"Ich hab das Thema Meinungs- und Pressefreiheit gewählt. Ich beschloss, über die Herausforderungen im Bereich Politik und Sicherheit im Kongo nach den ersten demokratischen Wahlen seit vierzig Jahren zu schreiben, den Artikel habe ich eingeschickt und dann hab ich es praktisch vergessen, erst Monate später bekam ich die Antwort und war wirklich überrascht."
So wie Benjamin Zasche aus Augsburg und Reginald Ntombe aus Sambia haben über vierhundert Bewerber sich auf die Ausschreibung zum Programm Go Africa – Go Germany gemeldet. Anfang des Jahres hatte die Bundeszentrale für politische Bildung den Aufruf gestartet, eingeladen waren Studierende von Politik- und Wirtschaftswissenschaften, Jura und Journalismus, erzählt Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.
"Unsere Idee war, die Bewerber aufzufordern, ein Essay zu schreibe. Wir haben drei Themen dafür vorgeschlagen, es ging um die Demokratiebildung, es ging um Pressefreiheit und um die wirtschaftlichen Entwicklungen und zu diesen drei Themen haben eben die Bewerber aus Deutschland und aus den Ländern des südlichen Afrika Essays bei uns eingereicht und durch eine Fachexpertenkommission sind diese Essays dann durchgesehen worden und nach einem Punktsystem ohne den Blick auf Herkunft und Hintergrund und politischen Hintergrund haben wir dann einfach gesucht, wer sind diejenigen, die hier wirklich in den Essays das meiste Potential versprechen."
Dreizehn Studierende aus ganz Deutschland und zwölf aus afrikanischen Ländern wurden ausgewählt für ein ehrgeiziges Programm. Alle mussten gut Englisch sprechen, sollten einen Basis-Hintergrund zum Thema Europa und Afrika haben und bereit sein, sich mit der jeweils anderen Kultur auseinanderzusetzen. Denn das Ziel des Projektes soll es sein, ein Netzwerk aus Deutschen und Afrikanern zu bilden, die womöglich in zehn Jahren in wichtigen Positionen ihrer jeweiligen Gesellschaften sitzen und sich dort für gute Beziehungen einsetzen.
Krüger:"Wir brauchen einfach eine neue Generation von Experten, die sich auch auf Augenhöhe verständigen"
Das Projekt ist ein Experiment und auch die Bundeszentrale für politische Bildung betrat damit Neuland. Denn bisher hat sie lediglich Studienreisen für deutsche Teilnehmer zum Beispiel nach Israel oder in die Länder Osteuropas organisiert. Jetzt galt es ein Programm für Deutsche und Afrikaner auszuarbeiten, die zunächst zwei Wochen durch Deutschland und anschließend durch Namibia reisen sollten.
"Das ist ein absolutes Eliteprogramm. Es ist keineswegs eine Art Jugend-Austausch der von den Verbänden mitgetragen wird, der in die Breite geht, der die Vielfalt von Gesellschaft abbildet, darauf kam es uns auch gar nicht an, sondern uns kam es dezidiert darauf an, Multiplikatoren zu identifizieren, die eine Beziehung zu diesem Thema aufbauen, die schon bei diesem Thema unterwegs sind, um herauszufinden, wer sind die Multiplikatoren von morgen, die für eine andere Afrikapolitik einstehen können."
Zwischen 20 und 28 waren die ausgewählten Teilnehmer, viele der Deutschen waren noch nie in Afrika gewesen, viele der Afrikaner nicht in Europa. Osang Anwenseng aus der Demokratischen Republik Kongo hatte ihr Heimatland noch niemals zuvor verlassen. So vielfältig wie die Teilnehmer waren auch die Erwartungen an das Programm. Zum Beispiel die von Benjamin Zasche und Lan Böhm.
Benjamin Lasche: "Dass ich vielleicht bestimmte Stereotypen vielleicht abändern, modifizieren oder einfach beseitigen kann und ich wollte unbedingt viel mehr Leute aus Afrika besser kennen lernen, Freunde in Afrika machen."
Lan Böhm:"Wenn man Politikwissenschaften studiert und ich hab mich eine Zeit lang mit Friedens- und Konfliktforschung beschäftigt, dann ist Afrika immer der soziale Brandherd und auch in den Medien sind es immer die drei großen Dinge AIDS, Bürgerkriege und Hunger, was immer so assoziiert wird. Ich hab mich dann einfach irgendwann gefragt, wieviel davon entspricht der Realität und wie leben die Menschen wirklich. Ich hatte einfach Lust mich damit intensiver zu beschäftigen."
Tracy Jooste: "Der Flughafen in München hat uns geradezu umgehauen, die Türen öffnen sich automatisch, wenn man sich nähert, alles macht für dich den Weg frei, alles kann offenbar spüren, wenn du kommst und wann du gehst, das war ganz schön verrückt. Alles schien so sauber und gepflegt zu sein. Man spürte gleich, dass man in einer anderen Umgebung war. Sofort war klar, dass man nicht mehr in Südafrika war. Das war ganz schön aufregend."
Gemeinsam mit den anderen afrikanischen Stipendiaten kam die Südafrikanerin Tracy Jooste am 19. August in München an. Anschließend ging es gleich weiter nach Berlin, wo das Programm mit einer Stadtrundfahrt startete. Von da an waren die Tage prall gefüllt. Drei bis fünf Vorträge täglich, Besuche im Auswärtigen Amt, im Parlament, im jüdischen Museum, in der Gedenkstätte Berliner Mauer. Aber es ging auch in eine Unterkunft für obdachlose Jugendliche und zu einem Behindertentheater.
"Was mich gleich beeindruckt hat, waren die Gebäude, die physische Infrastruktur von Berlin. So historisch und gleichzeitig so vielfältig! Vielfältig und trotzdem hatte ich das Gefühl, ich sehe das gleiche Gebäude immer wieder, ich konnte einfach nicht glauben, dass es so derartig viele historische Gebäude gibt, alle mit einer speziellen Bedeutung für die Stadt und verknüpft mit unterschiedlichen historischen Phasen in Berlin und Deutschland. Man bekam gleich einen Sinn für die Geschichte in der Stadt und so ein Gefühl hatte ich noch niemals zuvor irgendwo anders. Es gibt so viele Symbole der Vergangenheit und auch für die Zukunft, die Zukunft nach dem Fall der Berliner Mauer."
Auch wenn während des Krieges viele alte Gebäude in Deutschland zerstört wurden, im Vergleich zu ihrer Heimat Kapstadt atmet für Tracy Jooste hier jeder Stein Geschichte.
"Zuhause bei uns gibt es keine Burgen und Paläste, das war faszinierend, so etwas sieht man bei uns nur auf Postkarten oder im Fernsehen. Es ist verblüffend, wie sehr man sich dadurch vorstellen kann, wie es früher gewesen sein muss, das war ein seltsames Gefühl."
Berlin wurde zum Highlight für die meisten afrikanischen Teilnehmer. Auch, weil sie die Stadt als ausgesprochen lebendig empfanden. Dass man hier zum Beispiel bis spät abends ausgeht, auch in der Nacht noch viele Leute unterwegs sind, war vor allem für die Teilnehmer aus Südafrika eine Überraschung. In Kapstadt oder Johannesburg lässt die Sicherheitslage das nicht zu. Und die konkrete Anschauung machte auch manche deutsche Besonderheiten nachvollziehbarer, fand Simiso Vilempini aus Simbabwe.
"Das jüdische Museum war wirklich gut. Als ich nach Deutschland kam, dachte ich nämlich, dass es dort diese ständigen Erinnerungen an die Vergangenheit gibt, im Bewusstsein, in der Psyche der Menschen, aber auch in physischen Manifestationen, in der Architektur, in Gebäuden oder Statuen. Und wenn man dann das jüdische Museum besucht, all die Bilder gesehen hat, und die Geschichte, dann versteht man viel besser, warum es wichtig ist, dass man sich dieser Geschichte ständig bewusst ist, denn sonst könnte sie sich vielleicht wiederholen."
Relativ viel Wohlstand, viel Geschichte und, wie die Afrikaner mit Schmunzeln erzählen, viele Kartoffeln zum Essen, das hatten sie erwartet. Aber es gab auch ein paar Überraschungen:
"Zum Beispiel Obdachlosigkeit. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass das in Deutschland ein Problem sein könnte, ein G8 Mitgliedsland, Hersteller der besten Luxusautos in der Welt und all das, also das war eine verblüffende Erkenntnis, und ich finde, sie haben die Themen so ausgewählt, dass sie wirklich nützlich und interessant für uns waren."
Neben dem offiziellen Programm galt es natürlich auch, die deutschen Teilnehmer kennenzulernen und das Nachtleben. In kleinen Gruppen machte man sich am Abend auf den Weg.
"Und dann die Infrastruktur beim öffentlichen Nahverkehr! Straßenbahnen und Fahrräder und Autos, alles fährt auf einer Straße. Es sieht irgendwie chaotisch aus, aber irgendwie fließt der Verkehr doch ganz gut, also ich war wirklich beeindruckt."
