Die baskische Sprache ist heute kurz davor auszusterben, seit Jahrhunderten ist sie dabei zu verschwinden. Spanien und Frankreich haben diese Sprache unterdrückt. Wir haben also eine große Verantwortung, diese Sprache am Leben zu erhalten.
Und ein Soziologe aus San Sebastian über seine Vorstellungen von Autonomie:
Was mich wütend macht, ist, dass die Gewalt im Ausland mit Nationalismus gleichgesetzt wird. Unser Nationalismus ist demokratisch und er ist friedlich. Ich bin radikal gegen die ETA. Die ETA ist nicht die Konsequenz unseres Nationalismus.
Professor Javier Elzo mit seinem stattlichen Bauch zwängt sich zwischen den CD-Regalen hindurch. Der kleine untersetzte Mann mit schlohweißem Bürstenschnitt durchstöbert den kleinen Laden nach klassischen Raritäten. Immer wieder sieht er über den Rand seiner Nickelbrille, doch nichts lockt ihn wirklich, außer der Musik, die gerade läuft. "Ich glaube, da wartet jemand auf Sie”, bemerkt der Ladenbesitzer. Von draußen schaut ein junger braungebrannter Mann mit dicker Sonnenbrille ins Schaufenster. Elzo schließt die Augen, murmelt: "Ich habe keine Verabredung” und beginnt versonnen, zur Musik zu dirigieren. Dieser winzige, höhlenartige Laden, in dem sich Schallplatten und CDs vom Boden bis zur Decke stapeln, ist einer seiner Zufluchtsorte. "Hier vergesse ich die Politik, die ETA und die Gewalt” murmelt er weiter. Und dann öffnet er die Augen wieder, begeistert von der Musik: dieses Album nimmt er mit. Mit breitem Lächeln tritt er auf die Strasse hinaus.
Draußen wird sein Blick ernst. Vorsichtig schaut er erst nach rechts, dann nach links. Auf der anderen Straßenseite steht der Mann mit der dunklen Brille. Elzo zwinkert ihm zu, faltet die Hände hinter dem Rücken zusammen und erklärt:
Das ist mein Leibwächter, den habe ich seit drei Jahren. Da bin ich das erste Mal in Listen der ETA aufgetaucht. Sie haben mich auf der Strasse beleidigt, die Wände von meinen Haus beschmiert, ich weiß was es heißt, eine Zielscheibe in der Altstadt von San Sebastián zu sein. Wenn sie an mir auf der Strasse vorbeigingen, haben sie die rechte Hand an den Hals gelegt und mir bedeutet, dass sie mich einen Kopf kürzer machen würden. Ich habe einen Leibwächter, weil ich ein gemäßigter Nationalist bin und kein Patriot.
42.000 Menschen stehen auf den Listen der ETA und werden bedroht. Polizisten, Unternehmer, Politiker, Gefängnisangestellte, Journalisten und Intellektuelle. 5000 Spanier werden tagtäglich von einer Leibwache begleitet, allein im Baskenland sind es über 1000. Wie Elzo. Für die ETA ist der gemäßigte Nationalist ein Kollaborateur mit dem Feind, dem zentralistischen Spanischen Staat. Weil der Soziologe sich engagiert: gegen den Terrorismus und für den Pluralismus der baskischen Gesellschaft.
Wenn vom Baskenland die Rede ist, dann geht es selten um die traumhaften Küsten am Golf von Biscaya. Oder um Naturschauspiele in den schroffen Ausläufern der Pyrenäen. Selten um Baskenmützen. Oder um den Bacalão, den salzgetrockneten Kabeljau, ebenfalls eine Erfindung der Basken, die es ihnen erlaubt hatte, als erste Seefahrernation die neue Welt zu entdecken. Auch dass Ignatius von Loyola Baske war, der Begründer des Jesuitenordens, wird kaum erwähnt. Wenn vom Baskenland die Rede ist, dann geht es meistens um Gewalt, um Tod und Trauer. Um Autobomben und Morde. Um Schutzgelderpressungen. Oder um die Verhaftung von ETA-Aktivisten, wie vor vier Wochen in den französischen Pyrenäen. Dem Baskenland haftet ein blutiger Beigeschmack an.
Dass es nur eine Minderheit im Baskenland ist, die den terroristischen Kampf der ETA unterstützt, wird von Nicht-Basken, in Spanien wie im Ausland, zwar registriert. Doch weil gleichzeitig die Mehrheit der Basken seit Jahrzehnten nationalistische Parteien wählt, macht sich ebendiese Mehrheit verdächtig, den bewaffneten und gewaltsamen Kampf für Unabhängigkeit nicht mit aller Konsequenz abzulehnen. Wie spannungsgeladen die politische Atmosphäre immer noch ist und wie schnell sich das latente Misstrauen hochschaukeln kann, das wurde erst wieder nach den Terroranschlägen am 11. März in Madrid deutlich. Die spanische Regierung unter José Maria Aznar beharrte auf der These, dass die ETA hinter den Attentaten stecke. Doch die Wähler durchschauten das wahltaktische Manöver und sorgten wenige Tage später für den Machtwechsel.
ETA – die Abkürzung steht für Euskadi ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit. Eta ist aber auch das baskische Wort für die Konjunktion "und". Wie in kaum einer anderen Kultur verbinden sich so viele Gegensätze wie im Baskenland. Zu verstehen sind diese Widersprüche nur für den, der tief eintaucht in die Kultur und in die Geschichte dieses Volkes.
Wie beim Pelota, dem baskischen Nationalsport, bei dem ein kleiner Gummiball gegen eine Wand gespielt wird, prallen in der Grenzregion zwischen Frankreich und Spanien die Gegensätze aufeinander: Die Basken verstehen sich seit jeher als Nation – aber: sie haben nie territoriale Ansprüche erhoben. Sie pflegen mythische Bräuche und leben mit Legenden – aber gleichzeitig waren sie die Pioniere der Industrialisierung: die ersten Schiffsbauer, Stahlerzeuger, Fabrikanten. Sie haben die Welt erobert, als abenteuerlustige Seefahrer – aber sie sind tief verwurzelt in ihrer Familie, ihrem Clan, ihrem Haus. Tief religiös und: unverhohlen nationalistisch. Industrialisierter Küstenstreifen – und: bäuerliches Hinterland.
Männer – und: Frauen. In der baskischen Gesellschaft werden Grundbesitz und Titel häufig in der weiblichen Linie vererbt, weil es die Frauen waren, die sich um den Landbesitz kümmerten, während die Männer zur See fuhren oder in den Krieg zogen. In den ländlichen Regionen haben bis heute die Baskinnen in Haus und Hof das Sagen.
Für die 56jährige Amelia Jauregi beginnt der Tag mit einem Ritual. Wenn draußen die Hähne um die Wette krähen, kratzt ihr baskischer Hirtenhund Argi an der Schlafzimmertür. In der Küche kocht Großmutter Maria Teresa Kaffee. Die jüngste der Familie, die eineinhalbjährige Izaro ist auch schon wach. Amelia kämmt sich schnell durch die kurzen Haare, trinkt langsam den schwarzen Kaffee ohne Zucker. Dann ruft sie nach Argi und geht zu ihren Schafen in den Stall
Uns Hirten geht es besser und den Schafen geht es heute auch besser. Meine Mutter erzählt, dass wir nie hungern mussten, weil wir Tiere zum Schlachten hatten und das Brot selber buken, aber es war eng. Vor allem die Tiere hungerten, die bestanden nur auch Haut und Knochen. Und wenn ich mir meine heute so anschaue, die stehen gut im Fell.
Amelia füttert ihre Schafe. Später wird ihre Tochter Elisabeth ihr beim Melken helfen. Von Hand bräuchten beide Frauen fast vier Stunden dazu. Amelia zeigt stolz auf ihre neue Melkmaschine. Die 315 Schafe bleiben im Stall. Die Sommerweiden sind restlos abgegrast. Bis vor kurzem noch hat Amelia ihre Schafe nach baskischen Politikern benannt, oder nach besonderen Merkmalen der Fellfärbung. Heute haben sie alle Nummern im Ohr. "Mit den Jahren werde ich immer bequemer, lächelt Amelia, es gibt so viel zu tun, trotz der Maschinen.
Auf einem baskischen Hof bist Du als Frau für alles verantwortlich. Du bist Unternehmerin, Arbeiterin, die Chefin, Krankenschwester, Mutter, Tochter, Ehefrau. Keine Ahnung ob ich jetzt was vergessen habe. Du musst ein Allroundgenie sein. Du musst mit allem gut Bescheid wissen, auch mit dem Papierkram Du musst ständig dazu lernen und dich auch noch um den Verkauf kümmern.
Amelias Aufzählung ist noch nicht zu Ende, sie erzählt von Kindererziehung und Haushalt. Sie bleibt unter einem riesigen Kirschbaum stehen. "Das ist ziemlich viel Verantwortung” sagt sie, aber ich bin sehr zufrieden”.
Es gibt hier in der Umgebung viele Frauen, die auf einem Hof arbeiten, aber nicht die Besitzerinnen des Hofes sind. Sie stehen irgendwo als Mitbesitzerinnen in der Papieren, das klingt sehr schön, ist aber nichts wert. Mein Mann arbeitet in einer Fabrik und mir gehört der Hof.
Den hat sie von ihrer 84jährigen Mutter geerbt und sie wird ihn irgendwann an ihre Tochter Elisabet weitergeben. Doch vorher wird sie mit ihr eine Kooperative gründen. Auf Amelias Hof gilt die traditionelle Arbeitsteilung im Baskenland: In der Industrie haben die Männer das Sagen, auf dem Hof und im Haus bestimmen die Frauen. Trotzdem gibt es einen unausgesprochener Konkurrenzkampf zwischen den Geschlechtern: Weil die Frauen ihre Macht immer wieder beweisen müssen, wird ihnen emotionale Härte nachgesagt. Vor einigen Jahren gab man den Frauen sogar die Schuld an der ETA. Mit ihrer Härte und ihrer ununterbrochenen Beterei hätten sie die Männer von den Höfen getrieben - zu den Terroristen. Damals wurden die Häuser mit Parolen wie "ETA nein, Liebe ja” besprüht. Amelia runzelt die Stirn und stemmt beide Hände in die Hüften und ist überhaupt nicht einverstanden.
Das heißt im Klartext, wir seien kalt. Aber das ist nun mal die Art der Basken. Der Frauen wie der Männer. Die sind, wenn du so willst, ein bisschen feige. Um einer Frau ein paar Nettigkeiten zu sagen, brauchen sie vorab ein paar Gläser Wein und es muss spät sein, sonst fordern sie dich nicht mal zum Tanzen auf.
Je später der Abend, desto kräftiger werden sie. Und natürlich hat das auch etwas mit der Kirche zu tun. Es war ja alles verboten, man durfte ja nicht einmal eng umschlungen tanzen. Ich glaube diese Angst vor Repressalien, die hat uns sehr geprägt.
Inzwischen steht die Sonne schon über den Bergen und leuchtet durch dieses kleine idyllische Tal mit seinen vielen Apfelbäumen.
Aus der Ferne hört man ein Auto hupen. "Das ist der fliegende Bäcker und ich habe langsam Hunger", sagt Amelia. Oben auf der Terrasse vor der Haustür ist schon ein kräftiges Frühstück gerichtet. An dem großen Holztisch sitzt die halbe Familie versammelt, weil heute Samstag ist:
Die Großmutter sitzt dort mit ihren grün karierten Puschen und ihre Enkelin Elisabet in einem viel zu großen selbst gestrickten Pullover. Elisabets Mann Asier schneidet das frische Brot. Rechts trägt er einen silbernen Ohrring, auf dem die baskischen Provinzen eingearbeitet sind. Die kleine Izaro spielt auf der Erde mit zwei Katzen zwischen den leuchtenden Begonien. Amelia kommt mit einem kleinen geräucherten Käse und einem Einmachglas in der Hand an den Tisch. "Ein Hausrezept”, grinst sie. Iñaki, ihr Mann, sitzt am anderen Ende des Tisches im blauen Overall. Hier fühlt sich niemand als Spanier. Die Familie geht weder zu den spanischen Parlamentswahlen Wahlen, noch zu den Europawahlen. Das einzige, was für sie zählt, ist der baskische Ministerpräsident und natürlich der Bürgermeister im Dorf. Nicht mal die Olympiade hätten sie verfolgt. "Das waren ja keine Basken dabei”, sagt Inaki und die spanische Nationalmannschaft, die interessiere ihn halt nicht.
