Freitag, 19. April 2024

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Deutscher Schwimm-Verband
Ein desolates Bild

Während die deutschen Schwimmer derzeit versuchen, sich für Olympia in Tokio zu qualifizieren, bietet der Verband in der Außendarstellung ein desolates Bild. Ein Grund dafür sind die jüngsten Personalentscheidungen. Alles begann mit erneuten Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen den Bundestrainer Freiwasserschwimmen.

Von Andrea Schültke | 17.04.2021
Von den Freistil-Schwimmern sind über Wasser nur die Ellbogen zu sehen
Schwimmer bei der Olympia-Qualifikation in Berlin (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache)
"Der Deutsche Schwimmverband verurteilt jegliche Form von Missbrauch und Gewalt, gleich, ob körperlicher, seelischer oder sexueller Art".
So begann Mitte Februar die Pressemitteilung des Dachverbandes. Der Hintergrund: Im Magazin ´Der Spiegel` hatten Schwimmerinnen Vorwürfe sexualisierter Gewalt erhoben, beschuldigt - der Bundestrainer im Freiwasserschwimmen*, Stefan Lurz. Gegen ihn hatte es bereits vor Jahren Ermittlungen gegeben, die aber dann eingestellt wurden.
Aktuell ging es um eine E-Mail an den Verband aus dem Jahr 2019 mit Vorwürfen gegen Stefan Lurz und um die Frage: Haben die Verantwortlichen damals - etwa Sportdirektor Thomas Kurschilgen - auf die geschilderten Vorwürfe angemessen reagiert?
Auch den Athletinnen und Athleten ist die Aufklärung der Vorwürfe ein Anliegen. Athletensprecher Tobias Preuß bekräftigt: "Dass Verantwortlichkeiten dafür gefunden werden müssen und dementsprechend auch gehandelt wird. Und das liegt uns einfach ganz besonders am Herzen das mal klarzustellen, sexualisierte Gewalt hat im DSV keinen Platz."
Tobias Preuß beim Wasserball
Athletensprecher Tobias Preuß beim Wasserball (imago sportfotodienst)

Keine Gespräche möglich

Gern hätten sich Tobias Preuß und seine Kollegin Sarah Köhler mit dem Verbandsvorstand über die aktuelle Situation im DSV ausgetauscht. Auch über die Entlassung von Sportdirektor Thomas Kurschilgen. Die erfolgte kurz nach dem Rücktritt von Bundestrainer Stefan Lurz, wurde aber zunächst nicht offiziell bekannt. Die Athleten baten schriftlich um ein Gespräch mit dem Vorstand, sagt Preuss:
"Aber leider eben erfolglos, so dass wir die Entscheidung aus der Presse erfahren mussten und auch auf nochmaliges Nachfragen keine Antwort bekommen haben. Und da möchte ich jetzt auch nochmal deutlich machen, dass wir uns kein Vetorecht erhoffen im Sinne von ‘Wir segnen Entscheidungen ab‘, sondern lediglich, dass wir einen Informationsfluss herstellen wollen und beibehalten wollen, sodass wir, die Athletenschaft, einfach im Bilde sind."

Compliance-Beauftragter eingeschaltet

Erst nachdem die Athleten den Compliance-Bauftragten des Verbandes eingeschaltet hätten, sei ein Austausch zustande gekommen.
Mitte März hatte sich Verbandspräsident Marco Troll in einer weiteren Pressemitteilung bei allen Betroffenen sexualisierter Gewalt entschuldigt und Aufklärung im Fall Lurz angekündigt. Dabei fiel auch der Satz: "Personen, die nicht alles in Ihrer Macht stehende tun, um dieser enormen Verantwortung gerecht zu werden, sind für uns als Verband nicht tragbar."

Schwebendes Verfahren

Ob sich hier eine Verbindung herauslesen lässt zur Kündigung des Sportdirektors Thomas Kurschilgen bleibt unklar. Offiziell bestätigte der Verband den Rauswurf seines mit großen Befugnissen ausgestatteten Sportdirektors erst Ende März. Ob die Entlassung im Zusammenhang mit dem Fall Lurz steht, sagt DSV-Präsident Morco Troll vor wenigen Tagen im Interview mit dem Deutschlandfunk nicht: "Da haben wir dieses sogenannte schwebende Verfahren und da kann ich Ihnen keine Auskünfte zu geben."
Marco Troll steht in einer Shwimmhalle
DSV-Päsident Marco Troll (picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache)
Die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung bestätigt Jan Friedrich Beckmann, Anwalt von Thomas Kurschilgen. Er schreibt auf unsere Frage, ob sein Mandant im Umgang mit den Vorwürfen gegen den Bundestrainer Fehler gemacht, bzw. das damalige DSV-Regelwerk nicht korrekt umgesetzt habe:
"Herr Kurschilgen hat sich in jeder Hinsicht pflichtgemäß verhalten und insbesondere alle verbandsinternen Verfahrensregeln, die für Fälle wie den hier in Rede stehenden gelten, eingehalten."

