"Ich glaube ganz grundsätzlich, dass wir uns, während wir uns etwas merken, nie sicher sein können: Wie lange hält das?"
Der Kompositionsstudent Jonathan Granzow hat zusammen mit der Pianistin Despina Apostolou eine Installation geschaffen, die auf vielfache Weise das Vergessen und das lückenhafte Erinnern simuliert – durchaus mit verschmitzten Einfällen. Gleich zu Anfang stutzt man.
Kaum ist man an der Ausleihetheke im ersten Stock vorbei, durch die Tür in den Lesesaal geschritten, da sieht man in der Mitte des Raumes, zwischen den über zwei Stockwerke reichenden, erhabenen Regalwänden - nichts!
Inmitten von Büchern sollte man wohl nicht zu viel Erinnerung erwarten, eher von unscheinbaren Alltagsgegenständen.
"Ja, ich nehme an, dass das Essschalen sind ..."
Die findet man hinter den Bücherregalen, an den Raumseiten, im Spotlight auf Tischen. Nähert man sich, erklingen immer lauter werdende Erklärungen.
"So ne Bierflasche ... was steht da drauf – ach, Gott: Irrenanstalt!"
Thermometer, Urinflaschen, Metallschalen, Besteck oder eine Brosche. Seniorenstimmen vom Band sagen das alles an. Fundstücke aus der Baustelle des Campus Westend vor ein paar Jahren, Utensilien des einstigen sogenannten "Irrenschlosses" von 1864, das 1928 abgerissen worden war. Die Erinnerung an die berühmte Nervenklinik ist brüchig, deshalb haben die Ausstellungsmacher demente Senioren in einem Frankfurter Altersheim interviewt. Keine ehemaligen Patienten, sondern Zeitgenossen, welche das Irrenschloss vom Sehen kannten. Diese eher lose Verbindung ist gewollt. Jonathan Granzow:
"Unsere Idee war auch, dass sie früher mit ähnlichen Objekten in Kontakt gekommen sind, dass sie etwas davon erzählen könnten. Genau das wollen wir ja: Erinnern an eine Anstalt, in der das Vergessen als Krankheit zum ersten Mal beschrieben wurde, und darin besteht unser Kniff."
"Ja, das ist die Flasche, in die ein Mann mit Leichtigkeit hineinpinkeln kann."
Alte Urinflaschen, zerbeulte Milchkannen, Reste von Zahnbürsten: Der Zahn der Zeit nagt an den Dingen und an unserer Erinnerung.
"Genau das geschieht auch in unserer Ausstellungsinstallation, dass uns nur die Dinge, auf die wir uns zubewegen, erklärt werden, während, wenn man sich von einem Objekt entfernt, diese Erklärung ausbleibt und verblasst."
Mehr noch: Was die Senioren erzählen, haben die Künstler aufgeschrieben und dann Musiker gebeten, die Satzmelodie nachzuspielen.
"Dickeres Porzellan. Nicht ganz dickes, aber dickeres Porzellan, sagen wir mal ..."
"Es kam einfach eine Assoziation hoch und es war wie selbstverständlich, an ein Instrument zu denken, wegen der Stimmlage, Lautstärke, und dann war der Vorschlag: Das könnte das sein, da waren wir uns einig."
... erklärt Despina Apostolou. Ein Hinweis auf die Arbeitsweise unseres Gehirns: Wo die Worte schon verloren sind, erhalten sich meist noch Emotionen. Die sind für das Erinnern wichtig, hat die moderne Hirnforschung erkannt.
Die Ausstellungsmacher ließen übrigens mehrere Versionen der kurzen Phrasen einspielen. Dabei wurden die Musiker immer besser. Die Abfolge der Versionen hört man nun in umgekehrter Reihenfolge: Die letzte, perfekteste steht am Anfang, erklärt Jonathan Granzow.
""Wir haben also die Klänge verjüngt und enden mit einer Fassung, die gewisse Mängel aufweist, im Vergleich zur ersten. Und dieses Umdrehen, dieses Verlernen von Material, dieses Verüben von Musik, das ist unsere Simulation des Vergessens."
Horrorfilme und Computerspiele nutzen die Gruselstimmung alter Irrenanstalten gerne. Die Ausstellung verweigert sich solcher Effekthascherei. Sie hält die Waage zwischen Intellekt und Emotion, zwischen der konkreten Erinnerung an die Nervenklinik und allgemeineren Thesen zum Vergessen.
"Ich glaube, die Installation ist ambivalent genug, die Emotionen bei den Besuchern auszulösen, die er ausgelöst haben möchte. Ich glaube auch nicht, dass wir in irgendeiner Form mystifizieren. Wir sind der Stadt näher gekommen. Und wir denken, so wird es unseren Besuchern auch passieren."