Ich finde es ein bisschen schwierig das Gefühl in Worte zu fassen, es geht ja um etwas Nicht-Materielles. Wir sind hier geboren im Baskenland und dass wir zu Spanien gehören, das haben wir uns nicht ausgesucht. Das wurde uns aufgezwungen. Aber es sind die anderen. die glauben, weil man kein Spanier ist, sei man ein Terrorist. Also ich bin ziemlich friedliebend und dass die anderen mir anhängen wollen, dass ich als Baske auch gleich kriminell bin, das tut mir ziemlich weh.
Wir haben immer Herri Batasuna gewählt. Natürlich bin ich mit bestimmten Dingen nicht einverstanden, aber mit den anderen Parteien noch weniger. Wenn da ein bisschen mehr Kompromissbereitschaft vorhanden wäre, gäbe es die ETA längst nicht mehr. Es kann doch nicht so schwer sein, dass wir das bekommen, was wir wollen, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Also, wenn die Demokratie so gut ist, wie sie sagen, dann kann es doch nicht so schwer sein, sich zu einigen.
Inzwischen schmilzt der Käse in der Sonne vor sich hin. Es ist schon nach Zwölf. Inaki und Asier holen den Trecker aus der Scheune, um Heuballen zu holen. Die Großmutter geht mit Izaro spazieren. Und Elisabet und Amelia müssen die Schafe melken gehen. Der Weg zum Stall führt an der Haustür vorbei, über dem Eingang steht, wie bei allen baskischen Häusern, ein Name. Die Basken glauben, dass das Benennen einer Sache seine Existenz beweißt. "Baztarrika bedeutet reiches Eckchen”, ruft Amelia laut, bindet sich ihre Melkschürze zu und verschwindet im Stall.
Das Baskenland besteht aus sieben Provinzen: vier in Spanien: Guipúzcoa, Vizcaya, Alava bilden die autonome spanische Region Baskenland - und Navarra, mit eigener Regionalregierung. Und drei in Frankreich: Labourd, Basse Navarre und Soule, verwaltet durch das Departement Pyrenées-Atlantiques. Jede der sieben Provinzen hat auch einen baskischen Namen, wie die meisten Städte und Dörfer. Das Baskenland war immer Grenzgebiet. Doch die streitbaren Basken haben sich immer arrangiert mit denen, die als Eroberer kamen. Mit den Römern trieben sie Handel – auf römischen Straßen und Märkten. Dem spanischen Königshaus standen sie zur Seite bei der Reconquista, im Kampf gegen die Araber wurden die Basken zu frommen Katholiken.
Und haben doch nie ihre Identität aufgegeben, nie ihre Rechte preisgegeben, ihre Sprache und Werte. Auch unter Franco nicht. Niemals zuvor wurden sie so unterdrückt wie unter der Diktatur Francos. Sie wurden diskriminiert, verfolgt, ermordet. Alles Baskische wurde in den Untergrund gedrängt - nach 20 Jahren Diktatur formierte sich der Widerstand: 1959 wurde die ETA gegründet.
Der Schriftsteller Gabriel Aresti hat fast sein ganzes Leben in der Diktatur gelebt: 1933 wurde er in Bilbao geboren, die baskische Sprache lernte er erst als Erwachsener, wurde Mitglied der baskischen Akademie und einer der einflussreichsten Schriftsteller der baskischen Literatur. Er starb 1975, im selben Jahr wie Franco. Zu Arestis berühmtesten Gedichten gehört seine Ode an das baskische Haus, dessen Tür immer Richtung Osten weist, zum Sonnenaufgang. Und das den landlosen Basken ihre Heimat gibt.
Meines Vaters Haus
will ich verteidigen
gegen Wölfe,
gegen Verpfändung,
gegen Wucher,
gegen das Gesetz,
verteidigen werde ich
meines Vaters Haus.
Verlieren werde ich
Vieh,
Obstgärten,
Kiefernhaine;
Verlieren werde ich
Zins,
Einkommen,
Dividende,
aber verteidigen werde ich meines Vaters Haus.
Sie werden mir die Waffen
Nehmen, aber mit meinen
Händen verteidige ich
Meines Vaters Haus.
Ich werde sterben,
meine Seele werde ich verlieren,
meine Nachkommen werde ich verlieren,
aber meines Vaters Haus
wird standhalten
auf seinen Füßen.
Einige Jahrhunderte lang hatten die Basken ein eigenes Reich: von 818 bis 1523. Das Königreich von Navarra war eine große Regionalmacht des Mittelalters, und ein starkes christliches Bollwerk gegen die Araber. Zusammen mit den Königen von Aragonien und Kastilien halfen die Basken beim Aufbau eben jenes Landes, das ihnen später große Schwierigkeiten machen sollte: Spanien. Als Gegenleistung hatte man ihnen damals die fueros zugesichert, die jahrhundertealten baskischen Gewohnheitsrechte, die das Fundament der baskischen Gesellschaft bildeten. Unter einer Eiche in Guernica wurden Gesetze erlassen, die den Basken große rechtliche und wirtschaftliche Freiheit ließen.
Solange ihnen diese fueros zugesichert wurden, waren die Basken immer zu Kompromissen bereit. Doch nach dem zweiten Karlistenkrieg zwischen Spaniern und Basken wurden ihre Privilegien endgültig abgeschafft. 1876.
Das ist fast 130 Jahre her – doch im Bewusstsein der Basken existieren die fueros bis heute. Deshalb die Unzufriedenheit mit dem Autonomiestatut, das ihnen nach dem Ende der Diktatur eigentlich viel mehr Rechte einräumte als jemals zuvor. Deshalb auch die Unzufriedenheit mit der spanischen Verfassung, die die unauflösliche Einheit der spanischen Nation proklamiert und den baskischen Separatismus verbietet. Jede nationalistische Partei, die radikale Forderungen formuliert – auch die regierende christdemokratische PNV (Pe Enne Uwe), die Nationalistische Baskische Partei, macht sich als Verfassungsfeind verdächtig.
Die ETA-nahe Separatistenpartei Herri Batasuna wurde vor zwei Jahren verboten. Doch Batasuna-Anhänger gibt es bis heute. Nicht nur in den Bergregionen, für die Madrid seit jeher eine ferne Macht war – sondern auch unter den Arbeitern. Im Eisenerz- und Industriegebiet von Guipuizcoa, in der Nähe der Stadt Mondragon, wird auf dem Fundament der alten baskischen Stammesmentalität die Zukunft gebaut.
In unserem Betrieb gibt es die Möglichkeit, mit anderen Mitgliedern eine Entscheidung der Direktion zu kippen. Das ist nicht immer einfach, aber bei uns gilt: ein Mann oder eine Frau, eine Stimme.
Gruppenleiter Koldo sitzt mit sechs Genossen beim Kaffee. Sie haben sich in einem kleinen, abgewetzten Aufenthaltsraum um einen viereckigen Holztisch versammelt. In der Kooperative Ulma verstehen sich Mitarbeiter als Unternehmer, die ihre Chefs selbst wählen. Soziales Wirtschaften nennt sich dieses Modell jenseits von Börse, Privat- und Planwirtschaft: Eine Mischung aus Realitätssinn und Utopie.
Wir haben hier alle unser Geld in die Kooperative eingebracht. Wenn es unserem Betrieb gut geht, dann machen wir alle Gewinn. Wenn es schlecht läuft, dann bekommst Du einen Schreck und packst mit an, um die Kooperative aus dem Dreck zu holen. Wenn's gut läuft sind wir alle fröhlich und wenn schlecht läuft total verärgert. Jeder trägt hier einen Teil der Verantwortung.
Wie ein bunter Gemischtwarenladen ist Ulma in sieben verschiedenen Industriezweigen tätig. Die Produktpalette reicht von Gabelstaplern über Verpackungssysteme und Fertigbauteile aus Beton bis hin zu Bewässerungsanlagen für die Landwirtschaft draußen in der Halle stellen die Genossen Einzelteile von Baugerüsten und Strassensperren her. Unter ohrenbetäubendem Krach werden die Eisenrohre erst gezogen und dann geschnitten. Koldo und die anderen sind an den Krach gewöhnt und in eine hitzige Diskussion verwickelt. Manchmal reden alle auf einmal, doch hier kommt jeder zu Wort, auch die 27jährige Miren, die ununterbrochen an dem silbernen Frosch spielt, der an ihrer Halskette hängt.
Ich habe auch schon in Aktiengesellschaften gearbeitet, also wenn ich ehrlich bin, hier ist das besser, wie in einer großen Familie
Wir kennen uns hier alle und das hat seine Vor- und Nachteile. In den besten Familien gibt es Neid und Scherereien. Das kann ja sehr schön und unterhaltsam sein, dass du ständig dir bekannte Leute auch nach Feierabend auf der Strasse triffst. Die Kehrseite ist, dass man dich heute mit einer sieht, morgen mit einer anderen und schon beginnt das Spiel "Los-Lauf-und-erzähl's” und deine Geschichten sind in aller Munde.
Der untersetze Iñigo gehört zu den jungen Anwärtern, die in die Kooperative aufgenommen werden wollen, dafür steht er die nächsten drei Jahre sozusagen unter Beobachtung. Die anderen entscheiden dann, ob er Genosse wird.
Er kaut an seinen Fingernägeln und schaut gedankenversunken aus dem Fenster auf die bewaldete Berglandschaft. Lastwagen quälen sich im Schneckentempo über winzige Serpentinen und durch Täler, in denen sich qualmende Fabriken neben Hochhäusern drängen. Eine Art baskisches Ruhrgebiet, nur etwas idyllischer mit riesigen Tannenwäldern und gewellten Hügeln auf denen Kühe und Schafe weiden. Hier wird seit Jahrhunderten Eisenerz abgebaut und Metall verarbeitet. 60 Kilometer entfernt von den drei größten Städten des Landes: Bilbao, San Sebastián und Vitoria-Gasteiz.
Das gute an einer Kooperative ist, dass ich die Möglichkeit habe, wenn hier nicht genug zu tun ist, in eine andere zu gehen, wo Arbeitskräfte fehlen.
Als höchstes Gebot gilt für alle: Arbeitsplätze schaffen und die, die es gibt zu sichern. Gerät eine Kooperative in die Krise – was selten passiert – werden die Genossen auf andere Betriebe umverteilt.
Debatten über Lohnkürzungen und Arbeitszeiten werden hier nicht geführt. Die Kooperative Ulma fährt seit Jahren einen bemerkenswerten Wachstumskurs: Mit hunderten von neuen Arbeitsplätzen. Die Fabrik gehört zu einem Verbund von 120 selbst verwalteten Kooperativen, der nach dem nahe gelegenen Ort Mondragon benannt wurde . Der Genossenschaftsverband Mondragon hat einen Jahresumsatz von fast sieben Milliarden Euro und ist das drittgrößte Unternehmen Spaniens. Zu dem Konzern gehören auch Schulen, Supermärkte, eine Bank, Forschungsinstitute, Kranken- und Rentenversicherungen und eine Universität. Im Mittelpunkt des Ganzen steht der Mensch, sagt Koldo. Und der Mensch wird zum Mitdenken eingeladen. Es gibt Sitzungen, bei denen es um Verbesserung von Produktionsprozessen geht, oder um mehr Sicherheit an Arbeitsplatz und dann, "dann gibt es da noch den Sozialrat” fällt ihm Iñigo ins Wort, "wo wir zum Beispiel auch über ungerechte Behandlung sprechen”. Doch vieles regeln die Genossen schon im Vorfeld. Wir Basken sind ziemlich deutlich, ja vielleicht ein bisschen rauhbeinig meint er lachend. Er gibt bereitwillig zu, dass auf dem Weg zur Anpassung an die knallharte real existierende neoliberale Weltwirtschaft auch ein paar Ideale verloren gingen. Miren hat sofort ein Beispiel parat.
