Es sind beeindruckende, archaisch wirkende Blätter: Zeichen, Chiffren, Kippfiguren zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, die einzelne, textlich immer genau aufgerufene Passagen des Gilgamesch-Epos ausmalen.
Mitten im Zweiten Weltkrieg geht hier jemand ganz weit weg aus der bedrückenden Gegenwart – und überlebt in einer mesopotamischen Geschichte, die um 2600 vor Christus entstand, in der Sage von Gilgamesch und Enkidu.
An Willi Baumeister haben die Nazis eher das normale Programm durchexerziert, ohne KZ: Entlassung an der Städelschule in Frankfurt, Ausstellungsverbot, als entarteter Künstler gebrandmarkt. Er arbeitet in einer Wuppertaler Lackfabrik und macht dort Farbexperimente. Als Baumeisters Stuttgarter Wohnhaus 1943 bei einem Bombenangriff der Alliierten beschädigt wird, zieht er mit seiner Familie an den Fuß der Schwäbischen Alb, in eine Gastwirtschaft nach Bad Urach. Die Verhältnisse sind beengt, er hat nur einen schmalen Tisch zum Arbeiten. Dort entsteht jene kleinformatige Serie, die jetzt in der Stuttgarter Staatsgalerie zu sehen ist – und die sich, im Rückgriff auf scheinbar primitive künstlerische Techniken, der Grundlagen der Kunst neu vergewissern will. Und der Haltbarkeit der Freundschaft über den Tod hinaus – wie die Kuratorin Corinna Höper vermutet.
"Ein Anlass, sich näher mit Gilgamesch zu beschäftigen, könnte der Tod seines Freundes Oskar Schlemmer am 13. April 43 gewesen sein. Baumeister hat sich schon vorher mit Ur-Zeit beschäftigt, mit mesopotamischer Kunst, er hatte eine Sammlung von Artefakten, und wir wissen, dass er in der Bibliothek eine Menge Fachliteratur hatte. In Gilgamesch geht es um eine Freundschaft, die zwischen Gilgamesch und Enkidu. Zuerst sind sie Feinde, sie kämpfen miteinander, dann werden sie Freunde und bestehen Abenteuer. Sie werden dann übermütig, verspotten die Götter, und die Götter ahnden das mit dem Tod von Enkidu."
Das Gilgamesch-Epos, in Keilschrift verfasst und erstmals Ende des 19.Jahrhunderts fragmentarisch übersetzt, hat zwei große Themen: die Suche nach Unsterblichkeit und die große Flut, die wahrscheinlich eine Parallele zur biblischen Sintflut darstellt.
"Das war damals, Mitte des 19. Jahrhunderts, als man die ersten Keilschrifttafeln zu Gilgamesch gefunden hat, eine Sensation, weil man natürlich nicht erwartet hätte, dass diese Geschichte aus dem hebräischen Kulturkreis ebenso im arkadischen Kulturkreis bekannt war."
Gilgameschs Suche nach dem Überleben ist für Baumeister gleichbedeutend mit der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Zeitgleich schrieb er die theoretische Abhandlung über "Das Unbekannte in der Kunst" – und nutzte in seinem Zyklus nun vor allem die Technik der Frottage, um plastische, zeichenhafte Strukturen zu erzeugen: Er rieb die Oberflächen von Holz, Glas oder Pappe in das Papier ein, arbeitete resolut mit schwarzer Kohle und fettiger Ölkreide. Das Ganze balanciert an der Grenze zwischen Figuration und Zeichensprache: Die biomorphen Formen sind zum Teil durchaus humorig-karikaturistisch gemeint, etwa, wenn Gilgamesch, ein Stern, den besiegten Enkidu, lauter aufgelöste Formen, vor die (Platt-)Füße seiner Mutter wirft. Aber es geht eben auch ums Sterben – Gilgamesch erscheint dabei als krakenartiges, sich windendes Wesen, während seine Umgebung in Einzelteile zerbröselt.
Im Grunde ist es Höhlenmalerei, was Baumeister hier betreibt – ein Experimentieren mit reduziertem Vokabular, das Öffnen eines Assoziationsraums, ohne einzelne Szenen des Epos wirklich zu bebildern. Die Grundtönungen der einzelnen Blätter sind sehr genau auf psychische Befindlichkeiten abgestimmt – was im ganz kahl und weiß belassenen Graphik-Kabinett der Stuttgarter Staatsgalerie umso nachhaltiger wirkt. Und am Ausgang sieht man dann ganz kurz den farbenfreudigen Baumeister der Nachkriegszeit - als die Sintflut vorbei war.