Der Kompositionsstudent Jonathan Granzow hat zusammen mit der Pianistin Despina Apostolou eine Installation geschaffen, die auf vielfache Weise das Vergessen und das lückenhafte Erinnern simuliert – durchaus mit verschmitzten Einfällen. Gleich zu Anfang stutzt man.
Kaum ist man an der Ausleihetheke im ersten Stock vorbei, durch die Tür in den Lesesaal geschritten, da sieht man in der Mitte des Raumes, zwischen den über zwei Stockwerke reichenden, erhabenen Regalwänden - nichts!
Inmitten von Büchern sollte man wohl nicht zu viel Erinnerung erwarten, eher von unscheinbaren Alltagsgegenständen.
"Ja, ich nehme an, dass das Essschalen sind ..."
Die findet man hinter den Bücherregalen, an den Raumseiten, im Spotlight auf Tischen. Nähert man sich, erklingen immer lauter werdende Erklärungen.
"So ne Bierflasche ... was steht da drauf – ach, Gott: Irrenanstalt!"
Thermometer, Urinflaschen, Metallschalen, Besteck oder eine Brosche. Seniorenstimmen vom Band sagen das alles an. Fundstücke aus der Baustelle des Campus Westend vor ein paar Jahren, Utensilien des einstigen sogenannten "Irrenschlosses" von 1864, das 1928 abgerissen worden war. Die Erinnerung an die berühmte Nervenklinik ist brüchig, deshalb haben die Ausstellungsmacher demente Senioren in einem Frankfurter Altersheim interviewt. Keine ehemaligen Patienten, sondern Zeitgenossen, welche das Irrenschloss vom Sehen kannten. Diese eher lose Verbindung ist gewollt. Jonathan Granzow:
"Unsere Idee war auch, dass sie früher mit ähnlichen Objekten in Kontakt gekommen sind, dass sie etwas davon erzählen könnten. Genau das wollen wir ja: Erinnern an eine Anstalt, in der das Vergessen als Krankheit zum ersten Mal beschrieben wurde, und darin besteht unser Kniff."
"Ja, das ist die Flasche, in die ein Mann mit Leichtigkeit hineinpinkeln kann."
Alte Urinflaschen, zerbeulte Milchkannen, Reste von Zahnbürsten: Der Zahn der Zeit nagt an den Dingen und an unserer Erinnerung.
"Genau das geschieht auch in unserer Ausstellungsinstallation, dass uns nur die Dinge, auf die wir uns zubewegen, erklärt werden, während, wenn man sich von einem Objekt entfernt, diese Erklärung ausbleibt und verblasst."
Mehr noch: Was die Senioren erzählen, haben die Künstler aufgeschrieben und dann Musiker gebeten, die Satzmelodie nachzuspielen.
"Dickeres Porzellan. Nicht ganz dickes, aber dickeres Porzellan, sagen wir mal ..."
"Es kam einfach eine Assoziation hoch und es war wie selbstverständlich, an ein Instrument zu denken, wegen der Stimmlage, Lautstärke, und dann war der Vorschlag: Das könnte das sein, da waren wir uns einig."
... erklärt Despina Apostolou. Ein Hinweis auf die Arbeitsweise unseres Gehirns: Wo die Worte schon verloren sind, erhalten sich meist noch Emotionen. Die sind für das Erinnern wichtig, hat die moderne Hirnforschung erkannt.
Die Ausstellungsmacher ließen übrigens mehrere Versionen der kurzen Phrasen einspielen. Dabei wurden die Musiker immer besser. Die Abfolge der Versionen hört man nun in umgekehrter Reihenfolge: Die letzte, perfekteste steht am Anfang, erklärt Jonathan Granzow.
""Wir haben also die Klänge verjüngt und enden mit einer Fassung, die gewisse Mängel aufweist, im Vergleich zur ersten. Und dieses Umdrehen, dieses Verlernen von Material, dieses Verüben von Musik, das ist unsere Simulation des Vergessens."
Horrorfilme und Computerspiele nutzen die Gruselstimmung alter Irrenanstalten gerne. Die Ausstellung verweigert sich solcher Effekthascherei. Sie hält die Waage zwischen Intellekt und Emotion, zwischen der konkreten Erinnerung an die Nervenklinik und allgemeineren Thesen zum Vergessen.
"Ich glaube, die Installation ist ambivalent genug, die Emotionen bei den Besuchern auszulösen, die er ausgelöst haben möchte. Ich glaube auch nicht, dass wir in irgendeiner Form mystifizieren. Wir sind der Stadt näher gekommen. Und wir denken, so wird es unseren Besuchern auch passieren."