Also es gibt hier bei uns Lohnarbeiter, die arbeiten unter Bedingungen, die finde ich ziemlich beschämend.
Die junge Frau verschränkt die Armen und schaut angriffslustig in die Runde. Iñigo erzählt, dass zehn Prozent Lohnarbeiter inzwischen im Kooperativsystem erlaubt sind. Auch das Sichern der Arbeitsplätze der Genossen durch die Auslagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer. Koldo protestiert und erklärt, dass die Firmen im Ausland nach einer gewissen Zeit in das System der Kooperative überführt werden sollen, denn es ginge ja darum nicht nur Waren, sondern vor allem Ideen zu exportieren. Koldo schaut auf die Uhr, die Pause ist vorbei, es ist wieder Zeit an die Arbeit zu gehen und verschwindet fröhlich plaudernd mit seinen Genossen in der Produktionshalle.
Das wichtigste Wort auf Euskara heißt gore, unser. Unser Volk, unsere Heimat, unser Dorf. Wie bei allen Völkern ohne eigenes Territorium definiert sich die kulturelle Identität der Basken über ihre Sprache. Und grenzt sie von ihren Nachbarn ab: Baskisch ist überhaupt nicht verwandt mit französisch oder spanisch, es hat nicht einmal indogermanische Wurzeln – über den Ursprung des Baskischen rätseln die Sprachforscher bis heute. Fest steht, dass es eine der ältesten, wenn nicht überhaupt die älteste Sprache Europas ist. Es gibt weder Präpositionen noch Artikel, wenige Höflichkeitsformen und wenig Abstrakta, dafür 12 Fälle und ein reiches Vokabular für Naturphänomene. Der Grundwortschatz besteht aus gerade mal 200 tausend Wörtern, Begriffe werden durch Suffixe verändert und erweitert – wie in den finnugrischen Sprachen.
Von den rund 2,1 Millionen Basken spricht heute nur noch etwa ein Viertel fließend Baskisch – eine Folge vor allem des jahrzehntelangen Sprachverbotes während der Franco-Diktatur. Doch das Euskara nimmt wieder zu: damit die Sprache eine Zukunft hat, wurden im ganzen Baskenland Ikastolas gegründet, baskische Schulen. Allein im französischen Teil gibt es 20 Ikastolas mit insgesamt über 2000 Schülern.
Ana: Also ich finde Französisch ist auch wichtig, einige aus meiner Familie können kein Baskisch, einige meiner Freunde auch nicht. Aber ich finde Baskisch ist eine schöne Sprache und es gut, sie zu lernen.
Ana und ihre Klassenkameraden haben gerade die Französischbücher zugeklappt. Der freundliche Klassenraum hängt voll mit selbst gemalten Bildern. Auf denen sind die typischen weißgetünchten Häuser mit roten Fensterläden, Menschen, Kühe und Pferde und die rot-grün-weiße baskische Fahne zu erkennen. Die Flügeltüren zum Innenhof stehen sperrangelweit auf. Es riecht nach frisch gemähtem Grass. Die Sonne scheint. Ein paar Jungs spielen Fußball und sprechen Baskisch. Diese Sprache klingt poetisch, melodisch, klar und sehr fremd. Man versteht kein einziges Wort. Nichts, was an irgendetwas sprachlich Bekanntes erinnert. Ihr Land nennen die Basken übrigens Euskal Herria: Das Land der Basken-Sprecher. Die Kinder hier sind mindestens zweisprachig, Baskisch und Französisch. Einige sprechen dazu noch Spanisch.
Zuriñe: Ich spreche in der Schule und zuhause Baskisch, manchmal mit meinen Eltern, mit meiner Schwester und mit meinem Bruder. Aber mit meiner Oma und mit meinem Vater muss ich Spanisch sprechen, weil die nicht so gut Baskisch können.
Lehrerin Odile: Ist es schwer für Deinen Vater, Baskisch zu verstehen?
Mädchen: Nicht wirklich. Nachmittags schaut er das baskische Fernsehen und das versteht er.
Ein anderes Mädchen: Meine Mutter kann sie noch nicht so gut, sie liesst Bücher mit mir in der Bibliothek und mein Vater kann es auch nicht richtig, er hört Radio und er hat sich ein paar Bücher gekauft und macht auch Hausaufgaben.
Weil die baskische Sprache während der Franco-Diktatur nicht unterrichtet werden durfte, haben mindestens zwei Generationen, diese Sprache nicht richtig gelernt. Und hier im französichen Baskenland ist die Sprache der Republik Französisch.
Baskische Schulen gibt es hier erst seit kurzem. Außerdem standen Menschen, die Euskerra sprachen, sofort unter dem Verdacht, baskische Nationalisten zu sein. Auf bei beiden Seiten der Pyrenäen. Vor allem aber schämten sich die Menschen in der Stadt, die Sprache der Bauern und der Armen zu sprechen. Einige sprachen Baskisch heimlich zuhause, aber eben nicht alle, erklärt Odile und spielt mit ihren großen, grünen, quadratischen Ohrringen. Ihre Schüler überlegen währenddessen fieberhaft welche die drei Worte sein könnten, die deutsche Kinder zuerst auf Baskisch lernen sollten. Sie stimmen darüber ab: Zuriñe geht mit wippendem Pferdeschwanz an die Tafel vor und schreibt: "Bai”, "ez” eta "euskarra”, "ja”, "nein” und "Baskisch”. Zuriñe strahlt. Mit diesem Minimalwortschatz, könnten die deutschen Kindern dann auch gleich jedem erklären, ob sie Baskisch sprechen oder nicht. Die zarte Odile schaut in die Runde und lächelt über ihre engagierten Schüler.
Ich bin stolz darauf, dass ich Baskisch spreche und es unterrichten kann. Meine Eltern haben sich damals bemüht, als ich so alt war, wie die hier, mir die Sprache beizubringen. Meine Mutter ist Bretonin, aber sie hat meinen Vater immer darin bestärkt, dass ich Baskisch lerne. Dadurch, dass ich die Sprache kann, lebe ich unser Volk und unsere Kultur. Ja, ich bin wirklich stolz, das ist ein süßes Gefühl und eine riesige Bereicherung. Durch meine Sprachkenntnisse kenne ich jeden Winkel unseres Landes und kann mich mit jedem, der auch so spricht, unterhalten. Ich habe Freunde, die fühlen sich wie Basken, sie sprechen die Sprache aber nicht. Das wirkt sich emotional auf unsere Beziehung aus. Ich fühle mich tiefer mit allen anderen Basken verbunden, mit denen ich in unserer Sprache sprechen kann.
Die soziale Organisation der Basken basiert auf Gemeinschaftssinn, in der sogar bis heute ein Wort und der Handschlag gilt und vor allem aber die Erhaltung der eigenen Traditionen, bei denen die Sprache an erster Stelle steht. Auch in Frankreich, in dem Land in dem es nur eine offizielle Sprache gibt. Zwar stellt die französische Regierung die Lehrer der Ikastola, der baskischen Schule, doch um alles andere müssen sich Lehrer und Eltern selbst kümmern, auch um die Finanzierung.
Die Ikastola von Urruña gibt es erst seit knapp zehn Jahren. Die ersten Unterrichtsstunden für 14 Kinder wurden in einem winzigen Saal des Dorfkinos abgehalten. Musiker, Schauspieler, Fußballer und Pelotaspieler kamen aus allen Provinzen zusammen, um Benefizveranstaltungen zu unterstützen. Vor vier Jahren konnte die Schule endlich eingeweiht werden. Heute tauchen hier 60 Kinder buchstäblich in die Sprache ein. In der Wissenschaft heißt das Immersions-Prinzip. Der Unterricht findet auf Baskisch statt, Französisch wird wie eine Fremdsprache behandelt. Am Anfang haben die Kinder nur drei Stunden pro Woche Französisch, später sind es dann acht.
Die baskische Sprache ist heute kurz davor auszusterben, seit Jahrhunderten ist sie dabei zu verschwinden. Spanien und Frankreich haben diese Sprache unterdrückt. Wir haben also eine große Verantwortung, diese Sprache am Leben zu erhalten.
Das erste Buch auf baskisch erschien im Jahr 1545, die erste baskische Grammatik wurde 1729 geschrieben. Doch von einer literarischen Tradition im Baskenland kann man nicht sprechen – das Geschichtenerzählen hatte wie bei allen alten, naturverbundenen Kulturen eine viel größere Bedeutung. Umso bemerkenswerter ist die Leistung der baskischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Sie mussten das zwar melodisch klingende, aber im Wortschatz eher beschränkte Euskara zu einer Sprache der Literatur und der Poesie weiterentwickeln – einer Sprache, die sowohl ihre baskischen Leser verstanden als auch – in Übersetzung – ein internationales Publikum.
Zu den bekanntesten und erfolgreichsten Autoren zählt Bernardo Atxaga – in seinen Romanen thematisiert er auf unterschiedliche Weise die baskische Identität, zu der auch die Realität des ETA-Terrors gehört. Doch sein berühmtestes und mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnetes Buch ist Obabakoak, ein Fabulierroman, der sich auf den verschlungenen Wegen von Fiktion und Phantasie bewegt, in der baskischen Tradition des Erzählens. Obabakoak oder Das Gänsespiel erschien 1989. Im Nachwort erklärt Bernardo Atxaga die Symbolik des Gänsespiels, eine Art Biographie.
Man sagt, das Gänsespiel stelle wie das Volksmärchen eine bestimmte Sicht des Lebens dar; es sei eine Darstellung der Tage und der Fron, denen wir uns auf dieser Welt unterziehen müssen – eine Darstellung und eine Metapher zugleich. Sowohl das Würfelbrett als auch die Spielregeln beweisen, dass das Leben im Grunde eine beschwerliche Reise ist, die gleichermaßen vom Zufall als auch von unserem eigenen Willen beeinflusst wird; eine Reise, auf der man ungeachtet aller Schwierigkeiten zügig vorankommt und schließlich wohlbehalten am Ziel anlangt, wo uns die Große Mutter Gans in ihrem Weiher in Empfang nimmt.
Nebenbei bemerkt: es ist kein trivialer Zufall, dass das Metapher-Spiel, von dem hier die Rede ist, ausgerechnet auf die Gans zurückgreift, denn die Gans ist das einzige Tier, das sich auf der Erde, im Wasser, in der Luft fortbewegen kann und aufgrund dieser Eigenschaft im Volksglaube als das Symbol der Weisheit, der Umsicht, der Vollkommenheit gilt. Daher ist die Botschaft dieses Spieles ebenso einfach wie schwierig zu beherzigen, geht es doch schlicht darum, umsichtig zu handeln, Tag für Tag, Gans für Gans, denn nur dank Stetigkeit gelangt man schließlich zu Weisheit und Vollkommenheit.
Wir, und damit meine ich die baskischen Schriftsteller, die erst seit ein paar Jahren in andere Sprachen übersetzt werden - wir sind nur gerade mit dem Notwendigsten aufgebrochen. Wir haben eines Tages unser Bündel aufgeschnürt und darin höchstens fünf, zehn Bücher gefunden, die in der Sprache geschrieben waren, die zu schreiben wir vorgaben. Als ich zwanzig war, las ich Gabriel Aresti, den großen alten Mann der baskischen Literatur; drei Jahre später hatte ich bereits sämtliche Bücher gelesen, die der Diktator nicht hatte verbrennen lassen. Ich will damit nicht sagen, dass wir uns auf keine Tradition berufen konnten – sondern dass uns die Präzedenzfälle fehlten, die Bücher, aus denen wir hätten lernen können, in unserer eigenen Sprache zu schreiben. Däumeling war nicht vorbeigekommen: unmöglich, den Brotkrumen zu folgen, um nach Hause zu gelangen.
