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Der Taktstocktyrann Wilhelm Furtwängler

Adolf Hitler hörte die "Meistersinger" am liebsten in der Interpretation des Dirigenten Wilhelm Furtwängler. Dafür kann nun Furtwängler nichts, wohl aber dafür, dass er sich mit dem Nationalsozialismus zu seinem eigenen Nutzen arrangierte. Eberhard Straub hat eine Familiengeschichte der Furtwänglers geschrieben - der Furtwänglers, deren jüngster bekannter Spross die schauspielernde Maria Furtwängler ist.

Redakteurin am Mikrophon: Sandra Pfister | 12.11.2007
    Im Mittelpunkt aber steht der Taktstocktyrann Wilhelm; seine Person wiederum ist nur Ausgangspunkt für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bürgertum. Hören Sie den Leiter der Kulturabteilung des Deutschlandfunks, Matthias Strässner, mit seiner Einschätzung des Buches.

    Die Frau mit den zwei kleinen Kindern zeigt ihre linke Gesichtshälfte im Profil. Man muss nicht genau hinschauen, um zu erkennen, dass diese Aufnahme etwas gezwungenes, etwas gestellt Beherrschtes hat. Denn Adelheid Furtwängler, selbst eine begabte Malerin, die auf dieser Aufnahme ihre Söhne Walther und Wilhelm, den später weltberühmten Dirigenten, im Arm hält, hat eine Behinderung zu verbergen. Eine Operation, die ein Geschwür am rechten Auge entfernen sollte, missglückte. Ebenso 23 weitere Operationen, und zurück blieb nicht nur eine hässliche Narbe: die rechte Gesichtshälfte blieb gelähmt. Schon vor der Ehe. Die Schwiegermutter kommentierte die Wahl ihres Sohnes denn auch gnadenlos: ihr Sohn, der berühmte Archäologe Adolf Furtwängler, sei es ja gewöhnt, "mit kaputten Köpfen" umzugehen.
    Auch Tante Minna, die am Berliner Konservatorium zur Klavierlehrerin ausgebildet wurde und die den jungen Wilhelm Furtwängler unterrichtet, wird nicht weniger missmutig beäugt: dem eigenen Bruder erscheint sie als "alte Jungfer", die man besser nicht nach ihrer Stimmung fragen sollte, denn: "sie wird immer klagen". Auch wenn bei der Familie Furtwängler zunächst die Männer im Vordergrund stehen, man darf die weiblichen Vertreter dieser Familie nicht unterschätzen: Nicht nur weil sich heute mit Maria Furtwängler das profiliert-telegene Gegenteil auf deutschen Bildschirmen präsentiert.

    Auch auf Märit Furtwängler ist hinzuweisen, die Schwester des Dirigenten, die ohne Rücksicht auf bürgerliche Konventionen 1912 den von der Universität Jena wegen "unakademischen, würdelosen Lebenswandels" gejagten Philosophen Max Scheler heiratete, 1916 zum Katholizismus übertrat, und ihr ganzes Leben weiter für Max Scheler und dessen philosophisches Werk glühte.
    Für Eberhard Straub stehen verständlicherweise die Männer der Familie im Mittelpunkt: der berühmte Wilhelm, der Dirigent, und der berühmte Adolf, der Vater und Archäologe. Straub zeichnet dabei eine Mentalitätsgeschichte des akademischen Bürgertums im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts: "Bürger, Akademiker und Musiker" - diese Trias steht im Mittelpunkt. Nun mag man sich in der Tat darüber wundern, mit welcher Macht das Bildungsbürgertum bis weit hinein ins 20. Jahrhundert seinen Goethe und Schiller präsent hat und Wagner vierhändig zu spielen vermag. Oder wie Nietzsche den Krieg von 1870/71 als Jahrhundertfeier für Beethoven zelebrieren kann, und der Maler Anton von Werner deutsche Soldaten malt, die noch in dreckigen Stiefeln an den Flügel treten und Schubert-Lieder singen - aber der Tornister des Bildungsbürgers hat ein großes Loch, in das schon längst andere Dinge nachgestopft werden: Neben die idyllisch gezeichneten "Götter Griechenlands" hat Wilhelm Heinse schon früh, und ansatzweise vulgär, "Kunst und Brunst" gesetzt, und gerade die Bildungsbürger der Nietzsche-Zeit sind für dessen "aristokratischen Radikalismus" durchaus empfänglich, zumal dann, wenn man diesen als deutscher Herrenmensch auch ausleben kann.

