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Dialog mit der Tradition

Pablo Picasso wurde bislang von vielen Kunstkennern als ein Zerstörer des Vergangenen betrachtet, der auf den Ruinen der Tradition eine völlig neue Bildsprache kreierte. Dass Picassos Werk zugleich in einem dialektischen Wechselverhältnis zur Vergangenheit entstand, beleuchtet nun die einzigartige Ausstellung "Picasso - Tradition und Avantgarde" in Madrid.

Von Gregor Ziolkowski |
    Pablo Picasso wurde bislang von vielen Kunstkennern als ein Zerstörer des Vergangenen betrachtet, der auf den Ruinen der Tradition eine völlig neue Bildsprache kreierte. Dass Picassos Werk zugleich in einem dialektischen Wechselverhältnis zur Vergangenheit entstand, beleuchtet nun die einzigartige Ausstellung "Picasso - Tradition und Avantgarde" in Madrid.

    Pablo Picassos umfangreiches Werk lädt ein, es unter allen möglichen Aspekten zu präsentieren, weltweit wird das auch getan. Ob Frauenakte, Stierkampfgrafiken, Arbeiten in Ton oder Skulpturen – fast alle Blickwinkel sind auf das Werk des universalen Künstlers möglich. Und fast alle diese Ausstellungen sind wiederholbar. Wie jetzt in Madrid im Museo del Prado und im Museo Reina Sofía die Retrospektive "Picasso – Tradition und Avantgarde" gezeigt wird, ist einzigartig und wird es wohl für alle Zeiten bleiben. Francisco Calvo Serraller, Kurator der Schau, erklärt sein Konzept.

    "Das Neue an diesem Ausstellungsprojekt ist, dass man Picasso im Wesentlichen immer als einen großen Zerstörer des Vergangenen, der Tradition behandelt hat. Und der Großteil der Literatur, die über sein Werk im Verlauf des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde, arbeitet ihn heraus als einen Ikonoklasten, als einen, der die Tradition zerstörte und eine völlig neue Bildsprache kreiert hat. Das alles ist ohne Zweifel richtig, aber da gibt es noch diese andere Dimension, die im Zusammenhang mit Picasso bis heute nur unzureichend von Kunsthistorikern betrachtet wurde, der Gedanke nämlich, dass sich die Brüche in der Kunst nicht in einem Vakuum vollziehen, sondern immer in einem dialektischen Wechselverhältnis zur Vergangenheit."

    Natürlich waren diese Beziehungen Picassos zur Tradition und zu seinen großen Vorgängern nicht unbekannt. Die Skizzenbücher mit Bleistiftzeichnungen, die der 15-Jährige bei seinem ersten Besuch im Prado anfertigte, sind hier in einer Vitrine ausgestellt. Die Unterweisungen durch den Vater, der ebenfalls Maler war, die akademische Ausbildung, all das sind lange bekannte Tatsachen. Ebenso wie etwa die furiose Serie von 58 großen Ölbildern, die Picasso wie im Rausch innerhalb weniger Monate 1957 nach einem der Prachtstücke der Sammlung des Prado – dem Gemälde "Las Meninas" von Diego Velázquez – malte. Aber es ist genau dieser Punkt, an dem die Ausstellung ihre Einmaligkeit am wirkungsvollsten ausspielt. Da steht man in der Mitte der Zentralgalerie des Prado vor fünf dieser Picasso-Variationen auf Velázquez´ Bild, muss sich nur umdrehen und sieht – durch den offenen Übergang zur benachbarten Galerie: Velázquez´ Original.