Dass wir heute eine gemeinsame literarische Sprache haben, das so genannte euskara batua, ist der Arbeit von Aresti und Luis Mitxelena zu verdanken; sie haben uns geholfen, unser armseliges Bündel gegen einen geräumigen Koffer zu tauschen.
Die Reise geht weiter. Zwar muss man ständig auf der Hut sein: Ich schaue auf das Spielbrett, sehe das Feld zweiundfünfzig - das mit dem Kerker -, sehe das Feld achtundfünfzig – das mit dem Totenschädel -, sehe auf dem Feld zweiundsechzig gleich neben dem Ziel, wo die Große Mutter Gans uns in ihrem Weiher erwartet, einen gefährlich aussehenden, geschniegelten Mann mit einem Zylinderhut auf dem Kopf...und mir wird etwas flau. Doch wir werden nicht aufgeben, wir werden weiter schreiben. Das Würfelbrett ist zum Spielen da.
In der baskischen Sprache gab es bis Anfang des 20. Jahrhunderts kein Wort für Patriotismus, Vaterland oder Freiheit. Sabino Arana, Gründer der Baskischen Nationalen Partei PNV 1895 hatte diese Worte erfunden. Der inzwischen umstrittene baskische Nationalist hatte die die erste Ikurriña gebastelt, die grünweißrote Fahne der Basken, und das baskische noch baskischer gemacht: er ersetzte jedes kastilische c durch ein baskisches k, verwandelte spanische Namen in Baskische und schönte die baskischen Heldengeschichten – eine Reaktion auf die Beschneidung der baskischen Rechte Ende des 19. Jahrhunderts.
Sabino Aranas Idee einer neuen baskischen Identität erscheint heute vielen als übertrieben – doch die wagemutigen und streithaften Basken brauchten zum ersten Mal in der Geschichte tatsächlich eine Rechtfertigung für ihre Existenz. Mussten sich als Nation behaupten, mit eigener Sprache, eigener Kultur, eigener Geschichte. Und auch baskische Arana-Gegner fragen sich heute, warum Picassos berühmtes Antikriegskunstwerk Guernica in Madrid hängt – und nicht im baskischen Gernika, wo deutsch-franquistische Bomber versucht hatten, das Herz eines Volkes zu zerstören. Oder zumindest im Guggenheim-Museum in Bilbão.
Es sind Kleinigkeiten, die die Basken zu Nationalisten machen. Viele Kleinigkeiten und eine lange Geschichte. Javier Elzo, Professor für Soziologie aus San Sebastian und gemäßigter Nationalist, von der ETA verfolgt und von den Spaniern missverstanden, sitzt mit seinen Vorstellungen eines autonomen Baskenlandes zwischen allen Stühlen.
Elzo schlägt den Weg zum Park ein. Mit seiner schlichten blauen Baumwollhose, dem grünen Hemd und den Ledersandalen, in denen seine nackten Füsse stecken, sieht er aus, als wäre er just eine grasgrüne Bergwiese hinuntergelaufen gekommen. So recht passt er nicht ins Straßenbild der eleganten Badestadt San Sebastian. Dass er ein renommierter Soziologe ist, sieht man ihm nicht an. Doch das sind nur Äußerlichkeiten. Es sind die inneren Widersprüche und Gegensätze, die das Leben im Baskenland bestimmen. Und die kaum ein Außenstehender versteht, sagt Elzo im Gehen.
Was mich wütend macht, ist dass die Gewalt im Ausland mit Nationalismus gleichgesetzt wird. Unser Nationalismus ist demokratisch und er ist friedlich. Die ETA ist nicht die Konsequenz unseres Nationalismus. Die ETA ist während der Franco-Diktatur entstanden und die ETA besteht aus zwei Komponenten: Die eine ist die Forderung nach einem eigenen baskischen Staat und die andere ist die Revolution. Sollte das Baskenland morgen ein eigener Staat sein, würde die ETA trotzdem weiterbomben, weil die revolutionären Ziele nicht erreicht wurden, wie zum Beispiel der Anti-Imperialismus und der Antikapitalismus. Davon bin ich überzeugt.
Die Musik ist jetzt endgültig vergessen. Elzo steuert zielstrebig eine Bank im Guipuzcoa-Park an und erklärt unter den großen Kastanien seine Vorstellung eines autonomen Baskenlandes.
Er steht der christdemokratischen Baskisch-Nationalistischen Partei PNV nahe, die seit 26 Jahren die Autonome Region Baskenland regiert. Bei allen Wahlen erreichen die verschiedenen nationalistischen Parteien zusammen eine klare Mehrheit. Ihr Ziel ist eine grössere Unabhängigkeit vom spanischen Staat. Ganz gleich, ob es sich um separatistische, konservative, linke oder gemäßigte Nationalisten handelt.
Selbst Herri Batasuna war gegen die Gewalt. Aber weil sie die ETA nie in der Öffentlichkeit angeklagt haben, zählt Herri Batasuna für mich zu Hauptverantwortlichen, dass es die ETA immer noch gibt.
Herri Batasuna war der politische Arm der ETA. Deshalb wurde die Partei vor zwei Jahren verboten. Obwohl sie nur 10 Prozent der baskischen Wähler vertraten - ähnlich hoch ist die Zustimmung für ihre Nachfolgepartei, die "Bürgerinitiative für die Unabhängigkeit” AUB - und obwohl 90 Prozent der Basken die ETA ablehnen, wertete die Mehrheit der Basken das Parteiverbot als Angriff aus Madrid. Dreiviertel der baskischen Bevölkerung protestierte gegen das Verbot von Herri Batasuna - und gegen die Schließung der baskischen Tageszeitung Egunkaria. Diese hatte zwar auch Interviews mit ETA-Mitgliedern gedruckt, ansonsten aber ein breites Meinungsspektrum geboten. Vor allem aber war Egunkaria die einzige baskischsprachige Tageszeitung gewesen. Selbst die Basken, die keine regelmäßigen Leser von Egunkaria gewesen waren, empfanden das Verbot der Zeitung nicht nur als Anschlag auf die Pressefreiheit, sondern auch als Angriff auf ihre Sprache und auf ihre Identität. Die Empörung wuchs, als die Geschäftsführer und Journalisten von Egunkaria nach der Untersuchungshaft von Folterungen durch die Guardia Civil berichteten.
Von Erstickungsversuchen unter Plastiktüten und von Scheinrichtungen. Und sie wuchs weiter, als der damalige Innenminister auf die Vorwürfe mit einer Verleumdungsklage reagierte. Die Forderung von Amnesty international, die Vorgänge zu untersuchen, wurde bis heute nicht erfüllt. Stattdessen beschloß die spanische Regierung im Oktober 2003, die Isolationshaft von 5 auf 13 Tage zu erhöhen. Wie viele Basken glaubt deshalb auch Elzo eher den baskischen Verdächtigten als den spanischen Behörden.
Das ist eine der größten Unverschämtheiten des spanischen Staates und der dazu schweigenden Presse. In Spanien wird bis heute gefoltert. Nicht wie unter Franco, selbstverständlich nicht. Aber dass ein Rechtsstaat die Folter mitten in Europa durchführt, das ist unglaublich.
Elzo redet sich in Rage. Längst hat sich eine kleine Menge von Passanten um ihn versammelt, Spaziergänger, die aus gebührendem Abstand zuhören. Unter ihnen auch der junge Mann mit der dicken Sonnenbrille. Elzo lässt sich nicht ablenken, er ist es gewohnt, dass ihm Menschenmengen Aufmerksamkeit schenken. Als hielte er eine Vorlesung, redet er weiter ohne Punkt und Komma, begleitet von großen Gesten. Wir brauchen mehr Autonomie als bisher, sagt Elzo, weil die spanische Regierung mit uns macht, was sie will. Unser Presserecht beschneidet. Ein baskisches Wort reicht aus, dass in Madrid die Alarmglocken läuten. Und dann werden unter dem Vorwand "Krieg dem ETA-Terrorismus" wieder alle Basken in einen Topf geworfen.
Darum, sagt Elzo, brauchen wir eigene, unabhängige Gerichte, so wie in den deutschen Bundesländern. Wir brauchen eine Stimme, sagt er. Und dafür unsere eigene Sprache.
Ja, was wollen wir Basken denn noch alles?, fragen Sie. Wenn wir schon dabei sind, dann wollen wir auch das Recht auf Selbstbestimmung, das in der jetzigen Verfassung gesetzeswidrig ist. Wir wollen, dass neben der spanischen Fahne unsere Ikurriña steht und einen baskischen Reisepass. Die Mehrheit der Basken fordert keine Unabhängigkeit von Spanien. Der Ibarretxe-Plan ist kein separatistischer Plan, es ist ein Plan, der auf Ko-Souveränität basiert, also auf einem freiwilligen Zusammenschluss zwischen dem Baskenland und Spanien.
Der Ibarretxe-Plan, nach dem jetzigen baskischen Ministerpräsidenten benannt, sieht neben einer unabhängigen Gerichtsbarkeit auch das Recht auf weltweite eigene diplomatische Vertretungen vor. Man möchte eigenständige Wirtschaftsbeziehungen unterhalten. Und im Madrider Senat auf Baskisch sprechen können. Eine Beziehung unter Gleichen also, in der Spanien akzeptiert, dass das Baskenland nur deshalb zur spanischen Nation gehört, weil die Mehrheit der Basken dem zustimmt. Elzo ist sich sicher, dass die Mehrheit der Basken zustimmen würde. Dass sie nicht gefragt werden, das ist das Problem.
Wir reden doch hier von der Schöpfung Europas. Im neu erschaffenen Europa möchte ich einfach nicht nur ein Zipfel Spaniens sein. Nein! Ich bin ein Teil Spaniens, aber ich habe eine eigene Identität und vor allem möchte ich mit meiner eigenen Identität zum neuen kosmopolitischen Europa gehören und will eine Menge Dinge selber regeln. Und ich möchte, dass die Einzigartigkeit des Baskenlandes erhalten bleibt, ich möchte mich nicht im Nebel der Geschichte auflösen und verschwinden. Das ist schon so häufig passiert, mit so vielen anderen Völkern wie den Bretonen und den Gälen. Da reden wir von Vögeln, die vom Aussterben bedroht sind. Verflixt und zugenäht, unsere Sprache ist vom Aussterben bedroht und das beunruhigt mich mehr als die bedrohten Vogelarten.
Elzo wischt sich mit einem blütenweißen Taschentuch über die Stirn und atmet durch. Eigentlich ist er noch längst nicht fertig mit seiner Rede. Doch der junge Mann mit der dunklen Sonnenbrille kommt auf ihn zu, der, der ihn vor der ETA schützen soll. Tut mir leid, sagt Elzo, wir müssen los. Zuhause warten Freunde auf mich, das ist baskische Ehrensache. Und ich will ihnen meine neue CD vorspielen, sagt er noch und verabschiedet sich. Und dann geht der kleine runde Mann mit seinem groß gewachsenen Begleiter quer über die Wiese zum Parkausgang.
Javier Elzo muss seinen Leibwächter wohl weiterhin beschäftigen, trotz der Verhaftung der ETA-Führungsspitze Anfang Oktober. Und er wird auch weiterhin seine moderaten Ideen einer baskischen Autonomie erklären und rechtfertigen müssen. Der baskische Ministerpräsident Ibarretxe hat erst jüngst die neue spanische Regierung brüskiert, indem er wissen ließ, dass er noch in diesem Jahr über seinen Freistaatsplan abstimmen lassen wolle. Dass er, sollte er eine Mehrheit erhalten, nach den für den Frühsommer 2005 vorgesehenen Regionalwahlen das Referendum abhalten wolle. Und dass er diese Volksbefragung allein von der Erlaubnis des baskischen Parlaments abhängig machen werde. Nichts und niemand, so fügte er hinzu und er meinte das spanische Parlament, werde ihn davon abhalten können.
Wie der Dialog zwischen den baskischen Nationalisten und den spanischen Sozialisten nun weitergehen kann, ist unklar. Denn dass die Regierung in Madrid jemals zu einer Verfassungsänderung bereit sein wird, ist kaum anzunehmen.