Die Suche nach dem "echten" Deutschland, nach dem was man sich vorgestellt hatte, fand Tracy Jooste gar nicht immer so einfach:
"Ich war wirklich versessen darauf, etwas echt Deutsches zu erfahren, etwa im Restaurant. Aber letzten Endes aßen wir libanesisch oder Türkisch oder Indisch und ich dachte, wo verflixt nochmal gibt es denn hier mal was richtig Deutsches. Erst als wir nach Köln kamen, gingen wir in eine richtige deutsche Kneipe und aßen richtiges deutsches Essen. Ich dachte schon, so etwas wie deutsche Küche würde es gar nicht geben."
Potsdam und Köln standen außer Berlin auf dem Programm und eigentlich sollte auch noch ein Abstecher nach Hamburg stattfinden, mit Besichtigung des Hafens. Doch da hatte auch Bundespräsident Horst Köhler noch einen freien Platz in seinem Terminkalender und empfing die ganze Gruppe.
"Den Präsidenten zu treffen, das war auch schön, das war ehrlich gesagt ziemlich toll. Er war sehr warm zu uns und er gab uns als jungen Leuten auch hoffnungsvolle Worte mit auf den Weg. Nicht jeder trifft den Bundespräsidenten von Deutschland, das war schon eine besondere Gelegenheit und ich denke es hat allen gefallen."
Namibia war das Land, in das die Gruppe nach dem Aufenthalt in Deutschland reiste, das nach der deutschen die afrikanische Erfahrung bringen sollte. Zweimal so groß wie Deutschland von der Fläche her, aber von nur knapp zwei Millionen Einwohnern bewohnt, eine ehemalige deutsche Kolonie, das trockenste Land im Afrika südlich der Sahara.
1885 war die deutsche Kolonialgesellschaft für das damalige Südwestafrika gegründet worden, um deutsche Siedler ins Land zu holen und Farmland zu verpachten. Im Januar 1904 erhoben sich die Herero, denen die Deutschen ihr Land weggenommen hatten, gegen die Siedler und Händler. Der Aufstand wurde von Deutschen blutig niedergeschlagen, die überlebenden, auch Frauen und Kinder trieb man in die Wüste, wo sehr viele starben. Wieviele genau starben ist umstritten, aber viele Historiker Stufen die Niederschlagung des Herero Aufstandes als Völkermord ein. 2004 hat sich die deutsche Entwicklungshilfeministerin Wiezcoreck Zeul zu der deutschen Schuld in der Kolonialzeit bekannt. Statt Entschädigungen sagte man erhöhte Entwicklungshilfe zu.
Auch heute noch ist die Verknüpfung mit Deutschland in Namibia allgegenwärtig. Es gibt eine deutsche Zeitung und ein deutschsprachiges Radioprogramm, etwa 20.000 Deutschstämmige bilden in Namibia eine kleine, aber meist wohlhabende und gebildete Minderheit. Das Programm der Stipendiaten knüpfte viel an den deutschen Bezugspunkten an, zuviel für manche Teilnehmer. Tracy Jooste:
"In den ersten Tagen habe ich mir etwas Sorgen gemacht, weil ich das Gefühl hatte, dass ich Namibia nicht von der namibischen Seite her erfahren würde. Ich fühlte mich, als würde ich es durch die deutsche Brille betrachten. In dem Hotel, wo wir wohnten, sprachen alle Deutsch, das hatte ich nicht erwartet. Wir waren in einer sehr abgeschirmten Umgebung. Wir waren im Hotel, wanderten von dort zum Konferenzraum und zurück ins Hotel. Und wenn wir mal raus gingen, dann in die deutsche Botschaft oder ins deutsche Kulturzentrum. Die Referenten waren Deutsche, es war wie ein Namibia, dass man mit einem deutschen Anstrich versehen hatte."
In den ersten Tagen in Namibias Hauptstadt Windhoek gab es tatsächlich wenig Berührung mit dem Land und der Mehrheit seiner Bevölkerung, dafür viel Theorie. Vorlesungen über Bildung, Staatsaufbau und Wirtschaft des Lnades fanden im Hotel statt. Doch nach vier Tagen machten sich Deutsche und Afrikaner auf den Weg durch das Land.
Die Reise führte hinauf in den Norden des Landes bis zur angolanischen Grenze, dann an die Küste nach Swakopmund und Walvisbay und schließlich in die Wüstenforschungsstation Gobabeb. Deutsche spuren fanden sich auch unterwegs noch jede Menge, für Reginald Ntombe aus Sambia eine interessante Erfahrung.
"Wir waren hier in einer Stadt, in Swakopmund, da konnte man sehen, dass dieser Ort immer noch eine Art Kater hat, wenn ich das mal so nennen darf, einen Kater von der Kolonisierung. Es war interessant zu sehen, wie dieser Einfluss fortbesteht im Leben der Namibier. Straßennamen standen da immer noch auf Deutsch und im Supermarkt hatten all die Lebensmittel Etiketten auf Deutsch. Ich war in einem Buchladen, weil ich Literatur suchte und alle Bücher dort hatten deutsche Titel. Ich konnte also sehr gut die Verbindung sehen zwischen Deutschland und seiner Ex-Kolonie."
Ein typisches afrikanisches Land gibt es wohl nicht, schließlich ist der Kontinent durch zahlreiche Völker, unterschiedlichste Landschaften, Regierungsformen, wirtschaftliche Voraussetzungen ein äußerst vielfältiges Gebilde. Namibia ist auf dem Kontinent das Land mit dem zweithöchsten Pro-Kopfeinkommen, es hat Bodenschätze wie Diamanten und Uran, die Demokratie funktioniert ganz gut und es gibt keine kriegerischen Auseinandersetzungen in dem Land. Der Anteil der HIV Infektionen liegt bei 20 % der Bevölkerung. Ob es ein gutes Land war, um in den Kontinent Afrika und den Austausch zwischen Deutschen und Afrikanern einzusteigen, darüber waren Reginald Ntombe Linda Poppe und Benjamin Zasche geteilter Meinung. Reginald Ntombe:
"Es war möglich, die Deutschen in Deutschland und die Deutschen in Namibia miteinander zu vergleichen, und das fand ich sehr interessant. Ich habe darüber auch mit meinen deutschen Kollegen aus dem Austauschprogramm gesprochen, über ihre Eindrücke von den Deutschen hier, ihre Sicht auf das Leben und wie ihre Beziehungen zu den schwarzen Namibiern hier sind. Also für mich war Namibia eine gute Wahl. Abgesehen von den Verbindungen zu Deutschland denke ich, dass es auch interessant war durchs Land zu reisen, es war interessant mit verschiedenen Leuten über Namibias Wirtschaft zu reden und über die Politik des Landes. Das Land ist erst seit 17 Jahren unabhängig, es war spannend zu sehen, wie es um Demokratie und Regierungsführung steht. Also meiner Meinung nach war es eine gute Wahl."
Linda Poppe:"Ich finde Namibia als Land ist interessant, aber ich glaube, die Tatsache, dass es so riesig ist und das es sowenig Einwohner hat, das es einfach so unheimlich lange Reisewege beinhaltet und es schwierig ist an den Orten wo man hinreist, das Programm zu organisieren, wie man es vielleicht gewollt hätte, weil man halt nicht die Auswahl hat oder man muss sehr lange Strecken fahren. Und ich glaube, das hat dem Programm nicht immer gut getan. Teilweise schon, weil es halt auch eine sehr große Vielfalt hat und weil die Themen, die hier angesprochen werden, eben auch sehr interessant sind und weil Namibia eben auch nicht der totale Katastrophenfall ist, sondern auch sehr positiv, aber dadurch, dass man halt in einem großen Land mit kleiner Bevölkerung ist, glaube ich, haben manchmal einige Sachen darunter gelitten."
Benjamin Zasche:"Namibia war deshalb ein guter Start, weil es eben ein Land ist in dem es die Kontroversen stattfinden, das Deutschland angeht. Das ist ein Land, von seiner politischen Situation her, das Deutschland immer noch sehr stark angeht, wo wir gewissermaßen Verantwortung haben und in vielerlei Hinsicht denke ich auch übernehmen."
Zu Namibia gehören auch faszinierende Landschaften und eine reiche Tierwelt. Die erfuhr sich die Gruppe im Bus.
Eine Safari durch den Etoscha-Nationalpark gehört für Touristen in Namibia zum Standardprogramm und der Fremdenverkehr ist ein wichtiger und wachsender Wirtschaftszweig in dem Land, in dem es neben Bodenschätzen wenig Möglichkeiten zur ökonomischen Expansion gibt. Auch die Gruppe machte sich auf die Suche nach Zebras und Elefanten, nach Antilopen und Warzenschweinen.
Reiseleiterin Inge Glaue versuchte die manchmal vom strammen Programm und vom abendlichen Feiern etwas müden Studierenden bei der Stange zu halten.
Übrigens ist es keineswegs so, dass alle Afrikaner Elefanten, Kudus und Giraffen sozusagen täglich sehen. Auch für die Studierenden aus Kenia, aus Botswana oder Malawi sind die Beobachtungen etwas Besonderes. Tracy Jooste aus Südafrika zum Beispiel war noch nie im Krüger Nationalpark. Der sei doch viel zu exklusiv, touristisch und schlicht auch zu teuer, meint die junge Frau, die als erste in ihrer Familie einen Studienabschluss gemacht hat. Nur: nach vielen Beobachtungen an verschiedenen Wasserlöchern und vielen Stunden im Bus erlahmte das Interesse.
