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Der Verlag, dem die Fliege abhandenkam

Der insolvente Eichborn-Verlag habe schon seit einigen Jahren an Profil verloren, bedauert "FAZ"-Literaturredakteur Volker Weidermann. Gründer Vito von Eichborn habe einst eine "Marke aus Politik, Spontanität, Irrsinn und großem verlegerischen Mut" eingeführt. Heute sei das Programm aber "sehr verwechselbar im großen Verlagseinerlei".

Volker Weidermann im Gespräch mit Christoph Schmitz |
    Christoph Schmitz: 1980 hatte der damalige Lektor des Fischer-Verlages, Vito von Eichborn, zusammen mit Matthias Kierzek den Eichborn-Verlag gegründet. Die ersten großen Verkaufserfolge waren die Bücher der Cartoonisten Erich Rauschenbach und Walter Moers, Stichwort "Das kleine Arschloch" und "Käpt'n Blaubär". 1989 übernahm Eichborn die von Hans Magnus Enzensberger herausgegebene Reihe "Die andere Bibliothek" des Greno-Verlags. Sven Regeners "Herr Lehmann" und "Neue Vahr Süd" waren große Erfolge. '95 stieg der Mitgründer Vito von Eichborn aus, im Jahr 2000 ging der Verlag an die Börse, dann übernahm der Eigner des Aufbau-Verlags in Berlin, Matthias Koch, einen großen Teil der Aktien. Gesunden sollte der dümpelnde Verlag bei "Aufbau" mit Umzug von Frankfurt nach Berlin jetzt im Juli. Das stagnierte aber: Die Frankfurter akzeptierten den Sanierungsplan nicht, die Berliner unterschrieben den eine Million Euro teuren Sozialplan für die betriebsbedingten Kündigungen bei Eichborn nicht. Und jetzt also die angemeldete Insolvenz. - Volker Weidermann, Literatur-Redakteur der "FAZ", warum konnte das Programm des Eichborn-Verlags beim Lesepublikum nicht reüssieren, dass er aus den roten Zahlen nicht herauskam?

    Volker Weidermann: Na ja, der Verlag hat in den letzten Jahren einfach unglaublich auch an Profil verloren. Sie haben am Anfang den Gründer, Vito von Eichborn, genannt; das war einfach der Verlag mit der Fliege, war am Anfang eine Marke aus Politik, Spontanität, Irrsinn und großem verlegerischen Mut, und das hatte das Haus doch seit einigen Jahren schon verlassen und das Programm war sehr, sehr verwechselbar geworden im großen Verlagseinerlei dieser Zeit.

    Schmitz: Das heißt, Vito von Eichborn hat einfach mit seiner verrückten Verlagspolitik gefehlt?

    Weidermann: Ja. Auf jeden Fall eine verlegerische Persönlichkeit hat gefehlt. Das war am Anfang Vito von Eichborn, und es gab dann ja durchaus nachfolgende Personen, wie zum Beispiel Wolfgang Hörner, der den Eichborn-Berlin-Verlag gegründet hat und dann so tolle Autoren wie Karen Duve, Sven Regener und Jenny Erpenbeck entdeckt hat, dem man aber dann letztlich doch nicht richtig zugetraut hat, das ganze Haus zu führen und den ganzen Irrsinn und den verlegerischen Mut einzubringen, und dadurch ist dann einfach Stückchen für Stückchen an Eigenständigkeit verloren gegangen.

    Schmitz: Warum ist so jemand wie Wolfgang Hörner überhaupt gegangen, denn es lief doch eigentlich alles gut?

    Weidermann: Ja, aber es war ... Genau! Er hatte ja eine kleine Exklave in Berlin gegründet und ich hatte immer den Eindruck, dass man da doch so ein kleines Eigenleben führt, aber man nicht wirklich ernst genommen wurde in der Zentrale, wie das oft ist, wenn man an zwei verschiedenen Orten arbeitet, und irgendwann muss jemand da sein, der solchen Personen sagt, du machst es, wir vertrauen dir voll und ganz, und das war, glaube ich, einfach nicht der Fall.

    Schmitz: War der Gang an die Börse 2000 vielleicht auch ein Fehler?