Und ein Soziologe aus San Sebastian über seine Vorstellungen von Autonomie:
Was mich wütend macht, ist, dass die Gewalt im Ausland mit Nationalismus gleichgesetzt wird. Unser Nationalismus ist demokratisch und er ist friedlich. Ich bin radikal gegen die ETA. Die ETA ist nicht die Konsequenz unseres Nationalismus.
Professor Javier Elzo mit seinem stattlichen Bauch zwängt sich zwischen den CD-Regalen hindurch. Der kleine untersetzte Mann mit schlohweißem Bürstenschnitt durchstöbert den kleinen Laden nach klassischen Raritäten. Immer wieder sieht er über den Rand seiner Nickelbrille, doch nichts lockt ihn wirklich, außer der Musik, die gerade läuft. "Ich glaube, da wartet jemand auf Sie”, bemerkt der Ladenbesitzer. Von draußen schaut ein junger braungebrannter Mann mit dicker Sonnenbrille ins Schaufenster. Elzo schließt die Augen, murmelt: "Ich habe keine Verabredung” und beginnt versonnen, zur Musik zu dirigieren. Dieser winzige, höhlenartige Laden, in dem sich Schallplatten und CDs vom Boden bis zur Decke stapeln, ist einer seiner Zufluchtsorte. "Hier vergesse ich die Politik, die ETA und die Gewalt” murmelt er weiter. Und dann öffnet er die Augen wieder, begeistert von der Musik: dieses Album nimmt er mit. Mit breitem Lächeln tritt er auf die Strasse hinaus.
Draußen wird sein Blick ernst. Vorsichtig schaut er erst nach rechts, dann nach links. Auf der anderen Straßenseite steht der Mann mit der dunklen Brille. Elzo zwinkert ihm zu, faltet die Hände hinter dem Rücken zusammen und erklärt:
Das ist mein Leibwächter, den habe ich seit drei Jahren. Da bin ich das erste Mal in Listen der ETA aufgetaucht. Sie haben mich auf der Strasse beleidigt, die Wände von meinen Haus beschmiert, ich weiß was es heißt, eine Zielscheibe in der Altstadt von San Sebastián zu sein. Wenn sie an mir auf der Strasse vorbeigingen, haben sie die rechte Hand an den Hals gelegt und mir bedeutet, dass sie mich einen Kopf kürzer machen würden. Ich habe einen Leibwächter, weil ich ein gemäßigter Nationalist bin und kein Patriot.
42.000 Menschen stehen auf den Listen der ETA und werden bedroht. Polizisten, Unternehmer, Politiker, Gefängnisangestellte, Journalisten und Intellektuelle. 5000 Spanier werden tagtäglich von einer Leibwache begleitet, allein im Baskenland sind es über 1000. Wie Elzo. Für die ETA ist der gemäßigte Nationalist ein Kollaborateur mit dem Feind, dem zentralistischen Spanischen Staat. Weil der Soziologe sich engagiert: gegen den Terrorismus und für den Pluralismus der baskischen Gesellschaft.
Wenn vom Baskenland die Rede ist, dann geht es selten um die traumhaften Küsten am Golf von Biscaya. Oder um Naturschauspiele in den schroffen Ausläufern der Pyrenäen. Selten um Baskenmützen. Oder um den Bacalão, den salzgetrockneten Kabeljau, ebenfalls eine Erfindung der Basken, die es ihnen erlaubt hatte, als erste Seefahrernation die neue Welt zu entdecken. Auch dass Ignatius von Loyola Baske war, der Begründer des Jesuitenordens, wird kaum erwähnt. Wenn vom Baskenland die Rede ist, dann geht es meistens um Gewalt, um Tod und Trauer. Um Autobomben und Morde. Um Schutzgelderpressungen. Oder um die Verhaftung von ETA-Aktivisten, wie vor vier Wochen in den französischen Pyrenäen. Dem Baskenland haftet ein blutiger Beigeschmack an.
Dass es nur eine Minderheit im Baskenland ist, die den terroristischen Kampf der ETA unterstützt, wird von Nicht-Basken, in Spanien wie im Ausland, zwar registriert. Doch weil gleichzeitig die Mehrheit der Basken seit Jahrzehnten nationalistische Parteien wählt, macht sich ebendiese Mehrheit verdächtig, den bewaffneten und gewaltsamen Kampf für Unabhängigkeit nicht mit aller Konsequenz abzulehnen. Wie spannungsgeladen die politische Atmosphäre immer noch ist und wie schnell sich das latente Misstrauen hochschaukeln kann, das wurde erst wieder nach den Terroranschlägen am 11. März in Madrid deutlich. Die spanische Regierung unter José Maria Aznar beharrte auf der These, dass die ETA hinter den Attentaten stecke. Doch die Wähler durchschauten das wahltaktische Manöver und sorgten wenige Tage später für den Machtwechsel.
ETA – die Abkürzung steht für Euskadi ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit. Eta ist aber auch das baskische Wort für die Konjunktion "und". Wie in kaum einer anderen Kultur verbinden sich so viele Gegensätze wie im Baskenland. Zu verstehen sind diese Widersprüche nur für den, der tief eintaucht in die Kultur und in die Geschichte dieses Volkes.
Wie beim Pelota, dem baskischen Nationalsport, bei dem ein kleiner Gummiball gegen eine Wand gespielt wird, prallen in der Grenzregion zwischen Frankreich und Spanien die Gegensätze aufeinander: Die Basken verstehen sich seit jeher als Nation – aber: sie haben nie territoriale Ansprüche erhoben. Sie pflegen mythische Bräuche und leben mit Legenden – aber gleichzeitig waren sie die Pioniere der Industrialisierung: die ersten Schiffsbauer, Stahlerzeuger, Fabrikanten. Sie haben die Welt erobert, als abenteuerlustige Seefahrer – aber sie sind tief verwurzelt in ihrer Familie, ihrem Clan, ihrem Haus. Tief religiös und: unverhohlen nationalistisch. Industrialisierter Küstenstreifen – und: bäuerliches Hinterland.
Männer – und: Frauen. In der baskischen Gesellschaft werden Grundbesitz und Titel häufig in der weiblichen Linie vererbt, weil es die Frauen waren, die sich um den Landbesitz kümmerten, während die Männer zur See fuhren oder in den Krieg zogen. In den ländlichen Regionen haben bis heute die Baskinnen in Haus und Hof das Sagen.
Für die 56jährige Amelia Jauregi beginnt der Tag mit einem Ritual. Wenn draußen die Hähne um die Wette krähen, kratzt ihr baskischer Hirtenhund Argi an der Schlafzimmertür. In der Küche kocht Großmutter Maria Teresa Kaffee. Die jüngste der Familie, die eineinhalbjährige Izaro ist auch schon wach. Amelia kämmt sich schnell durch die kurzen Haare, trinkt langsam den schwarzen Kaffee ohne Zucker. Dann ruft sie nach Argi und geht zu ihren Schafen in den Stall
Uns Hirten geht es besser und den Schafen geht es heute auch besser. Meine Mutter erzählt, dass wir nie hungern mussten, weil wir Tiere zum Schlachten hatten und das Brot selber buken, aber es war eng. Vor allem die Tiere hungerten, die bestanden nur auch Haut und Knochen. Und wenn ich mir meine heute so anschaue, die stehen gut im Fell.
Amelia füttert ihre Schafe. Später wird ihre Tochter Elisabeth ihr beim Melken helfen. Von Hand bräuchten beide Frauen fast vier Stunden dazu. Amelia zeigt stolz auf ihre neue Melkmaschine. Die 315 Schafe bleiben im Stall. Die Sommerweiden sind restlos abgegrast. Bis vor kurzem noch hat Amelia ihre Schafe nach baskischen Politikern benannt, oder nach besonderen Merkmalen der Fellfärbung. Heute haben sie alle Nummern im Ohr. "Mit den Jahren werde ich immer bequemer, lächelt Amelia, es gibt so viel zu tun, trotz der Maschinen.
Auf einem baskischen Hof bist Du als Frau für alles verantwortlich. Du bist Unternehmerin, Arbeiterin, die Chefin, Krankenschwester, Mutter, Tochter, Ehefrau. Keine Ahnung ob ich jetzt was vergessen habe. Du musst ein Allroundgenie sein. Du musst mit allem gut Bescheid wissen, auch mit dem Papierkram Du musst ständig dazu lernen und dich auch noch um den Verkauf kümmern.
Amelias Aufzählung ist noch nicht zu Ende, sie erzählt von Kindererziehung und Haushalt. Sie bleibt unter einem riesigen Kirschbaum stehen. "Das ist ziemlich viel Verantwortung” sagt sie, aber ich bin sehr zufrieden”.
Es gibt hier in der Umgebung viele Frauen, die auf einem Hof arbeiten, aber nicht die Besitzerinnen des Hofes sind. Sie stehen irgendwo als Mitbesitzerinnen in der Papieren, das klingt sehr schön, ist aber nichts wert. Mein Mann arbeitet in einer Fabrik und mir gehört der Hof.
Den hat sie von ihrer 84jährigen Mutter geerbt und sie wird ihn irgendwann an ihre Tochter Elisabet weitergeben. Doch vorher wird sie mit ihr eine Kooperative gründen. Auf Amelias Hof gilt die traditionelle Arbeitsteilung im Baskenland: In der Industrie haben die Männer das Sagen, auf dem Hof und im Haus bestimmen die Frauen. Trotzdem gibt es einen unausgesprochener Konkurrenzkampf zwischen den Geschlechtern: Weil die Frauen ihre Macht immer wieder beweisen müssen, wird ihnen emotionale Härte nachgesagt. Vor einigen Jahren gab man den Frauen sogar die Schuld an der ETA. Mit ihrer Härte und ihrer ununterbrochenen Beterei hätten sie die Männer von den Höfen getrieben - zu den Terroristen. Damals wurden die Häuser mit Parolen wie "ETA nein, Liebe ja” besprüht. Amelia runzelt die Stirn und stemmt beide Hände in die Hüften und ist überhaupt nicht einverstanden.
Das heißt im Klartext, wir seien kalt. Aber das ist nun mal die Art der Basken. Der Frauen wie der Männer. Die sind, wenn du so willst, ein bisschen feige. Um einer Frau ein paar Nettigkeiten zu sagen, brauchen sie vorab ein paar Gläser Wein und es muss spät sein, sonst fordern sie dich nicht mal zum Tanzen auf.
Je später der Abend, desto kräftiger werden sie. Und natürlich hat das auch etwas mit der Kirche zu tun. Es war ja alles verboten, man durfte ja nicht einmal eng umschlungen tanzen. Ich glaube diese Angst vor Repressalien, die hat uns sehr geprägt.
Inzwischen steht die Sonne schon über den Bergen und leuchtet durch dieses kleine idyllische Tal mit seinen vielen Apfelbäumen.
Aus der Ferne hört man ein Auto hupen. "Das ist der fliegende Bäcker und ich habe langsam Hunger", sagt Amelia. Oben auf der Terrasse vor der Haustür ist schon ein kräftiges Frühstück gerichtet. An dem großen Holztisch sitzt die halbe Familie versammelt, weil heute Samstag ist:
Die Großmutter sitzt dort mit ihren grün karierten Puschen und ihre Enkelin Elisabet in einem viel zu großen selbst gestrickten Pullover. Elisabets Mann Asier schneidet das frische Brot. Rechts trägt er einen silbernen Ohrring, auf dem die baskischen Provinzen eingearbeitet sind. Die kleine Izaro spielt auf der Erde mit zwei Katzen zwischen den leuchtenden Begonien. Amelia kommt mit einem kleinen geräucherten Käse und einem Einmachglas in der Hand an den Tisch. "Ein Hausrezept”, grinst sie. Iñaki, ihr Mann, sitzt am anderen Ende des Tisches im blauen Overall. Hier fühlt sich niemand als Spanier. Die Familie geht weder zu den spanischen Parlamentswahlen Wahlen, noch zu den Europawahlen. Das einzige, was für sie zählt, ist der baskische Ministerpräsident und natürlich der Bürgermeister im Dorf. Nicht mal die Olympiade hätten sie verfolgt. "Das waren ja keine Basken dabei”, sagt Inaki und die spanische Nationalmannschaft, die interessiere ihn halt nicht.
