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Des Teufels Jahrmarkt

Durch Zufall wurde Ben Hecht noch als Teenager Reporter des "Chicago Daily Journal". Später war er einer der bekanntesten Drehbuchautoren Hollywoods. Völlig ungeplant durchlief er in den 20er-Jahren den amerikanischen Traum. Jetzt ist eines seiner Bücher neu erschienen.

Von Marie Luise Knott | 26.01.2010
    Der eigentliche Held der Geschichte ist der Augenblick.

    Ben Hecht, Sohn russischer Einwanderer, geboren 1894 in New York, wollte nicht schon immer nach oben. Zu Beginn des Buches steht er ziellos in Chicago auf dem Bahnhof, noch keine 20, ziemlich abgebrannt, und das einzige, was er partout nicht mehr will, ist studieren, auch wenn er es nur drei Tage probiert hat. Im Gewühl trifft er einen entfernten Onkel, einen Schnapshändler, der ihm die Geldnot ansieht und ihn an einen seiner Kunden vermittelt – an den Chef des "Chicago Daily Journal". So begann Ben Hechts Karriere: Er wurde Reporter, erfolgreicher Schriftsteller und später einer der bekanntesten Drehbuchautoren Hollywoods.

    Seine Tellerwäscher-Zeit absolvierte er als "Bildreporter" , genauer: als Fotojäger; Spezialgebiet: Mord und Totschlag, also Fotos von Frauen, die Opfer von Sex-, Selbstmord- oder Rivalitäts-Delikten geworden waren. Er schoss die Bilder nicht selber, sondern besorgte sie, mit Charme, Tricks und Lügengeschichten.

    Manche Fotos stammten aus Privatschatullen der Toten. Bilder von schönen nackten Leichen standen schon damals hoch im Kurs, die Art, wie er sie in seinen Besitz brachte, war nicht immer feinfühlig und nicht immer legal. Aber immer voller Fantasie. So wie seine Nachrichten. Der Leser streift mit dem Autor durch Chicagos Gassen, Bars und Restaurants; Hecht erkundet die Unterwelt und fingiert Geschichten, wie sie die Wirklichkeit nicht realistischer hätte erfinden können. Sein größter Coup war die Exklusivstory "Erdbeben zerreißt Chicago". Zur Untermauerung derselben hatte er eigenhändig einen Graben ausgehoben und fotografiert, diverse Mitglieder seiner Großfamilie mutierten zu "Zeugen" und berichteten, wie die Tassen in ihrem Schrank einige Augenblicke lang das Zittern und Laufen gelernt hatten.

    An die Wirklichkeit hat Hecht sich nicht immer gehalten, an die Wahrheit schon eher. Auch 1918, als er - während der Revolution nach Berlin geschickt - Karl Liebknecht begegnet und von einem potenziellen Informanten gefragt wird:

    "Welche politische Einstellung haben Sie?"

    Hecht antwortet:

    "Ich habe keine, ich bin Reporter."

    Vor seinem Umzug nach Hollywood war Hechts Leben nicht immer lukrativ. Aber seine Devise "Wenn man nicht ans Geld denkt, kommt es bestimmt", hat sich bewahrheitet. Hecht erzählt von sich selber:

    "Ich habe in vielen Städten gewohnt, gelebt habe ich nur in einer. Chicago kannte ich wie die Made den Speck, der Wurm die Eingeweide. Nur Zeitungsleute erreichen diese besondere Form der Bürgerschaft.
    Einst trug ich alle Fenster Chicagos und alle seine Torwege an meinem Schlüsselbund, und in seinen Saloons, Straßenzeilen, Alleen, Gerichtssälen und Bahnhöfen lebte ich wie in meinem eigenen Anzug."


    Aus diesen frühen Begegnungen wird Hecht zeitlebens schöpfen. Seine große Karriere führte ihn nach Hollywood, wo er in den für Alfred Hitchcock, Howard Hawks und Billy Wilder verfassten Drehbüchern seine Erlebnisse aus Verbrechermilieu und Freudenhäusern in Wort und Bild weiterleben ließ. Seine Personen redeten glaubwürdig, die Szenenbilder waren prägnant. Seine Randfiguren der Gesellschaft kopierten lang und breit die noblen Gesten und Genüsse der feineren Leute – Zigarren und Handküsse inklusive.

    Suff, Hass, Gier - selten wurde Hollywood, des Teufels Jahrmarkt, so kurzweilig und prägnant ins Bild gesetzt wie in den vorliegenden Erinnerungen "Von Chicago nach Hollywood". Dem angeblich schnellsten Drehbuchschreiber und Dialogerfinder der Welt gelingt es, auf wenigen Seiten Genies und Mac Hohlköpfe dieses Filmlandes - Produzenten, Studioleiter, Autoren, Schauspieler und "Zehnprozenter", wie er die Agenten nennt, - zu versammeln und ihre Händel vor unserem inneren Auge zu inszenieren. Die von Sternbergs dieser Welt ebenso wie die Hofschranzen der Studioleiter.

    Doch der eigentliche Held aller Geschichten ist der Augenblick: Er hat die Fähigkeit, alles zu wenden - jede Verhandlung, jede persönliche Gunst und jedes individuelle Schicksal. Das Hin und Her von Macht und Geld, Aufstieg und Fall im Glorienschein der Kulissenwelt wird in Hechts Erinnerungen ebenso eindrücklich inszeniert wie die Verlassenheit des Einzelnen im bussi Bussiness. So bussi diese Trivialmaschine auch ist, man ahnt beim Lesen in jedem Moment den vom Einbruch bedrohten schönen Schein dieser Glamourwelt. Das Zelluloid stimuliert alle und bringt nicht zuletzt Freude in die bedrängte Welt. 1952, als Mc Carthys "americanism" die Luft über den Hügeln von Beverly verpestete, war Hechts Hollywood tot.

    Die meisten Kapitel des Buches, das 1959 schon einmal erschienen ist, sind Hechts "Memoiren" entnommen. Ohne dass dies durch den Tonfall oder eine präzise Information kenntlich gemacht würde, stammt ein längerer Text im Buch aus dem Bereich der Fiktion, eine Kurzgeschichte. Offensichtlich, wie der Filmkenner an der Überschrift erkennt, handelt es sich um eine Vorarbeit zu dem Film "Woman on Sin", in dem Hecht 1950 die geliebte und gehasste Traumfabrik Hollywood vorführte. Die Zusammenstellung der Texte in dem Band wird nur grob erläutert und der Einbruch der Fiktion vermittelt sich nicht. Vielmehr hält der Leser diese Geschichte lange Zeit für Teil der Erinnerungen. Frau Herborths Nachwort ist da nicht erhellend. Aber was macht das schon? Hechts Erinnerungen sind von sich aus ein äußerst schillerndes, interessantes und amüsantes Lesevergnügen. Sogar noch in seiner Trauer des Abschieds: 1952.

    Ben Hecht:: "Von Chicago nach Hollywood. Erinnerungen an den amerikanischen Traum". Berenberg Verlag, Berlin 2009, 138 Seiten, 19 Euro