    Auch wenn man Straub also nicht in allen Facetten seiner Bürger-Kritik zu folgen vermag, schon die Beschreibung, wie - über mehrere Familiengenerationen verteilt - das Genie-Denken des 18.Jahrhunderts auf die Rastlosigkeit und Nervosität des 19. Jahrhunderts trifft, ist von hoher Anschaulichkeit. Denn nervöse Genies sind sie beide: Adolf Furtwängler, der Archäologe und Wilhelm Furtwängler, der Dirigent. Adolf Furtwängler, der sich trotz seines Ruhms im In- und Ausland doch immer zurückgesetzt fühlt, weil er ausgerechnet in Berlin, in der "Hauptstadt seines archäologischen Imperiums" nicht "landen" kann. Und auch dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler haftet bei aller orgastischen Selbstverwirklichung als Künstler jenes Moment des Überempfindlichen an, der noch im größten Triumph eine unverdiente Zurückweisung ausmacht. Hier teilt Fee Abunde großzügig ideelle und materielle Gaben aus, und doch bleiben alle - um mit Hofmannsthal zu sprechen - nach den geleerten Pokalen noch durstig. Diese Ichbezogenheit und "Ruhmgeschäftigkeit" wird für Wilhelm zur Falle, die ihm später die Nazis immer wieder stellen können, und die Furtwängler auch nach 1945 im Zwielicht stehen lässt.
    Straub verfällt auch nicht dem gerade in Deutschland üblichen Berlin-fixierten Furtwängler-Bild, sondern stellt Wien auf mindestens die gleiche Ebene. Und verdienstvollerweise stellt Straub heraus, dass es sich bei Furtwängler wie bei Gustav Mahler, Richard Strauss und Hans Pfitzner um das interessante Mischwesen von Komponist und Dirigent handelt. Straub arbeitet klug die Paradoxa dieses Dirigenten heraus, der seine innere Emigration in Auslandsgastspielen ausleben kann, und sich nach dem Krieg nur zu gern die Devise zu eigen macht, die Richard von Weizsäcker bei der Verteidigung seines Vaters ausgab: "Widerstand durch Mitarbeit!".
    Straub wirft Wilhelm Furtwängler und mit ihm dem deutschen Bürgertum denn auch zu Recht die "Mentalität des Zulassens" vor, ein von Robert Musil übernommenes Stichwort. Dieser bürgerliche Zug ist bei Furtwängler sicher vorhanden. Aber die manische Ichbezogenheit, die bei Furtwängler auch bei übererfüllten Wünschen noch Züge des Beleidigtseins hat, wird doch gespeist von einer tiefen Sehnsucht nach dem vorbürgerlichen "Robust Schlichten", die Furtwängler von dem Schuster-Mystiker Jakob Böhme über Bruckner bis zu Hindemiths Mathis der Maler ernsthaft sucht und teilweise auch selbst lebt, und er wusste, dass dem Jahrhundert nur noch die klassische Musik als Mitte geblieben war. Wer besser verstehen will, wie sich das Gefühl, das Sedlmayr als "Verlust der Mitte" beschreibt, entstand, und sich über Generationen in einer bürgerlichen Familie selbst da festsetzt, wo Normalsterbliche glauben können, dass alle Wünsche künstlerischer, akademischer und wohl auch erotischer Art doch erfüllt sein müssen, dem kann und muss Straubs Buch zur Lektüre empfohlen werden.

    Matthias Strässner über Eberhard Straub: Die Furtwänglers. Geschichte einer deutschen Familie. Bei Siedler erschienen, 480 Seiten kosten 24,95 Euro.