    "Es ist wie ein privater Besuch Picassos im Prado"– sagt dessen Direktor Miguel Zugaza – der die Beziehungen Picassos zu den großen Meistern freilegt. "Das geht nicht nur zurück auf den ersten Besuch des 15-Jährigen mit seinem Vater, dazu gehört auch der Umstand, dass Picasso 1936 immerhin zum Direktor des Prado berufen wurde. Und selbst wenn er aus seinem Exil nie wieder nach Spanien zurückgekehrt ist, war er doch immer auf irgendeine Weise dieser Ruhmeshalle der großen Meister verbunden. Nimmt man ein Bild wie "Das Leben" aus dem Jahr 1903, das in Cleveland aufbewahrt wird und zum ersten Mal in Spanien zu sehen ist, so ist es ein Schlüsselwerk in Picassos Schaffen während der blauen Periode. Aber es ist auch der Moment, wo man einen Picasso sieht, der sehr von El Greco beeinflusst ist. Dies durch die Nachbarschaft zu El Grecos "Dreieinigkeit" vorführen zu können, ist für mich ein bewegender Augenblick, denn man kann nachvollziehen, wie Picasso den Manierismus von El Greco aufgreift und fortsetzt."

    Auf solchen Zwiegesprächen zwischen Picasso und seinen großen Vorläufern basiert das Konzept der Ausstellung. Geradezu streng chronologisch sortiert, ergibt sich dabei eine Werkschau, die alle Phasen Picassos umgreift. Und die damit belegt, dass der Künstler in der Tat diesen Dialog mit der Tradition nie abreißen lassen hat, im Gegenteil: Mit zunehmendem Alter hat er ihn intensiviert.

    Entstanden sind dabei natürlich originäre Picassos, egal ob Manet, Goya, Tizian oder Rubens die Schöpfer der Vorlagen waren. Eine unerschöpfliche Lust am Verarbeiten spricht aus diesen Variationen, aber auch ein nicht minder entwickeltes Selbstbewusstsein als Künstler, der sich seine Vorlagen mit Respekt, aber ohne allzu viel Ehrfurcht regelrecht einverleibt hat. Man sieht das an jener Portion Humor, die er nicht selten seinen Verarbeitungen beigegeben hat. Tizians gravitätische "Venus, sich mit Musik erholend", wird bei Picasso zu einem aufgelockerten "Morgenlied", das einen sichtlich verschmitzten Lautenspieler am Bett eines Frauenaktes zeigt. Und wenn Picasso einen seiner "Musketiere" aus seiner letzten Schaffensphase auf der Rückseite mit "Domenico Theotocopoulos van Rijn da Silva" signiert, dann hat er in seine umarmende Hommage gleich drei Vorläufer eingeschlossen: El Greco, Rembrandt und Velázquez.

    Auch der zweite Teil dieser Ausstellung im Museo Reina Sofía belegt Picassos Dialog mit der Vergangenheit, hier zentriert auf sein wohl bekanntestes Bild, das Monumentalgemälde "Guernica".

    F. Calvo Serraller: "Es ist eines der bedeutendsten Werke des 20. Jahrhunderts, ein einzigartiges Bild, das über seine Rolle als Kunstwerk weit hinausreicht. Die Kunst hört manchmal auf, einfach nur Kunst zu sein, und das ist es, was hier passiert ist.""

    Francisco de Goyas Bild von der Erschießung Aufständischer vom 03. Mai 1808, Edouard Manets Gemälde von der Hinrichtung des Kaisers Maximilian von 1869 sowie Picassos "Massaker in Korea" von 1951 hat man in den Saal, in dem "Guernica" und die zahlreichen Studien dazu sonst auch hängen, gruppiert. Und es zeigt sich, dass auch der politisch aktive und engagierte Picasso auf die Zwiesprache mit der Tradition nicht verzichtet hat.

    Die Retrospektive "Picasso – Tradition und Avantgarde" wird ein einmaliges Ereignis bleiben. Zum einen, weil es schwerfallen dürfte, noch einmal so viele Picassos aus allen bedeutenden Sammlungen dieser Welt zu vereinen, zum anderen, weil es nicht vorstellbar ist, dass das Museo del Prado eine so große Zahl von Prachtstücken seiner Sammlung auf die Reise schicken würde.