Auch wenn die langen Busfahrten ermüdend waren, sie gaben doch Gelegenheit zu dem, was an dem ganzen Programm vielleicht das Wichtigste war: zum Kennenlernen und miteinander reden. Die Gruppe war schnell zu einer Einheit zusammengewachsen, unabhängig davon, ob man nun aus Afrika stammte oder aus Deutschland. Es entstanden schnell Kontakte und sogar Freundschaften. Jeden Tag schrieben zwei Teilnehmer an einem Internet-Tagebuch, es gab eine Presseschau, und die Abende endeten meist erst tief in der Nacht. Aber es gab nicht nur Harmonie, es gab auch durchaus heftige Auseinandersetzungen, erzählt Simiso Vilempini:
"Leute sind wütend vom Tisch aufgesprungen und weggelaufen, haben sich angeschrieen, aber ich denke, das ist gut so."
Ohne Streit keine Verständigung meint die junge Frau aus Zimbabwe, die schwierigen Themen, die Unterschiede, müssen auf den Tisch, sonst kommen wir uns nicht näher. Simiso Vilempini hat in Südafrika studiert und arbeitet dort jetzt auch in einer Beratungsfirma. In ihrer Heimat Simbabwe, wie in Südafrika und Namibia, sind zum Beispiel Landreformen ein Thema von höchster Bedeutung. Durch die koloniale Vergangenheit besitzen meist immer noch Weiße die großen Farmen. Dass es eine Umverteilung geben muss, bei der Schwarze auch verstärkt zu Landbesitzern werden können, ist Konsens. Nur wie die Umverteilung aussehen soll, ist oft eine schwierige Frage, denn auch die weißen Farmer leben oft schon seit Generationen auf dem Land und haben häufig über die Jahrzehnte auch besondere Fachkenntnisse erworben. Die Landfrage war zwischen Deutschen und Afrikanern schwierig zu diskutieren fand Tracy Jooste.
"Manchmal wurden Fragen gestellt, aus Unwissenheit heraus, die unsensibel klingen konnten. Jemand fragte, warum Afrikanern die Landfrage so wichtig sei, warum sie sich mit dem Land so verbunden fühlten. Ich konnte gar nicht verstehen, warum diese Frage gestellt wurde, denn für mich ist das völlig klar. Natürlich bedeutet Land den Menschen bei uns wahnsinnig viel, vor allem vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit und der Kolonisierung, und ich fand es so unsensibel, so etwas zu fragen. Und es wurde da, wenn ich mich richtig erinnere, auch noch das Wort mystisch gebraucht. In dem Sinne gibt es eine mystische Verbindung mit dem Land. Ich konnte wirklich nicht glauben, dass eine solche Frage gestellt wurde, deren Beantwortung sich doch wirklich selbst erschließen lässt. Aber natürlich ist das eine sehr emotionale Angelegenheit und auch ich fühle mich da schnell in meinen Gefühlen verletzt. Aber mir war klar, dass es darum ging, dass derjenige nichts darüber wusste, dass ihm noch nie erklärt worden war, weshalb Land so wichtig ist."
Tracy Jooste war erstaunt darüber, wie wenig die Deutschen wussten, vor allem von den Jüngeren hatte sie mehr erwartet. Manchmal braucht es einen Tag, sagt sie, um über eine unsensible Frage hinweg zukommen. Aber wenn wir diese Momente nicht hätten, diese schwierigen Momente, dann wäre es überhaupt nicht gut. Wenn man durch Diskussionen nicht zusammenkam, dann blieben die Positionen eben nebeneinander stehen. Auch die Afrikaner untereinander stritten, für Linda Poppe war das nur ein weiterer Baustein dazu, ihr Afrikabild zu differenzieren.
"Also es gab auch Momente, wo es zwischen ihnen Kontroversen gab, auch zum Teil nur zwischen den beiden Namibianern, wo sie dann fast geschrieen haben und sich über die Landreform gestritten haben oder wenn sie sich gegenseitig erzählen, wie es in ihrem Land ist, dann ist das doch sehr spannend. Dann fällt einem immer wieder auf, wie irrsinnig es eigentlich ist anzunehmen, dass alles irgendwie so gleich ist, wenn wir zum Beispiel Demokratische Republik Kongo hier haben, sprechen wir von einem Gebiet das riesig ist. Namibia ist auch zweieinhalb mal so groß wie Deutschland. Das alles in einen Topf zu werfen, da sollte man sich inzwischen wahrscheinlich auch schon für schämen."
Tracy Joosten erinnert sich an eine Diskussion unter Afrikanern über das Problem "brain drain". Viele gut ausgebildete Fachleute wandern ab nach Europa oder in die USA, weil dort bessere Verdienstmöglichkeiten locken. Das bedeutet aber auch, dass die Heimatländer an Wissen ausbluten. Unter den afrikanischen Teilnehmern kam die Frage auf, wie sehr sie sich den Heimatländern verpflichtet fühlen. Die Meinungen waren recht gespalten.
"Das war vielleicht die intensivste Debatte und jeder im Zug nach Brüssel konnte sie sich mit anhören."
Und dann gab es noch die Diskussionen, bei denen sich die Deutschen wunderten. Zum Beispiel wenn es um Kindererziehung ging, erzählt Lan Böhm. Alle afrikanischen Teilnehmer waren in ihrer Kindheit irgendwann mal von den Eltern oder Großeltern geschlagen worden und fanden auch nichts dabei. Die Deutschen waren entsetzt. Mehr noch, die afrikanischen Studierenden wollten das durchaus mit ihren zukünftigen Kindern auch so halten. Da kamen die Teilnehmer auf keinen gemeinsamen Nenner. Lan Böhm:
"Dann später waren wir in einem Theater, dass mit behinderten Schauspielern arbeitet und jedes Wochenende eine Show auf die Bühne stell. Also unheimlich beeindruckende Frau mit ganz ganz viel Engagement das dahinter steckt und dann wurde ich auch gefragt, warum gibt es in Deutschland Menschen, die sich mit so etwas auseinandersetzen, also sowohl mit dieser Jugendlicheneinrichtung als auch dieses Theaterstück. Die Leute also, die Sozialarbeiter, die sind doch so talentiert, die haben soviel Energie, die könnten doch auch Juristen werden oder Journalisten oder die könnten doch in die Politik gehen und da viel Geld verdienen und entlang dieser Frage hat sich dann auch für mich rauskristallisiert, wie selbstverständlich es für uns ist, in der deutschen Gesellschat sich über die Arbeit auch so ein Stück weit zu verwirklichen, das war für mich überhaupt keine Frage. Warum macht man das, na weil man jemandem helfen will, weil man das, was man zurückbekommt, als größten Dank empfindet und das Geld das man dafür bekommt, das reicht für den Lebensunterhalt, damit gibt man sich zufrieden."
Ein Beispiel dafür, dass es in Namibia aber durchaus ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement gibt, meint Lan Böhm, konnten die Studierenden aber selbst auf der Reise erleben: im Jugendclub der kleinen Stadt Opuwo, wo man sich gegen Aids engagiert und versucht, den Jugendlichen wenigstens ein kleines Freizeitangebot in einer sonst eher tristen Umgebung zu bieten. Als die Studierenden zu Besuch kamen, empfingen sie die Jugendlichen mit einem bunten Programm.
In Opuwo prallten Welten aufeinander: die der Stipendiaten, alle mit einer ausgezeichneten Ausbildung, mit guten Perspektiven und die der Jugendlichen, die meist die Schule nicht abgeschlossen hatten, für die es in einem Land mit 40% Arbeitslosigkeit wenig Perspektiven und mit der hohen HIV Infektionsrate eine große Lebensbedrohung gibt. Trotzdem klappte der Kontakt, man redete und tanzte miteinander, die Jugendlichen luden zum Abendessen ein. Für Linda Poppe trotzdem ein zwiespältiges Erlebnis.
"Man ist mit einem etwas bitteren Geschmack in die Lodge zurückgefahren, weil ein Stück von ihrem Leben wurde mit einem geteilt, wofür man ja auch sehr dankbar sein muss, was ja auch nicht jeder macht und dann geht man aber doch weiter seiner Wege, die ganz andere sind."
Ein Aspekt, bei dem zumindest die Studentinnen aus Deutschland geradezu neidisch auf die Frauen in afrikanischen Ländern wurden war das Thema Kinder und Karriere. Tracy Jooste:
"Ich denke die Geschlechterfrage war ein wichtiger Aspekt. Ich war geschockt darüber, wie schwer es ist für Frauen in Deutschland, vor allem wenn es darum geht zu entscheiden, will man eine Familie und zuhause bleiben oder will man arbeiten. Mir war nicht klar, dass das ein solches Problem sein könnte und mir ist dadurch noch einmal klar geworden, wie wichtig in unserer Kultur das Familiennetzwerk ist, es gibt uns mehr Möglichkeiten als europäischen Frauen. Denn wenn ich mich entscheiden würde, zu heiraten und eine Familie zu gründen, dann gäbe es zu 50% die Chance, dass ich meine Kinder bei meiner Mutter lassen könnte, um zu arbeiten und so machen es viele Leute."
Lan Böhm: "Ganz viele von unseren Teilnehmern aus Afrika sind bei den Großeltern, vor allem bei den Großmüttern aufgewachsen so mit den Cousins und Cousinen und die Mütter und Väter sind dann in der Stadt gewesen und haben gearbeitet und haben das Geld nach hause geschickt. Und sind zweimal im Jahr vorbeigekommen, das wäre bei uns undenkbar."
