Mensch zu werden, aber sie müssen ihren Teil dazu beitragen."
Das heißt: Sie müssen Leistung bringen. Und zwar auf dem Platz und in der Schule! Darauf legt der FC Bayern großen Wert. Denn nur ein Bruchteil schafft es bis zu den Profis – auch bei den Bayern.
Kern rechnet vor. Von den 11-jährigen kommt jeder Zehnte durch. Von den 16-jährigen immerhin schon jeder Vierte. Wer es aber bis ins zweite Bayernteam schafft, der ist seinem Traum ganz nah. Fast sieben von zehn Spielern werden Profifußballer.
Emre aus dem Bayern-Internat hat gerade seinen Hauptschulabschluss gemacht. Jetzt geht er auf eine Wirtschaftsschule. Sein Zeitplan ist voller als bei den Profis.
"Ich stehe um 7 Uhr auf, habe um 8 Uhr Schule, bis um 1 Uhr. Danach komme ich zum FC Bayern zum Mittagessen, dann ruhe ich mich, dann geht es ab ins Training. Da bin ich bis 7 Uhr hier. Am Nachmittag haben wir noch vier mal die Woche Nachhilfe."
Zeit fürs Freibad, die Freundin oder Feiern – Fehlanzeige. Das ist der Preis, den die Talente für ihren großen Traum zahlen müssen. Zu Zeiten von Franz Beckenbauer war das noch anders.
"Also meine Kindheit war durchweg schön. Es war bescheiden, es war einfach, ich bin Giesing aufgewachsen, wir sind mit der Lederhosen umhergerannt, barfuß. Im April haben sie uns die Schuhe weggenommen und im Herbst haben sie sie uns wiedergegeben. Wir hatten eine unbeschwerte Kindheit, wir haben auf der Straße Fußball gespielt, wie haben gemacht, was wir wollten."
"Früher sind die Spieler mehr oder weniger auf den Bäumen gewachsen. Ein Franz Beckenbauer wäre auch ohne einen Jugendtrainer ein großer Spieler geworden, ein Gerd Müller, das sind Leute, die haben auf der Straße gespielt. Das gibt es heute alles in der Form nicht mehr."
Der Straßenkicker - der sich von den Hinterhöfen in die großen Arenen der Republik kickt – das ist nur noch etwas für Fußballromantiker, glaubt Kern. Stattdessen werden die wenigen Talente, die es noch gibt, so früh wie möglich auf Leistung gedrillt. So wie Philipp Lahm. Er kam schon als Elfjähriger zum FC Bayern, und musste sich Jahr für gegen immer neue andere Talente behaupten
"Mit 12, 13, 14 lernt man schon das Erreichen: wie komme ich in die nächste Altersgruppe? Wie komme ich da rein? Meistens kommen neue Spieler in große Vereine. Dann müssen ein paar Spieler die Vereine auch wieder verlassen. Und das ist mit Sicherheit ein Grund. Damit lernen junge Spieler auch, dass man immer kämpfen muss, dass man immer weiter gehen muss."
Philipp Lahm ist ein Paradebeispiel dafür, wie Förderung beim Rekordmeister funktioniert, sagt Nachwuchschef Kern. Beim FC Bayern schaue man nicht so sehr darauf, was ein Spieler schon kann. Entscheidend sei das Potential, so Kern. Lahm sei in der Jugend nie der beste gewesen.
"Der war immer klein, den haben wir immer geschützt. Wir haben uns zurückgehalten, aber wir haben immer gewusst: Philipp Lahm wird ein fantastischer Spieler. Und der ist von allen unseren Trainern geschützt worden, und der hat seinen Weg gemacht."
Aus seinem Büro kann Kern über die vielen Trainingsplätze des FC Bayern schauen. An einem dieser Plätze steht Michael Tarnat, der Ex-Profi. Es läuft das Training der U15 Junioren. Tarnat schaut zu. Er beobachtet einen bestimmten Spieler.
Tarnat hat den Traum schon gelebt, hat mit den Bayern die Champions League gewonnen. Jetzt soll er als Jugendkoordinator dafür sorgen, dass die besten Spieler in der Region beim FC Bayern landen.
Der Verein hat dafür ein ausgeklügeltes Scouting-System entwickelt. Es beginnt schon ab der F-Jugend, der so genannten U-8. Der Trainer, der im nächsten Jahr die Kleinsten betreut, grast vorher ein Jahr lang jeden Fußballplatz der Region ab, erklärt Tarnat.
