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Die Abhängigkeit des Künstlers vom Auftraggeber

Auf Wunsch des Papstes soll der Komponist Palestrina im 16. Jahrhundert eine Messe schreiben. Genau diese Problematik von Auftragskunst bringe die Zürcher Inszenierung von Hans Pfitzners Oper auf den Punkt. Zudem überzeuge ein "stimmiges Ensemble".

Thomas Voigt im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 11.12.2011
    Doris Schäfer-Noske: Soll man Hans Pfitzners Werke aufführen, und wenn ja, in welchem Kontext? Über diese Fragen wurde im Juni in Hamburg diskutiert, als dort Pfitzners Oper "Palestrina" Premiere hatte. Ähnliche Diskussionen gibt es immer wieder, denn Pfitzner stand dem Nationalsozialismus nahe, auch wenn ihn die Nazis nicht mochten. Außerdem war er bekennender Antisemit. Dabei schuf Pfitzner in seiner Oper "Palestrina" mit dem Titelhelden sogar eine Figur, die für die Freiheit des Geistes plädiert und sich von keiner Macht befehlen lässt. Gestern Abend ist die Oper in Zürich rausgekommen. Frage an meinen Kollegen Thomas Voigt: Herr Voigt, gab es denn hier im Vorfeld ähnliche Diskussionen wie in Hamburg?

    Thomas Voigt: Die wird es im Vorfeld gegeben haben, denn im Programmheft ist an mehreren Stellen Ingo Metzmacher zitiert, der eben auch mit dieser Frage lange Zeit gerungen hat, aber dann zu dem Schluss gekommen ist, wenn man bei Pfitzner alles auf die Goldwaage legt und dann entscheidet, lieber nicht spielen, was macht man denn dann bei Wagner, der ja viel eindeutiger war in seinen antisemitischen Äußerungen und so weiter. Es ist auch wirklich müßig. Ich meine, "Palestrina" gehört zu den wichtigen Werken des 20. Jahrhunderts und soll gespielt werden – Punkt.

    Schäfer-Noske: In der Oper geht es um die Rettung der Kirchenmusik durch den Renaissance-Komponisten Palestrina. In Hamburg hat Christian Stückl die Geschichte in die Gegenwart geholt. Wie ist das Ganze denn in Zürich umgesetzt worden?

    Voigt: Jens-Daniel Herzog hat das Stück ebenfalls in die Gegenwart geholt, und es spielt in allen drei Akten in der Wohnung Palestrinas. Das heißt, auch der mittlere Akt, der eigentlich das Konzil von Trient beinhaltet, ist eine Vision im Wohnzimmer Palestrinas. Und die Drehbühne, die Mathis Neidhardt sehr geschickt genutzt hat, zeigt eben die hohe Geistlichkeit nicht nur on stage, also beim Konzil, sondern auch backstage. Da wird also der Kühlschrank geplündert, beim Liebesspiel auf dem Klo, unter der Dusche, Geistliche in allen Lebenslagen werden gezeigt, und das natürlich nicht immer nur schmeichelhaft.

    Schäfer-Noske: Und wie kommt das Konzil vor?

    Voigt: Das Konzil ist eben das, was on stage stattfindet, dass man auch merkt, eigentlich geht es da nur am Rande um diese Kunstdiskussion, sondern das ist ein läppischer Punkt. Und damit sind wir beim eigentlichen Inhalt von "Palestrina". Man hat ja oft gesagt, theoretisch ist das Stück doch nach dem ersten Akt fertig, nachdem er seine große Inspiration hatte und die Messe schreibt, ist ja alles gelaufen. Na eben nicht! Der zweite Akt ist ja dazu da, um zu zeigen: die Abhängigkeit des Künstlers vom Auftraggeber und die Arroganz des Auftraggebers. Das heißt, alles Spitzfindige und Böse und Parodistische von Pfitzner bezieht sich ja nicht in erster Linie auf die Kirche, sondern auf die Auftraggeber von Kunst, auf die Mächtigen, die sagen, wir komponieren doch nicht, wir lassen komponieren – wer anschafft, der kriegt. Und genau das habe ich gestern zum ersten Mal richtig kapiert, dass es darum geht und nicht so sehr, um den Geistlichen eins auszuwischen.

    Schäfer-Noske: Wie ist denn das Ganze dann musikalisch umgesetzt?

    Voigt: Prima! Hut ab vor einer Bühne, die alle Partien so gut besetzen kann, wie die Züricher Oper: Also von Roberto Sacca als Palestrina bis zu Martina Jankova als sein Sohn Egino war das ein stimmiges Ensemble und es war größtenteils eine Freude zuzuhören, auch was die Textverständlichkeit betrifft. Ein kritischer Punkt bezieht sich auf die Balance der Stimmen in der zentralen Szene des Stücks, nämlich in der Inspirationsszene. Da begegnen dem Palestrina eben die großen alten Meister, die Vorbilder, seine verstorbene Ehefrau und noch drei Engelstimmen. Alles das muss eigentlich backstage kommen, so ein bisschen wie in Wagners "Parsifal", mystisch von oben oder von hinten, als Klangwolke. Aber wenn man jetzt diese Personen real neben dem Palestrina auf die Bühne stellt, dann ist das Ganze Klanggefüge, muss man leider sagen, im Eimer, denn dann hat man Soprane, die den Tenor übertönen, und das ist einfach in dieser Szene nicht richtig.

    Voigt: Ein Ausschnitt aus der Inspirationsszene, erster Akt von "Palestrina" von Hans Pfitzner aus dem Opernhaus in Zürich. – Diese zentrale Szene hat wie gesagt etwas am musikalischen, akustischen Ungleichgewicht gelitten. Ansonsten war es eine sehr, sehr beachtliche Leistung.

    Schäfer-Noske: Thomas Voigt war das über Hans Pfitzners Oper "Palestrina", die gestern Abend in Zürich Premiere hatte.