Alle Regeln eingehalten

Ähnlich äußerten sich diverse Gesprächspartner unabhängig voneinander auf Nachfrage des Deutschlandfunks. Gleichzeitig mit der offiziell verkündeten Entlassung des Sportdirektors präsentierte der Verband Ende März weitere Personalien:
Der Unternehmensberater Michael Rosenbaum sollte den DSV einmal beim sogenannten "Zukunftsprozess 2026" unterstützen. Zum anderen kümmerte er sich um einen Kurschilgen-Nachfolger. Er empfahl den ehemaligen Wasserballer Dirk Klingenberg:
"Und deshalb war dann die Entscheidung okay. Damals war der Stand der Informationen, das wäre der geeignete Mann. Und dann haben wir entschieden ihn zu nehmen", sagt Marco Troll.
Wenige Stunden später nahm der Vorstand um den Präsidenten Troll diese Entscheidung zurück. Der Grund: Ein Saunaclub hatte vor sieben Jahren das Masters-Wasserballteam um Dirk Klingenberg gesponsert, Fotos des Teams mit unbekleideten Frauen inklusive.
Unvereinbar mit den groß angekündigten "höchsten moralischen und ethischen Ansprüchen des Deutschen Schwimmverbandes."

Rücktritt war nie Thema

Die Verantwortung für die Personalie Klingenberg sieht Verbandspräsident Troll allerdings nicht bei sich oder dem Vorstand. Man habe von den Fotos nichts gewusst: "Denn wenn wir es gewusst hätten, dann hätten wir natürlich diese Entscheidung nicht so getroffen."
Auch wenn er alle Schuld bei Rosenbaum sieht, will der DSV-Vorstand für die Zukunftsplanung des Verbandes am Unternehmensberater festhalten.
Andrea Schültke: "Sie sind der Präsident. Haben Sie überlegt, ob Sie aus diesem Fehlstart Konsequenzen ziehen und zurücktreten müssen?"
Marco Troll: "Das war jetzt nie Thema. Es ist nicht gut gelaufen, ich sag einfach suboptimal gelaufen. Auf der anderen Seite, wir haben es nachbereitet, Herr Rosenbaum hat sich auch dafür entschuldigt, öffentlich entschuldigt. Und insofern - für uns sehen wir keine Konsequenzen im Vorstand was anderes zu tun."

"Es war ein Fehler"

Schültke: "Finden Sie nicht, dass Sie einen großen Fehler gemacht haben?"
Troll: "Das ist doch alles relativ, ein großer Fehler – es war ein Fehler. Wir können aber nur die Entscheidungen anhand des vorliegenden Informationsmaterials treffen. Und diese Information haben uns nicht vorgelegen. Insofern ja, ob es ein schwerer Fehler war oder leichter Fehler, spielt keine Rolle. Es ist halt passiert."
So entspannt sehen andere im DSV die Sache nicht. Im Gegenteil: Am 3. April schickten die Landesverbände Niedersachsen, Hamburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt einen Brief an Marco Troll, besorgt über die jüngsten Personalentscheidungen:
"In den letzten drei Monaten wurden Diskussionen um die Stelle des/der Direktor*in Leistungssport geführt, die dazu geeignet sind, nicht nur eine Person in schwierige Verhältnisse zu bringen, vielmehr wird das Amt in sich derzeit schwer beschädigt."

Hoch kompetent

In den letzten drei Monaten - Das bedeutet: Mindestens seit Januar diskutiert der neue Vorstand über die Personalie Thomas Kurschilgen. Insider beschreiben den Sportdirektor als hoch kompetent und äußerst professionell. Im Umgang sei er unbequem, ein "harter Hund", wolle seine Vorstellungen durchsetzen, heißt es. Kurschilgen, qua Satzung mit weitreichender Verantwortung ausgestattet, war die Führungsperson im DSV.
Bot also vielleicht die Personalie Lurz die perfekte Gelegenheit, den beim neuen Vorstand ungeliebten weil zu mächtigen Sportdirektor loszuwerden?
Vorherige Unterfangen in dieser Hinsicht sollen erfolglos gewesen sein. Etwa die Suche nach Belegen in der Geschäftsstelle, um Kurschilgen ein mögliches Fehlverhalten bei Abrechnungen nachzuweisen.
Schültke: "Es heißt, das Präsidium hätte schon vor den Vorwürfen gegen Herrn Lurz und dem Artikel im Spiegel Abrechnungen überprüft, um Herrn Kurschilgen ein mögliches Fehlverhalten nachzuweisen. Stimmt das?"
Troll: "Also konkret, kann ich es so nicht bestätigen. Wir waren bei Amtsantritt, mehrere vom Vorstand, damals quasi auch zur Begrüßung in der Geschäftsstelle in Kassel. Um letztendlich unsere Arbeiten durchzuführen, mussten wir einfach Grundlagen finden, das heißt Verträge, Abmachungen, auch Vorstandsbeschlüsse das sind Grundlagen für uns, die wir, die wir brauchen, um zu arbeiten. Und deshalb haben wir uns kundig gemacht in der Geschäftsstelle. Was liegt da vor, was können wir nutzen, sozusagen."