Auch heute können die Frauen in afrikanischen Ländern meist auf ein extensives Familiennetzwerk zurückgreifen. Viele wünschen sich fünf oder sechs Kinder, wollen nach einer Geburt nur einen Monat ihre Arbeit unterbrechen und dann weiter Karriere machen. Den Begriff Rabenmutter gibt es in ihren Kulturen nicht.
Lan Böhm: "Mich hat das beeindruckt, wie unverfroren eigentlich die Mädels da so drangegangen sind und dass die sich überhaupt keine Platte darüber machen, wie das gehen soll, die wissen einfach das klappt, total stark, weil ich mach mir schon Sorgen darüber, wie das mal werden soll. Für deutsche Mädchen, so kenne ich das jedenfalls aus meinem Freundeskreis, wir sind alle überzeugt, dass wir entweder ganz ganz spät erst Kinder kriegen oder mehr aus Zufall, weil wenn man das Leben so planen will, bis es den perfekten Moment für ein Kind gibt, der wird nicht kommen, es wird halt immer etwas geben, was dagegen spricht, und dann bekommt man halt eben kein Kind, oder es passiert per Zufall und dann ist es ja auch gut.".
Linda Poppe: "Wir sind grad in einem Zelt in einem Forschungsinstitut in der Mitte der Wüste Namib und dieses Zelt ist meine Unterkunft für die Nacht und es steht in der Wüste quasi umringt von Dünen, Sand, ein paar Tieren und ein paar Bäumchen. Ein super Feldbett mit Decke und Kissen, ein Tisch, kleine Lampe, solarbetrieben. Man hat sogar ein kleines Fenster, wo man den Reißverschluss aufmachen und in die Sterne kucken kann."
Eine Nacht im Zelt statt in der drei oder vier Sterne Lodge findet Linda Poppe angenehm. Nur dass sie das Fenster aufgemacht hatte, war ein Fehler.
"Dadurch, dass es so windig ist und soviel Sand ist, ist auf den Betten ganz viel Sand und auf dem Boden auch, und alles ganz sandig ist und wüstenähnlich."
Die Wüstenforschungsstation Gobabeb ist eine der letzten Stationen auf der Reise durch Namibia, Zeit Bilanz zu ziehen. Linda Poppe macht ihren Master in Friedensforschung in Tübingen. Und für sie ist die Gruppe schon zu einer Familie geworden und das Programm fand sie:
"sehr kontrastreich. Der erste Teil in Deutschland scheint schon sehr sehr weit weg, die Vorlesungen waren immer gut, die Seminare, die wir hatten, aber es hat sich doch sehr entwickelt und seit wir in Namibia sind, ist es doch anders geworden. Die Gruppe ist anders, die Themen die wir besprechen einfach das Land, die ganze Umgebung, dass wir viel mit dem Bus reisen, das ist eine sehr spannende Erfahrung."
Für die meisten Teilnehmer unterschied sich allerdings die Qualität des Programms in Deutschland und Namibia deutlich. Lan Böhm:
"Ich hab eine wunderschöne Zeit in Namibia gehabt, sehr viel gesehen und gelernt, beim zweiten teil der Reise allerdings, weil wir so lange Wege hinter uns gebracht, dann waren wir im Nationalpark und am Meer und jetzt fahren wir noch in die Wüste und da hat sich bei mir so ein Bisschen das Gefühl eingeschlichen, dass es fast so ein Bisschen eine touristische Unternehmung dann wurde."
Lan Böhms Einschätzung teilt auch Simiso Vilempini.
"Ich hatte wirklich das Gefühl, dass unsere Tour in Namibia etwas zu touristisch war, irgendwann war es einfach genug mit den Wildparks und nach einer bestimmten Menge von wilden Tieren reicht es dann auch, das fand ich etwas ärgerlich."
Vor allem, weil das Projekt doch dazu beitragen sollte, Stereotype aufzubrechen. Jetzt, meint Simiso Vilempini, sieht es doch wieder so aus, als wenn in Afrika eben nicht die gleiche Qualität auf die Beine gestellt werden kann, wie in Deutschland. Viele afrikanische Teilnehmer wunderten sich auch, warum ein deutscher Arzt die Reise begleitete. Und warum die meisten Referenten nicht wussten, mit wem sie es eigentlich zu tun haben würden. Die Themen waren oft sehr weit gefasst und die Redner sprachen manchmal dreimal so lang wie vorgesehen. Für die Fragen der Stipendiaten blieb dann oft nicht genügend Zeit. Manche wichtige Themen fehlten völlig auf der Agenda. Die Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen in Namibia kamen zum Beispiel nur am Rande vor, das Thema Apartheid fehlte ganz, bemängelt Simiso Vilempini.
"Das hätte es für alle leichter gemacht zu verstehen, weshalb es zum Beispiel so viele Produkte aus Südkafrika in den Regalen gibt und wieso die Wirtschaft hier so abhängig ist von der Wirtschaft Südafrikas und welchen Effekt das auch die Unabhängigkeit von Namibias Wirtschaft hat."
Einige der afrikanischen Teilnehmer hätten sich auch eine andere Auswahl der Referenten gewünscht. Simiso Vilempini:
"Ein paar mehr schwarze Referenten wären gut gewesen, denn die Mehrheit der Namibier ist schließlich schwarz, das wäre hilfreich gewesen bei der Erklärung von sensiblen Fragen, es wäre besser gewesen, als jemanden von außen zu haben, der dann die Situation nur von außen erklären kann, der selbst nicht in der Situation ist."
Bei der Evaluierung am Schluss des Programms gab es aber durchaus auch Selbstkritik der Stipendiaten. Etwas zuviel habe man sich in den letzten Tagen um Pool und Party gekümmert, etwas zuwenig um die Ziele, die man sich selbst gesteckt hatte. Und bei aller Kritik: alle fanden das Projekt lohnend, nahmen viele kostbare Erfahrungen mit, hatten sogar Freundschaften geschlossen. Und wünschen sich, dass es weitergeht mit dem Dialog zwischen Afrika und Deutschland.
"Auf jeden Fall will ich zurückkommen, vor allem nach Berlin, ich habe mich sofort in Berlin verliebt. Die Firma, für die ich nun arbeite, organisiert eine südafrikanisch-deutsche- Wirtschaftskonferenz, möglicherweise im kommenden März in Frankfurt. Ich habe mich mit dem deutschen Partner in Frankfurt getroffen, als ich jetzt in Deutschland war, um mich mit ihm zu besprechen. Also hoffentlich bin ich schon im März zurück."
Für viele der deutschen Teilnehmer haben sich auf der Reise neue Ideen entwickelt. Für die Magisterarbeit zum Beispiel oder für ein Themengebiet, mit dem man sich beschäftigen will. Alle wünschen sich, in Kontakt zu bleiben.
"Also es ist jetzt während der Reise sehr sehr viel entstanden, wir haben jeden Tag zu zweit ein Tagebuch geschrieben, also jeweils aus deutscher und afrikanischer Sicht den Tag reflektiert und das wird bald mal im Internet zu lesen sein."
Schon unterwegs hatten die Studierenden ein gemeinsames Projekt begonnen.
"Wir haben uns in sechs Gruppen aufgeteilt und wollen zum Thema Bildung arbeiten. (...) Wir haben jetzt Gruppen gebildet immer mit deutschen und afrikanischen Teilnehmern und versuchen darüber zu diskutieren, welche Probleme gibt es bei uns und welche bei euch, können wir was Gemeinsames draus subtrahieren oder herausziehen und dann wollen wir uns zusammensetzen und Lösungsstrategien entwerfen, es soll erstmal darum gehen ein Bisschen out of the box auch zu denken."
Mit guten Beispielen aus verschiedenen Ländern sollen Strategien für unterschiedliche Bildungsbereiche entwickelt werden, in Deutschland wie in Afrika.
"Und das schreiben wir dann in so einem Fünf-Seiten-Bericht zusammen und zusammen mit den Seiten der anderen Gruppen soll so eine Art Bildungsbericht herauskommen aus unserer jungen Perspektive. Und das wird eingebracht im Rahmen eines Programms, das heißt young leaders, auch eine Initiative des Bundespräsidenten, und wird dann als Impuls von unserer Gruppe in dieses Netzwerk mit rein gegeben."
Und weil das Projekt auf der Reise nicht fertig geworden ist, müssen sich die Stipendiaten ganz einfach weiter per E-mail damit beschäftigen. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung will das Projekt gerne fortsetzen, gedacht ist an Ostafrika im nächsten Jahr und Westafrika im Jahr 2009.
"Ich kann mir vorstellen, dass die Bundeszentrale als Dienstleister dieses Programm weiterführt, finanziell muss man einfach sich zusammenraufen und einen anderen Weg überlegen, da sind wir auch kurz vor einem Durchbruch und schaffen das sicherlich auch mit anderen Institutionen nachhaltig, die das eigentlich von ihrem Auftrag her können und machen sollten, hinzubekommen."
Wer genau das 170.000 Euro teure Programm in Zukunft finanzieren soll, ist noch unklar. Aber das Potential, das darin steckt will man nicht verpuffen lassen. Vor allem die afrikanischen Teilnehmer haben Mut gemacht für die Entwicklung ihres Kontinents.
"Es wäre jammerschade, wenn eine solche Investition einfach im Sande verläuft."
