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Deutsches Bier auf Samoa

14 Jahre lang, von 1900 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, war Samoa deutsche Kolonie. Das hat Spuren hinterlassen. Zum Beispiel auch beim Nationalgetränk Samoas: Vailima, das einzige auf der Südsee-Insel gebraute Bier.

Von Andreas Stummer | 21.09.2008
    Falealupo, an der Nordwestspitze Samoas. Immer wieder sonntags wiederholt sich in dem 2000-Einwohner-Dorf ein Jahrhunderte altes Ritual. Unter dem mit Palmenblättern gedeckten Dach der Versammlungshalle kommt der Ältestenrat zusammen. Die Männer haben sich traditionelle Wickelröcke um die Hüften geschlungen. Langsam nehmen sie auf handgeflochtenen Schilfmatten Platz und verschränken die Beine.

    Wenn die Willkommensgesänge verstummt sind, wird - wie auch bei religiösen Zeremonien und kulturellen Feiern in Samoa - Kava gereicht. Ein berauschender Trunk aus den zerstampften Wurzeln der Pfefferpflanze. Dann wird geredet.

    Kava macht gesprächig. Wenn aber nach den Beratungen der Ältesten das ganze Dorf zusammenkommt und feiert, dann nur mit dem anderen Nationalgetränk Samoas: Mit Vailima, dem einzigen auf der Südsee-Insel gebrauten Bier.

    "Jeder in Samoa trinkt Vailima. Es gibt kein besseres Bier. Ich kann nicht genug davon bekommen. Selbst die Touristen mögen es. Und weil es wie deutsches Bier gebraut wird erinnert uns Vailima an die gemeinsame Vergangenheit beider Länder."

    14 Jahre lang, von 1900 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges, war Samoa deutsche Kolonie. Das hat Spuren hinterlassen. Im Telefonbuch gibt es "Schmidts" und "Keils", "Retzlaffs" und "von Heidebrandts", "Schaffhausens" und "Bruhns". Generationen von Samoanern klingen mehr nach Nord- als nach Südsee. Wenn auch nur auf dem Papier.

    Kellnerin Faluefa hat Respekt vor den Deutschen. Denn alles, was sie damals gebaut haben, steht heute immer noch: Die alte Seifen-Fabrik, das steinerne Flaggen-Denkmal und die riesigen Lagerhallen unten am Hafen, das weißgetünchte, frühere Krankenhaus und die ehemalige deutsche Schule. Ulrike Hertel aus Freiburg lebt seit jetzt 15 Jahren in der Hauptstadt Apia. Mit den sichtbaren Spuren der deutschen Kolonialvergangenheit wie mit den 100 Jahre alten Klischees.

    "Es ist schon so, dass Deutsche immer mit Ordnung in Zusammenhang gebracht werden. Wenn wir uns darum kümmern, dann klappt's auch. Ich jedenfalls bekomme immer solche Arbeiten bei denen man ordentlich und verlässlich sein muss. Und dabei bin ich das gar nicht...."

    Obwohl jetzt mit einem "a" am Ende: Die Landeswährung heißt heute noch Tala, es gibt eine Kehrwoche und auf Samoa gilt, wie in Deutschland, Rechtsverkehr. Und aus dem samoanischen Kokospalmen-Durcheinander auf den Plantagen machten die deutschen Kolonialherren ein peinlich genaues Neben- und Hintereinander.

    "Es hat eine neuseeländische Autorin gegeben, die hat gesagt: Gut, dass die Deutschen nicht länger hier waren, sonst wäre die ganze Insel in Reih' und Glied gewesen. Jede Familie musste einmal pro Woche eine Kokospalme pflanzen. Von diesen Bäumen hat Samoa 100 Jahre lang gelebt."

    Werner Schreckenberg, ein braungebrannter Mitt-Sechziger mit Ruhestandsbäuchlein ist der deutsche Honorarkonsul in Samoa. Zur Kolonialzeit lebten dort tausende Deutsche, jetzt sind es nicht einmal mehr 150 - Aussteiger, Geschäftsleute oder Pensionäre. Eines aber verbindet alle: Sie sind mächtig stolz darauf, dass das Bier in der einzigen Brauerei des Landes noch immer nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut wird. Denn Vailima ist in Samoa mehr als nur ein Getränk.