Mitten im Zweiten Weltkrieg geht hier jemand ganz weit weg aus der bedrückenden Gegenwart – und überlebt in einer mesopotamischen Geschichte, die um 2600 vor Christus entstand, in der Sage von Gilgamesch und Enkidu.
An Willi Baumeister haben die Nazis eher das normale Programm durchexerziert, ohne KZ: Entlassung an der Städelschule in Frankfurt, Ausstellungsverbot, als entarteter Künstler gebrandmarkt. Er arbeitet in einer Wuppertaler Lackfabrik und macht dort Farbexperimente. Als Baumeisters Stuttgarter Wohnhaus 1943 bei einem Bombenangriff der Alliierten beschädigt wird, zieht er mit seiner Familie an den Fuß der Schwäbischen Alb, in eine Gastwirtschaft nach Bad Urach. Die Verhältnisse sind beengt, er hat nur einen schmalen Tisch zum Arbeiten. Dort entsteht jene kleinformatige Serie, die jetzt in der Stuttgarter Staatsgalerie zu sehen ist – und die sich, im Rückgriff auf scheinbar primitive künstlerische Techniken, der Grundlagen der Kunst neu vergewissern will. Und der Haltbarkeit der Freundschaft über den Tod hinaus – wie die Kuratorin Corinna Höper vermutet.
"Ein Anlass, sich näher mit Gilgamesch zu beschäftigen, könnte der Tod seines Freundes Oskar Schlemmer am 13. April 43 gewesen sein. Baumeister hat sich schon vorher mit Ur-Zeit beschäftigt, mit mesopotamischer Kunst, er hatte eine Sammlung von Artefakten, und wir wissen, dass er in der Bibliothek eine Menge Fachliteratur hatte. In Gilgamesch geht es um eine Freundschaft, die zwischen Gilgamesch und Enkidu. Zuerst sind sie Feinde, sie kämpfen miteinander, dann werden sie Freunde und bestehen Abenteuer. Sie werden dann übermütig, verspotten die Götter, und die Götter ahnden das mit dem Tod von Enkidu."
Das Gilgamesch-Epos, in Keilschrift verfasst und erstmals Ende des 19.Jahrhunderts fragmentarisch übersetzt, hat zwei große Themen: die Suche nach Unsterblichkeit und die große Flut, die wahrscheinlich eine Parallele zur biblischen Sintflut darstellt.
"Das war damals, Mitte des 19. Jahrhunderts, als man die ersten Keilschrifttafeln zu Gilgamesch gefunden hat, eine Sensation, weil man natürlich nicht erwartet hätte, dass diese Geschichte aus dem hebräischen Kulturkreis ebenso im arkadischen Kulturkreis bekannt war."
Gilgameschs Suche nach dem Überleben ist für Baumeister gleichbedeutend mit der Suche nach neuen Ausdrucksformen. Zeitgleich schrieb er die theoretische Abhandlung über "Das Unbekannte in der Kunst" – und nutzte in seinem Zyklus nun vor allem die Technik der Frottage, um plastische, zeichenhafte Strukturen zu erzeugen: Er rieb die Oberflächen von Holz, Glas oder Pappe in das Papier ein, arbeitete resolut mit schwarzer Kohle und fettiger Ölkreide. Das Ganze balanciert an der Grenze zwischen Figuration und Zeichensprache: Die biomorphen Formen sind zum Teil durchaus humorig-karikaturistisch gemeint, etwa, wenn Gilgamesch, ein Stern, den besiegten Enkidu, lauter aufgelöste Formen, vor die (Platt-)Füße seiner Mutter wirft. Aber es geht eben auch ums Sterben – Gilgamesch erscheint dabei als krakenartiges, sich windendes Wesen, während seine Umgebung in Einzelteile zerbröselt.
Im Grunde ist es Höhlenmalerei, was Baumeister hier betreibt – ein Experimentieren mit reduziertem Vokabular, das Öffnen eines Assoziationsraums, ohne einzelne Szenen des Epos wirklich zu bebildern. Die Grundtönungen der einzelnen Blätter sind sehr genau auf psychische Befindlichkeiten abgestimmt – was im ganz kahl und weiß belassenen Graphik-Kabinett der Stuttgarter Staatsgalerie umso nachhaltiger wirkt. Und am Ausgang sieht man dann ganz kurz den farbenfreudigen Baumeister der Nachkriegszeit - als die Sintflut vorbei war.