Tracy Jooste setzt inzwischen ihre Hoffnungen auf ein Wiedersehen auf das Jahr 2010
"Alle werden zur Fußball WM nach Südafrika kommen 2010, da werden wir uns alle wieder treffen."
So wie Benjamin Zasche aus Augsburg und Reginald Ntombe aus Sambia haben über vierhundert Bewerber sich auf die Ausschreibung zum Programm Go Africa – Go Germany gemeldet. Anfang des Jahres hatte die Bundeszentrale für politische Bildung den Aufruf gestartet, eingeladen waren Studierende von Politik- und Wirtschaftswissenschaften, Jura und Journalismus, erzählt Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.
"Unsere Idee war, die Bewerber aufzufordern, ein Essay zu schreibe. Wir haben drei Themen dafür vorgeschlagen, es ging um die Demokratiebildung, es ging um Pressefreiheit und um die wirtschaftlichen Entwicklungen und zu diesen drei Themen haben eben die Bewerber aus Deutschland und aus den Ländern des südlichen Afrika Essays bei uns eingereicht und durch eine Fachexpertenkommission sind diese Essays dann durchgesehen worden und nach einem Punktsystem ohne den Blick auf Herkunft und Hintergrund und politischen Hintergrund haben wir dann einfach gesucht, wer sind diejenigen, die hier wirklich in den Essays das meiste Potential versprechen."
Dreizehn Studierende aus ganz Deutschland und zwölf aus afrikanischen Ländern wurden ausgewählt für ein ehrgeiziges Programm. Alle mussten gut Englisch sprechen, sollten einen Basis-Hintergrund zum Thema Europa und Afrika haben und bereit sein, sich mit der jeweils anderen Kultur auseinanderzusetzen. Denn das Ziel des Projektes soll es sein, ein Netzwerk aus Deutschen und Afrikanern zu bilden, die womöglich in zehn Jahren in wichtigen Positionen ihrer jeweiligen Gesellschaften sitzen und sich dort für gute Beziehungen einsetzen.
Krüger:"Wir brauchen einfach eine neue Generation von Experten, die sich auch auf Augenhöhe verständigen"
Das Projekt ist ein Experiment und auch die Bundeszentrale für politische Bildung betrat damit Neuland. Denn bisher hat sie lediglich Studienreisen für deutsche Teilnehmer zum Beispiel nach Israel oder in die Länder Osteuropas organisiert. Jetzt galt es ein Programm für Deutsche und Afrikaner auszuarbeiten, die zunächst zwei Wochen durch Deutschland und anschließend durch Namibia reisen sollten.
"Das ist ein absolutes Eliteprogramm. Es ist keineswegs eine Art Jugend-Austausch der von den Verbänden mitgetragen wird, der in die Breite geht, der die Vielfalt von Gesellschaft abbildet, darauf kam es uns auch gar nicht an, sondern uns kam es dezidiert darauf an, Multiplikatoren zu identifizieren, die eine Beziehung zu diesem Thema aufbauen, die schon bei diesem Thema unterwegs sind, um herauszufinden, wer sind die Multiplikatoren von morgen, die für eine andere Afrikapolitik einstehen können."
Zwischen 20 und 28 waren die ausgewählten Teilnehmer, viele der Deutschen waren noch nie in Afrika gewesen, viele der Afrikaner nicht in Europa. Osang Anwenseng aus der Demokratischen Republik Kongo hatte ihr Heimatland noch niemals zuvor verlassen. So vielfältig wie die Teilnehmer waren auch die Erwartungen an das Programm. Zum Beispiel die von Benjamin Zasche und Lan Böhm.
Benjamin Lasche: "Dass ich vielleicht bestimmte Stereotypen vielleicht abändern, modifizieren oder einfach beseitigen kann und ich wollte unbedingt viel mehr Leute aus Afrika besser kennen lernen, Freunde in Afrika machen."
Lan Böhm:"Wenn man Politikwissenschaften studiert und ich hab mich eine Zeit lang mit Friedens- und Konfliktforschung beschäftigt, dann ist Afrika immer der soziale Brandherd und auch in den Medien sind es immer die drei großen Dinge AIDS, Bürgerkriege und Hunger, was immer so assoziiert wird. Ich hab mich dann einfach irgendwann gefragt, wieviel davon entspricht der Realität und wie leben die Menschen wirklich. Ich hatte einfach Lust mich damit intensiver zu beschäftigen."
Tracy Jooste: "Der Flughafen in München hat uns geradezu umgehauen, die Türen öffnen sich automatisch, wenn man sich nähert, alles macht für dich den Weg frei, alles kann offenbar spüren, wenn du kommst und wann du gehst, das war ganz schön verrückt. Alles schien so sauber und gepflegt zu sein. Man spürte gleich, dass man in einer anderen Umgebung war. Sofort war klar, dass man nicht mehr in Südafrika war. Das war ganz schön aufregend."
Gemeinsam mit den anderen afrikanischen Stipendiaten kam die Südafrikanerin Tracy Jooste am 19. August in München an. Anschließend ging es gleich weiter nach Berlin, wo das Programm mit einer Stadtrundfahrt startete. Von da an waren die Tage prall gefüllt. Drei bis fünf Vorträge täglich, Besuche im Auswärtigen Amt, im Parlament, im jüdischen Museum, in der Gedenkstätte Berliner Mauer. Aber es ging auch in eine Unterkunft für obdachlose Jugendliche und zu einem Behindertentheater.
"Was mich gleich beeindruckt hat, waren die Gebäude, die physische Infrastruktur von Berlin. So historisch und gleichzeitig so vielfältig! Vielfältig und trotzdem hatte ich das Gefühl, ich sehe das gleiche Gebäude immer wieder, ich konnte einfach nicht glauben, dass es so derartig viele historische Gebäude gibt, alle mit einer speziellen Bedeutung für die Stadt und verknüpft mit unterschiedlichen historischen Phasen in Berlin und Deutschland. Man bekam gleich einen Sinn für die Geschichte in der Stadt und so ein Gefühl hatte ich noch niemals zuvor irgendwo anders. Es gibt so viele Symbole der Vergangenheit und auch für die Zukunft, die Zukunft nach dem Fall der Berliner Mauer."
Auch wenn während des Krieges viele alte Gebäude in Deutschland zerstört wurden, im Vergleich zu ihrer Heimat Kapstadt atmet für Tracy Jooste hier jeder Stein Geschichte.
"Zuhause bei uns gibt es keine Burgen und Paläste, das war faszinierend, so etwas sieht man bei uns nur auf Postkarten oder im Fernsehen. Es ist verblüffend, wie sehr man sich dadurch vorstellen kann, wie es früher gewesen sein muss, das war ein seltsames Gefühl."
Berlin wurde zum Highlight für die meisten afrikanischen Teilnehmer. Auch, weil sie die Stadt als ausgesprochen lebendig empfanden. Dass man hier zum Beispiel bis spät abends ausgeht, auch in der Nacht noch viele Leute unterwegs sind, war vor allem für die Teilnehmer aus Südafrika eine Überraschung. In Kapstadt oder Johannesburg lässt die Sicherheitslage das nicht zu. Und die konkrete Anschauung machte auch manche deutsche Besonderheiten nachvollziehbarer, fand Simiso Vilempini aus Simbabwe.
"Das jüdische Museum war wirklich gut. Als ich nach Deutschland kam, dachte ich nämlich, dass es dort diese ständigen Erinnerungen an die Vergangenheit gibt, im Bewusstsein, in der Psyche der Menschen, aber auch in physischen Manifestationen, in der Architektur, in Gebäuden oder Statuen. Und wenn man dann das jüdische Museum besucht, all die Bilder gesehen hat, und die Geschichte, dann versteht man viel besser, warum es wichtig ist, dass man sich dieser Geschichte ständig bewusst ist, denn sonst könnte sie sich vielleicht wiederholen."
Relativ viel Wohlstand, viel Geschichte und, wie die Afrikaner mit Schmunzeln erzählen, viele Kartoffeln zum Essen, das hatten sie erwartet. Aber es gab auch ein paar Überraschungen:
"Zum Beispiel Obdachlosigkeit. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass das in Deutschland ein Problem sein könnte, ein G8 Mitgliedsland, Hersteller der besten Luxusautos in der Welt und all das, also das war eine verblüffende Erkenntnis, und ich finde, sie haben die Themen so ausgewählt, dass sie wirklich nützlich und interessant für uns waren."
Neben dem offiziellen Programm galt es natürlich auch, die deutschen Teilnehmer kennenzulernen und das Nachtleben. In kleinen Gruppen machte man sich am Abend auf den Weg.
"Und dann die Infrastruktur beim öffentlichen Nahverkehr! Straßenbahnen und Fahrräder und Autos, alles fährt auf einer Straße. Es sieht irgendwie chaotisch aus, aber irgendwie fließt der Verkehr doch ganz gut, also ich war wirklich beeindruckt."
Die Suche nach dem "echten" Deutschland, nach dem was man sich vorgestellt hatte, fand Tracy Jooste gar nicht immer so einfach:
"Ich war wirklich versessen darauf, etwas echt Deutsches zu erfahren, etwa im Restaurant. Aber letzten Endes aßen wir libanesisch oder Türkisch oder Indisch und ich dachte, wo verflixt nochmal gibt es denn hier mal was richtig Deutsches. Erst als wir nach Köln kamen, gingen wir in eine richtige deutsche Kneipe und aßen richtiges deutsches Essen. Ich dachte schon, so etwas wie deutsche Küche würde es gar nicht geben."
