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Design als Reaktion auf den 11. September 2001

Taschen müssen abgegeben werden, Schirme dürfen nur in tropfsicherer Plastikhülle mit in die Ausstellungsräume genommen werden. Den Weg über die Rolltreppen hinauf in die siebte Etage des Museum of Modern Art säumen kleine Videokameras, die jeden Besucher aufmerksam registrieren. Das Thema hat schon begonnen, bevor man die Ausstellung selbst erreicht. Geplant, sagt Kuratorin Paola Antonelli, sei das Projekt schon vor dem 11. September 2001 gewesen: eine Ausstellung zum Thema Design und Sicherheit. "Emergency" lautete damals der Arbeitstitel: Was wird entworfen, um Menschen vor Erdbeben zu schützen? Was, um Gebrechen zu mildern? Was, um in der Wüste Wasser zu sammeln? Was, um Frauen vor Angriffen zu schützen? An welchen Stellen schafft Design überhaupt erst ein Bedürfnis nach Sicherheit, wo man vorher vielleicht gar keine Gefahr gespürt hätte? Und welche Designideen schließlich brechen das Thema Sicherheit ironisch, indem sie übersteigerte Sicherheitsbedürfnisse persiflieren, übertreiben, ins Absurde leiten. Schließlich ist Lachen der größte Gegner der Angst. Die Ausstellung über Design, Gefahr und Sicherheit ist nun am Wochenende eröffnet worden.

Von Stefan Koldehoff |
    Nach den Anschlägen von New York hat Kuratorin Paola Antonelli neu zu überlegen begonnen: Ausgerechnet durch den Terror des 11. September verlor das Thema zunächst an Schwere. Sicherheit, das wurde vor vier Jahren so klar wie vielleicht niemals zuvor, kann niemand niemandem garantieren. Höchstens Schutz. "Cocooning" hieß folgerichtig nach den Anschlägen der erste Trend im internationalen Alltagsdesign. Entwerfer und Hersteller propagierten den gemütlichen Nestbau zu Hause und reagierten damit sehr schnell und clever auf die Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit, aber eben auch nach Schutz. Wie so oft brauchte es einige Jahre Zeit, bis sich das Verhältnis zwischen der Welt und denen wieder entspannte, die Gebrauchsgüter entwerfen, um in ihr zurecht zu kommen. Heute geht die Designszene mit den Themen Schutz und Sicherheit wieder deutlich entspannter um: konstruktiv wie ernsthaft, spielerisch wie komisch.

    In New York sind Anzüge für den Schutz vor Haiangriffen zu sehen, die mittelalterlichen Kettenhemden gleichen. Häuser aus Papprollen, die bei den Erdbeben in Kobe, in der Türkei und 2001 in Indien obdachlos gewordene Menschen aufnahmen. In Vitrinen liegen Einweg-Hygieneschutzhüllen für Telefonhörer, Trinkhilfen für ältere Menschen und das gute alte Schweizer Armeemesser, ein USB-Stick, mit dem Fingerabdrücke ins Laptop eingelesen werden können und Fahradschlösser jeder nur erdenklicher Art. Ein Handtaschenhalter, der sogar an klassische Thonet-Stühle passt, soll vor Diebstahl schützen, eine Schutzmanschette für Pappbecher vor Verbrennungen durch zu heißen Kaffee. Eigentlich, so könnte das Fazit nach einem ersten Rundgang lauten, gibt es kaum etwas, vor dem der Mensch sich nicht zu schützen müssen glaubt. Paranoia allenthalben.

    Beim zweiten Rundgang erst folgt der Nachdenklichkeit das Lachen als größter Feind der Angst. In einem Schaukasten liegen die winzige Schutzwesten, Handschuhe und Gasmasken, mit denen der Kanadier Bill Burns Zugvögel vor der weltweiten Umweltverschmutzung schützen will. Der britische Designer Khashayar Naimanan entwarf für die Nymphenburger Porzellanmanufaktur ein Geschirr, dessen wertvolles handgemaltes Rokkoko-Design auf der Unterseite der Teller sitzt. Sein "Incognito Design" ist Teil des "Hidden Wealth Project". Der "Versteckte Reichtum" findet in Zeiten zunehmender sozialer Gegensätze und dadurch wachsenden Sozialneids reißenden Absatz.

    Wer die tatsächliche oder vermeintliche Gefahr nicht ironisiert, camoufliert sie stattdessen: Falthüllen verdecken seit längerem schon die Krebs-Hinweise auf Zigarettenschachteln. Mikroben aus Plüsch sollen die Furcht vor Flöhen, Läusen und Wanzen, Ebola und Aids in zärtlichere Bahnen lenken, und ein Kuschelatompilz sogar ganz existenzielle Sorgen dämmen. Ein eigens für Frauen entwickelter dreiteiliger Schlagring lässt sich nach Gebrauch blitzschnell wieder zum modischen Fingerring zusammenschieben. Die "Schutzengelhandtasche" zeigt außen deutlich sichtbar ein aufgesetztes Fach in Form eines großen Küchenmessers. Und den Nachttisch von James McAdam kann sein Besitzer innerhalb von Sekunden in einen massiven Schutzschild und einen Schlagstock verwandeln.

    Es handele sich, hatte MoMA-Direktor Glen D. Lowry bei der Eröffnung in New York festgestellt, "nicht etwa um eine Ausstellung über Ereignisse, sondern um eine Ausstellung über den globalen Zustand des Menschen." Und tatsächlich gerät die Designschau in seinem Haus mit mehr als 300 Objekten und Prototypen zu einem weltweiten Inventar kollektiver wie individueller Ängste und der Reaktionen darauf. Diese Ängste allerdings sind keineswegs überall die selben. Während man in den USA über noch sicherere Babysitze fürs Auto nachdenkt, muss man sich in Bangladesh mit der Frage auseinandersetzen, wie man Arsen aus dem Trinkwasser filtern kann. Und in Australien geht es gerade um effektive Schutzmaßnahmen gegen die Folgen des wachsenden Ozonlochs. Die Frage, mit welchen Ängsten sich Designer in einer bestimmten Gesellschaft auseinandersetzen können oder müssen spiegelt also immer auch ein ganzes Bündel gesellschaftlicher Umstände wider: soziale und ökologische, wirtschaftliche und ästhetische.

    Der technische Fortschritt allerdings, auch das führt die New Yorker Ausstellung ganz plakativ vor Augen, lässt die lokalen Unterschiede wenigstens virtuell zusammenrücken. In der Mitte der Ausstellungsräume im MoMA steht ein großer Baum aus weiß lackierten Stahlrohren. Auf seinen Ästen trägt er 19 hochmoderne Kameras. Einige Meter weiter in Richtung Ausgang steht das Pendant mit Monitoren. Zeitversetzt wird auf diesen Baum übertragen, was der erste aufnimmt. Selbst wer die Ausstellung schon über die Rolltreppe verlassen hat, wird oben noch beobachtet.