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Die andere Seite von Edvard Beneš

Wenn von der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg die Rede ist, fällt meist auch der Name Edvard Beneš. Sein Wirken als überzeugter Demokrat ist darüber fast in Vergessenheit geraten.

Von Bert-Oliver Manig | 18.12.2010
    Sein Name wird hierzulande mit der Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei nach 1945 assoziiert. Die andere Seite der Biografie von Edvard Beneš: sein Wirken als überzeugter Demokrat ist darüber fast in Vergessenheit geraten. Als er am 18. Dezember 1935 mit großer Mehrheit von der Nationalversammlung in Prag zum Staatspräsidenten der Tschechoslowakei gewählt wurde, war Beneš, der 17 Jahre lang Außenminister seines Landes gewesen war, ein international höchst angesehener Mann.

    Das amerikanische Time Magazine porträtierte ihn schon 1925:

    "Dr. Edvard Beneš ist nicht nur einer der fähigsten Diplomaten Europas, er ist auch einer der jüngsten. Er spricht fließend Russisch, Ungarisch, Deutsch, Französisch, Englisch und diverse slawische Dialekte. Er ist in keiner Weise eine faszinierende Erscheinung. Doch wenn man ihm gegenübersitzt, ist man gezwungen zu erkennen, dass er eine starke, bezwingende, brillante und ernsthafte Persönlichkeit ist. Er nötigt einem nicht bloß Respekt ab, sondern Aufmerksamkeit, und das ist das Geheimnis seiner Größe."

    Beneš wurde nicht nur wegen seiner diplomatischen Erfahrung zum Staatspräsidenten gewählt. Er stand zugleich für die Selbstbehauptung der liberalen tschechoslowakischen Demokratie ein, die von lauter Diktaturen umgeben war. 1936 bekannte Beneš in einer Rundfunkansprache:

    "Es ist eine Demokratie, die von sich weiß, dass sie in Mitteleuropa dasteht wie ein Leuchtturm auf einem Riff, an welches von allen Seiten die Wogen der Brandung schlagen und welches heute in Europa eine große symbolische und tatsächliche Mission hat: Die Fahne der Freiheit, des Friedens und der Toleranz hochzuhalten, die Fahne des guten Willens und des Glaubens an den politischen und sozialen Fortschritt, die Fahne des Glaubens an einen stärkeren und moralisch besseren Menschen."

    Das waren keine leeren Worte: Im Vertrauen auf die Schutzmacht Frankreich gewährte die Tschechoslowakei politischen Flüchtlingen aus Deutschland und Österreich großzügig Asyl, Prag wurde zum Zentrum der deutschsprachigen Emigration. Beneš nahm damit wachsende Spannungen mit dem nationalsozialistischen Deutschland in Kauf.

    Für die deutsche Regierung war die Tschechoslowakei, ohnehin ein rotes Tuch: als parlamentarische Demokratie, als Produkt der verhassten Pariser Friedensordnung von 1919 und als Verbündeter Frankreichs. Die deutsche Außenpolitik strebte die Auflösung der Tschechoslowakei an und setzte dabei auf die Sprengkraft der Minderheitenfrage.

    Tatsächlich lag hier die Achillesferse der tschechoslowakischen Demokratie. Ein Drittel ihrer Bürger gehörte den Nationalitäten der Sudetendeutschen, Ungarn, Polen und Ruthenen an. Es rächte sich nun, dass man ihren Autonomiewünschen nicht beizeiten entgegengekommen war. Eine mit beträchtlichen Geldmitteln aus dem Reich subventionierte Protestpartei der deutschen Minderheit: Die Sudentendeutsche Partei gewann die Mehrheit der deutschen Bevölkerung für sich und ging 1938 auf Geheiß aus Berlin zu einer offen separatistischen Politik über.

    Viel zu spät arbeitete die Regierung in Prag ein Nationalitätenstatut aus, für das Beneš im September 1938 im Rundfunk warb:

    "Es geht uns vor allem darum, das volle Vertrauen und die Zusammenarbeit zwischen den beiden größten Nationen der Republik zu erneuern und Frieden und eine friedliche Entwicklung zu sichern. Wir werden damit wahrhaft nicht nur an der Erhaltung des Friedens in einem international sehr bewegten Augenblick arbeiten, an der Erhaltung des Friedens für die Welt und Europa, sondern wir werden damit auch für die Ruhe von Stadt und Dorf bei uns daheim, für Feld, Werkstatt und Familie, für das, was uns am teuersten ist, arbeiten."

    Vergebens. Unter Hitlers Kriegsdrohung stimmten Frankreich und Großbritannien im Münchener Abkommen der Abtretung der Sudetengebiete an Deutschland zu. Beneš verzichtete auf die aussichtslose militärische Gegenwehr. Am 5. Oktober 1938 trat er vom Amt des Staatspräsidenten zurück und ging ins Exil nach London. Als er 1945 in seine Heimat zurückkehrte, die sechs Jahre demütigende Besatzung erlebt hatte, war Beneš überzeugt, durch die Vertreibung der Minderheiten die tschechoslowakische Demokratie auf eine stabilere Grundlage als 1918 zu stellen. Das war ein schrecklicher Irrtum.