Ich finde es ein bisschen schwierig das Gefühl in Worte zu fassen, es geht ja um etwas Nicht-Materielles. Wir sind hier geboren im Baskenland und dass wir zu Spanien gehören, das haben wir uns nicht ausgesucht. Das wurde uns aufgezwungen. Aber es sind die anderen. die glauben, weil man kein Spanier ist, sei man ein Terrorist. Also ich bin ziemlich friedliebend und dass die anderen mir anhängen wollen, dass ich als Baske auch gleich kriminell bin, das tut mir ziemlich weh.
Wir haben immer Herri Batasuna gewählt. Natürlich bin ich mit bestimmten Dingen nicht einverstanden, aber mit den anderen Parteien noch weniger. Wenn da ein bisschen mehr Kompromissbereitschaft vorhanden wäre, gäbe es die ETA längst nicht mehr. Es kann doch nicht so schwer sein, dass wir das bekommen, was wir wollen, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Also, wenn die Demokratie so gut ist, wie sie sagen, dann kann es doch nicht so schwer sein, sich zu einigen.
Inzwischen schmilzt der Käse in der Sonne vor sich hin. Es ist schon nach Zwölf. Inaki und Asier holen den Trecker aus der Scheune, um Heuballen zu holen. Die Großmutter geht mit Izaro spazieren. Und Elisabet und Amelia müssen die Schafe melken gehen. Der Weg zum Stall führt an der Haustür vorbei, über dem Eingang steht, wie bei allen baskischen Häusern, ein Name. Die Basken glauben, dass das Benennen einer Sache seine Existenz beweißt. "Baztarrika bedeutet reiches Eckchen”, ruft Amelia laut, bindet sich ihre Melkschürze zu und verschwindet im Stall.
Das Baskenland besteht aus sieben Provinzen: vier in Spanien: Guipúzcoa, Vizcaya, Alava bilden die autonome spanische Region Baskenland - und Navarra, mit eigener Regionalregierung. Und drei in Frankreich: Labourd, Basse Navarre und Soule, verwaltet durch das Departement Pyrenées-Atlantiques. Jede der sieben Provinzen hat auch einen baskischen Namen, wie die meisten Städte und Dörfer. Das Baskenland war immer Grenzgebiet. Doch die streitbaren Basken haben sich immer arrangiert mit denen, die als Eroberer kamen. Mit den Römern trieben sie Handel – auf römischen Straßen und Märkten. Dem spanischen Königshaus standen sie zur Seite bei der Reconquista, im Kampf gegen die Araber wurden die Basken zu frommen Katholiken.
Und haben doch nie ihre Identität aufgegeben, nie ihre Rechte preisgegeben, ihre Sprache und Werte. Auch unter Franco nicht. Niemals zuvor wurden sie so unterdrückt wie unter der Diktatur Francos. Sie wurden diskriminiert, verfolgt, ermordet. Alles Baskische wurde in den Untergrund gedrängt - nach 20 Jahren Diktatur formierte sich der Widerstand: 1959 wurde die ETA gegründet.
Der Schriftsteller Gabriel Aresti hat fast sein ganzes Leben in der Diktatur gelebt: 1933 wurde er in Bilbao geboren, die baskische Sprache lernte er erst als Erwachsener, wurde Mitglied der baskischen Akademie und einer der einflussreichsten Schriftsteller der baskischen Literatur. Er starb 1975, im selben Jahr wie Franco. Zu Arestis berühmtesten Gedichten gehört seine Ode an das baskische Haus, dessen Tür immer Richtung Osten weist, zum Sonnenaufgang. Und das den landlosen Basken ihre Heimat gibt.
Meines Vaters Haus
will ich verteidigen
gegen Wölfe,
gegen Verpfändung,
gegen Wucher,
gegen das Gesetz,
verteidigen werde ich
meines Vaters Haus.
Verlieren werde ich
Vieh,
Obstgärten,
Kiefernhaine;
Verlieren werde ich
Zins,
Einkommen,
Dividende,
aber verteidigen werde ich meines Vaters Haus.
Sie werden mir die Waffen
Nehmen, aber mit meinen
Händen verteidige ich
Meines Vaters Haus.
Ich werde sterben,
meine Seele werde ich verlieren,
meine Nachkommen werde ich verlieren,
aber meines Vaters Haus
wird standhalten
auf seinen Füßen.
Einige Jahrhunderte lang hatten die Basken ein eigenes Reich: von 818 bis 1523. Das Königreich von Navarra war eine große Regionalmacht des Mittelalters, und ein starkes christliches Bollwerk gegen die Araber. Zusammen mit den Königen von Aragonien und Kastilien halfen die Basken beim Aufbau eben jenes Landes, das ihnen später große Schwierigkeiten machen sollte: Spanien. Als Gegenleistung hatte man ihnen damals die fueros zugesichert, die jahrhundertealten baskischen Gewohnheitsrechte, die das Fundament der baskischen Gesellschaft bildeten. Unter einer Eiche in Guernica wurden Gesetze erlassen, die den Basken große rechtliche und wirtschaftliche Freiheit ließen.
Solange ihnen diese fueros zugesichert wurden, waren die Basken immer zu Kompromissen bereit. Doch nach dem zweiten Karlistenkrieg zwischen Spaniern und Basken wurden ihre Privilegien endgültig abgeschafft. 1876.
Das ist fast 130 Jahre her – doch im Bewusstsein der Basken existieren die fueros bis heute. Deshalb die Unzufriedenheit mit dem Autonomiestatut, das ihnen nach dem Ende der Diktatur eigentlich viel mehr Rechte einräumte als jemals zuvor. Deshalb auch die Unzufriedenheit mit der spanischen Verfassung, die die unauflösliche Einheit der spanischen Nation proklamiert und den baskischen Separatismus verbietet. Jede nationalistische Partei, die radikale Forderungen formuliert – auch die regierende christdemokratische PNV (Pe Enne Uwe), die Nationalistische Baskische Partei, macht sich als Verfassungsfeind verdächtig.
Die ETA-nahe Separatistenpartei Herri Batasuna wurde vor zwei Jahren verboten. Doch Batasuna-Anhänger gibt es bis heute. Nicht nur in den Bergregionen, für die Madrid seit jeher eine ferne Macht war – sondern auch unter den Arbeitern. Im Eisenerz- und Industriegebiet von Guipuizcoa, in der Nähe der Stadt Mondragon, wird auf dem Fundament der alten baskischen Stammesmentalität die Zukunft gebaut.
In unserem Betrieb gibt es die Möglichkeit, mit anderen Mitgliedern eine Entscheidung der Direktion zu kippen. Das ist nicht immer einfach, aber bei uns gilt: ein Mann oder eine Frau, eine Stimme.
Gruppenleiter Koldo sitzt mit sechs Genossen beim Kaffee. Sie haben sich in einem kleinen, abgewetzten Aufenthaltsraum um einen viereckigen Holztisch versammelt. In der Kooperative Ulma verstehen sich Mitarbeiter als Unternehmer, die ihre Chefs selbst wählen. Soziales Wirtschaften nennt sich dieses Modell jenseits von Börse, Privat- und Planwirtschaft: Eine Mischung aus Realitätssinn und Utopie.
Wir haben hier alle unser Geld in die Kooperative eingebracht. Wenn es unserem Betrieb gut geht, dann machen wir alle Gewinn. Wenn es schlecht läuft, dann bekommst Du einen Schreck und packst mit an, um die Kooperative aus dem Dreck zu holen. Wenn's gut läuft sind wir alle fröhlich und wenn schlecht läuft total verärgert. Jeder trägt hier einen Teil der Verantwortung.
Wie ein bunter Gemischtwarenladen ist Ulma in sieben verschiedenen Industriezweigen tätig. Die Produktpalette reicht von Gabelstaplern über Verpackungssysteme und Fertigbauteile aus Beton bis hin zu Bewässerungsanlagen für die Landwirtschaft draußen in der Halle stellen die Genossen Einzelteile von Baugerüsten und Strassensperren her. Unter ohrenbetäubendem Krach werden die Eisenrohre erst gezogen und dann geschnitten. Koldo und die anderen sind an den Krach gewöhnt und in eine hitzige Diskussion verwickelt. Manchmal reden alle auf einmal, doch hier kommt jeder zu Wort, auch die 27jährige Miren, die ununterbrochen an dem silbernen Frosch spielt, der an ihrer Halskette hängt.
Ich habe auch schon in Aktiengesellschaften gearbeitet, also wenn ich ehrlich bin, hier ist das besser, wie in einer großen Familie
Wir kennen uns hier alle und das hat seine Vor- und Nachteile. In den besten Familien gibt es Neid und Scherereien. Das kann ja sehr schön und unterhaltsam sein, dass du ständig dir bekannte Leute auch nach Feierabend auf der Strasse triffst. Die Kehrseite ist, dass man dich heute mit einer sieht, morgen mit einer anderen und schon beginnt das Spiel "Los-Lauf-und-erzähl's” und deine Geschichten sind in aller Munde.
Der untersetze Iñigo gehört zu den jungen Anwärtern, die in die Kooperative aufgenommen werden wollen, dafür steht er die nächsten drei Jahre sozusagen unter Beobachtung. Die anderen entscheiden dann, ob er Genosse wird.
Er kaut an seinen Fingernägeln und schaut gedankenversunken aus dem Fenster auf die bewaldete Berglandschaft. Lastwagen quälen sich im Schneckentempo über winzige Serpentinen und durch Täler, in denen sich qualmende Fabriken neben Hochhäusern drängen. Eine Art baskisches Ruhrgebiet, nur etwas idyllischer mit riesigen Tannenwäldern und gewellten Hügeln auf denen Kühe und Schafe weiden. Hier wird seit Jahrhunderten Eisenerz abgebaut und Metall verarbeitet. 60 Kilometer entfernt von den drei größten Städten des Landes: Bilbao, San Sebastián und Vitoria-Gasteiz.
Das gute an einer Kooperative ist, dass ich die Möglichkeit habe, wenn hier nicht genug zu tun ist, in eine andere zu gehen, wo Arbeitskräfte fehlen.
Als höchstes Gebot gilt für alle: Arbeitsplätze schaffen und die, die es gibt zu sichern. Gerät eine Kooperative in die Krise – was selten passiert – werden die Genossen auf andere Betriebe umverteilt.
Debatten über Lohnkürzungen und Arbeitszeiten werden hier nicht geführt. Die Kooperative Ulma fährt seit Jahren einen bemerkenswerten Wachstumskurs: Mit hunderten von neuen Arbeitsplätzen. Die Fabrik gehört zu einem Verbund von 120 selbst verwalteten Kooperativen, der nach dem nahe gelegenen Ort Mondragon benannt wurde . Der Genossenschaftsverband Mondragon hat einen Jahresumsatz von fast sieben Milliarden Euro und ist das drittgrößte Unternehmen Spaniens. Zu dem Konzern gehören auch Schulen, Supermärkte, eine Bank, Forschungsinstitute, Kranken- und Rentenversicherungen und eine Universität. Im Mittelpunkt des Ganzen steht der Mensch, sagt Koldo. Und der Mensch wird zum Mitdenken eingeladen. Es gibt Sitzungen, bei denen es um Verbesserung von Produktionsprozessen geht, oder um mehr Sicherheit an Arbeitsplatz und dann, "dann gibt es da noch den Sozialrat” fällt ihm Iñigo ins Wort, "wo wir zum Beispiel auch über ungerechte Behandlung sprechen”. Doch vieles regeln die Genossen schon im Vorfeld. Wir Basken sind ziemlich deutlich, ja vielleicht ein bisschen rauhbeinig meint er lachend. Er gibt bereitwillig zu, dass auf dem Weg zur Anpassung an die knallharte real existierende neoliberale Weltwirtschaft auch ein paar Ideale verloren gingen. Miren hat sofort ein Beispiel parat.
