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Deutschland - Türkei
Politisch distanziert, wirtschaftlich verbunden

Seit Monaten taumeln die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara von Tiefpunkt zu Tiefpunkt. Forderungen nach Wirtschaftssanktionen stehen im Raum. Unter denen würde die Türkei besonders leiden, denn Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für das Land.

Von Michael Braun | 04.09.2017
     Deutsche und türkische Flaggen, aufgenommen an einem Messestand auf der Messe Stuttgart 2017
    Gut neun Prozent aller türkischen Exporte gingen im ersten Halbjahr 2017 nach Deutschland (dpa-Bildfunk / Marijan Murat)
    Die Türkei ist vor allem als Urlaubsland bekannt. 5,5 Millionen Deutsche fuhren 2015 dorthin, voriges Jahr waren es deutlich weniger, nur noch 3,9 Millionen. Mit Reisehinweisen kann die Bundesregierung schon Einfluss nehmen auf die Tourismuseinnahmen der Türkei. In den Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes von heute gilt noch der Ende Juli veröffentlichte Stand. Und der lautet:
    "Personen, die aus privaten oder geschäftlichen Gründen in die Türkei reisen, wird zu erhöhter Vorsicht geraten und empfohlen, sich auch bei kurzzeitigen Aufenthalten in die Krisenvorsorgeliste der Konsulate und der Botschaft einzutragen."
    Auch wenn die Regierung damit wohl in erster Linie die eigenen Bürger schützen will - ganz ohne Bedacht für die wirtschaftlichen Folgen für das Zielland werden Reisehinweise offenbar nicht gegeben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte sie gestern jedenfalls in einem Atemzug mit anderen Instrumenten, die für wirtschaftlichen Druck sorgen können:
    "Die Verhandlungen für die Zollunion kommen auf gar keinen Fall in Frage. Ich bin mit dem Außenminister im Gespräch, dass wir stärkere Reisewarnungen noch geben müssen. Das prüfen wir zurzeit. Und dann Hermeskredite, Kredite der Europäischen Investitionsbank, Weltbank – das sind alles Punkte, wo wir zeigen müssen, dass wir sehr klar auch reagieren werden."
    Handelspartner Deutschland
    Die EIB, die Europäische Investitionsbank, ist seit Mitte der 1960-er Jahre in der Türkei engagiert. Seit Beginn der Beitrittsverhandlungen zur EU Ende 2004 schwollen die Ausleihungen an. 2008 waren es 2,7 Milliarden Euro, voriges Jahr immerhin noch Kredite von 2,2 Milliarden Euro. Große Projekte wie der Marmaray-Eisenbahntunnel unter dem Bosporus in Istanbul sind mit Geldern der Investitionsbank finanziert worden.
    Auch mit Exportgarantien für deutsche Exporteure, die Waren in die Türkei liefern wollen, hat die Bundesregierung geholfen. Ihr Volumen, so das Bundeswirtschaftsministerium heute, sei seit 2013 "deutlich zurückgegangen". Waren es 1023 noch knapp 2,5 Milliarden Euro, so sanken sie voriges Jahr auf 1,1 Milliarden Euro.
    Auch die staatseigene KfW ist mit im Geschäft. Sie hat etwa für die Flüchtlingshilfe aber auch für Kleinst- und Kleinunternehmen in der Türkei voriges Jahr 449 Millionen Euro als Kredit vergeben. Die privatwirtschaftlich aufgestellte Tochter IPEX hat mit großen Unternehmen - etwa aus den Sektoren Windenergie, Stahl und Zement - 210 Millionen Euro neu zugesagt.
    Deutsche Firmen sollen helfen
    Das alles hat Deutschland zum wichtigsten Handelspartner für die Türkei werden lassen. Gut neun Prozent aller türkischen Exporte gingen im ersten Halbjahr 2017 nach Deutschland, vielfach Autos und Autoteile. Und 8,7 Prozent aller Importe kaufte die Türkei in Deutschland ein.
    Deutsche Firmen sollen helfen, die Abhängigkeit der Türkei von Öl- und Gasimporten zu senken. Technologie für Erneuerbare Energie kauft die Türkei deshalb gerne hier. Aber es gibt eine Alternative: die Kernkraft. Partner aus Russland, Frankreich und Japan sind gerade an zwei 20-Millionen-Projekten an der Mittel- und an der Schwarzmeerküste beteiligt.
    Martin Schulz, der SPD-Vorsitzende, kündigte gestern noch dieses an: "Wenn ich Kanzler werde, werde ich die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union abbrechen."
    Damit würden die Heranführungshilfen, die die Türkei wirtschaftlich fit machen sollen für die EU, gestoppt. Sie belaufen sich auf 4,45 Milliarden Euro, von denen bisher nur ein kleiner Teil abgeflossen ist.