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Die Ausstellung "Stereo_Typen"
Überwindung des Geschlechts

Eine Auswahl von Werken aus der grafischen Sammlung des Kunstmuseums Bonn zeigt wie deutsche Künstlerinnen und Künstler sich im Zeitraum von 1914 bis 2005 Genderthemen widmen. Geschlechter, Rollen und ihre Klischees stehen auf dem Prüfstand, jenseits von Bübchenblau und Mädchenrosa.

Von Peter Backof | 25.03.2019
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Ein Ausschnitt aus Wolfgang Tillmans "Anders" (Brighton Arcimboldo), 2005, Inkjet Print. (© Wolfgang Tillmans, Courtesy neugerriemschneider Berlin)
"Normal" war früher ein Modewort. Es meinte in etwa: is' so, auch wenn es krass ist. Normal ist insofern alles, was ist. Auch das viele Bling-Bling – früher Lametta genannt – bei Polkes zu Hause. Eine Weihnachtsparty, als Strip- und Travestieshow inszeniert, dokumentiert als Fotostrecke. Deutlich erkennbar: der Farbstich der Siebziger und der Künstler Sigmar Polke, der es sichtlich genoss, den Bürgerschreck zu geben.
"Ja, wir stehen ja jetzt vor ´Weihnachten bei Polke´. Weihnachtsfest bei Künstlers zu Hause. Und das traditionelle Familienfest wird zum überdreht-albernem Rollenspiel. Mit Alufolienflügeln und Knister und Glitzer."
Wie eine Cosplay-Party im Prinzip, beschreibt Barbara Scheuermann, Leiterin der Grafischen Sammlung im Bonner Kunstmuseum. Der Unterschied: Heute würde so eine Party schnell auch mal auf dem Social-Media-Boulevard landen. Banal normal! Damals, 1973, war es auch eine politische Tat, das Männliche und das Weibliche, frei Schnauze und tabulos zur Inszenierung freizugeben.
"Naja, das Tolle an Kunst ist ja, und damit auch für uns, dass wir uns mit Bildern nicht so festlegen wie mit Sprache. Bilder wirken zwar erstmal viel konkreter, aber man kann doch sehr viel mehr rein gucken und deuten als in Wörter. Deswegen haben wir nicht so dieses Problem, was jetzt gerade unsere Debattenkultur so plagt, dass auf bestimmten Wörtern und Begrifflichkeiten herumgeritten wird. Unsere Bilder sind eben viel offener. Und genau so offen wollen wir das ja auch sehen, Stichwort: queer."
Eine Ausstellung wie ein Karussell
"Stereo_Typen" - eine Ausstellung wie ein Karussell, linksdrehend, mit Themenclustern zu LGBTIQA-Welten. Die ausgestellten Arbeiten thematisieren die Inszenierung privaten Raums, die aber keine Rückschlüsse auf das echte Private und Intime zulässt. Sigmar Polke ist nicht plötzlich zum schwulen Aktivisten geworden. Und auch bei Bernhard Johannes Blume geht es nicht inzestuös zu, nur weil er in "Flugversuche" aus der Serie "Ödipale Komplikationen" seine eigene Mutter neckisch vom Wohnzimmersofa schmeißt wie eine Frisch-Geliebte.
"Genau. Es geht um Codierung, Geschlechterzuschreibung, Rollenkonzepte, Attribute, die mit Männlich-Weiblich normalerweise verknüpft sind ..."
... und die Künstler als Spielwiese entdeckt haben. Insbesondere nach 1968, betont Barbara Scheuermann. Schauspieler Udo Kier spielt in einem Video eine Conchita-Wurst-mäßige Identität, die sich für kein Geschlecht entscheiden kann. Wolfgang Tillmanns porträtiert sich daneben mit auberginenfleischigen Geschwüren im Gesicht . "Anders" heißt die Fotomontage, bei der es der Fantasie des Betrachters überlassen bleibt, was denn im Kopf dieses mutmaßlich Schwulen so "anders" sein soll. Oder vielleicht "krank und heilbar", wie Studien zufolge auch 2019 noch viele Menschen in Deutschland denken?
"Wir glauben, dass dieser Schwerpunkt Sechziger, Siebziger und frühe Achtziger damit zu tun hat, mit der '68er-Revolution. Dass das eben noch so die Folgen sind. Dass man dann sich wirklich ausleben konnte und eigenen Freiraum geschaffen hat. Aber man muss eben auch sagen, dass das ja nun mal die Arbeiten sind, die wir in unserer Sammlung haben. Also, wenn wir eine Ausstellung zum Thema gemacht hätten mit Leihgaben von woanders, dann sähe die natürlich ganz anders aus. Wir arbeiten hier mit den Beständen im Haus. Es zeigt unsere Sammlungsgeschichte und Sammlungsstruktur."
Künstlerische Schwergewichte der Rheinland-Szene
Mit etlichen künstlerischen Schwergewichten der Szene Rheinland: die Nische der Grafischen Sammlung, erweitert um Foto und Video. Zum Beispiel die Selbstporträtzeichnunen von Jürgen Klauke, die so gar nichts Lautes haben. Trotzdem, meint Barbara Scheuermann, setzen Künstler etwas in Gang und wirken ein auf den Mainstream:
"Ich glaube, die Künstler sind immer die Ersten. Wenn man das eine Weile beobachtet, was in der Kunst passiert: Paar Jahre später kommt es in der Werbeästhetik an. Und dann kommt es so in diesen allgemeinen Bilderkanon. Ich kann mich eben zum Beispiel noch ganz gut daran erinnern, als der erste schwule Kuss im Fernsehen zu sehen war, in der ´Lindenstraße´. Und ich glaube, das muss einfach einen prägen, ob man das erlebt hat als etwas Natürliches, Normales oder ob man das noch erlebt hat, als es verboten war."
"Flamenco 50", so der Baumarktname der Hintergrundfarbe der Ausstellungswände. Ein undefinierbares Lilablassblaugrün. Und die Exponate sind teils über Eck und etagenweise übereinander angeordnet als offene Fragen, wie "14 Personen – 25 Narzissen" von Rudolf Bonvie, 1976. Seine Frage: Wie verhältst Du Dich als Mann, wenn man Dich mit nacktem Oberkörper fotografiert, während man Dir einen Blumenstrauß in die Hand drückt? Völlig normal, wenn einem das peinlich ist? Ja! Völlig normal. Es verdeutlicht, auch 2019, den Druck, den die Mehrheitsgesellschaft aufbaut: Sich bloß klar gegendert zu geben.