Also es gibt hier bei uns Lohnarbeiter, die arbeiten unter Bedingungen, die finde ich ziemlich beschämend.
Die junge Frau verschränkt die Armen und schaut angriffslustig in die Runde. Iñigo erzählt, dass zehn Prozent Lohnarbeiter inzwischen im Kooperativsystem erlaubt sind. Auch das Sichern der Arbeitsplätze der Genossen durch die Auslagerung von Produktionsstätten in Billiglohnländer. Koldo protestiert und erklärt, dass die Firmen im Ausland nach einer gewissen Zeit in das System der Kooperative überführt werden sollen, denn es ginge ja darum nicht nur Waren, sondern vor allem Ideen zu exportieren. Koldo schaut auf die Uhr, die Pause ist vorbei, es ist wieder Zeit an die Arbeit zu gehen und verschwindet fröhlich plaudernd mit seinen Genossen in der Produktionshalle.
Das wichtigste Wort auf Euskara heißt gore, unser. Unser Volk, unsere Heimat, unser Dorf. Wie bei allen Völkern ohne eigenes Territorium definiert sich die kulturelle Identität der Basken über ihre Sprache. Und grenzt sie von ihren Nachbarn ab: Baskisch ist überhaupt nicht verwandt mit französisch oder spanisch, es hat nicht einmal indogermanische Wurzeln – über den Ursprung des Baskischen rätseln die Sprachforscher bis heute. Fest steht, dass es eine der ältesten, wenn nicht überhaupt die älteste Sprache Europas ist. Es gibt weder Präpositionen noch Artikel, wenige Höflichkeitsformen und wenig Abstrakta, dafür 12 Fälle und ein reiches Vokabular für Naturphänomene. Der Grundwortschatz besteht aus gerade mal 200 tausend Wörtern, Begriffe werden durch Suffixe verändert und erweitert – wie in den finnugrischen Sprachen.
Von den rund 2,1 Millionen Basken spricht heute nur noch etwa ein Viertel fließend Baskisch – eine Folge vor allem des jahrzehntelangen Sprachverbotes während der Franco-Diktatur. Doch das Euskara nimmt wieder zu: damit die Sprache eine Zukunft hat, wurden im ganzen Baskenland Ikastolas gegründet, baskische Schulen. Allein im französischen Teil gibt es 20 Ikastolas mit insgesamt über 2000 Schülern.
Ana: Also ich finde Französisch ist auch wichtig, einige aus meiner Familie können kein Baskisch, einige meiner Freunde auch nicht. Aber ich finde Baskisch ist eine schöne Sprache und es gut, sie zu lernen.
Ana und ihre Klassenkameraden haben gerade die Französischbücher zugeklappt. Der freundliche Klassenraum hängt voll mit selbst gemalten Bildern. Auf denen sind die typischen weißgetünchten Häuser mit roten Fensterläden, Menschen, Kühe und Pferde und die rot-grün-weiße baskische Fahne zu erkennen. Die Flügeltüren zum Innenhof stehen sperrangelweit auf. Es riecht nach frisch gemähtem Grass. Die Sonne scheint. Ein paar Jungs spielen Fußball und sprechen Baskisch. Diese Sprache klingt poetisch, melodisch, klar und sehr fremd. Man versteht kein einziges Wort. Nichts, was an irgendetwas sprachlich Bekanntes erinnert. Ihr Land nennen die Basken übrigens Euskal Herria: Das Land der Basken-Sprecher. Die Kinder hier sind mindestens zweisprachig, Baskisch und Französisch. Einige sprechen dazu noch Spanisch.
Zuriñe: Ich spreche in der Schule und zuhause Baskisch, manchmal mit meinen Eltern, mit meiner Schwester und mit meinem Bruder. Aber mit meiner Oma und mit meinem Vater muss ich Spanisch sprechen, weil die nicht so gut Baskisch können.
Lehrerin Odile: Ist es schwer für Deinen Vater, Baskisch zu verstehen?
Mädchen: Nicht wirklich. Nachmittags schaut er das baskische Fernsehen und das versteht er.
Ein anderes Mädchen: Meine Mutter kann sie noch nicht so gut, sie liesst Bücher mit mir in der Bibliothek und mein Vater kann es auch nicht richtig, er hört Radio und er hat sich ein paar Bücher gekauft und macht auch Hausaufgaben.
Weil die baskische Sprache während der Franco-Diktatur nicht unterrichtet werden durfte, haben mindestens zwei Generationen, diese Sprache nicht richtig gelernt. Und hier im französichen Baskenland ist die Sprache der Republik Französisch.
Baskische Schulen gibt es hier erst seit kurzem. Außerdem standen Menschen, die Euskerra sprachen, sofort unter dem Verdacht, baskische Nationalisten zu sein. Auf bei beiden Seiten der Pyrenäen. Vor allem aber schämten sich die Menschen in der Stadt, die Sprache der Bauern und der Armen zu sprechen. Einige sprachen Baskisch heimlich zuhause, aber eben nicht alle, erklärt Odile und spielt mit ihren großen, grünen, quadratischen Ohrringen. Ihre Schüler überlegen währenddessen fieberhaft welche die drei Worte sein könnten, die deutsche Kinder zuerst auf Baskisch lernen sollten. Sie stimmen darüber ab: Zuriñe geht mit wippendem Pferdeschwanz an die Tafel vor und schreibt: "Bai”, "ez” eta "euskarra”, "ja”, "nein” und "Baskisch”. Zuriñe strahlt. Mit diesem Minimalwortschatz, könnten die deutschen Kindern dann auch gleich jedem erklären, ob sie Baskisch sprechen oder nicht. Die zarte Odile schaut in die Runde und lächelt über ihre engagierten Schüler.
Ich bin stolz darauf, dass ich Baskisch spreche und es unterrichten kann. Meine Eltern haben sich damals bemüht, als ich so alt war, wie die hier, mir die Sprache beizubringen. Meine Mutter ist Bretonin, aber sie hat meinen Vater immer darin bestärkt, dass ich Baskisch lerne. Dadurch, dass ich die Sprache kann, lebe ich unser Volk und unsere Kultur. Ja, ich bin wirklich stolz, das ist ein süßes Gefühl und eine riesige Bereicherung. Durch meine Sprachkenntnisse kenne ich jeden Winkel unseres Landes und kann mich mit jedem, der auch so spricht, unterhalten. Ich habe Freunde, die fühlen sich wie Basken, sie sprechen die Sprache aber nicht. Das wirkt sich emotional auf unsere Beziehung aus. Ich fühle mich tiefer mit allen anderen Basken verbunden, mit denen ich in unserer Sprache sprechen kann.
Die soziale Organisation der Basken basiert auf Gemeinschaftssinn, in der sogar bis heute ein Wort und der Handschlag gilt und vor allem aber die Erhaltung der eigenen Traditionen, bei denen die Sprache an erster Stelle steht. Auch in Frankreich, in dem Land in dem es nur eine offizielle Sprache gibt. Zwar stellt die französische Regierung die Lehrer der Ikastola, der baskischen Schule, doch um alles andere müssen sich Lehrer und Eltern selbst kümmern, auch um die Finanzierung.
Die Ikastola von Urruña gibt es erst seit knapp zehn Jahren. Die ersten Unterrichtsstunden für 14 Kinder wurden in einem winzigen Saal des Dorfkinos abgehalten. Musiker, Schauspieler, Fußballer und Pelotaspieler kamen aus allen Provinzen zusammen, um Benefizveranstaltungen zu unterstützen. Vor vier Jahren konnte die Schule endlich eingeweiht werden. Heute tauchen hier 60 Kinder buchstäblich in die Sprache ein. In der Wissenschaft heißt das Immersions-Prinzip. Der Unterricht findet auf Baskisch statt, Französisch wird wie eine Fremdsprache behandelt. Am Anfang haben die Kinder nur drei Stunden pro Woche Französisch, später sind es dann acht.
Die baskische Sprache ist heute kurz davor auszusterben, seit Jahrhunderten ist sie dabei zu verschwinden. Spanien und Frankreich haben diese Sprache unterdrückt. Wir haben also eine große Verantwortung, diese Sprache am Leben zu erhalten.
Das erste Buch auf baskisch erschien im Jahr 1545, die erste baskische Grammatik wurde 1729 geschrieben. Doch von einer literarischen Tradition im Baskenland kann man nicht sprechen – das Geschichtenerzählen hatte wie bei allen alten, naturverbundenen Kulturen eine viel größere Bedeutung. Umso bemerkenswerter ist die Leistung der baskischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Sie mussten das zwar melodisch klingende, aber im Wortschatz eher beschränkte Euskara zu einer Sprache der Literatur und der Poesie weiterentwickeln – einer Sprache, die sowohl ihre baskischen Leser verstanden als auch – in Übersetzung – ein internationales Publikum.
Zu den bekanntesten und erfolgreichsten Autoren zählt Bernardo Atxaga – in seinen Romanen thematisiert er auf unterschiedliche Weise die baskische Identität, zu der auch die Realität des ETA-Terrors gehört. Doch sein berühmtestes und mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnetes Buch ist Obabakoak, ein Fabulierroman, der sich auf den verschlungenen Wegen von Fiktion und Phantasie bewegt, in der baskischen Tradition des Erzählens. Obabakoak oder Das Gänsespiel erschien 1989. Im Nachwort erklärt Bernardo Atxaga die Symbolik des Gänsespiels, eine Art Biographie.
Man sagt, das Gänsespiel stelle wie das Volksmärchen eine bestimmte Sicht des Lebens dar; es sei eine Darstellung der Tage und der Fron, denen wir uns auf dieser Welt unterziehen müssen – eine Darstellung und eine Metapher zugleich. Sowohl das Würfelbrett als auch die Spielregeln beweisen, dass das Leben im Grunde eine beschwerliche Reise ist, die gleichermaßen vom Zufall als auch von unserem eigenen Willen beeinflusst wird; eine Reise, auf der man ungeachtet aller Schwierigkeiten zügig vorankommt und schließlich wohlbehalten am Ziel anlangt, wo uns die Große Mutter Gans in ihrem Weiher in Empfang nimmt.
Nebenbei bemerkt: es ist kein trivialer Zufall, dass das Metapher-Spiel, von dem hier die Rede ist, ausgerechnet auf die Gans zurückgreift, denn die Gans ist das einzige Tier, das sich auf der Erde, im Wasser, in der Luft fortbewegen kann und aufgrund dieser Eigenschaft im Volksglaube als das Symbol der Weisheit, der Umsicht, der Vollkommenheit gilt. Daher ist die Botschaft dieses Spieles ebenso einfach wie schwierig zu beherzigen, geht es doch schlicht darum, umsichtig zu handeln, Tag für Tag, Gans für Gans, denn nur dank Stetigkeit gelangt man schließlich zu Weisheit und Vollkommenheit.
Wir, und damit meine ich die baskischen Schriftsteller, die erst seit ein paar Jahren in andere Sprachen übersetzt werden - wir sind nur gerade mit dem Notwendigsten aufgebrochen. Wir haben eines Tages unser Bündel aufgeschnürt und darin höchstens fünf, zehn Bücher gefunden, die in der Sprache geschrieben waren, die zu schreiben wir vorgaben. Als ich zwanzig war, las ich Gabriel Aresti, den großen alten Mann der baskischen Literatur; drei Jahre später hatte ich bereits sämtliche Bücher gelesen, die der Diktator nicht hatte verbrennen lassen. Ich will damit nicht sagen, dass wir uns auf keine Tradition berufen konnten – sondern dass uns die Präzedenzfälle fehlten, die Bücher, aus denen wir hätten lernen können, in unserer eigenen Sprache zu schreiben. Däumeling war nicht vorbeigekommen: unmöglich, den Brotkrumen zu folgen, um nach Hause zu gelangen.