"Der fährt übers Land und guckt sich Spiele, Turniere an und stellt sich dann seine eigene Mannschaft zusammen für die kommende U-8. Dann haben wir die Talenttage noch, wo wir mit allen Trainern vor Ort sind, wo dann auch Spieler kommen aus der Region München oder ein bisschen weiter weg, aus dem Ausland teilweise, wo wir dann auch sichten und die Mannschaft dann erstellen."
Am Ende hat der FC Bayern dann in eine kleine Landesauswahl beisammen. Diszipliniert spulen die 14-jährigen auf dem Trainingsplatz ihre Übungen ab. Ballannahme aus der Luft, im Sprint bis zur Torauslinie, scharfe Hereingabe in den Strafraum, Direktabnahme Tor, meistens. 20-30 Mal am Stück. Meistens.
Die Jugendlichen spielen wie Profis nicht nur in Miniaturausgabe. Sie sehen auch so aus, in ihrem schicken roten FC Bayern-Trainingsdress. Nur einer von ihnen fällt aus dem Rahmen. Er trägt ein schlichtes weißes Trikot, blaue Hosen blaue Stutzen, pinke Schuhe. Er ist zum ersten Mal beim Probetraining und kann locker mithalten. Seinetwegen steht Nachwuchskoordinator Tarnat hier am Trainingsplatz – und ist verwundert.
"Der hat sechs Jahre in kleinen Vereinen gespielt und ist jetzt zum SC München gewechselt. Und jetzt ist er uns das erste Mal beim Stützpunkttraining aufgefallen. Es ist schon kaum zu glauben, dass dieser Spieler schon seit Jahren im Dunstkreis Münchens war und wir ihn nicht erkannt haben."
Tarnat hat entschieden: Der Junge darf wiederkommen. Beim nächsten Mal aber wird er nicht so leicht herausstechen, dann bekommt auch er die Trainingssachen vom FC Bayern. Ein Münchener Junge, entdeckt mit 14. Ein Sonderfall. In ganz Oberbayern gibt es kaum einen Zehnjährigen, den die Scouts des Rekordmeisters nicht auf dem Zettel haben, sagen Tarnat und Jugendleiter Kern.
Doch die Bayern suchen nicht nur vor der eigenen Haustür. Je älter die jugendlichen werden, desto größer das Netz aus Scouts und Partnervereinen. Damit am Ende wirklich die besten Talente beim FC Bayern landen. Dabei nutzt der Rekordmeister die gleichen Methoden wie bei den Profis. Im Zweifel richtet es der Geldbeutel. Beispiel Toni Kroos, der 20-jährige Nationalspieler kam mit 16 ins FC Bayern-Internat. Dafür musste ihn der Rekordmeister von Hansa Rostock freikaufen. Rund 1 Million Euro sollen damals von der Isar an die Ostsee geflossen sein – für einen Teenager.
"Wir haben den Toni Kroos gescoutet als 15-jährigen. Wir haben ihn dann gleich verpflichtet und da ging es auch um sehr viel Geld. Ich war total überzeugt, weil ich vorher noch nie so einen Spieler gesehen habe, der so talentiert war wie er. Und als wir das dann gemacht haben, habe ich zu Uli Hoeneß gesagt: ‚Jetzt habe ich die ganze Belastung auf meinen Schultern.’ Da hat er gesagt: ‚Ne, ne, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich habe auch einen Sohn, und ich weiß, welche Schwankungen zwischen 15 und 21 möglich sind. Das kann man nie voraussehen.’"
Wäre Werner Kern Investmentbanker und nicht Chefausbilder, er würde Toni Kroos wohl als Risikoanleihe bezeichnen. Doch schon jetzt habe sich das Investment in Kroos für die Bayern rentiert, sagt Kern. Bei Emre Can muss sich das noch zeigen. Er kam vor einem Jahr von Liga-Konkurrent Eintracht Frankfurt. Zum Nulltarif. Auch dort hätte der 16-jährige den Sprung in die Bundesliga schaffen können, aber…
"Jeder will zum FC Bayern, glaube ich. Weil das ist ein sehr, sehr großer Club und ich glaube, hier ist meine Zukunft auch besser als bei Eintracht Frankfurt."
Emres Zukunft ist der FC Bayern – vorerst. In seinem Zimmer im Internat hängen jedenfalls nicht die Poster von Schweinsteiger, Lahm und Müller. Stattdessen hängen dort die Stars der großen spanischen Clubs: FC Barcelona und Real Madrid. Also Messi, Ronaldo und Emres großes Vorbild: Mesut Özil.