    Weidermann: Ach, es geht so vielen Verlagen in der Größe von Eichborn zurzeit schlecht. Natürlich war das jetzt im Nachhinein betrachtet ein Fehler, aber es hätte natürlich auch richtig sein können. Das war sozusagen ein mittelgroßer Verlag, unabhängiger Verlag, wie es viele gibt, und dann ist die Versuchung groß, zu sagen, wir brauchen richtig viel Geld, um bei den großen mitspielen zu können, und vielleicht war es nicht so falsch im Nachhinein. Klar hat das zu wenig gebracht, zu wenig Geld, und man hat dadurch auch noch die Unabhängigkeit aufgegeben.

    Schmitz: Braucht ein eigenständiger Verlag heute besonders einen Medienkonzern im Rücken? Kann er es alleine eigentlich gar nicht mehr schaffen?

    Weidermann: Es deutet doch alles darauf hin, dass die deutsche Verlagslandschaft sich so konstituieren wird, dass es die großen Konzernverlage gibt, oder die zumindest einen großen Geldgeber mit langem Atem auf der einen Seite haben, oder die winzig kleinen Neugründungen. Daran fehlt es ja im deutschen Verlagsgewerbe auch nicht, neu gegründete mutige kleine Verlage. Aber so diese Mittelgröße, wie sie Eichborn am Ende hatte, das ist einfach scheinbar zum Sterben zu viel und zum Überleben aber doch auf die Dauer zu wenig.

    Schmitz: Sie sagten vorhin, die große Verlegerpersönlichkeit fehlte schließlich. Wichtige Leute, Wolfgang Hörner nannten Sie, sind weggegangen. Wieso findet ein so doch angesehener, beim Lesepublikum doch etablierter Verlag dann nicht eine Figur, die es übernehmen möchte?

    Weidermann: Ich glaube, es fehlt dann einfach jemand, der den Mut hat, so jemand einzusetzen. Wie gesagt, mit Wolfgang Hörner war der Mann im Haus, der aber nicht die ganze Macht bekommen hat. Und dann letztlich ist es natürlich so: Wenn dann eine Weile die Geschäftsführer, sozusagen die Geldgeber die Macht haben und dem Inhalt nicht genug Raum geben, und so ein Irrsinnsprojekt wie "Die andere Bibliothek" zum Beispiel, die am Anfang stand, das muss man sich ja erst mal trauen, sozusagen Projekte anzugehen, die auf den ersten Blick überhaupt keine Rendite abzuwerfen versprechen, sogar ein Irrsinn sind, scheinbar nur Geld verbrennen, und genau so einen Mut muss man natürlich haben und dann einen Menschen an der Spitze, der das auch anschiebt und dem man dann auf Gedeih und Verderb vertraut und den Weg mitgeht.

    Schmitz: Das war ja nun ein hoch seriöses und anspruchsvolles Projekt. - Nun könnte man ja auch sagen, dass vielleicht der Eichborn-Verlag mit seiner, ich nenne das mal so, Walter-Moers-Spaßliteratur seinen Zenit überschritten hat. Vielleicht ist die Zeit vorbei für ein spaßiges Programm. Vielleicht klappt das in sich auch nicht mehr heute.

    Weidermann: Ich hoffe es nicht. - Ja, es stimmt schon. Die Zeiten sind ernst, die Krise ist groß, und gerade im Buchhandel ist man immer bereit, zu klagen und die Krise zu beschwören. Es ist auch natürlich so. Trotzdem braucht man witzige Bücher. Das Tolle an Eichborn war doch genau dieses total, scheinbar überhaupt nicht zusammenpassende Nebeneinander von Irrsinn und übergroßem Ernst, von Büchern, die ein riesiges Publikum aufs Unernsteste angesprochen haben, und andere, die genauer scheinbar einen winzigen Kreis angesprochen haben. Am Ende war es dann so, dass gerade die besonders seriösen Bücher riesige Auflagen hatten und dann der Spaß etwas zurückging. Aber das Schöne war genau dieser großartige Spagat, für den Eichborn gestanden hat und wo ich noch einen letzten kleinen Funken Hoffnung habe, dass das vielleicht doch noch ein bisschen bestehen kann, aber es sieht ja wirklich nicht danach aus.

    Schmitz: Dennoch hoffe ich mit Ihnen. Vielen Dank, Volker Weidermann, für das Gespräch.

    Weidermann: Danke Ihnen!