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Deutsch ist wieder hip

Zwischen den Niederländern und den Deutschen herrschte seit dem Zweiten Weltkrieg ein frostiges Verhältnis. Doch mittlerweile ist die Nachfrage nach Deutschkursen am Goethe-Institut in Rotterdam so groß, dass Interessierte abgewiesen werden mussten.

Von Kerstin Schweighöfer | 02.11.2012
    Dorothee Moenier ordnet die Kopien, die sie in der Bibliothek des Rotterdamer Goethe-Instituts für die Teilnehmer ihres Literaturkurses gemacht hat. Egal, ob Fontane, DDR-Literatur, Thomas und Heinrich Mann – die 67jährige Dozentin bietet Kurse dieser Art schon seit mehr als zehn Jahren an. Das interessiere die Niederländer, so Dorothee Moenier:

    "Ja, und wie! Wenn die einmal richtig auf den Geschmack gekommen sind, hören die überhaupt nicht mehr auf! Das ist toll!"

    Zwei Literaturkurse bietet sie jedes Jahr im Herbst an – und beide sind voll ausgebucht. Das gilt auch für die Sprachkurse: Immer mehr Niederländer wollen deutsch lernen. Dabei geht es neben Studenten vor allem um Geschäftsleute und Mitarbeiter großer Handelsfirmen, die nach Deutschland exportieren oder mit Deutschland ins Geschäft kommen wollen. Deutsch sei hip, sagt Anne Buscha, die Beauftragte für Sprachkurse und Prüfungen am Rotterdamer Goethe-Institut:

    "Ja. Zurzeit ja. Wir haben unsere Kursteilnehmerzahl gegenüber vor zehn Jahren fast verdreifacht."

    Die kleinen Niederlande gehören zu den wenigen Ländern, die mit gleich zwei Goethe-Instituten aufwarten können. 1968 wurde das Goethe-Institut in Amsterdam gegründet, 1973 folgte ein zweites in Rotterdam. Das komme nicht von ungefähr, so Buscha:

    "Warum wir hier in Rotterdam sind, das hat, glaube ich, mit der Geschichte von Rotterdam zu tun und mit diesem besonderen deutsch-niederländischen Verhältnis."

    Denn am 14. Mai 1940 hatten deutsche Bomber die Rotterdamer Altstadt ausradiert. Die neutralen Niederlande kapitulierten, die deutsche Besatzungszeit begann. Nach 1945 war das Deutschlandbild der Niederländer lange Zeit vom Zweiten Weltkrieg geprägt; als anständiger Niederländer gehörte es sich nicht, die Deutschen zu mögen. Die Deutschen, das waren alle Nazis, die Niederländer hingegen alle Widerstandskämpfer. Aber inzwischen hat dieses Schwarz-Weiß-Bild Grautöne bekommen, das bilaterale Verhältnis hat sich wesentlich entkrampft. Anne Buscha, die seit 23 Jahren am Rotterdamer Goethe-Institut arbeitet, kann das nur bestätigen:

    "Wir haben hier in Rotterdam ein sehr berufssprachlich orientiertes Publikum, also unsere Lerner lernen deutsch, weil sie es beruflich brauchen. Und früher hab' ich denn immer mal gehört: 'Ja, ich sitze nicht freiwillig hier, und eigentlich mag ich das gar nicht, usw.' Das höre ich heute nicht mehr."

    Die Nachfrage nach Deutschkursen ist so groß, dass dieses Jahr sogar erstmals Interessierte abgewiesen werden mussten, erzählt Buscha auf dem Weg nach oben in die Klassenzimmer.

    "Das ist ganz neu, das ist bisher noch nie passiert."

    Dort bereitet sich Hannah, eine 20-jährige Studentin aus Rotterdam, auf ihre erste Deutschstunde vor. Ihr Studienfach:

    Ein paar Deutschkenntnisse könne sie da gut gebrauchen. Immerhin sei Deutschland ein wichtiger Handelspartner – und für immer mehr junge Niederländer ein attraktiver Nachbar, sagt Hannah:

    "Das zeigt sich auch beim Fußball. Wenn Deutschland gegen die Niederlande spielt, bin ich zwar nach wie vor für die Niederlande. Aber bei einem anderen Gegner drücke ich Deutschland die Daumen – bis vor Kurzem noch war das unvorstellbar!"

    Unten in der Bibliothek treffen die ersten Teilnehmer für den Literaturkurs ein.

    "Hallo..Hallo!"

    Einer von ihnen ist Piet Vogelaar, der 77-jährige Rentner ist schon seit zehn Jahren mit dabei.

    "Jajaja"

    Der alte Piet ist zehn Kilometer südlich von Rotterdam, in Oud Beijerland aufgewachsen und hat die Bombardierung von Rotterdam miterlebt.

    "Wir hörten die Bomber, wir sahen die Rauchwolken. In den Wochen danach bin ich oft mit meiner Tante zum Einkaufen nach Rotterdam gegangen. Ich weiß noch, ich konnte meinen Augen kaum trauen: Alles war zerstört, alles war dem Erdboden gleichgemacht. Ein dramatischer Anblick!"

    Dennoch hat Piet Vogelaar nie Hass auf die Deutschen entwickelt – im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute:

    ""Die sind so scheinheilig gewesen, über die Moffen zu schimpfen, aber sich dennoch einen Volkswagen zu kaufen. Die wollten mit Deutschland und den Deutschen nichts mehr zu tun haben, machten aber dennoch eine Busreise an den Rhein."

    Aber zum Glück habe sich das alles inzwischen ja zum Guten gewandelt, meint der alte Piet, bevor er sich an seinen Tisch setzt. Dorothee Moenier, die Dozentin, hat bereits alle ihre Kopien verteilt und guckt mahnend auf die Uhr. Für die nächsten zwei Stunden ist nun erstmal Fontane angesagt.