"Vor drei Jahren war er auch ein Niemand und jetzt spielt er schon bei Real Madrid. So etwas will jeder machen. Wir haben auch den gleichen Berater, ich und der Mesut."
Einen Berater mit 16. Beim FC Bayern sieht man das nicht so gerne. Aber auch das gehört mittlerweile dazu. An einer Anleihe im Profifußball wollen viele verdienen. Da sind auch die sonst so mächtigen Bayern machtlos.
Emre ist seinem großen Traum schon sehr nahe gekommen. Er ist einer von 13 Jugendlichen im FC Bayern-Internat. Seit einem Jahr wohnt Emre hier auf dem Vereinsgelände an der Säbener Straße – dem Machtzentrum des Deutschen Fußballs. Mit seiner grauen Fassade wirkt das Internat eher schmucklos. Ein Zweckbau mit Flachdach und drei Stockwerken – der Charme einer Jugendherberge. Doch von hier sind es für Emre nur 40 Schritte bis zu dem Platz, auf dem jeden Tag die Profis trainieren. 40 Schritte bis zum großen Ziel. Doch 40 Schritte können sehr weit sein.
Emre wohnt ersten Stock. Er hat ein kleines Zimmer mit eigenem Bad. Der einzige Luxus. Das Treppenhaus und die Flure sind kahl, Steinfußboden, es riecht nach Putzmittel. An den Wänden hängen FC Bayern-Trikots, von denen, die die letzten 40 Schritte geschafft haben. Die tägliche Motivationshilfe.
"Weil die alle von den Junioren hochgekommen sind und jetzt Nationalspieler sind. Also zum Beispiel Toni Kroos oder Badstuber haben alle in der Jugend gespielt"
Drei, vier Jahre noch - dann soll auch Emres Trikot hier hängen. Schon jetzt ist er Kapitän der Deutschen U16 Auswahl, der Chef im defensiven Mittelfeld.
Werner Kern ist überzeugt davon, dass Emre auch die letzten 40 Schritte bis zu den Profis gehen kann. Kern muss es wissen. Seit 12 Jahren ist er Chef der FC Bayern-Nachwuchsförderung. Und hat seitdem Jugendabteilung des Rekordmeisters zur erfolgreichsten der Republik gemacht. Der 64-jährige sitzt in seinem Büro im Internatsgebäude. Typ lieber Onkel, ein fester Händedruck, ein schelmisches Lächeln. Hinter ihm an der Pinnwand hängt eine Liste, auf die er besonders stolz ist. Er hat sie aus dem Fachmagazin "Kicker" kopiert.
"Bayern bildet die meisten Spieler für die Bundesliga aus. Wir haben 20 Spieler in den Kadern der 1. Liga. Die Übersicht: 1. Bayern mit 20, 2. VfB Stuttgart mit 18. Das ist die Effektivität."
Bereits in den 70ern war Kern Co-Trainer der großen FC Bayern-Mannschaft mit Beckenbauer, Gerd Müller, Uli Hoeneß und Co.
Und schon damals hatte er einen Blick für Talente.
"Ich habe Karl-Heinz Rummenigge damals geholt 1973, als ganz junger Mann. Da war ich Co-Trainer von Udo Lattek, und da habe ich ihn geholt aus Lippstadt. Ich habe ihn nur in einem Spiel, ich glaube 6. oder 7. Liga gesehen. Und ich war total überzeugt, dass der junge ein großer Spieler wird."
Kern hatte Recht. Rummenigge wurde ein Weltstar. 1998 war es dann genau andersherum. Rummenigge, mittlerweile Vizepräsident, holte Kern zurück zum FC Bayern, um die Jugendarbeit zu verbessern.
"Natürlich wusste ich, was Ajax Amsterdam macht oder andere bekannte Ausbildungsvereine. Aber ich habe immer gesagt, wir müssen unseren eigenen Stil finden. Der Stil vom FC Bayern München ist, dass wir ein bayerischer Verein sind, dass wir auf dieser Kultur aufbauen und dass wir ihnen das Gefühl geben, wenn sie bei uns spielen, dass sie zu einer Familie gehören, dass sie alles bekommen, was notwendig ist, um später mal ein erfolgreicher Fußballspieler oder auch ein tüchtiger Mensch zu werden, aber sie müssen ihren Teil dazu beitragen."
Das heißt: Sie müssen Leistung bringen. Und zwar auf dem Platz und in der Schule! Darauf legt der FC Bayern großen Wert. Denn nur ein Bruchteil schafft es bis zu den Profis – auch bei den Bayern.