"Nie unsere Absicht"

Schültke: "Also Sie haben keine Gründe gesucht, um Herrn Kurschilgen Fehlverhalten nachzuweisen um ihn entlassen zu können?"
Troll: "Nicht, dass ich wüsste, das war nie unsere Absicht, insofern ist diese quasi Aussage kann ich so nicht nachvollziehen."
Die fünf kleineren Landesverbände haben auf ihren Brief auch nach knapp zwei Wochen bis gestern keine Antwort bekommen. Genauso ging es den Bundestrainern, die gemeinsam mit Athletensprecherin Sarah Köhler ebenfalls an den Präsidenten und den Vorstand geschrieben haben. Daraus spricht die Sorge um die leistungssportliche Zukunft des Verbandes und um die Lücke, die Sportdirektor Kurschilgen hinterlässt.
Bundestrainer Bernd Berkhahn hat vor Beginn der Qualifikationswettkämpfe in Berlin aktuell noch einmal bekräftigt: "Dass wir aus dem Leistungssport weiter zu der Position stehen, die wir schon am 5.4 dem Vorstand schriftlich vorgelegt haben und auch danach nochmal. Und ein Gespräch dazu steht weiterhin aus."
Die finanzielle Entwicklung des Verbandes macht Bernd Berkhahn und seinen Bundestrainerkollegen genauso Sorgen, wie den fünf Landesverbänden. Die hatten in ihrem Brief Anfang April auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der jüngsten Vorstandsentscheidung hingewiesen und die Frage aufgeworfen, "wer, wenn es zum Äußersten kommt, dafür haftet?"

Kein Haushaltsplan

Nach Informationen des Deutschlandfunks steht der Verband aktuell vor einem Liquiditätsproblem, da auch die Rücklage von mehr als einer Million Euro aufgebraucht sei. Hinzu kommen unter anderem die Kosten für die arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen mit Thomas Kurschilgen.
Einen Haushaltsplan, den die Mitgliedsverbände eigentlich spätestens zum Ende des 1.Quartals des neuen Jahres absegnen müssen, gibt es nicht. DSV-Präsident Troll sagt: "Da sind wir gerade dran mit unserer Vize-Präsidentin, dass wir den Plan aufstellen, das ist nicht so einfach. Eigentlich hätten wir das schon lange machen müssen, Anfang des Jahres, aber coronabedingt ist es nicht so einfach".
Schültke: "Und Sie sind sich sicher, dass das alles funktioniert mit den jetzt zusätzlich angefallenen Kosten, dass der DSV das alles bezahlen kann?"
Troll: "Was ist schon sicher in der heutigen Zeit? Man muss jetzt vorsichtig sein mit Aussagen. Wie gesagt, wir stellen sie mal fest, analysieren das Ganze und dann werden wir besprechen auch, wie das Finanzielle weiter gehen soll. Das sind viele Faktoren, die da reinspielen. Eben auch coronabedingt."

Keine Antwort

Schültke: "Aber wenn Sie jetzt feststellen, ‘wir haben 500.000 Miese!‘, wo kommen die dann her? Wie können die denn dann bezahlt werden?"
Troll: "Das ist eine reine Spekulation, darauf kann ich keine Antwort geben."
Gemäß Regelwerk müssten die Landesverbände dann mitfinanzieren. Niedersachsen, Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben aber bereits in ihrem Schreiben klargestellt, eine "Alimentierung des DSV" könne man sich nicht leisten.
Wäre dem neuen Vorstand eine vorsätzliche Schädigung des Verbandes nachzuweisen, springt keine Versicherung ein. Dann haften die vier Vorstandsmitglieder mit ihrem persönlichen Vermögen.
Und dann ist da noch die Frage: Wann kommt ein neuer Leistungssportdirektor? Wird es Schwimm-Ikone Michael Groß sein? Wie geht es eigentlich weiter mit dem DSV?
Die Probleme könnten noch größer werden, wenn sich herausstellt, dass die Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Stefan Lurz auch als Vorwand gedient haben, um einen unliebsamen Sportdirektor loszuwerden. Dann hätten Sportfunktionäre das Thema sexualisierte Gewalt instrumentalisiert und missbraucht für machtpolitische Zwecke.
Das wäre eine Verhöhnung aller Betroffenen sexualisierter Gewalt im Sport.
* In einer früheren Version des Beitrag war von Stefan Lurz als Bundestrainer Langstreckenschwimmen die Rede. Dies haben wir korrigiert.