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Deutsch-polnisches Verhältnis
Polenmobil informiert an Schulen

Das Polenmobil informiert Schülerinnen und Schüler im Klassenraum. In einem Polen-Intensiv-Programm lernen Teilnehmende von der Geschichte und Sprache des Nachbarlands und dessen Beziehung zu Deutschland. Die Meisten reagieren interessiert und sind positiv überrascht.

Von Amelie Ernst | 26.09.2019
Eine deutsche und eine polnische Fahne wehen nebeneinander
Viele Schülerinnen und Schüler wissen nicht viel über Polen (dpa/Bernd Wüstneck)
"Wer kennt von euch Lewandowski? Da müsst ihr jetzt alle auf die andere Seite!"
Wer kennt eigentlich polnische Prominente? Der soll sich bitte mal auf die linke Seite des Klassenraums stellen. Die meisten Schülerinnen und Schüler der Klasse 8.1 der Ketziner Fontane-Oberschule bleiben lieber erstmal, wo sie sind. Erst als Polenmobil-Projektleiter Sebastian Borchers Namen nennt, bewegt sich einer nach dem anderen rüber auf die andere Seite.
"Keiner hat so viele Tore geschossen."
Fußballer Robert Lewandowski, Skispringer Adam Malysz und Youtuberin Dagi Bee – alles gebürtige Polen. Und auch diesen Sänger kennen alle hier in der Klasse, ahnt Borchers. Aber nicht, wenn der in seiner Muttersprache singt. Die Achtklässler sollen sich erst melden, wenn sie ihn erkennen:
"Ich sehe noch keine Hand, das kann ja gar nicht sein. Wer erkennt die Stimme? Dreht euch mal um! Sage ich doch! Mark Forster!"
Die Schülerinnen und Schüler erstmal beim Bekannten abholen und ihnen zeigen, dass ihnen Polen näher liegt als sie denken – das ist Sebastian Borchers‘ Plan:
"Das ist hier in Brandenburg direktes Nachbarland, und es ist bemerkenswert, wie viele Schülerinnen und Schüler eigentlich keine Ahnung haben von ihrem Nachbarland östlich von Deutschland. Das ist natürlich ein wunderbarer Moment, den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, warum es sich lohnt, Polnisch zu lernen. Glauben Sie mir: Wenn Sie versuchen, in Polen Polnisch zu sprechen, ist man sehr angetan davon. Das ist schon eine großartige Motivation."
Für die Sprachanimation ist vor allem Borchers‘ Kollegin Edita zuständig. Mit kleinen Spielen im Stuhlkreis bringt sie selbst verschämte Vierzehnjährige zum Sprechen. Jak sie masz? Wie geht es dir? Je nach Antwort müssen die anderen reagieren:
"In den meisten Fällen kommen wir in die absolute Ahnungslosigkeit der Schülerinnen und Schüler. Deswegen haben wir ein sehr einfaches Sprachanimationsprogramm: Hallo, Tschüss und eben Wie geht es dir. Das heißt, die Schülerinnen und Schüler, die eher skeptisch sind und nicht mitmachen wollen, die hören zu und machen nach zehn, fünfzehn Minuten doch mit und sind dabei."
Polen und Deutschland im Zweiten Weltkrieg
Polnische Promis, Sprachspiele, ein bisschen Landeskunde – aber irgendwann wird es auch ernst in der Runde. Sebastian Borchers zeigt Bilder und kurze Filme aus dem Zweiten Weltkrieg: Flugzeuge werfen Bomben ab, Stadtviertel brennen, Menschen, junge wie alte, werden zusammengetrieben und in Güterwaggons gezerrt:
"Man sieht also: Hier war das Ghetto der Juden in diesem Stadtteil, ist genau im Zentrum von Warschau. Und die Nationalsozialisten haben die Juden mit aller Härte bekämpft und vernichtet. Und die, die überlebt haben, wurden natürlich in die Konzentrationslager, unter anderem nach Auschwitz geschickt, um sie dort zu vergasen, um sie dort zu töten."
Eben noch ausgelassen, wirken viele Schüler plötzlich nachdenklich, hören Sebastian Borchers aufmerksam zu. Und es kommen Fragen auf:
"Sind Deutschland und Polen eigentlich Schuld am Zweiten Weltkrieg?"
"Eigentlich ist Deutschland Schuld am Zweiten Weltkrieg. Die Polen ja nicht."
"Also hätte es Deutschland nicht gegeben, wäre gar kein Zweiter Weltkrieg entstanden?"
"Wenn Du das so runterbrechen möchtest, ja, kann man das sagen. Aber die Schuld dessen, was passiert ist, liegt auf deutscher Seite – da gibt’s gar nichts zu diskutieren."
"Jetzt kann ich auch endlich die Eltern von meiner Freundin verstehen"
Fragen zum Zweiten Weltkrieg kämen eigentlich immer, sagt Borchers – zumindest in den höheren Klassen. Doch auch schon für Drittklässler bietet das Polenmobil ein altersgerechtes Programm an, ebenso für Berufsschüler und für Abiturklassen. Und fast immer sei die Resonanz positiv, mit wenigen Ausnahmen:
"Einen Extremfall haben wir gehabt, dass ein Schüler den Hitlergruß gezeigt hat, und zwar als es um den Nationalsozialismus ging. Aber das wurde bisher immer in einer guten Basis geregelt, das heißt, die Schülerinnen und Schüler werden an den Rand genommen, wir sprechen darüber. Ich versuche natürlich auch, im Gespräch rauszufinden, was die Intention dahinter ist. Und dann muss man also differenzieren, das ist das Entscheidende dabei."
Heute in Ketzin gibt es allerdings weder Provokationen noch offene Ablehnung: Nach über drei Stunden Polen-Intensiv-Programm sind die meisten Achtklässler sogar positiv überrascht: War doch interessanter als so manche normale Schulstunde.
"Ich fand das eigentlich ganz gut, dass wir das Thema mit Deutschland und Polen angesprochen haben, weil ich wusste irgendwie noch gar nicht, dass das so war. Aber ich mag dieses Thema Weltkrieg generell nicht so, weil ich habe sehr viel Angst davor. Und ich habe auch mehr die Sprache kennengelernt, ich nehme ja selber Polnisch-Unterricht"
"Ja, das Spiel und die Bilder vom Weltkrieg!"
"Dobrze! Oder Zly!"
"Jetzt kann ich auch endlich die Eltern von meiner Freundin verstehen, die kommen nämlich aus Polen."
"Ich fand es interessant, weil über Polen wusste ich nichts – außer, dass es neben Deutschland ist. Fand ich alles sehr interessant."
Für den anstehenden Schüleraustausch mit der polnischen Partnerschule fühlt sich die 8.1 schon mal gut vorbereitet – und vielleicht auch für den nächsten Urlaub, diesmal an der polnischen Ostsee.