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Deutscher Sonderweg

In ein paar Wochen wird an deutschen Tankstellen der neue Kraftstoff E10 eingeführt; Benzin, das bis zu zehn Prozent Bioethanol enthält. Ob Umwelt und Autofahrer davon profitieren, ist umstritten. Aber die Lieferanten von Rohstoffen für Biosprit freuen sich auf bessere Geschäfte.

Von Julio Segador |
    Seit 2007 müssen in Deutschland Benzin und Diesel mit Biokraftstoffen angereichert werden, der Anteil dieser Beimischung soll nach dem Willen der EU in den kommenden Jahren sogar noch größer werden. Auch deshalb steht für Ingo Plöger eines außer Frage.

    "Deutschland wird eine Notwendigkeit haben, seinen Ethanol-Bedarf zunehmend aus Brasilien zu importieren."

    Ingo Plöger war über viele Jahre Präsident der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer in Sao Paolo. Für die Auflagen, die neuerdings in Deutschland bei der Einfuhr von Bioethanol erhoben werden, hat er kein Verständnis, auch deshalb, weil Biokraftstoffe immer wichtiger werden.

    Seit Anfang des Jahres fordert die EU für Biosprit eine sogenannte Nachhaltigkeitsbescheinigung. Und einzig in Deutschland sind bisher Regeln für eine entsprechende Zertifizierung verabschiedet worden. Darin muss die Nachhaltigkeit des Biosprits bei Anbau, Verarbeitung und Transport nachgewiesen werden.

    Deutschland, der europäische Musterschüler, stößt in Brasilien dagegen auf Unverständnis. Marcos Sawaya Jank, der Präsident der Vereinigung der brasilianischen Zuckerrohr-Produzenten, spricht von willkürlichen Hürden:

    "Wir sehen es so, dass in Deutschland alles komplizierter und schwieriger gemacht wird, als in anderen Ländern. Man will einfach anders sein. Wir hoffen, dass das, was in Brüssel beschlossen wird, dann auch als europäischer Standard gilt."

    Das Problem: In Brüssel hat man sich noch nicht für ein gemeinsames Zertifizierungsverfahren entschlossen, Deutschland hat derweil schon mal eigene Pflöcke gesetzt. Zwar ist der Anteil an Bioethanol, das von Brasilien nach Deutschland geliefert wird noch nicht besonders hoch. In Zukunft wird sich daran einiges ändern.

    Brasilien ist neben den USA Weltmarktführer bei Bioethanol. 25 Milliarden Liter werden in dem Land derzeit pro Jahr produziert, hauptsächlich aus Zuckerrohr. Jeden einzelnen Produzenten in das Zertifizierungsverfahren mit einzubeziehen ist praktisch nicht möglich, und auch nicht gerechtfertigt, sagt Ingo Plöger.

    "Man hat in Brasilien eine offene Gesellschaft, man hat eine offene Demokratie, die Gewerkschaften sind aktiv, es gibt über 300.000 NGOs, die in unterschiedlichsten Bereichen arbeiten, also über die Umweltfragen, über die sozialen Fragen wird ständig berichtet, und es ist also der der Druck drauf. Und das wird nicht bewertet."

    Immer wieder wird in Deutschland Kritik laut, dass bei der Bioethanolproduktion Anbaufläche für Nahrungsmittel wegfällt. Stichwort: Sprit statt Brot. Ein Argument, das in Brasilien auf Unverständnis stößt. Es muss keiner hungern, nur weil aus Zuckerrohr Biosprit hergestellt wird, sagt Marcos Sawaya Jank:

    "In Brasilien nutzen wir heute 1,5 Prozent unserer landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, um Zuckerrohr herzustellen. Die Produktion von Baumwolle, Soja und Mais ist noch viel mehr gestiegen als die von Zuckerrohr. Und die neuen Technologien haben bewiesen, dass es möglich ist, Nahrungsmittel, Fasern und Energie gleichzeitig herzustellen, mit höherer Effizienz."

    Ingo Plöger sieht hinter den strengen Zertifizierungskriterien, die in Deutschland für Bioethanol erhoben werden, puren Lobbyismus. Wieder einmal hätten sich die mächtigen Rohölkonzerne in Brüssel und Berlin durchgesetzt, beklagt er:

    "Diese Zertifizierungen haben Maßregelungen mit aufgenommen, die man für die anderen Produkte nicht wahrnimmt. Also erstmal schon diese Zusatzsteuer, die man dem Ethanol aufbaut, weil man sagt, das ist ja ein Produkt aus der Landwirtschaft, aber es wird als Treibstoff benutzt. Und auf der anderen Seite importiert man Benzin, das sicherlich viel umweltbelastender ist, ohne jegliche Steuer, und man fragt sich nicht, aus welchen Ländern das kommt, mit welcher Nachhaltigkeit das durchgeführt wird und mit welchen sozialen Komponenten diese Länder ihre Marktwirtschaft durchführen."

    In Brasilien hoffen die Bioethanol-Produzenten, dass Brüssel ein Machtwort spricht, und ein gemeinsamer, vor allem umsetzbarer Zertifizierungsstandard für die gesamte EU gilt. Der deutsche Sonderweg jedenfalls wird in Brasilien rundum abgelehnt.