Potsdam und Köln standen außer Berlin auf dem Programm und eigentlich sollte auch noch ein Abstecher nach Hamburg stattfinden, mit Besichtigung des Hafens. Doch da hatte auch Bundespräsident Horst Köhler noch einen freien Platz in seinem Terminkalender und empfing die ganze Gruppe.
"Den Präsidenten zu treffen, das war auch schön, das war ehrlich gesagt ziemlich toll. Er war sehr warm zu uns und er gab uns als jungen Leuten auch hoffnungsvolle Worte mit auf den Weg. Nicht jeder trifft den Bundespräsidenten von Deutschland, das war schon eine besondere Gelegenheit und ich denke es hat allen gefallen."
Namibia war das Land, in das die Gruppe nach dem Aufenthalt in Deutschland reiste, das nach der deutschen die afrikanische Erfahrung bringen sollte. Zweimal so groß wie Deutschland von der Fläche her, aber von nur knapp zwei Millionen Einwohnern bewohnt, eine ehemalige deutsche Kolonie, das trockenste Land im Afrika südlich der Sahara.
1885 war die deutsche Kolonialgesellschaft für das damalige Südwestafrika gegründet worden, um deutsche Siedler ins Land zu holen und Farmland zu verpachten. Im Januar 1904 erhoben sich die Herero, denen die Deutschen ihr Land weggenommen hatten, gegen die Siedler und Händler. Der Aufstand wurde von Deutschen blutig niedergeschlagen, die überlebenden, auch Frauen und Kinder trieb man in die Wüste, wo sehr viele starben. Wieviele genau starben ist umstritten, aber viele Historiker Stufen die Niederschlagung des Herero Aufstandes als Völkermord ein. 2004 hat sich die deutsche Entwicklungshilfeministerin Wiezcoreck Zeul zu der deutschen Schuld in der Kolonialzeit bekannt. Statt Entschädigungen sagte man erhöhte Entwicklungshilfe zu.
Auch heute noch ist die Verknüpfung mit Deutschland in Namibia allgegenwärtig. Es gibt eine deutsche Zeitung und ein deutschsprachiges Radioprogramm, etwa 20.000 Deutschstämmige bilden in Namibia eine kleine, aber meist wohlhabende und gebildete Minderheit. Das Programm der Stipendiaten knüpfte viel an den deutschen Bezugspunkten an, zuviel für manche Teilnehmer. Tracy Jooste:
"In den ersten Tagen habe ich mir etwas Sorgen gemacht, weil ich das Gefühl hatte, dass ich Namibia nicht von der namibischen Seite her erfahren würde. Ich fühlte mich, als würde ich es durch die deutsche Brille betrachten. In dem Hotel, wo wir wohnten, sprachen alle Deutsch, das hatte ich nicht erwartet. Wir waren in einer sehr abgeschirmten Umgebung. Wir waren im Hotel, wanderten von dort zum Konferenzraum und zurück ins Hotel. Und wenn wir mal raus gingen, dann in die deutsche Botschaft oder ins deutsche Kulturzentrum. Die Referenten waren Deutsche, es war wie ein Namibia, dass man mit einem deutschen Anstrich versehen hatte."
In den ersten Tagen in Namibias Hauptstadt Windhoek gab es tatsächlich wenig Berührung mit dem Land und der Mehrheit seiner Bevölkerung, dafür viel Theorie. Vorlesungen über Bildung, Staatsaufbau und Wirtschaft des Lnades fanden im Hotel statt. Doch nach vier Tagen machten sich Deutsche und Afrikaner auf den Weg durch das Land.
Die Reise führte hinauf in den Norden des Landes bis zur angolanischen Grenze, dann an die Küste nach Swakopmund und Walvisbay und schließlich in die Wüstenforschungsstation Gobabeb. Deutsche spuren fanden sich auch unterwegs noch jede Menge, für Reginald Ntombe aus Sambia eine interessante Erfahrung.
"Wir waren hier in einer Stadt, in Swakopmund, da konnte man sehen, dass dieser Ort immer noch eine Art Kater hat, wenn ich das mal so nennen darf, einen Kater von der Kolonisierung. Es war interessant zu sehen, wie dieser Einfluss fortbesteht im Leben der Namibier. Straßennamen standen da immer noch auf Deutsch und im Supermarkt hatten all die Lebensmittel Etiketten auf Deutsch. Ich war in einem Buchladen, weil ich Literatur suchte und alle Bücher dort hatten deutsche Titel. Ich konnte also sehr gut die Verbindung sehen zwischen Deutschland und seiner Ex-Kolonie."
Ein typisches afrikanisches Land gibt es wohl nicht, schließlich ist der Kontinent durch zahlreiche Völker, unterschiedlichste Landschaften, Regierungsformen, wirtschaftliche Voraussetzungen ein äußerst vielfältiges Gebilde. Namibia ist auf dem Kontinent das Land mit dem zweithöchsten Pro-Kopfeinkommen, es hat Bodenschätze wie Diamanten und Uran, die Demokratie funktioniert ganz gut und es gibt keine kriegerischen Auseinandersetzungen in dem Land. Der Anteil der HIV Infektionen liegt bei 20 % der Bevölkerung. Ob es ein gutes Land war, um in den Kontinent Afrika und den Austausch zwischen Deutschen und Afrikanern einzusteigen, darüber waren Reginald Ntombe Linda Poppe und Benjamin Zasche geteilter Meinung. Reginald Ntombe:
"Es war möglich, die Deutschen in Deutschland und die Deutschen in Namibia miteinander zu vergleichen, und das fand ich sehr interessant. Ich habe darüber auch mit meinen deutschen Kollegen aus dem Austauschprogramm gesprochen, über ihre Eindrücke von den Deutschen hier, ihre Sicht auf das Leben und wie ihre Beziehungen zu den schwarzen Namibiern hier sind. Also für mich war Namibia eine gute Wahl. Abgesehen von den Verbindungen zu Deutschland denke ich, dass es auch interessant war durchs Land zu reisen, es war interessant mit verschiedenen Leuten über Namibias Wirtschaft zu reden und über die Politik des Landes. Das Land ist erst seit 17 Jahren unabhängig, es war spannend zu sehen, wie es um Demokratie und Regierungsführung steht. Also meiner Meinung nach war es eine gute Wahl."
Linda Poppe:"Ich finde Namibia als Land ist interessant, aber ich glaube, die Tatsache, dass es so riesig ist und das es sowenig Einwohner hat, das es einfach so unheimlich lange Reisewege beinhaltet und es schwierig ist an den Orten wo man hinreist, das Programm zu organisieren, wie man es vielleicht gewollt hätte, weil man halt nicht die Auswahl hat oder man muss sehr lange Strecken fahren. Und ich glaube, das hat dem Programm nicht immer gut getan. Teilweise schon, weil es halt auch eine sehr große Vielfalt hat und weil die Themen, die hier angesprochen werden, eben auch sehr interessant sind und weil Namibia eben auch nicht der totale Katastrophenfall ist, sondern auch sehr positiv, aber dadurch, dass man halt in einem großen Land mit kleiner Bevölkerung ist, glaube ich, haben manchmal einige Sachen darunter gelitten."
Benjamin Zasche:"Namibia war deshalb ein guter Start, weil es eben ein Land ist in dem es die Kontroversen stattfinden, das Deutschland angeht. Das ist ein Land, von seiner politischen Situation her, das Deutschland immer noch sehr stark angeht, wo wir gewissermaßen Verantwortung haben und in vielerlei Hinsicht denke ich auch übernehmen."
Zu Namibia gehören auch faszinierende Landschaften und eine reiche Tierwelt. Die erfuhr sich die Gruppe im Bus.
Eine Safari durch den Etoscha-Nationalpark gehört für Touristen in Namibia zum Standardprogramm und der Fremdenverkehr ist ein wichtiger und wachsender Wirtschaftszweig in dem Land, in dem es neben Bodenschätzen wenig Möglichkeiten zur ökonomischen Expansion gibt. Auch die Gruppe machte sich auf die Suche nach Zebras und Elefanten, nach Antilopen und Warzenschweinen.
Reiseleiterin Inge Glaue versuchte die manchmal vom strammen Programm und vom abendlichen Feiern etwas müden Studierenden bei der Stange zu halten.
Übrigens ist es keineswegs so, dass alle Afrikaner Elefanten, Kudus und Giraffen sozusagen täglich sehen. Auch für die Studierenden aus Kenia, aus Botswana oder Malawi sind die Beobachtungen etwas Besonderes. Tracy Jooste aus Südafrika zum Beispiel war noch nie im Krüger Nationalpark. Der sei doch viel zu exklusiv, touristisch und schlicht auch zu teuer, meint die junge Frau, die als erste in ihrer Familie einen Studienabschluss gemacht hat. Nur: nach vielen Beobachtungen an verschiedenen Wasserlöchern und vielen Stunden im Bus erlahmte das Interesse.
