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Deutsch oder englisch?

Schossig: Horst Köhlers geplanter Besuch in Israel wirft ungute Schatten voraus. Der deutsche Bundespräsident, der in der Jerusalemer Knesset sprechen wird, solle, wie man aus den Reihen der Abgeordneten des israelischen Parlaments verlauten hört, seine Rede gefälligst nicht in deutsch, also in der Sprache der Täter des Holocausts halten, sondern zum Beispiel auf englisch. Frage an Henryk M. Broder in Berlin, nun ist Deutsch ja nicht nur die Sprache der NS-Henker und -Mörder, sondern auch die von Goethe und Schiller, von Heine, Freud, Einstein. Was halten Sie von einer solchen Sprachzensur?

Henryk M. Broder im Gespräch |
    Broder: Es ist keine Sprachzensur, es ist eine Peinlichkeit. Ich finde das alles ziemlich ungut, vollkommen albern, vollkommen überflüssig. Ich weiß allerdings nicht, welcher Abgeordnete dahinter steht, sie reden da von einer Gruppe von Abgeordneten. Ob das vielleicht irgendwelche Rechtsnationalisten sind oder linke Puristen, ich weiß nicht, das ganze ist nicht so gut. Sie haben vollkommen Recht, Deutsch ist auch die Sprache der großen Denker und Dichter aber nicht nur das: Deutsch ist die Sprache des Zionismus. Sämtliche relevanten Werke von Herzls Judenstaat an sind auf deutsch verfasst worden, die zionistischen Kongresse wurden in deutscher Sprache abgehalten. Und Herzl hat einmal sogar vorgeschlagen, man sollte als "lingua franca", als Amtsprache in Israel, im Judenstaat, Deutsch einführen. Also da ist wirklich eine Hysterie am Gange, die ich wirklich sehr ungesund finde.

    Schossig: Das Ansinnen scheint ja auch noch umso grotesker oder schwerwiegender, als deutsches Schweigen verlangt wird, dort wo gerade ein deutsches Reden dringlich geboten ist.

    Broder: Das hat damit nichts zutun. Ich glaube, es geht wirklich nur um Wahrnahme und die Rettung von Symbolen. Es ist ja nicht so, dass es keine deutsche Sprache in Israel gibt. Sie bekommen deutsche Zeitungen, deutsche Bücher, deutsche Schallplatten, deutsche Musik, es gibt deutsche Vorträge auf der Uni. Als ich in Jerusalem lebte, hatte ich in meiner Wohnung drei deutsche Fernsehprogramme, 3sat, Sat1 und ich glaube auch noch RTL. Und am beliebtesten waren die Sexfilme am späten Freitag- und Samstagabend auf Sat1, damit lernte halb Israel Deutsch. Es gibt zwei Symbole, an die sich das Land immer wieder klammert: Das Tabu der deutschen Sprache und das Tabu der Wagnermusik. Nun ist es so, dass sie auch längst Wagner überall in Israel kaufen können, es wird auch auf privaten Radiostationen gespielt. Im staatlichen öffentlichen Rundfunk darf es nicht gespielt werden. Ich kann mir das auch nicht erklären, wissen Sie. Aber es erinnert mich an die Debatten in der Bundesrepublik um die Rechtschreibreform. Seit ich Abitur gemacht habe, vor fast 40 Jahren, wird über die Rechtschreibreform gestritten. Als ob es irgendwie entscheidend oder wichtig wäre, ob man wohl tuend schreibe oder wohltuend und eine ähnliche Dimension hat die Deutschdebatte in Israel. Sie kocht immer wieder auf aus solchen Anlässen. Aber sie hat keinen realen Untergrund oder Hintergrund. Außer vielleicht einem, wenn das alle Sorgen sind, die die Israelis haben, dann geht es dem Land eigentlich prima.

    Schossig: Aber wenn man bedenkt, dass der Widerstand zum Beispiel, Sie haben es erwähnt, gegen Daniel Barenboims Versuche, Wagner aufzuführen, in Israel sehr weit bis hoch in die Gesellschaft geht. Aus welchen politischen Ecken auch des hohen Hauses kommen denn jetzt diese Drohungen?

    Broder: Ich kann mir das nur damit erklären, dass man sozusagen eine einzige moralische Ecke in seinem Gewissen behalten möchte, nachdem man sich längst mit Deutschland ausgesöhnt hat, mit der deutschen Geschichte Frieden geschlossen hat, nachdem es diplomatische, wissenschaftliche, wirtschaftliche, auch militärische Beziehungen gibt, soll eine Ecke rein und sauber bleiben, die Ecke der Kultur und die Ecke der Sprache. Das ist natürlich vollkommen absurd. Aber ich muss Sie in einem enttäuschen oder ich muss Ihnen in einem Punkt widersprechen, der Widerstand geht nicht in die höchsten Kreise. Es sind ein paar Leute, die Krawall machen, es sind ein paar Leute in der Politik, in den Medien. Aber Deutsch als Sprache ist in Israel einfach kein Tabu mehr. Es geht einfach darum, symbolische Handlungen, statt wirklicher Aktionen und irgendwelche Unternehmungen zu präsentieren. Ich halte das für äußert ungesund, auch für äußert albern, auch für eine Ablenkungsstrategie, eine Ersatzerregung, wenn Sie so wollen. Wenn ich Köhler wäre, oder wenn ich Köhler einen Rat geben würde, würde ich ihm sagen, er soll seine Rede auf jiddisch halten. Jiddisch ist ja die mittelhochdeutsche Form des Deutschen, es ist ein 500 Jahre altes Deutsch, Deutsch ist die Fortentwicklung des Jiddischen und man kann das schnell lernen, man kann sich das einfach beibringen, man wird auch Leute haben, die einem die richtige Aussprache vorexerzieren. Und es wäre eine wunderbare Pointe, wenn der deutsche Präsident im israelischen Parlament auftritt und eine Rede auf jiddisch hält. Dagegen könnte eigentlich niemand etwas sagen, obwohl es auch deutsch ist.

    Schossig: Sie würden also nicht sagen, dass es sich hierbei um eine noch nicht wieder normalisierte Beziehung zwischen Deutschland und Israel handelt, was vielleicht in der nächsten Generation reparabel wäre?

    Broder: Das ist weder eine unaufgearbeitete Vergangenheit, noch eine unaufgearbeitete Gegenwart. Es ist ein Mätzchen einiger Leute, die einfach ihre politische Claims damit abstecken. Aber es hat mit unaufgearbeiteten Geschichten nichts zutun und auch nicht mit irgendeiner Art von Wartezeit, dass man jetzt ein bis zwei Generationen verstreichen lassen sollte. Das ist eine artifizielle Aufregung über eine Banalität.

    Schossig: Die Last der Symbole. Das war Henryk M. Broder zu dem Ansehen einiger Abgeordneter der Jerusalemer Knesset, Bundespräsident Horst Köhler möge doch seine Rede im israelischen Parlament nicht auf deutsch halten.