In New York sind Anzüge für den Schutz vor Haiangriffen zu sehen, die mittelalterlichen Kettenhemden gleichen. Häuser aus Papprollen, die bei den Erdbeben in Kobe, in der Türkei und 2001 in Indien obdachlos gewordene Menschen aufnahmen. In Vitrinen liegen Einweg-Hygieneschutzhüllen für Telefonhörer, Trinkhilfen für ältere Menschen und das gute alte Schweizer Armeemesser, ein USB-Stick, mit dem Fingerabdrücke ins Laptop eingelesen werden können und Fahradschlösser jeder nur erdenklicher Art. Ein Handtaschenhalter, der sogar an klassische Thonet-Stühle passt, soll vor Diebstahl schützen, eine Schutzmanschette für Pappbecher vor Verbrennungen durch zu heißen Kaffee. Eigentlich, so könnte das Fazit nach einem ersten Rundgang lauten, gibt es kaum etwas, vor dem der Mensch sich nicht zu schützen müssen glaubt. Paranoia allenthalben.
Beim zweiten Rundgang erst folgt der Nachdenklichkeit das Lachen als größter Feind der Angst. In einem Schaukasten liegen die winzige Schutzwesten, Handschuhe und Gasmasken, mit denen der Kanadier Bill Burns Zugvögel vor der weltweiten Umweltverschmutzung schützen will. Der britische Designer Khashayar Naimanan entwarf für die Nymphenburger Porzellanmanufaktur ein Geschirr, dessen wertvolles handgemaltes Rokkoko-Design auf der Unterseite der Teller sitzt. Sein "Incognito Design" ist Teil des "Hidden Wealth Project". Der "Versteckte Reichtum" findet in Zeiten zunehmender sozialer Gegensätze und dadurch wachsenden Sozialneids reißenden Absatz.
Wer die tatsächliche oder vermeintliche Gefahr nicht ironisiert, camoufliert sie stattdessen: Falthüllen verdecken seit längerem schon die Krebs-Hinweise auf Zigarettenschachteln. Mikroben aus Plüsch sollen die Furcht vor Flöhen, Läusen und Wanzen, Ebola und Aids in zärtlichere Bahnen lenken, und ein Kuschelatompilz sogar ganz existenzielle Sorgen dämmen. Ein eigens für Frauen entwickelter dreiteiliger Schlagring lässt sich nach Gebrauch blitzschnell wieder zum modischen Fingerring zusammenschieben. Die "Schutzengelhandtasche" zeigt außen deutlich sichtbar ein aufgesetztes Fach in Form eines großen Küchenmessers. Und den Nachttisch von James McAdam kann sein Besitzer innerhalb von Sekunden in einen massiven Schutzschild und einen Schlagstock verwandeln.
Es handele sich, hatte MoMA-Direktor Glen D. Lowry bei der Eröffnung in New York festgestellt, "nicht etwa um eine Ausstellung über Ereignisse, sondern um eine Ausstellung über den globalen Zustand des Menschen." Und tatsächlich gerät die Designschau in seinem Haus mit mehr als 300 Objekten und Prototypen zu einem weltweiten Inventar kollektiver wie individueller Ängste und der Reaktionen darauf. Diese Ängste allerdings sind keineswegs überall die selben. Während man in den USA über noch sicherere Babysitze fürs Auto nachdenkt, muss man sich in Bangladesh mit der Frage auseinandersetzen, wie man Arsen aus dem Trinkwasser filtern kann. Und in Australien geht es gerade um effektive Schutzmaßnahmen gegen die Folgen des wachsenden Ozonlochs. Die Frage, mit welchen Ängsten sich Designer in einer bestimmten Gesellschaft auseinandersetzen können oder müssen spiegelt also immer auch ein ganzes Bündel gesellschaftlicher Umstände wider: soziale und ökologische, wirtschaftliche und ästhetische.
Der technische Fortschritt allerdings, auch das führt die New Yorker Ausstellung ganz plakativ vor Augen, lässt die lokalen Unterschiede wenigstens virtuell zusammenrücken. In der Mitte der Ausstellungsräume im MoMA steht ein großer Baum aus weiß lackierten Stahlrohren. Auf seinen Ästen trägt er 19 hochmoderne Kameras. Einige Meter weiter in Richtung Ausgang steht das Pendant mit Monitoren. Zeitversetzt wird auf diesen Baum übertragen, was der erste aufnimmt. Selbst wer die Ausstellung schon über die Rolltreppe verlassen hat, wird oben noch beobachtet.