Kern rechnet vor. Von den 11-jährigen kommt jeder Zehnte durch. Von den 16-jährigen immerhin schon jeder Vierte. Wer es aber bis ins zweite Bayernteam schafft, der ist seinem Traum ganz nah. Fast sieben von zehn Spielern werden Profifußballer.
Emre aus dem Bayern-Internat hat gerade seinen Hauptschulabschluss gemacht. Jetzt geht er auf eine Wirtschaftsschule. Sein Zeitplan ist voller als bei den Profis.
"Ich stehe um 7 Uhr auf, habe um 8 Uhr Schule, bis um 1 Uhr. Danach komme ich zum FC Bayern zum Mittagessen, dann ruhe ich mich, dann geht es ab ins Training. Da bin ich bis 7 Uhr hier. Am Nachmittag haben wir noch vier mal die Woche Nachhilfe."
Zeit fürs Freibad, die Freundin oder Feiern – Fehlanzeige. Das ist der Preis, den die Talente für ihren großen Traum zahlen müssen. Zu Zeiten von Franz Beckenbauer war das noch anders.
"Also meine Kindheit war durchweg schön. Es war bescheiden, es war einfach, ich bin Giesing aufgewachsen, wir sind mit der Lederhosen umhergerannt, barfuß. Im April haben sie uns die Schuhe weggenommen und im Herbst haben sie sie uns wiedergegeben. Wir hatten eine unbeschwerte Kindheit, wir haben auf der Straße Fußball gespielt, wie haben gemacht, was wir wollten."
"Früher sind die Spieler mehr oder weniger auf den Bäumen gewachsen. Ein Franz Beckenbauer wäre auch ohne einen Jugendtrainer ein großer Spieler geworden, ein Gerd Müller, das sind Leute, die haben auf der Straße gespielt. Das gibt es heute alles in der Form nicht mehr."
Der Straßenkicker - der sich von den Hinterhöfen in die großen Arenen der Republik kickt – das ist nur noch etwas für Fußballromantiker, glaubt Kern. Stattdessen werden die wenigen Talente, die es noch gibt, so früh wie möglich auf Leistung gedrillt. So wie Philipp Lahm. Er kam schon als Elfjähriger zum FC Bayern, und musste sich Jahr für gegen immer neue andere Talente behaupten
"Mit 12, 13, 14 lernt man schon das Erreichen: wie komme ich in die nächste Altersgruppe? Wie komme ich da rein? Meistens kommen neue Spieler in große Vereine. Dann müssen ein paar Spieler die Vereine auch wieder verlassen. Und das ist mit Sicherheit ein Grund. Damit lernen junge Spieler auch, dass man immer kämpfen muss, dass man immer weiter gehen muss."
Philipp Lahm ist ein Paradebeispiel dafür, wie Förderung beim Rekordmeister funktioniert, sagt Nachwuchschef Kern. Beim FC Bayern schaue man nicht so sehr darauf, was ein Spieler schon kann. Entscheidend sei das Potential, so Kern. Lahm sei in der Jugend nie der beste gewesen.
"Der war immer klein, den haben wir immer geschützt. Wir haben uns zurückgehalten, aber wir haben immer gewusst: Philipp Lahm wird ein fantastischer Spieler. Und der ist von allen unseren Trainern geschützt worden, und der hat seinen Weg gemacht."
Aus seinem Büro kann Kern über die vielen Trainingsplätze des FC Bayern schauen. An einem dieser Plätze steht Michael Tarnat, der Ex-Profi. Es läuft das Training der U15 Junioren. Tarnat schaut zu. Er beobachtet einen bestimmten Spieler.
Tarnat hat den Traum schon gelebt, hat mit den Bayern die Champions League gewonnen. Jetzt soll er als Jugendkoordinator dafür sorgen, dass die besten Spieler in der Region beim FC Bayern landen.
Der Verein hat dafür ein ausgeklügeltes Scouting-System entwickelt. Es beginnt schon ab der F-Jugend, der so genannten U-8. Der Trainer, der im nächsten Jahr die Kleinsten betreut, grast vorher ein Jahr lang jeden Fußballplatz der Region ab, erklärt Tarnat.
"Der fährt übers Land und guckt sich Spiele, Turniere an und stellt sich dann seine eigene Mannschaft zusammen für die kommende U-8. Dann haben wir die Talenttage noch, wo wir mit allen Trainern vor Ort sind, wo dann auch Spieler kommen aus der Region München oder ein bisschen weiter weg, aus dem Ausland teilweise, wo wir dann auch sichten und die Mannschaft dann erstellen."
