Archiv


Die AKP und der Alkohol

Die Partei von Tayyip Erdogan hat im Sommer 2007 zwar deutlich die Parlamentswahlen gewonnen, aber derzeit sinkt ihr Stern. Korruptionsvorwürfe und eine erlahmte Reformpolitik sind der Hauptgrund, aber auch mit ihrer Haltung zum Alkohol bringt die AKP manche liberale Türken gegen sich auf. Aus Istanbul mehr von Gunnar Köhne.

    Eine sternenklare Nacht - und immer noch spätsommerlich warm. Da lockt der Balkon, um bei einem guten Glas die Aussicht auf das Marmara-Meer zu genießen. Und wer im schicken Istanbuler Vorort Moda keinen Balkon hat - der setzt sich eben mit Freunden und Flaschen an die Uferpromenade - denkt man, wenn man die rund 50 zumeist jungen Leute mit ihren Raki-, Bier- und Weinflaschen ebendort fröhlich zusammen stehen sieht. Wären da nicht die Polizisten in Kampfanzügen, die Fernsehkameras und die Plakate, die einige der Versammelten in die Luft halten. "Lang lebe die alkoholische Internationale!", steht auf einem Plakat. "Für eine beschwipste Türkei", auf einem anderen. Manche halten Porträts des Republikgründers Atatürk vor ihre Brust. Das hier ist eine Demo für den uneingeschränkten Zugang zu Alkohol, den auch Atatürk liebte, und den die Demonstranten durch die islamisch konservative Regierung von Ministerpräsident Erdogan bedroht sehen. Serdar, ein Student mit langen Haaren, Flickenjeans mit einer Efes-Pilsen-Dose in der Hand ist empört:

    "Die Religiösen sollen fünf Mal am Tag beten, sie sollen fasten - aber sie sollen die anderen, die gerne Alkohol trinken in Ruhe lassen."

    Der Streit dreht sich um ein hölzernes Fährhaus, das auf dem unweit gelegenen Pier von Moda steht. Darin befindet sich seit vielen Jahren ein Ausflugslokal. In diesem Lokal gibt es seit kurzem aber keinen Alkohol mehr, denn die städtische Gesellschaft "Beltur" hatte es übernommen - und in Beltur-Restaurants wird kein Alkohol ausgeschenkt. So will es der Bürgermeister der Stadt, ein Parteifreund von Premier Erdogan.

    Und so trinken die fröhlichen Demonstranten nicht nur für das Recht auf einen guten Tropfen. In den Schlagworten, die an diesem Abend in Moda die Runde machen, geht es auch um Freiheit und Demokratie allgemein, und um den Laizismus, also die Trennung von Staat und Religion. Die sieht Tunguc Koc, der Organisator des Freitagsumtrunks, in Gefahr:

    "Alkohol ist in diesem Fall ein Symbol. Diejenigen, die den Alkohol verbieten wollen, sägen an den Grundpfeilern dieser Republik. Die Islamisten wollen diese Prinzipien Stück für Stück aufweichen."

    Istanbuls Bürgermeister Kadir Topbas versteht dagegen die Aufregung nicht: Es fehle in der Stadt an preiswerten Lokalen, die auch ärmere und religiösere Familien besuchen könnten. Von einer Gängelung durch Islamisten zu sprechen sei Unsinn, schließlich gebe es noch hunderte andere Kneipen in der Stadt, in denen man sich betrinken könne. Doch die wackeren Protestler bleiben misstrauisch: Wurde nicht kürzlich ein Alkoholhändler in Ankara von städtischen Angestellten verprügelt? Und wurden sie nicht vom Regierungschef persönlich verhöhnt: Sie sähen die Welt durch den Flaschenboden? Nicht Weintrinker, behauptete Erdogan, sondern Abstinenzler stünden in der Türkei unter Druck.

    Tatsächlich ist der Alkoholkonsum in der Türkei in den sechs Jahren AKP-Regierung stark gestiegen. Gleichzeitig aber gibt es immer mehr und mehr alkoholfreie Restaurants und die Alkoholsteuern haben einen Höchststand erreicht. Auch für die Istanbuler Weinproduzentin Sibel Kutman sind das Menetekel. Mit großem Enthusiasmus ist die ausgebildete Tänzerin vor ein paar Jahren an die Spitze des Istanbuler Familienunternehmens getreten. Sie wollte neue Rebsorten einführen. Türkischer Wein, so ihr Plan, sollte die Welt erobern. Doch dann kam die religiös-konservative Regierung in Ankara ihren Plänen in die Quere:

    "Am 1. Februar 2005 wurden die Steuern auf Weinproduktion um 120 Prozent erhöht. Über Nacht! Dazu gab es weder eine Erklärung, noch hatte die Regierung uns davor konsultiert. .. Ob es um den Anbau von Reben geht, das Keltern des Weines oder ob um die Lizenz für den Alkoholverkauf - das alles ist in den vergangenen Jahren von der Regierung immer mehr erschwert worden."

    Die Protesttrinker von Moda wollen erst aufgeben, wenn in dem Lokal am alten Anleger von Moda wieder Raki, das türkische Nationalgetränk getrunken werden kann. Denn sonst fehle dem Ufer von Moda etwas, sagt Student Serdar:

    "Wenn du hier am Wasser sitzt, dazu die herrliche Aussicht. Dann gehört ein Glas Raki einfach dazu. Das ist Teil unserer Kultur."