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Deutsche in der Schweizer Studieroase

Bundesfinanzminister Peer Steinbrücks Sticheln gegen die Schweiz als Steueroase kommt bei vielen Schweizer Studierenden der Universität St. Gallen gar nicht gut an. Das spüren auch die Deutschen an der wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten Hochschule - immerhin rund ein Drittel der Studentenschaft.

Von Thomas Wagner |
    Wenn die Studierenden aus St. Gallen rufen, kommen sie fast alle: Karmal Nath, der Finanzminister von Indien, Paul Achleitner, Vorstandsmitglied des Allianz-Versicherungskonzerns, Tharman Shanmugaratnam, Finanzminister von Singapur. Das studentisch organisierte "St. Gallen Symposium" gilt so ein bisschen als Mini-Weltwirtschaftsgipfel, als Klein-Davos - eine große Leistung für das studentische Organisatonsteam. Einen allerdings haben sie vorsichtshalber nicht eingeladen: Peer Steinbrück.

    "Man hört durchaus böse Kommentare über ihn. Und auch hier im Team, als wir das organisiert haben, sagten einige: Ja, wenn Steinbrück kommt, dann nehmen wir Tomaten mit. Manche Teilnehmer aus der Schweiz haben eben solche Kommentare gebracht. Also da merkt man schon, dass da ein gewisser Unmut vorhanden ist."

    Anika Kienzle aus Starnberg studiert an der Universität St. Gallen im vierten Semester Betriebswirtschaft. Nebenher arbeitet sie noch im Organisationsteam des laufenden Symposiums mit. Die Äußerungen Steinbrücks über die Schweiz machen ihr das Leben als deutsche Studentin in Schweiz nicht eben leicht.

    "Ich fühle mich da in einer gewissen Zwickmühle, weil ich weiß, dass mein Umfeld da sehr aggressiv auf die ganzen Vorwürfe reagiert und damit absolut unzufrieden ist. Wenn ich da Verteidigungsreden schwinge, spüre ich auch den Unmut gegen mich. Am Campus ist das hier immer ein heißes Thema. Und da gibt es dann immer wieder hitzige Diskussionen, wo man sagt: Okay, da gibt es genügend Leute, die dann Farbe bekennen."

    Moritz Schiebold kam aus Hamburg nach St. Gallen. Er studiert dort seit zwei Jahren Wirtschaftswissenschaften.

    "Das ist schon eine Thematik, die in der Schweiz sehr präsent ist und wo man sehr sensibel drauf reagiert. Das merkt man ja: Sobald die Vergleiche von Herrn Steinbrück da immer kommen, kocht es hier drüben hoch. Es wird zum Teil sehr polemisch diskutiert hier, wenn man sich das anschaut, dass es auf Facebook hier Gruppen gibt, die schreiben: Ich könnte Herrn Steinbrück jeden Tag die Fresse polieren. Das ist ja weit unter der Gürtellinie und auf keinen Fall mehr sachlich."

    Abgesehen von solchen polemischen Ausfällen, geraten die deutschen Studierenden in der Schweiz von den Gesprächen tagtäglich zwischen die Fronten:

    "Ich habe sicher ein Verständnis für Herrn Steinbrück, für die Problematiken, die er anspricht und sehe das Problem auch, das er anspricht. Und gleichzeitig ist man hier in diesem Schweizerischen Umfeld auch direkt konfrontiert mit der anderen Seite. Und dementsprechend sieht man auch die Punkte, warum die Schweiz sensibel reagiert. Ich meine, die Schweiz hat über lange Jahre hinweg viel Wohlstand aufgebaut. Und irgendwie sieht man das gefährdet durch Veränderungen. Ich glaube, dass ist einer der Punkte, weswegen man hier sensibel auf so etwas reagiert."

    Auch für viele Schweizer Studierende stellt die Diskussion mit ihren deutschen Kommilitonen eine Gratwanderung dar: Auf der einen Seite weisen sie deutschen Vorwürfe zurück. Auf der anderen Seite wollen sie das bislang gute Verhältnis mit den deutschen Studierenden nicht gefährden. Enzo Wälchi aus dem Kanton Aargau ist Student in St. Gallen - und gibt sich diplomatisch:

    "Ich glaube, diese ganze Debatte für das Verhältnis zwischen Schweizern und Deutschen gerade an der Universität nicht gar so negativ, also nicht so, dass man jetzt als Schweizer sagen würde, dass die deutschen Studenten irgendwie schlecht sind. Also wenn man das so assoziiert, ist das aber sicher eine Debatte, die für das Image von Deutschland in der Schweiz einen negativen Beigeschmack hat."

    Und wer eine solche Debatte bewusst anheizt, spürt die Folgen sofort - so wie Ulrich Thielman. Der Wirtschaftsethiker aus Remscheid ist Dozent an der Uni St. Gallen und hat es dort immerhin zum Vizedirektor des Institutes für Wirtschaftsethik gebracht. Bei einem Hearing vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages hätte sich Thielmann aber fast um seinen job geredet: Er forderte dort, als Dozent einer Schweizer Hochschule, indirekt das Stopfen der Steuerschlupflöcher in der Schweiz. Die Folge: Ein Sturm der Empörung unter vielen Studierenden und Kollegen an der Hochschule St. Gallen - und die Forderung nach seiner Entlassung. Dazu kam es zwar nicht. Dennoch schrieb die Universitätsleitung dem deutschen Dozenten ins Stammbuch, er habe bei seinen Äußerungen das richtige Augenmaß vermissen lassen. Daneben entschuldigte sich die Hochschule bei allen Schweizern, die sich verunglimpft fühlten. Fußnote am Rande: Der Rektor der Universität St. Gallen, Professor Ernst Mohr, ist ebenfalls ein Deutscher. Sowohl er als auch Ulrich Thielemann stehen für Interviews zu dem Vorgang nicht zur Verfügung - ein weiterer Beleg dafür, wie schwer es einer Schweizer Hochschule fällt, das recht auf freie Meinungsäußerung mit jenem Quäntchen Schweizer Nationalstolz in der Balance zu halten, das allen Schweizer Institutionen zu eigen ist - auch den Hochschulen. Alexander Burtscher fühlt sich da ein klein wenig als "Unparteiischer". Er ist zwar Geschäftsführer des St. Galler Alumni-Verbandes, stammt aber weder aus Deutschland, noch aus der Schweiz - sondern aus dem österreichischen Vorarlberg.

    "Das ist eine Diskussion, die zu intensiv geführt wurde und wo vor allem die Nationalität eine zu große Rolle gespielt hat. Ich denke nicht, dass das eine Frage der Nationalität sein sollte, wer was wo wann sagen darf. Also ich glaube, da wird dieser Aspekt 'Deutscher in der Schweiz' zu stark betont."