Am Ende hat der FC Bayern dann in eine kleine Landesauswahl beisammen. Diszipliniert spulen die 14-jährigen auf dem Trainingsplatz ihre Übungen ab. Ballannahme aus der Luft, im Sprint bis zur Torauslinie, scharfe Hereingabe in den Strafraum, Direktabnahme Tor, meistens. 20-30 Mal am Stück. Meistens.
Die Jugendlichen spielen wie Profis nicht nur in Miniaturausgabe. Sie sehen auch so aus, in ihrem schicken roten FC Bayern-Trainingsdress. Nur einer von ihnen fällt aus dem Rahmen. Er trägt ein schlichtes weißes Trikot, blaue Hosen blaue Stutzen, pinke Schuhe. Er ist zum ersten Mal beim Probetraining und kann locker mithalten. Seinetwegen steht Nachwuchskoordinator Tarnat hier am Trainingsplatz – und ist verwundert.
"Der hat sechs Jahre in kleinen Vereinen gespielt und ist jetzt zum SC München gewechselt. Und jetzt ist er uns das erste Mal beim Stützpunkttraining aufgefallen. Es ist schon kaum zu glauben, dass dieser Spieler schon seit Jahren im Dunstkreis Münchens war und wir ihn nicht erkannt haben."
Tarnat hat entschieden: Der Junge darf wiederkommen. Beim nächsten Mal aber wird er nicht so leicht herausstechen, dann bekommt auch er die Trainingssachen vom FC Bayern. Ein Münchener Junge, entdeckt mit 14. Ein Sonderfall. In ganz Oberbayern gibt es kaum einen Zehnjährigen, den die Scouts des Rekordmeisters nicht auf dem Zettel haben, sagen Tarnat und Jugendleiter Kern.
Doch die Bayern suchen nicht nur vor der eigenen Haustür. Je älter die jugendlichen werden, desto größer das Netz aus Scouts und Partnervereinen. Damit am Ende wirklich die besten Talente beim FC Bayern landen. Dabei nutzt der Rekordmeister die gleichen Methoden wie bei den Profis. Im Zweifel richtet es der Geldbeutel. Beispiel Toni Kroos, der 20-jährige Nationalspieler kam mit 16 ins FC Bayern-Internat. Dafür musste ihn der Rekordmeister von Hansa Rostock freikaufen. Rund 1 Million Euro sollen damals von der Isar an die Ostsee geflossen sein – für einen Teenager.
"Wir haben den Toni Kroos gescoutet als 15-jährigen. Wir haben ihn dann gleich verpflichtet und da ging es auch um sehr viel Geld. Ich war total überzeugt, weil ich vorher noch nie so einen Spieler gesehen habe, der so talentiert war wie er. Und als wir das dann gemacht haben, habe ich zu Uli Hoeneß gesagt: ‚Jetzt habe ich die ganze Belastung auf meinen Schultern.’ Da hat er gesagt: ‚Ne, ne, da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich habe auch einen Sohn, und ich weiß, welche Schwankungen zwischen 15 und 21 möglich sind. Das kann man nie voraussehen.’"
Wäre Werner Kern Investmentbanker und nicht Chefausbilder, er würde Toni Kroos wohl als Risikoanleihe bezeichnen. Doch schon jetzt habe sich das Investment in Kroos für die Bayern rentiert, sagt Kern. Bei Emre Can muss sich das noch zeigen. Er kam vor einem Jahr von Liga-Konkurrent Eintracht Frankfurt. Zum Nulltarif. Auch dort hätte der 16-jährige den Sprung in die Bundesliga schaffen können, aber…
"Jeder will zum FC Bayern, glaube ich. Weil das ist ein sehr, sehr großer Club und ich glaube, hier ist meine Zukunft auch besser als bei Eintracht Frankfurt."
Emres Zukunft ist der FC Bayern – vorerst. In seinem Zimmer im Internat hängen jedenfalls nicht die Poster von Schweinsteiger, Lahm und Müller. Stattdessen hängen dort die Stars der großen spanischen Clubs: FC Barcelona und Real Madrid. Also Messi, Ronaldo und Emres großes Vorbild: Mesut Özil.
"Vor drei Jahren war er auch ein Niemand und jetzt spielt er schon bei Real Madrid. So etwas will jeder machen. Wir haben auch den gleichen Berater, ich und der Mesut."
Einen Berater mit 16. Beim FC Bayern sieht man das nicht so gerne. Aber auch das gehört mittlerweile dazu. An einer Anleihe im Profifußball wollen viele verdienen. Da sind auch die sonst so mächtigen Bayern machtlos.