Auch wenn die langen Busfahrten ermüdend waren, sie gaben doch Gelegenheit zu dem, was an dem ganzen Programm vielleicht das Wichtigste war: zum Kennenlernen und miteinander reden. Die Gruppe war schnell zu einer Einheit zusammengewachsen, unabhängig davon, ob man nun aus Afrika stammte oder aus Deutschland. Es entstanden schnell Kontakte und sogar Freundschaften. Jeden Tag schrieben zwei Teilnehmer an einem Internet-Tagebuch, es gab eine Presseschau, und die Abende endeten meist erst tief in der Nacht. Aber es gab nicht nur Harmonie, es gab auch durchaus heftige Auseinandersetzungen, erzählt Simiso Vilempini:
"Leute sind wütend vom Tisch aufgesprungen und weggelaufen, haben sich angeschrieen, aber ich denke, das ist gut so."
Ohne Streit keine Verständigung meint die junge Frau aus Zimbabwe, die schwierigen Themen, die Unterschiede, müssen auf den Tisch, sonst kommen wir uns nicht näher. Simiso Vilempini hat in Südafrika studiert und arbeitet dort jetzt auch in einer Beratungsfirma. In ihrer Heimat Simbabwe, wie in Südafrika und Namibia, sind zum Beispiel Landreformen ein Thema von höchster Bedeutung. Durch die koloniale Vergangenheit besitzen meist immer noch Weiße die großen Farmen. Dass es eine Umverteilung geben muss, bei der Schwarze auch verstärkt zu Landbesitzern werden können, ist Konsens. Nur wie die Umverteilung aussehen soll, ist oft eine schwierige Frage, denn auch die weißen Farmer leben oft schon seit Generationen auf dem Land und haben häufig über die Jahrzehnte auch besondere Fachkenntnisse erworben. Die Landfrage war zwischen Deutschen und Afrikanern schwierig zu diskutieren fand Tracy Jooste.
"Manchmal wurden Fragen gestellt, aus Unwissenheit heraus, die unsensibel klingen konnten. Jemand fragte, warum Afrikanern die Landfrage so wichtig sei, warum sie sich mit dem Land so verbunden fühlten. Ich konnte gar nicht verstehen, warum diese Frage gestellt wurde, denn für mich ist das völlig klar. Natürlich bedeutet Land den Menschen bei uns wahnsinnig viel, vor allem vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit und der Kolonisierung, und ich fand es so unsensibel, so etwas zu fragen. Und es wurde da, wenn ich mich richtig erinnere, auch noch das Wort mystisch gebraucht. In dem Sinne gibt es eine mystische Verbindung mit dem Land. Ich konnte wirklich nicht glauben, dass eine solche Frage gestellt wurde, deren Beantwortung sich doch wirklich selbst erschließen lässt. Aber natürlich ist das eine sehr emotionale Angelegenheit und auch ich fühle mich da schnell in meinen Gefühlen verletzt. Aber mir war klar, dass es darum ging, dass derjenige nichts darüber wusste, dass ihm noch nie erklärt worden war, weshalb Land so wichtig ist."
Tracy Jooste war erstaunt darüber, wie wenig die Deutschen wussten, vor allem von den Jüngeren hatte sie mehr erwartet. Manchmal braucht es einen Tag, sagt sie, um über eine unsensible Frage hinweg zukommen. Aber wenn wir diese Momente nicht hätten, diese schwierigen Momente, dann wäre es überhaupt nicht gut. Wenn man durch Diskussionen nicht zusammenkam, dann blieben die Positionen eben nebeneinander stehen. Auch die Afrikaner untereinander stritten, für Linda Poppe war das nur ein weiterer Baustein dazu, ihr Afrikabild zu differenzieren.
"Also es gab auch Momente, wo es zwischen ihnen Kontroversen gab, auch zum Teil nur zwischen den beiden Namibianern, wo sie dann fast geschrieen haben und sich über die Landreform gestritten haben oder wenn sie sich gegenseitig erzählen, wie es in ihrem Land ist, dann ist das doch sehr spannend. Dann fällt einem immer wieder auf, wie irrsinnig es eigentlich ist anzunehmen, dass alles irgendwie so gleich ist, wenn wir zum Beispiel Demokratische Republik Kongo hier haben, sprechen wir von einem Gebiet das riesig ist. Namibia ist auch zweieinhalb mal so groß wie Deutschland. Das alles in einen Topf zu werfen, da sollte man sich inzwischen wahrscheinlich auch schon für schämen."
Tracy Joosten erinnert sich an eine Diskussion unter Afrikanern über das Problem "brain drain". Viele gut ausgebildete Fachleute wandern ab nach Europa oder in die USA, weil dort bessere Verdienstmöglichkeiten locken. Das bedeutet aber auch, dass die Heimatländer an Wissen ausbluten. Unter den afrikanischen Teilnehmern kam die Frage auf, wie sehr sie sich den Heimatländern verpflichtet fühlen. Die Meinungen waren recht gespalten.
"Das war vielleicht die intensivste Debatte und jeder im Zug nach Brüssel konnte sie sich mit anhören."
Und dann gab es noch die Diskussionen, bei denen sich die Deutschen wunderten. Zum Beispiel wenn es um Kindererziehung ging, erzählt Lan Böhm. Alle afrikanischen Teilnehmer waren in ihrer Kindheit irgendwann mal von den Eltern oder Großeltern geschlagen worden und fanden auch nichts dabei. Die Deutschen waren entsetzt. Mehr noch, die afrikanischen Studierenden wollten das durchaus mit ihren zukünftigen Kindern auch so halten. Da kamen die Teilnehmer auf keinen gemeinsamen Nenner. Lan Böhm:
"Dann später waren wir in einem Theater, dass mit behinderten Schauspielern arbeitet und jedes Wochenende eine Show auf die Bühne stell. Also unheimlich beeindruckende Frau mit ganz ganz viel Engagement das dahinter steckt und dann wurde ich auch gefragt, warum gibt es in Deutschland Menschen, die sich mit so etwas auseinandersetzen, also sowohl mit dieser Jugendlicheneinrichtung als auch dieses Theaterstück. Die Leute also, die Sozialarbeiter, die sind doch so talentiert, die haben soviel Energie, die könnten doch auch Juristen werden oder Journalisten oder die könnten doch in die Politik gehen und da viel Geld verdienen und entlang dieser Frage hat sich dann auch für mich rauskristallisiert, wie selbstverständlich es für uns ist, in der deutschen Gesellschat sich über die Arbeit auch so ein Stück weit zu verwirklichen, das war für mich überhaupt keine Frage. Warum macht man das, na weil man jemandem helfen will, weil man das, was man zurückbekommt, als größten Dank empfindet und das Geld das man dafür bekommt, das reicht für den Lebensunterhalt, damit gibt man sich zufrieden."
Ein Beispiel dafür, dass es in Namibia aber durchaus ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement gibt, meint Lan Böhm, konnten die Studierenden aber selbst auf der Reise erleben: im Jugendclub der kleinen Stadt Opuwo, wo man sich gegen Aids engagiert und versucht, den Jugendlichen wenigstens ein kleines Freizeitangebot in einer sonst eher tristen Umgebung zu bieten. Als die Studierenden zu Besuch kamen, empfingen sie die Jugendlichen mit einem bunten Programm.
In Opuwo prallten Welten aufeinander: die der Stipendiaten, alle mit einer ausgezeichneten Ausbildung, mit guten Perspektiven und die der Jugendlichen, die meist die Schule nicht abgeschlossen hatten, für die es in einem Land mit 40% Arbeitslosigkeit wenig Perspektiven und mit der hohen HIV Infektionsrate eine große Lebensbedrohung gibt. Trotzdem klappte der Kontakt, man redete und tanzte miteinander, die Jugendlichen luden zum Abendessen ein. Für Linda Poppe trotzdem ein zwiespältiges Erlebnis.
"Man ist mit einem etwas bitteren Geschmack in die Lodge zurückgefahren, weil ein Stück von ihrem Leben wurde mit einem geteilt, wofür man ja auch sehr dankbar sein muss, was ja auch nicht jeder macht und dann geht man aber doch weiter seiner Wege, die ganz andere sind."
Ein Aspekt, bei dem zumindest die Studentinnen aus Deutschland geradezu neidisch auf die Frauen in afrikanischen Ländern wurden war das Thema Kinder und Karriere. Tracy Jooste:
"Ich denke die Geschlechterfrage war ein wichtiger Aspekt. Ich war geschockt darüber, wie schwer es ist für Frauen in Deutschland, vor allem wenn es darum geht zu entscheiden, will man eine Familie und zuhause bleiben oder will man arbeiten. Mir war nicht klar, dass das ein solches Problem sein könnte und mir ist dadurch noch einmal klar geworden, wie wichtig in unserer Kultur das Familiennetzwerk ist, es gibt uns mehr Möglichkeiten als europäischen Frauen. Denn wenn ich mich entscheiden würde, zu heiraten und eine Familie zu gründen, dann gäbe es zu 50% die Chance, dass ich meine Kinder bei meiner Mutter lassen könnte, um zu arbeiten und so machen es viele Leute."
Lan Böhm: "Ganz viele von unseren Teilnehmern aus Afrika sind bei den Großeltern, vor allem bei den Großmüttern aufgewachsen so mit den Cousins und Cousinen und die Mütter und Väter sind dann in der Stadt gewesen und haben gearbeitet und haben das Geld nach hause geschickt. Und sind zweimal im Jahr vorbeigekommen, das wäre bei uns undenkbar."
