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Deutsch-Türken in Istanbul
Rückkehr an den Bosporus

Zehntausende Deutsch-Türken sind seit Mitte der 2000er Jahre in die Heimat ihrer Eltern zurückgekehrt. In Istanbul treffen sie sich regelmäßig zum Rückkehrer-Stammtisch. Aber die politische Situation in der Türkei hinterlässt auch hier ihre Spuren.

Von Kristina Karasu | 21.12.2018
    Blick auf ein Ufer unterhalb einer Bosporus-Brücke
    Viele Deutsch-Türken sind zurückgekommen: Blick auf das Bosporus-Ufer in Istanbul (imago )
    Tanzend, fast schwebend verteilt eine wildgelockte Weihnachtsfrau goldene Päckchen in den Gassen von Istanbul - unterlegt mit einer jazzigen Version von "Jingle Bells". Dieser Musikclip flackert zum Auftakt des Rückkehrer-Abends im Istanbuler Kulturzentrum SUPA über die Wand. Die Zuschauer wippen mit den Füßen. Sengül Mor hingegen wird wehmütig. Sie zog vor fünf Jahren von Stuttgart nach Istanbul, in die einstige Heimat ihrer Eltern. Doch die deutsche Adventszeit fehlt ihr noch immer.
    "So richtig in Stimmung kommt man hier nicht. Ich vermisse die Weihnachtszeit und wäre gerne in Deutschland gewesen anstatt hier, aber es ist finanziell nicht immer möglich. Ich verdiene in Lira und das ist schwer."
    Mehr als 300.000 Menschen sind gekommen
    Eigentlich hat die 41-Jährige eine gute Position als Software-Entwicklerin im Istanbuler Sitz einer deutschen IT-Firma. Doch im letzten Jahr verlor die Türkische Lira gegenüber dem Euro ein Drittel an Wert, die Inflation im Land liegt derzeit bei über 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Seither kann sich Sengül Mor kaum noch Flugtickets nach Deutschland leisten. Einst hatte der türkische Wirtschaftsboom der 2000er Jahre viele Deutsch-Türken wie sie angelockt. In den Jahren 2005 bis 2014 zogen mindestens 335.000 Menschen aus Deutschland in die Türkei, der Großteil davon Hochqualifizierte. Doch die Hälfte von ihnen ist mittlerweile wieder nach Deutschland zurückgekehrt, schätzt das Zentrum für Türkei-Studien in Essen. Diese Beobachtung teilt auch Cigdem Akkaya, die im Jahr 2006 den Rückkehrer-Stammtisch gründete:
    "Damals gab es eine richtige Welle Richtung Türkei, vor allem Istanbul. Istanbul war eine Metropolstadt, wo aus allen Ländern verschiedene Menschen lebten und kamen. Aber im Laufe der Jahre hat sich viel verändert. Eine Menge der Menschen, die damals hierhergekommen sind, sind mit Enttäuschung wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Und einige, ein harter Kern, ist trotzdem geblieben."
    Klima der Angst
    Ein Hauptgrund um die Türkei wieder zu verlassen, ist für viele die politische Lage: der immer autoritärere Kurs der Erdogan-Regierung, die Verhaftungswellen der letzten zwei Jahre, die eingeschränkte Meinungsfreiheit. Mittlerweile herrscht ein solches Klima der Angst, dass das Thema Politik beim Rückkehrer-Stammtisch tunlichst vermieden wird. Gehen oder bleiben – das hingegen bleibt ein Dauerthema. Die Autorin und Schauspielerin Dilsad Burak Sarioglu kennt diese Gedankenspiele gut. Vor ein paar Jahren zog die Hälfte ihres Freundeskreises aus Neugierde oder auf Identitätssuche von Deutschland in die Türkei. Heute hingegen ist sie die einzige, die noch in Istanbul lebt:
    "Alle meine Freunde sind zurück. Sogar Freunde von mir, die Türkei-Türken sind, also keinen Bezug zu Deutschland haben, sind fast alle ins Ausland gegangen. Es hat sich hier sehr viel verändert. Dieser Aufschwung, von dem damals alle gesprochen haben, ist nicht mehr zu spüren. Die Euphorie ist weg. Die Menschen hier sind eher depressiv und nicht mehr solche Frohnaturen wie früher. Und das wirkt sich natürlich aus, das spürt man, wenn man hier herkommt."
    Manche bleiben in Istanbul, trotz aller Schwierigkeiten
    Während die Türkei einen massiven Brain-Drain erlebt, lockt Deutschland derzeit mit einer sehr guten Arbeitsmarktlage. Software-Entwicklerin Mor würde dort vermutlich schnell einen guten Job finden. Doch sie will in Istanbul bleiben, trotz aller Schwierigkeiten. Denn sie hat hier eine Heimat gefunden, die sie lange in Deutschland vermisste:
    "Ich glaube, ich passe besser in die Gesellschaft hier. Hier bin ich viel sozialer. In Deutschland wollte ich immer sozial werden, aber das hat nicht so gut geklappt. Ich habe mich meistens, wenn ich unter Gesellschaft war, nicht dazugehörig gefühlt. Hier ist das nicht so. Hier fühle ich mich wohler."
    Viele beim Rückkehrer-Stammtisch nicken. Es sind eher persönliche Gründe, die sie bewegen zu bleiben: Die Liebe, die Energie Istanbuls oder ein diffuses Gefühl von Angekommensein, das sie nie wieder missen wollen.