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Der unbekannte Bundespräsident

Am Abend trifft Bundespräsident Christian Wulff in Ankara zu einer viertägigen Visite ein. Die türkischen Gastgeber interessiert dabei weniger, was er zur Integration und zum Islam zu sagen hat. Vielmehr hofft man auf Unterstützung für den EU-Beitritt des eigenen Landes.

Von Ullrich Pick | 18.10.2010
    "Was sagten Sie, der deutsche Präsident? ... Wulff? ... Hab ich zuvor nie gehört!"

    Die Antwort der jungen Istanbulerin ist typisch. Denn Bundespräsident Christian Wulff ist am Bosporus so gut wie unbekannt, und dass er vom heutigen Montag an in die Türkei reist, ebenfalls. Entsprechend geht Dogan Tilic, Soziologieprofessor an der Middle East Technical University in Ankara und Kolumnist der Tageszeitung "Bir Gün", davon aus, dass die Visite des deutschen Staatsoberhauptes – zumindest aus türkischer Sicht – mit nicht allzu hohen Erwartungen verknüpft ist:

    "Weder in den türkischen Medien, noch in der türkischen Öffentlichkeit, wird der Besuch des Bundespräsidenten intensiv wahrgenommen. Von daher gesehen wird dieser Besuch vor dem Hintergrund der eigenen innenpolitischen Debatte der Türkei wohl eher unspektakulär verlaufen."

    Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die sogenannte Integrationsdebatte in Deutschland – also die Diskussion um die Äußerungen von Thilo Sarrazin und Horst Seehofer sowie die Rede des Bundespräsidenten zum Nationalfeiertag am 3. Oktober – in der Türkei von der Allgemeinheit so gut wie nicht wahrgenommen wird. Einige Zeitung haben ihr zwar kleinere Berichte gewidmet, doch die Deutschen mit türkischen Wurzeln interessieren am Bosporus weit weniger als man in Berlin, Hamburg oder München manchmal annimmt. Lediglich einige türkische Intellektuelle haben die Debatte in Deutschland verfolgt, beispielsweise der Migrationsforscher Ayhan Kaya:

    "In der vergangenen, rot-grünen Regierungsperiode wurde die Integrationsfrage oder die Diskussion um den Platz des Islam in der Gesellschaft nicht so hochstilisiert, wie unter der überwiegend christdemokratischen Regierung."

    Für Ayhan Kaya ist die momentane Auseinandersetzung um Integration in Deutschland keine Überraschung. Sie ist ein zwangsläufiges Phänomen der immer stärker vernetzten Welt und die Folge von Unsicherheit auf beiden Seiten – sowohl bei denen, die mit fremden Wurzeln in einem neuen Land Heimat suchen, als auch bei den Einheimischen:

    "Die Welt verändert sich in einem schnellen Tempo und die Menschen klammern sich an traditionelle, bekannte Referenzen und Werte. Sie fürchten ihren Verlust. Das bringt einen Reflex nach dem Motto mit sich, ich will nur das, was mir vertraut ist. Meiner Meinung nach spielt sich in Deutschland eben genau das ab."

    Dass all diese Aspekte beim Besuch des Bundespräsidenten in der Türkei zur Sprache kommen, ist nicht zu erwarten. Eher dürfte man die vielfältigen und intensiven gegenseitigen Beziehungen unterstreichen. In diesem Rahmen könnte allerdings noch einmal die von Ankara angestrebte Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union thematisiert werden. Denn am Bosporus ist man vom bisherigen Engagement Deutschlands in dieser Frage ziemlich enttäuscht und das CDU-Mitglied Christian Wulff hatte jüngst für einen fairen Umgang mit der Türkei plädiert. Entsprechend betont Soziologieprofessor und Kolumnist Dogan Tilic:

    "Die Türkei wird während des Besuchs des Bundespräsidenten sicherlich noch einmal ihren festen Willen und Glauben an den EU-Beitrittsprozess bekunden und unterstreichen, dass man sich von der EU, insbesondere aber von Deutschland, wünscht, dass dieser Prozess nicht durch Vorschläge wie zum Beispiel eine privilegierte Partnerschaft untergraben wird, die nicht in eine Vollmitgliedschaft münden."