    Sackkarren, bis unters Wellblechdach gestapelte Bierträger und surrende Ventilatoren anstelle einer Klimaanlage: Eine Führung durch die Vailima-Brauerei in der Hauptstadt Apia ist wie ein Besuch im Museum. 1978 mit deutscher Hilfe gebaut hat sich seitdem nicht viel verändert. In Halle 1 zeigt Marketing-Chefin Cherith Lober stolz auf die computergesteuerte Flaschenabfüll-Anlage. Die ist neu. Alles übrige aber 30 Jahre alt.

    "Vailima stellt zwei Sorten her: Ein helles, untergäriges Lagerbier mit knapp 6 Prozent und ein Export-Bier mit etwa 8 Prozent Alkohol. Die Zutaten Hopfen, Malz und Hefe kommen aus Australien, "

    erzählt Cherith Lober. Aber das Kühlsystem, die riesigen Lagertanks, die Gärkessel und alle Maschinen im Brauhaus stammen aus Deutschland. Mit Risiken und Nebenwirkungen.

    "Viele der Gebrauchsanweisungen sind nur in deutscher Sprache. Wenn eines der Geräte kaputt geht, dann kann es nur jemand reparieren, der auch deutsch versteht. Wir müssen dann beim Hersteller anrufen und - wie erst vor zwei Jahren - einen Mechaniker aus Deutschland einfliegen lassen."

    Chef der 150 Vailima-Angestellten ist Braumeister Shaun Hellesoe, ein Samoaner mit dänischen Vorfahren. Viele glauben sein Job sei wichtiger als der des Premierministers. Denn Vailima ist Breitensport in Samoa.

    "Wenn man irgendwo in Samoa einfach nur ein Bier bestellt, dann bekommt man ein Vailima. Nur Vailima gilt als echtes Bier. So wie es die Deutschen seit Jahrtausenden brauen, so mögen es auch die Samoaner. Wenn wir das Rezept ändern würden, dann müssten wir um unser Leben fürchten."
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    Keine Feier, kein Familienfest oder Staatsempfang ohne Vailima. Samoas Bier ist der Edelstoff aus dem die Legenden sind. Liedermacher haben Vailima besungen, für Schriftsteller ist das Bier ein Gedicht. Kein Wunder: Schon der Markenname "Vailima" ist Folklore.

    "Es war einmal, lange bevor die Weißen nach Samoa kamen, damals als es noch keine richtigen Straßen auf der Insel gab und die Menschen durch den dichten Urwald wandern mussten....". "

    Braumeister Shaun Hellesoe erzählt wie Samoas Bier zu seinem Namen kam....

    Ein Ehepaar versucht von der einen zur anderen Seite der Insel zu gelangen. Der Weg über einen Bergrücken aber ist so beschwerlich, dass der Mann erschöpft zu Boden sinkt und nicht mehr weiter kann. Ihre Trinkvorräte sind zuneige. Die Frau beginnt nach Wasser zu suchen und findet eine Quelle. Weil sie kein Gefäß bei sich hat, schürzt sie die Hände, schöpft so Wasser und bringt es ihrem Ehemann. Der trinkt und kann bald den Weg fortsetzen.

    ""Vai" heißt auf samoanisch "Wasser" und "lima" bedeutet "Hand" - Vailima ist ein erfrischender Name für Samoas einheimisches Bier. "

    Die Samoaner können von Vailima nicht genug bekommen. Die Brauerei produziert rund um die Uhr, sieben Tage die Woche - fast 25.000 Liter pro Tag. Nur ein Bruchteil davon geht ins Ausland. Hotelier Fred Grey schenkt in seinen Bars auch ausländische Biermarken aus. Aber bei umgerechnet nur etwa einem Euro für einen halben Liter ist Vailima eindeutig der Heimsieger an der Promillefront.

    ""Vor nicht allzu langer Zeit wurde in Samoa ein neues Bier aus China eingeführt. Es ist noch billiger und enthält mehr Alkohol als Vailima. Aber niemand will es trinken, die Händler bleiben darauf sitzen. In Samoa gehört ein Vailima einfach mit dazu. Das Bier ist Teil unserer Kultur geworden."

    Es wird gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot, abgefüllt in dunkelgrüne 0,33- und 0,75-Liter-Flaschen und ausgeliefert in knallroten Pfandträgern: Vailima hat in nur 30 Jahren eine traditionelle Kava-Hochburg in ein Feuchtbiotop leidenschaftlicher Biertrinker verwandelt. In Samoa sind jedenfalls Hopfen und Malz noch lange nicht verloren.