Dass wir heute eine gemeinsame literarische Sprache haben, das so genannte euskara batua, ist der Arbeit von Aresti und Luis Mitxelena zu verdanken; sie haben uns geholfen, unser armseliges Bündel gegen einen geräumigen Koffer zu tauschen.
Die Reise geht weiter. Zwar muss man ständig auf der Hut sein: Ich schaue auf das Spielbrett, sehe das Feld zweiundfünfzig - das mit dem Kerker -, sehe das Feld achtundfünfzig – das mit dem Totenschädel -, sehe auf dem Feld zweiundsechzig gleich neben dem Ziel, wo die Große Mutter Gans uns in ihrem Weiher erwartet, einen gefährlich aussehenden, geschniegelten Mann mit einem Zylinderhut auf dem Kopf...und mir wird etwas flau. Doch wir werden nicht aufgeben, wir werden weiter schreiben. Das Würfelbrett ist zum Spielen da.
In der baskischen Sprache gab es bis Anfang des 20. Jahrhunderts kein Wort für Patriotismus, Vaterland oder Freiheit. Sabino Arana, Gründer der Baskischen Nationalen Partei PNV 1895 hatte diese Worte erfunden. Der inzwischen umstrittene baskische Nationalist hatte die die erste Ikurriña gebastelt, die grünweißrote Fahne der Basken, und das baskische noch baskischer gemacht: er ersetzte jedes kastilische c durch ein baskisches k, verwandelte spanische Namen in Baskische und schönte die baskischen Heldengeschichten – eine Reaktion auf die Beschneidung der baskischen Rechte Ende des 19. Jahrhunderts.
Sabino Aranas Idee einer neuen baskischen Identität erscheint heute vielen als übertrieben – doch die wagemutigen und streithaften Basken brauchten zum ersten Mal in der Geschichte tatsächlich eine Rechtfertigung für ihre Existenz. Mussten sich als Nation behaupten, mit eigener Sprache, eigener Kultur, eigener Geschichte. Und auch baskische Arana-Gegner fragen sich heute, warum Picassos berühmtes Antikriegskunstwerk Guernica in Madrid hängt – und nicht im baskischen Gernika, wo deutsch-franquistische Bomber versucht hatten, das Herz eines Volkes zu zerstören. Oder zumindest im Guggenheim-Museum in Bilbão.
Es sind Kleinigkeiten, die die Basken zu Nationalisten machen. Viele Kleinigkeiten und eine lange Geschichte. Javier Elzo, Professor für Soziologie aus San Sebastian und gemäßigter Nationalist, von der ETA verfolgt und von den Spaniern missverstanden, sitzt mit seinen Vorstellungen eines autonomen Baskenlandes zwischen allen Stühlen.
Elzo schlägt den Weg zum Park ein. Mit seiner schlichten blauen Baumwollhose, dem grünen Hemd und den Ledersandalen, in denen seine nackten Füsse stecken, sieht er aus, als wäre er just eine grasgrüne Bergwiese hinuntergelaufen gekommen. So recht passt er nicht ins Straßenbild der eleganten Badestadt San Sebastian. Dass er ein renommierter Soziologe ist, sieht man ihm nicht an. Doch das sind nur Äußerlichkeiten. Es sind die inneren Widersprüche und Gegensätze, die das Leben im Baskenland bestimmen. Und die kaum ein Außenstehender versteht, sagt Elzo im Gehen.
Was mich wütend macht, ist dass die Gewalt im Ausland mit Nationalismus gleichgesetzt wird. Unser Nationalismus ist demokratisch und er ist friedlich. Die ETA ist nicht die Konsequenz unseres Nationalismus. Die ETA ist während der Franco-Diktatur entstanden und die ETA besteht aus zwei Komponenten: Die eine ist die Forderung nach einem eigenen baskischen Staat und die andere ist die Revolution. Sollte das Baskenland morgen ein eigener Staat sein, würde die ETA trotzdem weiterbomben, weil die revolutionären Ziele nicht erreicht wurden, wie zum Beispiel der Anti-Imperialismus und der Antikapitalismus. Davon bin ich überzeugt.
Die Musik ist jetzt endgültig vergessen. Elzo steuert zielstrebig eine Bank im Guipuzcoa-Park an und erklärt unter den großen Kastanien seine Vorstellung eines autonomen Baskenlandes.
Er steht der christdemokratischen Baskisch-Nationalistischen Partei PNV nahe, die seit 26 Jahren die Autonome Region Baskenland regiert. Bei allen Wahlen erreichen die verschiedenen nationalistischen Parteien zusammen eine klare Mehrheit. Ihr Ziel ist eine grössere Unabhängigkeit vom spanischen Staat. Ganz gleich, ob es sich um separatistische, konservative, linke oder gemäßigte Nationalisten handelt.
Selbst Herri Batasuna war gegen die Gewalt. Aber weil sie die ETA nie in der Öffentlichkeit angeklagt haben, zählt Herri Batasuna für mich zu Hauptverantwortlichen, dass es die ETA immer noch gibt.
Herri Batasuna war der politische Arm der ETA. Deshalb wurde die Partei vor zwei Jahren verboten. Obwohl sie nur 10 Prozent der baskischen Wähler vertraten - ähnlich hoch ist die Zustimmung für ihre Nachfolgepartei, die "Bürgerinitiative für die Unabhängigkeit” AUB - und obwohl 90 Prozent der Basken die ETA ablehnen, wertete die Mehrheit der Basken das Parteiverbot als Angriff aus Madrid. Dreiviertel der baskischen Bevölkerung protestierte gegen das Verbot von Herri Batasuna - und gegen die Schließung der baskischen Tageszeitung Egunkaria. Diese hatte zwar auch Interviews mit ETA-Mitgliedern gedruckt, ansonsten aber ein breites Meinungsspektrum geboten. Vor allem aber war Egunkaria die einzige baskischsprachige Tageszeitung gewesen. Selbst die Basken, die keine regelmäßigen Leser von Egunkaria gewesen waren, empfanden das Verbot der Zeitung nicht nur als Anschlag auf die Pressefreiheit, sondern auch als Angriff auf ihre Sprache und auf ihre Identität. Die Empörung wuchs, als die Geschäftsführer und Journalisten von Egunkaria nach der Untersuchungshaft von Folterungen durch die Guardia Civil berichteten.
Von Erstickungsversuchen unter Plastiktüten und von Scheinrichtungen. Und sie wuchs weiter, als der damalige Innenminister auf die Vorwürfe mit einer Verleumdungsklage reagierte. Die Forderung von Amnesty international, die Vorgänge zu untersuchen, wurde bis heute nicht erfüllt. Stattdessen beschloß die spanische Regierung im Oktober 2003, die Isolationshaft von 5 auf 13 Tage zu erhöhen. Wie viele Basken glaubt deshalb auch Elzo eher den baskischen Verdächtigten als den spanischen Behörden.
Das ist eine der größten Unverschämtheiten des spanischen Staates und der dazu schweigenden Presse. In Spanien wird bis heute gefoltert. Nicht wie unter Franco, selbstverständlich nicht. Aber dass ein Rechtsstaat die Folter mitten in Europa durchführt, das ist unglaublich.
Elzo redet sich in Rage. Längst hat sich eine kleine Menge von Passanten um ihn versammelt, Spaziergänger, die aus gebührendem Abstand zuhören. Unter ihnen auch der junge Mann mit der dicken Sonnenbrille. Elzo lässt sich nicht ablenken, er ist es gewohnt, dass ihm Menschenmengen Aufmerksamkeit schenken. Als hielte er eine Vorlesung, redet er weiter ohne Punkt und Komma, begleitet von großen Gesten. Wir brauchen mehr Autonomie als bisher, sagt Elzo, weil die spanische Regierung mit uns macht, was sie will. Unser Presserecht beschneidet. Ein baskisches Wort reicht aus, dass in Madrid die Alarmglocken läuten. Und dann werden unter dem Vorwand "Krieg dem ETA-Terrorismus" wieder alle Basken in einen Topf geworfen.
Darum, sagt Elzo, brauchen wir eigene, unabhängige Gerichte, so wie in den deutschen Bundesländern. Wir brauchen eine Stimme, sagt er. Und dafür unsere eigene Sprache.
Ja, was wollen wir Basken denn noch alles?, fragen Sie. Wenn wir schon dabei sind, dann wollen wir auch das Recht auf Selbstbestimmung, das in der jetzigen Verfassung gesetzeswidrig ist. Wir wollen, dass neben der spanischen Fahne unsere Ikurriña steht und einen baskischen Reisepass. Die Mehrheit der Basken fordert keine Unabhängigkeit von Spanien. Der Ibarretxe-Plan ist kein separatistischer Plan, es ist ein Plan, der auf Ko-Souveränität basiert, also auf einem freiwilligen Zusammenschluss zwischen dem Baskenland und Spanien.
Der Ibarretxe-Plan, nach dem jetzigen baskischen Ministerpräsidenten benannt, sieht neben einer unabhängigen Gerichtsbarkeit auch das Recht auf weltweite eigene diplomatische Vertretungen vor. Man möchte eigenständige Wirtschaftsbeziehungen unterhalten. Und im Madrider Senat auf Baskisch sprechen können. Eine Beziehung unter Gleichen also, in der Spanien akzeptiert, dass das Baskenland nur deshalb zur spanischen Nation gehört, weil die Mehrheit der Basken dem zustimmt. Elzo ist sich sicher, dass die Mehrheit der Basken zustimmen würde. Dass sie nicht gefragt werden, das ist das Problem.
Wir reden doch hier von der Schöpfung Europas. Im neu erschaffenen Europa möchte ich einfach nicht nur ein Zipfel Spaniens sein. Nein! Ich bin ein Teil Spaniens, aber ich habe eine eigene Identität und vor allem möchte ich mit meiner eigenen Identität zum neuen kosmopolitischen Europa gehören und will eine Menge Dinge selber regeln. Und ich möchte, dass die Einzigartigkeit des Baskenlandes erhalten bleibt, ich möchte mich nicht im Nebel der Geschichte auflösen und verschwinden. Das ist schon so häufig passiert, mit so vielen anderen Völkern wie den Bretonen und den Gälen. Da reden wir von Vögeln, die vom Aussterben bedroht sind. Verflixt und zugenäht, unsere Sprache ist vom Aussterben bedroht und das beunruhigt mich mehr als die bedrohten Vogelarten.
Elzo wischt sich mit einem blütenweißen Taschentuch über die Stirn und atmet durch. Eigentlich ist er noch längst nicht fertig mit seiner Rede. Doch der junge Mann mit der dunklen Sonnenbrille kommt auf ihn zu, der, der ihn vor der ETA schützen soll. Tut mir leid, sagt Elzo, wir müssen los. Zuhause warten Freunde auf mich, das ist baskische Ehrensache. Und ich will ihnen meine neue CD vorspielen, sagt er noch und verabschiedet sich. Und dann geht der kleine runde Mann mit seinem groß gewachsenen Begleiter quer über die Wiese zum Parkausgang.
Javier Elzo muss seinen Leibwächter wohl weiterhin beschäftigen, trotz der Verhaftung der ETA-Führungsspitze Anfang Oktober. Und er wird auch weiterhin seine moderaten Ideen einer baskischen Autonomie erklären und rechtfertigen müssen. Der baskische Ministerpräsident Ibarretxe hat erst jüngst die neue spanische Regierung brüskiert, indem er wissen ließ, dass er noch in diesem Jahr über seinen Freistaatsplan abstimmen lassen wolle. Dass er, sollte er eine Mehrheit erhalten, nach den für den Frühsommer 2005 vorgesehenen Regionalwahlen das Referendum abhalten wolle. Und dass er diese Volksbefragung allein von der Erlaubnis des baskischen Parlaments abhängig machen werde. Nichts und niemand, so fügte er hinzu und er meinte das spanische Parlament, werde ihn davon abhalten können.
Wie der Dialog zwischen den baskischen Nationalisten und den spanischen Sozialisten nun weitergehen kann, ist unklar. Denn dass die Regierung in Madrid jemals zu einer Verfassungsänderung bereit sein wird, ist kaum anzunehmen.