Auch heute können die Frauen in afrikanischen Ländern meist auf ein extensives Familiennetzwerk zurückgreifen. Viele wünschen sich fünf oder sechs Kinder, wollen nach einer Geburt nur einen Monat ihre Arbeit unterbrechen und dann weiter Karriere machen. Den Begriff Rabenmutter gibt es in ihren Kulturen nicht.
Lan Böhm: "Mich hat das beeindruckt, wie unverfroren eigentlich die Mädels da so drangegangen sind und dass die sich überhaupt keine Platte darüber machen, wie das gehen soll, die wissen einfach das klappt, total stark, weil ich mach mir schon Sorgen darüber, wie das mal werden soll. Für deutsche Mädchen, so kenne ich das jedenfalls aus meinem Freundeskreis, wir sind alle überzeugt, dass wir entweder ganz ganz spät erst Kinder kriegen oder mehr aus Zufall, weil wenn man das Leben so planen will, bis es den perfekten Moment für ein Kind gibt, der wird nicht kommen, es wird halt immer etwas geben, was dagegen spricht, und dann bekommt man halt eben kein Kind, oder es passiert per Zufall und dann ist es ja auch gut.".
Linda Poppe: "Wir sind grad in einem Zelt in einem Forschungsinstitut in der Mitte der Wüste Namib und dieses Zelt ist meine Unterkunft für die Nacht und es steht in der Wüste quasi umringt von Dünen, Sand, ein paar Tieren und ein paar Bäumchen. Ein super Feldbett mit Decke und Kissen, ein Tisch, kleine Lampe, solarbetrieben. Man hat sogar ein kleines Fenster, wo man den Reißverschluss aufmachen und in die Sterne kucken kann."
Eine Nacht im Zelt statt in der drei oder vier Sterne Lodge findet Linda Poppe angenehm. Nur dass sie das Fenster aufgemacht hatte, war ein Fehler.
"Dadurch, dass es so windig ist und soviel Sand ist, ist auf den Betten ganz viel Sand und auf dem Boden auch, und alles ganz sandig ist und wüstenähnlich."
Die Wüstenforschungsstation Gobabeb ist eine der letzten Stationen auf der Reise durch Namibia, Zeit Bilanz zu ziehen. Linda Poppe macht ihren Master in Friedensforschung in Tübingen. Und für sie ist die Gruppe schon zu einer Familie geworden und das Programm fand sie:
"sehr kontrastreich. Der erste Teil in Deutschland scheint schon sehr sehr weit weg, die Vorlesungen waren immer gut, die Seminare, die wir hatten, aber es hat sich doch sehr entwickelt und seit wir in Namibia sind, ist es doch anders geworden. Die Gruppe ist anders, die Themen die wir besprechen einfach das Land, die ganze Umgebung, dass wir viel mit dem Bus reisen, das ist eine sehr spannende Erfahrung."
Für die meisten Teilnehmer unterschied sich allerdings die Qualität des Programms in Deutschland und Namibia deutlich. Lan Böhm:
"Ich hab eine wunderschöne Zeit in Namibia gehabt, sehr viel gesehen und gelernt, beim zweiten teil der Reise allerdings, weil wir so lange Wege hinter uns gebracht, dann waren wir im Nationalpark und am Meer und jetzt fahren wir noch in die Wüste und da hat sich bei mir so ein Bisschen das Gefühl eingeschlichen, dass es fast so ein Bisschen eine touristische Unternehmung dann wurde."
Lan Böhms Einschätzung teilt auch Simiso Vilempini.
"Ich hatte wirklich das Gefühl, dass unsere Tour in Namibia etwas zu touristisch war, irgendwann war es einfach genug mit den Wildparks und nach einer bestimmten Menge von wilden Tieren reicht es dann auch, das fand ich etwas ärgerlich."
Vor allem, weil das Projekt doch dazu beitragen sollte, Stereotype aufzubrechen. Jetzt, meint Simiso Vilempini, sieht es doch wieder so aus, als wenn in Afrika eben nicht die gleiche Qualität auf die Beine gestellt werden kann, wie in Deutschland. Viele afrikanische Teilnehmer wunderten sich auch, warum ein deutscher Arzt die Reise begleitete. Und warum die meisten Referenten nicht wussten, mit wem sie es eigentlich zu tun haben würden. Die Themen waren oft sehr weit gefasst und die Redner sprachen manchmal dreimal so lang wie vorgesehen. Für die Fragen der Stipendiaten blieb dann oft nicht genügend Zeit. Manche wichtige Themen fehlten völlig auf der Agenda. Die Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen in Namibia kamen zum Beispiel nur am Rande vor, das Thema Apartheid fehlte ganz, bemängelt Simiso Vilempini.
"Das hätte es für alle leichter gemacht zu verstehen, weshalb es zum Beispiel so viele Produkte aus Südkafrika in den Regalen gibt und wieso die Wirtschaft hier so abhängig ist von der Wirtschaft Südafrikas und welchen Effekt das auch die Unabhängigkeit von Namibias Wirtschaft hat."
Einige der afrikanischen Teilnehmer hätten sich auch eine andere Auswahl der Referenten gewünscht. Simiso Vilempini:
"Ein paar mehr schwarze Referenten wären gut gewesen, denn die Mehrheit der Namibier ist schließlich schwarz, das wäre hilfreich gewesen bei der Erklärung von sensiblen Fragen, es wäre besser gewesen, als jemanden von außen zu haben, der dann die Situation nur von außen erklären kann, der selbst nicht in der Situation ist."
Bei der Evaluierung am Schluss des Programms gab es aber durchaus auch Selbstkritik der Stipendiaten. Etwas zuviel habe man sich in den letzten Tagen um Pool und Party gekümmert, etwas zuwenig um die Ziele, die man sich selbst gesteckt hatte. Und bei aller Kritik: alle fanden das Projekt lohnend, nahmen viele kostbare Erfahrungen mit, hatten sogar Freundschaften geschlossen. Und wünschen sich, dass es weitergeht mit dem Dialog zwischen Afrika und Deutschland.
"Auf jeden Fall will ich zurückkommen, vor allem nach Berlin, ich habe mich sofort in Berlin verliebt. Die Firma, für die ich nun arbeite, organisiert eine südafrikanisch-deutsche- Wirtschaftskonferenz, möglicherweise im kommenden März in Frankfurt. Ich habe mich mit dem deutschen Partner in Frankfurt getroffen, als ich jetzt in Deutschland war, um mich mit ihm zu besprechen. Also hoffentlich bin ich schon im März zurück."
Für viele der deutschen Teilnehmer haben sich auf der Reise neue Ideen entwickelt. Für die Magisterarbeit zum Beispiel oder für ein Themengebiet, mit dem man sich beschäftigen will. Alle wünschen sich, in Kontakt zu bleiben.
"Also es ist jetzt während der Reise sehr sehr viel entstanden, wir haben jeden Tag zu zweit ein Tagebuch geschrieben, also jeweils aus deutscher und afrikanischer Sicht den Tag reflektiert und das wird bald mal im Internet zu lesen sein."
Schon unterwegs hatten die Studierenden ein gemeinsames Projekt begonnen.
"Wir haben uns in sechs Gruppen aufgeteilt und wollen zum Thema Bildung arbeiten. (...) Wir haben jetzt Gruppen gebildet immer mit deutschen und afrikanischen Teilnehmern und versuchen darüber zu diskutieren, welche Probleme gibt es bei uns und welche bei euch, können wir was Gemeinsames draus subtrahieren oder herausziehen und dann wollen wir uns zusammensetzen und Lösungsstrategien entwerfen, es soll erstmal darum gehen ein Bisschen out of the box auch zu denken."
Mit guten Beispielen aus verschiedenen Ländern sollen Strategien für unterschiedliche Bildungsbereiche entwickelt werden, in Deutschland wie in Afrika.
"Und das schreiben wir dann in so einem Fünf-Seiten-Bericht zusammen und zusammen mit den Seiten der anderen Gruppen soll so eine Art Bildungsbericht herauskommen aus unserer jungen Perspektive. Und das wird eingebracht im Rahmen eines Programms, das heißt young leaders, auch eine Initiative des Bundespräsidenten, und wird dann als Impuls von unserer Gruppe in dieses Netzwerk mit rein gegeben."
Und weil das Projekt auf der Reise nicht fertig geworden ist, müssen sich die Stipendiaten ganz einfach weiter per E-mail damit beschäftigen. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung will das Projekt gerne fortsetzen, gedacht ist an Ostafrika im nächsten Jahr und Westafrika im Jahr 2009.
"Ich kann mir vorstellen, dass die Bundeszentrale als Dienstleister dieses Programm weiterführt, finanziell muss man einfach sich zusammenraufen und einen anderen Weg überlegen, da sind wir auch kurz vor einem Durchbruch und schaffen das sicherlich auch mit anderen Institutionen nachhaltig, die das eigentlich von ihrem Auftrag her können und machen sollten, hinzubekommen."
Wer genau das 170.000 Euro teure Programm in Zukunft finanzieren soll, ist noch unklar. Aber das Potential, das darin steckt will man nicht verpuffen lassen. Vor allem die afrikanischen Teilnehmer haben Mut gemacht für die Entwicklung ihres Kontinents.
"Es wäre jammerschade, wenn eine solche Investition einfach im Sande verläuft."
Tracy Jooste setzt inzwischen ihre Hoffnungen auf ein Wiedersehen auf das Jahr 2010
"Alle werden zur Fußball WM nach Südafrika kommen 2010, da werden wir uns alle wieder treffen."